Achtsam morden im Hier und Jetzt (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
496 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-28665-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Achtsam morden im Hier und Jetzt -  Karsten Dusse
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Wenn die Vergangenheit deines Therapeuten deiner Zukunft im Weg steht, ist es Zeit, im Hier und Jetzt zu leben
Björn Diemel will reden: sowohl über die Einschulung seiner Tochter als auch über das Tantra-Seminar, das er aus Versehen mit seiner Ex-Frau besucht hat. Leider hat ein Unbekannter Björns Achtsamkeitstrainer, Joschka Breitner, krankenhausreif geprügelt - bei dem Versuch, dessen Tagebuch an sich zu bringen. Björn entwendet kurzerhand selbst die Aufzeichnungen seines Therapeuten und macht sich auf die Suche nach dem Täter. Als er entdeckt, dass Joschka Breitner in den frühen 1980er Jahren ein Anhänger Bhagwans war, wird das Tagebuch das Ticket zu einer Reise in die Kinderstube der Achtsamkeit. Der Weg führt nach Indien und in die USA, zu Lebensfreude und Todesgefahr, zu zeitlos erhellenden Weisheiten und den ganz normalen Abgründen der menschlichen Seele.

KARSTEN DUSSE, Jahrgang 1973, Rechtsanwalt, Studium in Bonn, Lausanne und Los Angeles. Nach erfolgreicher Tätigkeit als Drehbuch- und Sachbuchautor wurde sein Debütroman ACHTSAM MORDEN zum meistverkauften Taschenbuch des Jahres 2020.
Seine Romane wurden bislang in 22 Sprachen übersetzt und stehen regelmäßig an der Spitze der Bestsellerlisten. Ausgezeichnet wurde seine Arbeit mit dem Deutschen Fernsehpreis, dem Deutschen Comedypreis und dem Deutschen Hörbuchpreis. Seine Hörbücher haben Gold- und Platin-Status erreicht.

ICH STARRTE DIE KLINGEL an. Sie bestand aus einem schwarzen Knopf, der sich in der Mitte einer runden Messingplatte befand. Sie starrte einäugig zurück. Neben der Klingel hing ein Schild: »Joschka Breitner, Sprechstunden nach Vereinbarung, dienstags geschlossen«.

Herr Breitner hatte bereits das ein oder andere Mal meine Unpünktlichkeit zum Anlass genommen, diese zum Sitzungsbeginn zu thematisieren.

Aber heute war ich pünktlich.

Und wir hatten Donnerstag.

Ich klingelte erneut und versuchte, die Wartezeit für eine kleine Atemübung zu nutzen.

Ich stellte meine Beine schulterbreit auseinander und ließ die Arme locker am Körper baumeln. Ich atmete ein. Ich atmete aus. Ich wollte im Hier und Jetzt darauf warten, dass Herr Breitner die Tür öffnete. Ich fühlte mich … wie ein Kind auf dem Schulhof, das die Glocke gehört hatte und darauf wartete, dass der Lehrer die Kinder in die Klasse führte. Hoffentlich würde Emily diese absolute Leere des Wartens nicht so spüren wie ich damals.

Ich merkte, wie mir die Übung entglitt.

Ich war in Gedanken nicht mehr im Hier und Jetzt.

Ich oszillierte emotional über vier Jahrzehnte.

Im Moment dieser Erkenntnis wurde meine kleine Stehmeditation ohnehin vom Türsummer beendet.

Das war sonderbar.

Bisher hatte mir Herr Breitner immer persönlich die Tür geöffnet.

Fast zeitgleich mit dem Summer erklang seine Stimme aus der Gegensprechanlage.

»Ich … bin noch am Telefon«, sagte Herr Breitner in einer Tonlage, die nicht nur aufgrund der elektronischen Verzerrung völlig anders klang, als ich es von ihm gewohnt war.

»Gehen Sie … schon mal rein. Ich komme gleich.«

Irgendetwas stimmte hier nicht.

Herr Breitner war bei jedem meiner Besuche immer Herr des Geschehens. Er ließ die Dinge gerne im von ihm kontrollierten Tanzbereich laufen. Aber er überließ die Tanzfläche nie gänzlich mir.

Ich öffnete leicht irritiert die schwere Eingangstür aus massivem Holz und ging durch den langen, mit einem Bambusfaser-Läufer ausgelegten Flur. Linker Hand befand sich sein Büro, in dem ich noch nie war. Auch heute war die Tür dazu geschlossen. Ich hörte allerdings leise seine Stimme.

»Ja … nein … danke … ich …«, klang es tonlos durch die Tür.

Geradeaus befand sich eine kleine Toilette.

Rechter Hand lag das Besprechungszimmer, dessen Türe offen stand.

Ich trat ein.

Es ist leicht, in einem spartanisch eingerichteten Raum Unordnung zu erzeugen. Es reicht schon, wenn ein einziger Gegenstand sich am falschen Platz oder sich ein neuer Gegenstand im Raum befindet.

Die spärliche Möblierung in Herrn Breitners Arbeitszimmer war für mich fester Bestandteil unser Coaching-Normalität. Die zwei Stühle an einem Tisch, das Bücherregal mit den nie variierenden Bänden sowie der Beistelltisch mit Teekanne und Gläsern.

Alles war immer dort, wo es hingehörte.

Bereits beim Betreten des Raumes fiel mir auf, dass die geöffnete Zeitschrift auf dem Beistelltisch dort nicht hingehörte.

Ich setzte mich auf den einen der beiden Freischwinger-Sessel, auf dem ich immer Platz nahm. Er bestand aus einer Stoffeinlage, die äußerst bequem auf einem Aluminium-Rohr-Gestänge befestigt war.

Ich wippte ein wenig vor mich hin und wartete.

Nichts geschah.

Mein Blick wanderte zu dem aufgeschlagenen Magazin. Es lag so auf dem Tisch, dass ich es nur verkehrt herum lesen konnte. Am Aufdruck des Logos am Seitenbeginn erkannte ich eine mir vom Flughafenkiosk bekannte populärwissenschaftliche Zeitschrift mit psychologischem Touch.

Die Überschrift der Doppelseite konnte ich auch ohne Lesebrille verkehrt herum entziffern. Sie füllte in großen Buchstaben das komplette obere Viertel der linken Seite:

TANTRA, SEX UND ACHTSAMKEIT

Die komplette rechte Seite des Artikels bestand aus einem Text, der zu klein geschrieben war, als dass ich ihn hätte lesen können.

Das den Artikel illustrierende Foto, das den Rest der linken Seite einnahm, nahm allerdings auch meine ganze Aufmerksamkeit ein.

Das Bild zeigte den von Kerzenschein erzeugten Schatten eines nackten Paares auf einer ockerrot verputzten Wand. Es hatte eine nostalgisch stimmende Siebzigerjahre-Ästhetik. Es wirkte leicht körnig, es dominierten – rund um den dunklen Schatten – gedeckte Orange- und Rottöne.

Die Proportionen des Paares waren schräg verzerrt. Fotograf, Kerze und Paar mussten im Dreieck vor dieser Wand positioniert gewesen sein.

Die Konturen des Paares waren deutlich zu erkennen.

Sie saß auf seinem Schoß, den Kopf mit den langen Haaren in Ekstase zurückgeworfen.

Er liebkoste mit einer Hand und seinem Mund ihre Brüste. Obenrum waren die Schatten klar abgegrenzt, untenrum verschmolzen sie. Auch sein Haar war schulterlang. Zudem warf er einen Bartschatten an die Wand.

Das Foto nahm mich komplett in seinen Bann.

Es strahlte eine völlige Natürlichkeit aus: Friede, Heimat, Vertrauen.

Indem es im Vordergrund die Schatten dessen zeigte, was man auf dem Bild nicht sah, wurden die Erotik und Harmonie zwischen den beiden Schattenspendern wesentlich deutlicher sichtbar, als wenn man das Pärchen direkt fotografiert hätte.

Bis auf die Konturen der Köpfe und der Brüste war den Schatten nicht zu entnehmen, welchen Körperbau oder welches Alter das Pärchen hatte.

In dem Bild konnte sich jeder wiederfinden.

Mich erinnerte das Bild an die Zeit, in der ich noch ein wunderbares und ausgeglichenes Sexleben hatte.

Am Anfang meiner Beziehung mit Katharina.

Das kurz auflodernde Feuer der Erinnerung warf den Schatten eines Hochdruckreinigers an die Wand meiner Seele.

Ich überlegte, ob ich mir die Zeitschrift einfach nehmen und den Artikel lesen sollte.

Dagegen sprach, dass Herr Breitner nie irgendwelche Zeitschriften in seinem Wartezimmer zur freien Verfügung liegen hatte.

Weil er kein Wartezimmer hatte.

Diese Zeitung war also offensichtlich seine.

Es konnte sich hier allerdings auch um eine bewusste Versuchsanordnung für mich handeln. Leerer Raum, abwesender Therapeut, ungewohnter Gegenstand auf dem Tisch – wie reagiere ich?

Herr Breitner hatte bereits bei unserem allerersten Treffen aus meinem unbewussten Verhalten auf sein bewusstes Die-Tür-nicht-Öffnen zahlreiche Rückschlüsse auf mein Seelenleben ziehen können.

Vielleicht war er ja auch heute ganz bewusst nicht im Raum, um dadurch Rückschlüsse aus meiner unbewussten Reaktion darauf ziehen zu können.

Vielleicht wollte er testen, wie lange ich brauchte, um mich zu entscheiden, der Versuchung zu widerstehen oder ihr nachzugeben.

Was auch immer der Grund sein mochte, Herr Breitner würde mich schon erhellen. Nachdem ich den Artikel gelesen hatte.

Die Ästhetik des Fotos faszinierte mich zu sehr, um der Versuchung zu widerstehen.

Und auch die Überschrift hatte mich neugierig gemacht: »Tantra, Sex und Achtsamkeit«

Achtsamkeit war die mein Leben verändernde Entspannungstechnik, zu der ich ohne Herrn Breitner keinen Zugang gefunden hätte. Vielleicht war die Zeitung tatsächlich als Impuls für meine Sitzung gedacht. Ich nahm die Zeitschrift meines Therapeuten, drehte sie auf dem Tisch um und zog sie zu mir herüber. Grob überflog ich den Inhalt. Der Artikel handelte von der Renaissance der östlichen Philosophie des Tantra, einer Unterform des Yoga.

In unserer medial völlig sexualisierten Welt setze sich langsam die Erkenntnis durch, dass Sex eben mehr sei als Pornografie, Machtmittel oder Verkaufsargument.

All das sei nicht Sex. All das sei lediglich Sexualität.

Sex sei etwas völlig anderes.

Sex sei der natürliche Ursprung unseres Lebens.

Sex könne auch die natürlichste Meditationsform des Lebens sein.

Im tantrischen Sex befänden wir uns tatsächlich im Hier und Jetzt und würden eins mit dem Augenblick.

Die Lehre von Tantra sei die Kunst des achtsamen Sex.

Auf dem Foto waren all diese Aussagen in einem einzigen Moment vereint.

In den Artikel integriert war ein kleines Kästchen, das ein Interview mit einem Tantra-Therapeuten enthielt. Wie bei allen Experteninterviews, bei denen das Foto des Experten größer war als dessen Expertise, schenkte ich auch diesem beim ersten Überfliegen des Artikels keine Beachtung.

Ich fragte mich, warum Herr Breitner den Artikel für mich dort hingelegt hatte.

Wollte er mich indirekt fragen, welche Rolle Sex in meinem Leben spielte?

Ich horchte in mich hinein.

Die anstehende Einschulung des sexuellen Erzeugnisses meiner Ex-Frau und mir berührte mein Leben, ehrlich gesagt, mehr als die Möglichkeit der seelischen Erlösung durch rhythmische Sex-Gymnastik mit wem auch immer.

Aber war es nicht Herr Breitner, der mir einprägsam aufgezeigt hatte, dass sich mein Leben nicht ausschließlich um meine Tochter drehen sollte, sondern ab und an auch mal um mich?

Vielleicht sollte dieser Zeitungsartikel ein Fingerzeig sein, um mich daran zu erinnern.

Ich war gespannt, wie Herr Breitner das Thema Tantra gleich angehen würde.

Leider kam es nicht dazu.

Just in dem Moment, wo ich den Artikel zurück auf den Beistelltisch legte,...

Erscheint lt. Verlag 14.9.2022
Reihe/Serie Achtsam morden-Reihe
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2022 • Achtsamkeit • beste deutsche krimiautoren • bestsellerliste spiegel aktuell • Bhagwan • Björn Diemel • eBooks • Guru • Heimatkrimi • Indien • Joschka Breitner • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Neuerscheinung • Osho • Sannyasin • Satire • Spiegel Bestsellerliste aktuell
ISBN-10 3-641-28665-4 / 3641286654
ISBN-13 978-3-641-28665-1 / 9783641286651
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