Hätte ich dein Gesicht (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
288 Seiten
Unionsverlag
978-3-293-31123-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hätte ich dein Gesicht -  Frances Cha
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Schöner, reicher, mächtiger - nur wer perfekt ist, steigt auf im schillernden Seoul. Vier junge Frauen versuchen, in den gnadenlosen Hierarchien hinter Gangnams Hochglanzfassaden zu bestehen. Kyuri, mit ihrem makellosen Gesicht, unterhält Nacht für Nacht mächtige Geschäftsmänner in exklusiven Room-Salons. Miho, aufstrebende Künstlerin, findet sich unfreiwillig in der superreichen Elite wieder. Ara, stumm seit ihrer Jugend, flieht in den Schein der glitzernden K-Pop-Welt. Und Wonna, frisch verheiratet, sucht verzweifelt nach einem Ausweg aus ihrem vorgeformten Leben. In bonbonfarbenen Schönheitskliniken und an den Marmortischen der High Society offenbaren sich die Abgründe einer Gesellschaft, in der Fehler nicht geduldet werden und Erfolg nur ein einziges Gesicht trägt.

Frances Cha, geboren in Saint Paul, Minnesota, ist Autorin und Journalistin. Sie verbrachte ihre Kindheit in Texas und Hongkong, im Alter von zwölf Jahren zog sie nach Korea. Sie studierte Englische Literatur und Kreatives Schreiben, anschließend war sie u. a. als Redakteurin für CNN International in Seoul und Hongkong tätig. Als Dozentin lehrte sie Medienwissenschaften und Kreatives Schreiben, u. a. an der Columbia University und der Seoul National University. Cha lebt mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Brooklyn und Seoul.

Frances Cha, geboren in Saint Paul, Minnesota, ist Autorin und Journalistin. Sie verbrachte ihre Kindheit in Texas und Hongkong, im Alter von zwölf Jahren zog sie nach Korea. Sie studierte Englische Literatur und Kreatives Schreiben, anschließend war sie u. a. als Redakteurin für CNN International in Seoul und Hongkong tätig. Als Dozentin lehrte sie Medienwissenschaften und Kreatives Schreiben, u. a. an der Columbia University und der Seoul National University. Cha lebt mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Brooklyn und Seoul.

Ara


Sujin ist wild entschlossen, ein Room-Salon-Mädchen zu werden. Sie hat Kyuri von gegenüber in unsere winzige Wohnung eingeladen, und wir drei sitzen in einem kleinen Dreieck auf dem Boden und gucken aus dem Fenster auf unsere mit Bars übersäte Straße. Betrunkene Männer in Anzügen wanken vorüber und überlegen, wo sie für die nächste Runde Drinks hingehen. Es ist spät, und wir trinken Soju aus kleinen Pappbechern.

Kyuri arbeitet im Ajax, dem teuersten Room Salon in Nonhyeon. Dahin gehen Männer mit ihren Geschäftspartnern, um an Marmortischen in langen dunklen Räumen Besprechungen zu führen. Sujin hat mir erzählt, was diese Männer pro Abend zahlen, damit Mädchen wie Kyuri neben ihnen sitzen und sie abfüllen, und ich habe ihr lange nicht geglaubt.

Bevor ich Kyuri kennengelernt habe, hatte ich noch nie von Room Salons gehört, aber seit ich weiß, woran man sie erkennt, sehe ich sie in jeder Nebenstraße. Von außen sind sie fast unsichtbar. Dunkle Treppenabgänge unter nichtssagenden Schildern führen in unterirdische Welten, wo Männer dafür bezahlen, sich wie blasierte Könige aufzuführen.

Sujin möchte Teil all dessen sein, wegen des Geldes. Gerade fragt sie Kyuri, wo sie ihre Augen machen lassen hat.

»Ich hab meine noch in Cheongju machen lassen«, sagt Sujin betrübt. »Großer Fehler. Ich meine, guck mich mal an.« Sie reißt die Augen auf. Und es stimmt, die Falte an ihrem rechten Augenlid sitzt ein klein bisschen zu weit oben, was ihr ein verstohlenes, schiefes Aussehen verleiht. Ganz ehrlich, Sujins Gesicht ist leider auch abgesehen von den asymmetrischen Augenlidern zu quadratisch, um im koreanischen Sinn jemals als hübsch zu gelten. Außerdem steht ihr Unterkiefer zu weit vor.

Kyuri dagegen ist eines dieser elektrisierend schönen Mädchen. Die Nähte ihrer doppelten Lidfalte wirken natürlich blass, ihre Nasenspitze hat man aufgerichtet, die Wangenknochen verschmälert und den ganzen Kiefer verlagert und zu einer schmalen V-Linie geschliffen. Entlang ihres tätowierten Lidstrichs wurden lange, fedrige Wimpern implantiert, und sie macht regelmäßig Lichttherapie, weshalb ihr Gesicht wolkig weiß schimmert wie entrahmte Milch. Vorhin hat sie uns über Lotusblattmasken und Ceramidseren für ein strahlendes Dekolleté vollgelabert. Das einzig nicht Gemachte an ihr ist erstaunlicherweise ihr Haar, das sich wie ein dunkler Fluss über ihren Rücken ergießt.

»Ich war so dumm. Ich hätte warten sollen, bis ich älter bin.« Noch ein neidischer Blick auf Kyuris perfekte Lidfalten, dann seufzt Sujin und betrachtet in einem kleinen Handspiegel wieder ihre eigenen Augen. »So eine Geldverschwendung.«

Sujin und ich wohnen jetzt seit drei Jahren zusammen. Wir waren in Cheongju gemeinsam in der Mittelstufe und der Oberstufe. Die Oberstufe war an einer berufsorientierten Schule und dauerte dort nur zwei Jahre, aber Sujin hat nicht mal die zu Ende gemacht. Sie konnte es kaum erwarten, nach Seoul zu gehen, dem Waisenhaus zu entkommen, in dem sie aufgewachsen ist, und nach unserem ersten Jahr hat sie ihr Glück an einer Friseurschule versucht. Aber sie war ungeschickt mit der Schere, und Perücken zu ruinieren ist teuer, also hat sie auch das abgebrochen. Aber erst, nachdem sie mich gefragt hatte, ob ich ihre Lehrstelle übernehme.

Jetzt bin ich fertig ausgebildete Stylistin, und Sujin kommt ein paar Mal die Woche in den Salon, in dem ich arbeite, um Punkt zehn Uhr morgens. Ich wasche und föhne ihr die Haare, bevor sie zur Arbeit ins Nagelstudio geht. Vor ein paar Wochen hat sie Kyuri mitgebracht, als neue Kundin. Für kleine Friseurläden ist es eine große Sache, ein Room-Salon-Mädchen als Kundin zu ergattern, denn Room-Salon-Mädchen lassen sich jeden Tag professionell Haare und Make-up machen und bringen ordentlich Geld rein.

Das Einzige, was mich an Kyuri nervt, ist, dass sie manchmal zu laut redet, wenn sie mit mir spricht, obwohl Sujin ihr gesagt hat, dass mit meinem Gehör alles in Ordnung ist. Ich höre sie im Friseursalon auch oft von meinem »Zustand« reden, wenn ich ihr den Rücken zuwende.

Ich glaube aber, sie meint es gut.

Sujin klagt immer noch über ihre Augenlider. Eigentlich tut sie das schon, seit ich sie kenne – bevor sie sie hat machen lassen und danach auch. Der operierende Arzt war der Ehemann einer unserer Lehrerinnen und hatte in Cheongju eine kleine Praxis für plastische Chirurgie. Fast die halbe Schule hat sich in dem Jahr die Augen bei ihm machen lassen, weil die Lehrerin uns fünfzig Prozent Rabatt gegeben hat. Die andere Hälfte, zu der ich gehörte, konnte sich nicht mal das leisten.

»Gott sei Dank muss bei mir nicht nachgebessert werden«, sagt Kyuri. »Mein Krankenhaus ist fantastisch. Es ist das älteste Krankenhaus im Beauty Belt von Apgujeong. Da gehen auch die Stars hin, Yoon Minji zum Beispiel.«

»Yoon Minji! Die finde ich toll! Sie ist so hübsch. Und sie soll supernett sein.« Sujin sieht Kyuri ganz verzückt an.

»Na ja«, sagt Kyuri, und ein Schatten huscht über ihr Gesicht. »Sie ist ganz okay. Ich glaub, sie hat nur ein bisschen lasern lassen, wegen der ganzen Sommersprossen, die sie von ihrer neuen Show kriegt. Die auf dem Land, mit der ganzen Sonne?«

»Oh ja, die lieben wir!« Sujin stupst mich an. »Ara vor allem. Sie ist ganz versessen auf diesen Typen von Crown, der Jüngste aus der Band. Du solltest mal sehen, wie sie jede Woche nach der Sendung schmachtend durch die Wohnung streift.«

Ich tue so, als würd ich ihr eine langen, und schüttle den Kopf.

»Taein? Den finde ich auch echt süß!« Kyuri redet wieder lauter. Sujin sieht sie gequält an und wirft mir einen schnellen Blick zu.

»Sein Manager kommt manchmal ins Ajax, mit Typen in den engsten Anzügen, die ich je gesehen habe. Wahrscheinlich Investoren, jedenfalls prahlt der Manager vor ihnen immer damit, wie berühmt Taein in China ist.«

»Verrückt! Nächstes Mal sag Bescheid. Ara lässt alles stehen und liegen und sprintet zu dir.« Sujin grinst.

Ich runzle die Stirn und hole mein Notizheft und meinen Stift hervor, was mir lieber ist, als auf dem Handy zu tippen. Mit der Hand zu schreiben, ist dem Sprechen irgendwie ähnlicher.

Taein ist zu jung für einen Laden wie das Ajax, schreibe ich.

Kyuri beugt sich vor, um zu sehen, was ich geschrieben habe. »Chung Taein? Der ist so alt wie wir. Zweiundzwanzig«, sagt sie.

Das meine ich ja, schreibe ich. Und Kyuri und Sujin lachen mich aus.

Sujin nennt mich Ineogongju, Kleine Meerjungfrau. Weil die Kleine Meerjungfrau ihre Stimme verloren, aber später wiederbekommen hat und glücklich lebte bis ans Ende ihrer Tage. Ich erzähle ihr nicht, dass das die amerikanische Zeichentrickversion ist. In der ursprünglichen Fassung bringt sie sich um.

Sujin und ich haben uns kennengelernt, als wir denselben Süßkartoffelstand zugewiesen bekamen, während unserem ersten Jahr in der Mittelstufe. So verdienten in Cheongju im Winter viele Teenager Geld – wir standen an einer Straßenecke im Schnee und rösteten über Kohlen in kleinen Blechdosen Süßkartoffeln, die wir für ein paar Tausend Won das Stück verkauften. Das haben natürlich nur die schlimmen Jugendlichen gemacht, Jugendliche, die zu den Iljin gehörten – den Schulgangs –, und nicht die Streber, die für Aufnahmeprüfungen büffelten und ihr hübsch verpacktes Mittagessen verspeisten, das ihre Mütter ihnen jeden Morgen mitgaben. Wobei die an den Süßkartoffelständen die guten schlimmen Jugendlichen waren. Immerhin gaben wir den Leuten was für ihr Geld. Die richtig Schlimmen nahmen es ihnen einfach weg.

Die besten Straßenecken waren hart umkämpft, weshalb es ein Glück war, mit Sujin zusammengesteckt zu werden. Sie konnte skrupellos sein, wenn nötig.

Als Erstes brachte Sujin mir bei, meine Fingernägel richtig einzusetzen. »Du kannst jemandem die Augen auskratzen oder die Kehle aufreißen, wenn du willst. Aber deine Nägel müssen die optimale Länge und Dicke haben, damit sie im entscheidenden Moment nicht abbrechen.« Sie überprüfte meine und schüttelte den Kopf. »Also, so geht das nicht«, sagte sie, verordnete mir Nägel stärkende Vitamine und einen bestimmten Härtungslack.

Das war, als ich noch sprach und Sujin und ich an unserem Stand rumgewitzelt und gesungen und den Passanten aus voller Kehle zugerufen haben: »Süßkartoffeln sind gut für die Haut! Sie machen schön und gesund! Und sie schmecken köstlich!«

Ein paar Mal im Monat kam Nana, um ihren Anteil zu kassieren, das ältere Mädchen, das uns ihre heiß begehrte Ecke überlassen hatte. Sie war ein bekanntes Iljin-Mitglied und hatte in einer Serie legendärer Kämpfe den gesamten Bezirk erobert. Beim letzten hatte sie sich allerdings den kleinen Finger gebrochen, und bis sie wieder gesund war, hatte sie uns ihr Gebiet übergeben.

Nana machte die anderen Mädchen in den Schultoiletten fertig, aber mich mochte sie, denn ich war das einzige Mädchen in unserer Gang, das keinen Freund hatte. »Du weißt, worauf es im Leben ankommt«, sagte sie immer zu mir. »Und du wirkst unschuldig, das ist perfekt.« Ich bedankte mich jedes Mal und verbeugte mich tief, und sie schickte mich Zigaretten holen. Ihr selbst verkaufte der Mann im Eckladen keine, weil ihm ihre Nase nicht passte.

Ich glaube, ich weiß...

Erscheint lt. Verlag 11.7.2022
Übersetzer Nicole Seifert
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Frauen • Schönheitskult • Schönheitsoperation • Südkorea
ISBN-10 3-293-31123-7 / 3293311237
ISBN-13 978-3-293-31123-7 / 9783293311237
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