Wir gegen euch (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
736 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-29947-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wir gegen euch -  Fredrik Backman
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Das kleine Björnstadt mitten in den skandinavischen Wäldern musste erleben, was es heißt, wenn ein ganzer Ort auseinanderbricht. Nun sieht sich die Stadt einer neuen Herausforderung gegenüber. Denn nicht nur ist der geliebte örtliche Eishockeyverein von der Schließung bedroht - fast noch schlimmer ist, dass der Klub der Nachbarstadt Hed, Erzrivale Björnstadts, als neuer Stern am Himmel des Sports gefeiert wird. Der gemeinsame Feind schweißt viele Björnstädter wieder zusammen, und aus der sportlichen Rivalität zweier Städte wird bald ein verbissener Kampf, der mit allen Mitteln geführt wird. Und in einem dramatischen Finale gipfelt ...

Fredrik Backman ist mit über 20 Millionen verkauften Büchern einer der erfolgreichsten Schriftsteller Schwedens. Sein erster Roman »Ein Mann namens Ove« wurde zu einem internationalen Phänomen; die Verfilmung mit Rolf Lassgård war für zwei Oscars nominiert, es gibt zudem ein Remake mit Tom Hanks. Auch Fredrik Backmans folgende Romane eroberten die obersten Ränge der Bestsellerlisten in Deutschland, Schweden, den USA und vielen anderen Ländern. Sein Werk wurde bisher in 46 Sprachen übersetzt und zu großen Teilen verfilmt. Der Autor lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Solna bei Stockholm.

Kapitel 2 
»Es gibt drei Kategorien von Menschen«


Klack-klack-klack-klack-klack.

Die höchste Erhebung in Björnstadt ist ein Hügel, der am südlichen Ortsrand liegt. Von dort aus kann man alles überblicken, von den großen Einfamilienhäusern auf der Anhöhe über die Fabrik, die Eishalle und die Reihenhäuser in der Ortsmitte bis hinunter zu den Mietshäusern in der Senke. Auf dem Hügel stehen zwei Mädchen und schauen hinunter auf ihre Stadt. Maya und Ana. Sie werden bald sechzehn, und es ist schwer zu sagen, ob sie trotz ihrer Unterschiede beste Freundinnen sind oder gerade deswegen. Die eine liebt Musikinstrumente, die andere Schusswaffen. Ihre Abscheu gegen den Musikgeschmack der jeweils anderen löst ebenso wiederkehrende Streitereien aus wie ihr schon zehn Jahre währender Konflikt über Haustiere, und zuletzt wurden sie im vergangenen Winter während einer Geschichtsstunde beide vor die Tür geschickt, weil Maya geflüstert hatte: »Weißt du eigentlich, wer ein Hundeliebhaber war, Ana? Hitler!« Woraufhin Ana brüllte: »Und weißt du, wer ein Katzenliebhaber war?! Josef Mengele!«

Sie zoffen sich regelmäßig, lieben einander beständig, und seit sie klein waren, gab es immer wieder Tage, an denen sie das Gefühl hatten, zu zweit gegen den Rest der Welt zu stehen. Doch seit dem, was Maya im Frühjahr zugestoßen ist, haben die beiden jeden Tag dieses Gefühl.

Es ist Anfang Juni. In diesem Ort herrscht ein Dreivierteljahr lang Winter, aber für ein paar verzauberte Wochen ist gerade Sommer. Der Wald um sie herum badet im Sonnenlicht, die Bäume am Seeufer wiegen sich behaglich in der lauen Brise, aber die Blicke der Mädchen strahlen dennoch keine Zufriedenheit aus. Früher hielt diese Jahreszeit endlose Abenteuer für sie bereit; sie lebten draußen in der Natur und kamen erst spätabends mit zerrissener Kleidung, jeder Menge Schmutz im Gesicht und der Kindheit im Blick nach Hause. Doch das ist vorbei. Jetzt sind sie erwachsen. Für manche Mädchen ist das nichts, was man sich wünscht, sondern etwas, was man ihnen aufzwingt.

Klack. Klack. Klack-klack-klack.

Vor einem der Häuser steht eine Mutter. Sie lädt die Taschen ihres Kindes ins Auto. Wie oft tut man dies, bis sie groß sind? Wie viel Spielzeug sammelt man vom Fußboden auf, nach wie vielen Kuscheltieren fahndet man abends vorm Schlafengehen mit ganzen Suchtrupps, und wie viele einzelne Handschuhe gibt man im Kindergarten verloren? Wie oft denkt man, dass einem als Eltern im Zuge der Evolution eigentlich Schuhlöffel aus beiden Unterarmen wachsen müssten, um damit unter alle verdammten Sofas und Kühlschränke zu gelangen. Wie viele Stunden verbringen wir damit, im Hausflur auf unsere Kinder zu warten? Wie viele graue Haare auf unserem Kopf verdanken wir ihnen? Wie viele Leben opfern wir für ihr eines? Was braucht man, um eine gute Mutter oder ein guter Vater zu sein? Nicht viel. Nur alles. Einfach nur alles.

Klack. Klack.

Oben auf dem Berg wendet sich Ana gerade ihrer besten Freundin zu und fragt: »Weißt du noch, als wir klein waren? Und du immer Mutter und Kind spielen wolltest?«

Maya nickt, ohne die Stadt aus den Augen zu lassen.

»Willst du immer noch Kinder haben?«, fragt Ana.

Mayas Mund öffnet sich kaum, als sie antwortet.

»Weiß nicht. Und du?«

Ana zuckt leicht mit den Achseln, vor Wut und auch aus Trauer.

»Vielleicht, wenn ich alt bin.«

»Wie alt?«

»So um die dreißig.«

Maya schweigt lange, bevor sie fragt: »Jungs oder Mädchen?«

Ana antwortet, als hätte sie in ihrem ganzen Leben nur über diese eine Frage nachgedacht: »Jungs.«

»Und warum?«

»Zu denen ist die Welt nur manchmal grausam, aber zu uns fast immer.«

Klack.

Die Mutter schließt den Kofferraum. Sie hält ihre Tränen zurück, denn sie weiß, wenn sie jetzt auch nur eine einzige vergießt, wird sie nie wieder aufhören zu weinen. Egal wie alt unsere Kinder sind, wir wollen nicht vor ihnen weinen. Wir tun alles für sie, was sie allerdings nicht verstehen, weil sie die Tragweite noch nicht begreifen. Ein Leben lang fühlen wir uns unzulänglich und werden von schlechtem Gewissen geplagt, auch wenn wir ins Fotoalbum nur glückliche Bilder kleben und nie die Zwischenräume zeigen, in denen sich alles verbirgt, was weh tut. Die stummen Tränen im dunklen Zimmer. Nachts liegen wir dann schlaflos im Bett vor Sorge, welchen Widrigkeiten wir unsere Kinder aussetzen und was ihnen alles passieren könnte.

Die Mutter umrundet das Auto und öffnet die Fahrertür. Sie unterscheidet sich nicht wesentlich von anderen Müttern. Sie liebt, leidet unter Ängsten, empfindet Scham, fühlt sich unzulänglich. Früher saß sie nachts am Bett ihres dreijährigen Sohnes und betrachtete ihn beim Schlafen, während sie Befürchtungen hegte, was ihm alles Schlimmes zustoßen könnte, genau wie alle Eltern es tun. Sie glaubte nur nie, dass sie irgendwann einmal würde befürchten müssen, dass er anderen Schlimmes antut.

Klack.

Die Stadt liegt im Morgengrauen, ihre Bewohner schlafen noch, und auch wenn die Hauptstraße, die aus Björnstadt herausführt, völlig verlassen daliegt, heften sich die Blicke der Mädchen oben auf dem Berg darauf. Sie warten geduldig.

Maya träumt nicht mehr von ihrer Vergewaltigung. Nicht von Kevins Hand auf ihrem Mund, seinem Gewicht auf ihrem Körper, mit dem er ihre Schreie erstickte, nicht von seinem Zimmer mit all den Eishockeypokalen in den Regalen und auch nicht vom Fußboden, auf dem ihr Blusenknopf gelandet war. Jetzt träumt sie nur noch von der Joggingstrecke um die Anhöhe herum, die sie von hier aus sehen kann. Wie Kevin dort in der Dunkelheit allein unterwegs war und sie mit einem Gewehr in den Händen plötzlich hinter einem Baum hervortrat. Wie sie ihm den Lauf an den Kopf hielt, wie er zitterte und weinte und sie um Gnade anflehte. Im Traum tötet sie ihn jede Nacht wieder aufs Neue.

Klack. Klack.

Wie viele Male bringt eine Mutter ihr Kind zum Glucksen vor Freude? Wie oft bringt das Kind sie zum Lachen? Kinder lassen uns innerlich jubeln, wenn sie es zum ersten Mal bewusst tun und wir ihren Humor entdecken. Wenn sie Scherze machen oder lernen, unsere Gefühle zu manipulieren. Wenn sie uns lieben, lernen sie kurz darauf zu lügen, um unsere Gefühle zu schonen, und dann tun sie nur noch so, als wären sie glücklich.

Sie lernen so rasch, was wir uns von ihnen erhoffen. Wir können uns zwar einbilden, sie zu kennen, aber sie haben eigene Fotoalben und werden in den Zwischenräumen erwachsen.

Wie viele Male hat die Mutter schon vorm Haus am Auto gestanden, auf die Uhr geschaut und ungeduldig den Namen ihres Sohnes gerufen? Heute braucht sie es nicht zu tun, denn er sitzt schon seit mehreren Stunden schweigend auf dem Beifahrersitz, während sie gepackt hat. Sein ehemals so durchtrainierter Körper ist innerhalb der Wochen, in denen sie ihn geradezu zum Essen überreden musste, stark abgemagert. Er stiert mit leerem Blick aus dem Wagenfenster.

Wie viel kann eine Mutter ihrem Sohn verzeihen? Wie soll sie es im Voraus wissen? Keine Mutter glaubt, dass ihr kleiner Junge heranwächst und zu einem Straftäter wird. Sie weiß zwar nicht, welche Albträume ihn seit einiger Zeit heimsuchen, hört aber, wenn er nachts schreiend aufwacht. Und zwar seit dem besagten Morgen, an dem sie ihn starr vor Angst und steif vor Kälte auf der Joggingstrecke gefunden hat. Er hatte sich eingenässt, und seine verzweifelten Tränen hatten auf seinen Wangen Erfrierungen hinterlassen.

Er hat ein Mädchen vergewaltigt, aber niemand konnte es beweisen. Es wird immer Menschen geben, die behaupten, dass er und seine Familie ohne Anklage und Strafverfolgung gut weggekommen sind. Sie haben natürlich recht. Aber seine Mutter wird es nie so empfinden.

Klack. Klack. Klack.

Als das Auto die Hauptstraße entlangfährt, steht Maya auf dem Hügel und weiß, dass Kevin nie wieder hierher zurückkehren wird. Dass sie ihn gebrochen hat. Es wird immer Menschen geben, die behaupten, dass sie deshalb gewonnen hat.

Doch sie wird es nie so empfinden.

Klack. Klack. Klack. Klack.

Die Bremslichter leuchten kurz auf, die Mutter wirft einen letzten Blick in den Rückspiegel, auf das Haus, das einmal ihr Zuhause war, und die winzigen Klebereste auf dem Briefkasten, von dem der Name »Erdahl« Buchstabe für Buchstabe abgeschabt wurde. Kevins Vater belädt das andere Auto allein. Er hat damals neben der Mutter auf der Joggingstrecke gestanden und seinen Sohn mit Rotz auf der Jacke und Urin auf der Hose dort liegen sehen. Ihre Ehe war schon lange vorher in die Brüche gegangen, aber erst in diesem Moment sah die Mutter die Scherben. Der Vater weigerte sich, ihr zu helfen, als sie den Jungen halb trug und halb durch den Schnee schleifte. Das ist jetzt zwei Monate her, und seitdem hat Kevin das Haus nicht mehr verlassen. Seine Eltern haben unterdessen kaum mehr ein Wort miteinander gewechselt. Männer definieren sich selbst eindeutiger als Frauen, das lehrt das Leben sie, und beide, sowohl ihr Mann als auch ihr Sohn, haben sich schon immer nur über ein einziges Wort definiert: Sieger. Solange sie sich zurückerinnern kann, hat Kevins Vater dem Jungen immer dieselbe Botschaft eingetrichtert: »Es gibt nur drei Kategorien von Menschen: Sieger, Verlierer und Zuschauer.«

Und jetzt? Wenn sie keine Sieger sind, was sind sie dann? Die Mutter löst die Handbremse, schaltet die Stereoanlage im Auto aus, fährt hinunter auf die Hauptstraße und biegt mit ihrem Sohn auf dem Beifahrersitz in die eine Richtung ab. Der Vater steigt ins andere Auto und fährt allein in die...

Erscheint lt. Verlag 18.1.2023
Reihe/Serie Ein Björnstadt-Roman
Übersetzer Antje Rieck-Blankenburg
Sprache deutsch
Original-Titel Vi mot er
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2023 • Anspruch und Humor • Bestseller aus Schweden • Bücher • eBooks • Ein Mann namens Otto • Jonas Jonasson • Neuerscheinung • Roman • Romane • Schweden • Tom Hanks
ISBN-10 3-641-29947-0 / 3641299470
ISBN-13 978-3-641-29947-7 / 9783641299477
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