Die kommunizierenden Gefäße (eBook)

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2022 | 1. Auflage
88 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-77106-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die kommunizierenden Gefäße -  Friederike Mayröcker
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Friederike Mayröckers Prosa hat etwas Atemloses, das alle Festlegungen überschreitet und sich noch für die kleinsten Details öffnet. Mit präzisester Schärfe werden sie überhaupt erst sichtbar gemacht und zur Sprache gebracht, bis sie sich selbst merkwürdig werden. Die »Sprach-Hochgeschwindigkeitskamera« erzeugt ein »Mayröcker-Kino« (Thomas Kling), in dem sich nichts Gemütliches findet. Entdeckungsreisen, Sprachabenteuer sind Sache der 78jährigen Autorin, die etwa Wünsche für ein »ruhiges und besinnliches Fest« in »schrecklichen Aufruhr« versetzen: »nein, schreie ich in mir ... kein ruhiges besinnliches Fest, sondern stürmisch aufregend mit riesigen Meereswogen solle es über mich kommen, zerfleddert, zerzaust, zerknittert, und hitzig und zart ...« Alle Wahrnehmungsorgane wirken wie zum Zerreißen gespannt; Innen und Außen, Wirklichkeit und Literatur fließen ineinander, als gäbe es keine Grenzen dazwischen, als sei alles verbunden durch Gefäße, die miteinander kommunizieren, Interferenzen erzeugen, Lärm und Stille zugleich.



<p>Friederike Mayr&ouml;cker wurde am 20. Dezember 1924 in Wien geboren und starb am 4. Juni 2021 ebendort. Sie besuchte zun&auml;chst die Private Volksschule, ging dann auf die Hauptschule und besuchte schlie&szlig;lich die kaufm&auml;nnische Wirtschaftsschule. Die Sommermonate verbrachte sie bis zu ihrem 11. Lebensjahr stets in Deinzendorf, welche einen nachhaltigen Eindruck bei ihr hinterlie&szlig;en. Nach der Matura legte sie die Staatspr&uuml;fung auf Englisch ab und arbeitete zwischen 1946 bis 1969 als Englischlehrerin an verschiedenen Wiener Hauptschulen. Bereits 1939 begann sie mit ersten literarischen Arbeiten, sieben Jahre sp&auml;ter folgten kleinere Ver&ouml;ffentlichungen von Gedichten.<br /> <br /> Im Jahre 1954 lernte sie Ernst Jandl kennen, mit dem sie zun&auml;chst eine enge Freundschaft verbindet, sp&auml;ter wird sie zu seiner Lebensgef&auml;hrtin. Nach ersten Gedichtver&ouml;ffentlichungen in der Wiener Avantgarde-Zeitschrift &quot;Plan&quot; erfolgte 1956 ihre erste Buchver&ouml;ffentlichung. Seitdem folgten Lyrik und Prosa, Erz&auml;hlungen und H&ouml;rspiele, Kinderb&uuml;cher und B&uuml;hnentexte.</p>

und knootzten dann Schulter an Schulter (meine Schulter die seine berührend seine Schulter die meine berührend) im Jazzkonzert, meist in den letzten Reihen des Saales weil sonst zu laut. Sagte zu ihm, nimm bitte weiter hinten die Plätze, manchmal wurde es aber auch ihm zu laut, und wir verließen mitten im take den Saal und flüchteten. Warum ich meine Schriften mit Stenographie durchsetze? beim Maschinschreiben möchte ich immer auch stenographische Kürzel tippen aber solch 1 Maschine ist noch nicht erfunden, dann ginge das Tippen noch schneller. Träumte mir heute nacht von lauter Akademikern, 1 ganze Gruppe nein nicht groupies sondern 1 Gruppe von netten Leuten, aber ich traute mich nicht, die Stiege hinunter : mit der dicken Zeitschrift im Arm, es war 1 turbulenter Traum, wir stiegen immer wieder über Treppen, 1 griechischer Prospekt, Säulenhallen, aber auch dörfliches Umland, Peter Weibel war da, er hatte 1 jg. Katze in seinem offenen Hemd, aber es war als ob er da oben 1 Penis hätte auf der bloßen Haut, usw., ich mußte mich umziehen weil ich naßgeschwitzt war, zog mich vor der ganzen Gesellschaft um ohne irgendwelche Schamgefühle zu kriegen, rollte das nasse Bündel zusammen trug es nach Hause, merkte aber erst zuhause, es war ganz frisches Brot, noch warm und 1 wenig feucht. Peter Weibel öffnete die Hose, faßte hinein während er Erklärungen an die Tafel schrieb, ich war sehr begierig / aufmerksam und fragte ihn, ob die kl. Katze die er auf dem Leib trug, ihn nicht kratze, er verneinte und trug weiter vor, unterstrich Merksätze an der Schultafel, ich war 1 der Hörer in seiner Klasse, 1 Rebhuhn aus Blech wie Wetterhahn in 1 alten Schuppen, alles total heruntergekommen, EJ war nicht anwesend. Gestern besuchte mich 1 schwarzlockiger Groupie, ihr Gewand roch, sie hatte es vermutlich lange nicht gewechselt, weinte zwischendurch immer wieder, ich steckte ihr Geld zu, damit sie sich besser versorgen sollte, 1 aus der Gruppe trug mir die mehreren Taschen, Körbe und Rucksäcke, die ich stets mitführe. Aber ich wollte aufzeichnen, wie wir im Konzert Schulter an Schulter gesessen sind :

es war sehr angenehm dieses einander Berühren der Schultern, gab mir 1 gutes Gefühl innigen Verbundenseins. Fast wäre ich aus dem Bett gestürzt, ich hing schon halb über dem Bettrand, die scharfe Lampe neben dem Bett so daß ich ohne Anstrengung lesen und schreiben konnte, sogar ohne Brille. Ich mußte ziemlich oft aufstehen diese Nacht, auch verbrachte ich 2-3 durchschwitzte Stunden im Bett, es wäre schön, könnte ich diesen Text «wie süß sind verständliche Worte« nennen – wie gefiele Ihnen das, verehrter Leser, geschätzter Hörer? nein, ohne weibliche Anrede, das -INNEN, der männlichen Form angehängt, ist lächerlich, stoße zB auf »Schreiber« und »INNEN« – was macht ihr bloß mit der armen deutschen Sprache. Ich ging mit dem Bündel nasser Wäsche nach Hause, ich weiß nicht mehr was ich sonst noch träumte, oder ich konnte mir nicht ausmalen, daß ich Wortedafür finden würde, es war vom Hügelland aus 1 spezielle Aussicht, Früchte und Laub, ganz dunkles öliges Laub wie am Mittelmeer, Asien an der Hand. Während des Schreibens im Bett stützte ich mich links ab, während Peter Weibel seine Hörer instruierte (anhand Tafelbild!), fuhr er sich mehrmals ins offene Hemd wo er 1 weibliche Brust hatte, wir hatten JAUSENGELE-GENHEITEN, ich stellte mir vor, welche Konsequenzen es haben würde, wenn ich sie bei meinem Besuch leblos auf dem Küchenboden liegen gesehen hätte – kleinste Begebenheiten : qualvolle Konsequenzen, od. wenn ich zB meine Wohnungs-Schlüssel in meiner Wohnung hätte liegen gelassen, mich also selbst ausgesperrt hätte, was für Konsequenzen stürmten da nicht auf mich ein, 1 Nachbarin bitten, mir Unterschlupf zu gewähren, von dort aus 1 Aufsperrdienst anrufen, der vielleicht nicht erreichbar (Tonbanddienst : »Service rund um die Uhr«), die Vorstellung, bei dieser Nachbarin ausgesetzt zu sein, es wäre zB auch peinlich, ihre Toilette benützen zu müssen, etc., Hunger- und Durstgefühle, das Bedürfnis sich auszustrecken auf 1 Diwan oder Fußboden, usw., alles schrecklich. Während des Schreibens Pißdrang, eingeschlafene linke Hand, die den Kopf stützt, während ich im Bett notiere, liege links, spüre das Pochen meines Herzens. Möchte kein Wort mehr verlieren wieso eigentlich verlieren? würde ich denn mein Wort unterwegs verloren haben? oder würde ich es irgendwo liegen gelassen haben wie meine Wohnungs-Schlüssel? Ich merke, daß für mich alles komplett und in Ordnung ist, abgekürzt : i. O. oder OK, also nichts, worüber man reden müßte, worüber man, siehe oben – 1 Wort verlieren müßte, nur Schweigen. Was für 1 Qual, wenn jemand über etwas das auf der Hand liegt, LANGMÄCHTIG zu sprechen beginnt, ich kann solche Suaden nur abwehren, indem ich ununterbrochen kopfnickend ja-ja-ja-ja rufe, dem Sprechenden also ununterbrochen beipflichte, usw. Die Adern der rechten Hand schwellen während des Schreibens stark an, ich stelle mir vor, wie 1 englische Handschrift aussieht, anscheinend gibt es keine individuellen Handschriften in England, umso ergötzlicher, als die meisten Engländer und -INNEN Linkshänder sind (»die linkshändige Frau« usw.). Mein Leintuch mit Kugelschreiberschriften bekritzelt, als sei es 1 große schöne weiße Leinwand zu Füßen. Wenn ich am Morgen die 1. Aufstehversuche mache, bricht mir der Rücken in der Mitte auseinander, und ich taumele heulend durch die Wohnung, erst nach reichhaltiger Bewegung, Hin und Her-Laufen, Arme hochstemmend, Beine ausschüttelnd, wird der Schmerz erträglich. Auf meiner Tuchent Sterne, 1 ganzer Sternen-Regen, Sternen-Gestöber, darüber die schwarzgelb-rot gewürfelte Wolldecke (Couvert), ich habe das rechte Bein während des Schreibens angezogen, unter der linken Wade, die Dinge erfüllen mich, die Dinge erfüllen sich, wie süß sind verständliche Worte, sage ich, aber, sage ich, es sollte schon 1 bißchen Experiment dabeisein, Salz der Erde, wie es heißt. Ganz makellos, fällt mir ein, ich meine ganz ohne Umstände müssen Geräte, die ich im Gebrauch habe, funktionieren, zB der Plattenspieler, Staubsauger, Farbband-Einklemmer, Mülleimer mit Fußbedienung, Tintentod, Heftmaschine, Schraubverschluß am Honigglas usw. Peter Weibel hat die jg. Katze irgendwo auf der bloßen Haut, das ist 1 gutes Gefühl, Abkürzungen sind erbeten, zu viele Amerikanismen, zum Schluß spricht man selber so, die einstigen deutschen Wendungen gehen unter, wirken schließlich veraltet, ja, wohin hat sich denn unsere schöne deutsche Sprache verflüchtigt? Also ich kann die Örtlichkeiten nicht mehr aufsuchen, die wir gemeinsam aufgesucht haben : nie wieder ins UBL (Gasthaus mit sommers : Rosengärtchen?) nicht mehr in den PRATER (Lunapark), nie wieder nach GRADO (August / September 98).. somnambul, nicht mehr ins APFELSTRUDL (Café).. ach die Wälder auf dem Zentralfriedhof, dunkles Laub, Gebirge der Grabsteine, feuchtes Moos (Ehrfurcht), kein Sitzbänkchen an seinem Grab, die ewige Schwierigkeit, 1 Kerze an seinem Grab anzuzünden, das Bouquet mit Blumendraht zusammengehalten, schon bluten die Finger, Blut tropft auf den Kiesweg, jemand fängt es kurzerhand auf. Ich spüre daß das Hündchen ich meine der Kopfpolster naßgeschwitzt ist, am Morgen, ich meine kapriziös sollte das alles ja nicht sein! : es drückt mir das Herz ab. Das Anmalen fällt leichter als das Abmalen, das Holzkreuz auf seinem Grab von Nässe aufgeweicht, brauche dringend geeigneten Grabstein, Stele vielleicht, am Morgen Froschtheater. Wie ich immer gleich versinke, in den Boden sinke, sitze ich 1 Nichtigkeit gegenüber, ich nehme die Farbe meines Gegenüber an, die Sprechweise, den Anmerkungsstil, den Violin-Schlüssel, den Zypressenhain. Mit siedend heißer Suppe den Mund verbrannt, daß die Haut in Fetzen aus dem Mund hing, die Regentropfen tappen gegen die Fensterscheibe, 1 Wintertag, nämlich 1 Tag eingewickelt in 1 Teig, usw., nebelig-teigig oh what a wonderful morning! – ich habe mich endgültig ENTLOBT, ich meine ich habe die Wohnung mit der ich Jahrzehnte verlobt war, endgültig verstoßen. Betrete ich sie jedoch ab und zu, befallen mich Harndrang und Schüttelfrost und ich beginne zu deklamieren : alle Schriften, die ich in dieser Wohnung geschrieben habe, auswendig herzusagen also aufzusagen : 1 Revolution nach der anderen, ständiges Niesen, schließlich sich in die Ritzen eines Wuschelkopfes klemmen, etc.

Die Landschaft einwanderte in mein Gehirn, sobald ich auf den COBENZL fahre, und alles schaut wie Bücher aus, kl. Bücher, darin die Blumenhandschrift der Elisabeth von Samsonow, irgendwie verwandt mit mir, 5 x überworteter Stil oder was, auf dem Foto, das in dem kl. Buch liegt : ihr Gesicht schlägt Wellen, schreibe in 1 Brief an sie : »hätte gar nichts...

Erscheint lt. Verlag 18.7.2022
Reihe/Serie edition suhrkamp
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Austausch • edition suhrkamp 2444 • Entdeckung • ES 2444 • ES2444 • Fest • Friederike Mayröcker • Interferenzen • Kommunikation • Literatur • Österreich • Prosa • Sprachabenteuer • Ungemütliches • Wahrnehmung • Wirklichkeit
ISBN-10 3-518-77106-X / 351877106X
ISBN-13 978-3-518-77106-8 / 9783518771068
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