Ich wünschte, du wärst hier (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
416 Seiten
C. Bertelsmann (Verlag)
978-3-641-26244-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ich wünschte, du wärst hier -  Jodi Picoult
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Der neue NYT-Nr.1-Bestseller der großen Erzählerin: Jodi Picoult stellt stets die richtigen Fragen zur richtigen Zeit - emotional, unterhaltsam, weise
Die New Yorkerin Diana O'Toole überlässt nichts dem Schicksal - ganz besonders nicht ihre Zukunft. Bis ins kleinste Detail hat sie ihr Leben durchgeplant und der nächste große Schritt steht kurz bevor: Auf der gemeinsamen Reise zu den Galapagosinseln wird ihr Freund Finn ihr einen Antrag machen. Doch kurz vor der Abreise bricht in der Stadt ein Virus aus und Finn wird als Arzt in seinem Krankenhaus gebraucht. Widerstrebend bricht Diana allein auf und findet eine Insel im Ausnahmezustand. Inmitten dieser Situation, die niemand wirklich einschätzen kann, gerät Diana immer mehr an ihre Grenzen - all die Pläne, die sie so sorgfältig geschmiedet hat, haben plötzlich keinen Wert mehr. Doch wie schafft man es, in einer Welt, die sich von einem Tag auf den anderen verändert hat, dem eigenen Kompass zu vertrauen?

Jodi Picoult, geboren 1966 in New York, studierte in Princeton und Harvard. Seit 1992 schrieb sie neunzwanzig Romane, von denen viele auf Platz 1 der New-York-Times-Bestsellerliste standen. Die Autorin versteht es meisterhaft, über ernste Themen unterhaltend zu schreiben. Sie wurde bereits mehrfach ausgezeichnet, etwa mit dem renommierten New England Book Award. Jodi Picoult lebt mit ihrem Mann in Hanover, New Hampshire.

1


13. März 2020


Im Alter von sechs Jahren malte ich ein Stück vom Himmel. Mein Vater war einer der Restauratoren, die mit der Arbeit am Deckengemälde des Grand Central Terminal beauftragt waren – aquamarinblauer Himmel, über den sich schimmernde Sternkonstellationen zogen. Es war schon spät, ich hätte längst im Bett sein sollen, aber mein Vater nahm mich mit zur Arbeit, weil meine Mutter – wie üblich – nicht zu Hause war.

Ganz behutsam half er mir hinauf aufs Gerüst, von wo aus ich verfolgen konnte, wie er an der gereinigten türkisfarbenen Stelle arbeitete. Ich betrachtete die verwischte Spur der Sterne der Milchstraße, die goldenen Flügel von Pegasus, Orions erhobene Keule, die zwei Linien der Fische. Das originale Deckengemälde war 1913 entstanden, wie mein Vater mir erzählte. Undichte Stellen im Dach hatten den Putz beschädigt, sodass seit 1944 nur noch auf Platten angebrachte Kopien am Deckengewölbe zu sehen waren. Ursprünglich war vorgesehen, diese zur Restaurierung abzunehmen, aber da sie asbesthaltig waren, ließen die Restauratoren sie an Ort und Stelle und machten sich mit Baumwolltupfern und Reinigungslösung an die Arbeit, um die Verunreinigungen von Jahrzehnten zu entfernen.

Dabei legten sie Geschichten frei. Die Künstler der Originalplatten hatten zwischen den Sternbildern Signaturen und Insider­witze sowie Nachrichten hinterlassen. Daten erinnerten an Hochzeitstage und an das Ende des Zweiten Weltkriegs. Es fanden sich Namen von Soldaten. Die Geburt von Zwillingen war dicht am entsprechenden Sternbild verewigt.

Die Künstler des Ursprungsgemäldes hatten einen Fehler gemacht: Man sah den Tierkreis am Nachthimmel seitenverkehrt. Doch mein Vater sah es nicht als seine Aufgabe an, dies zu ändern, im Gegenteil. In jener Nacht arbeitete er an einem kleinen Quadrat goldener Sterne. Er hatte die winzigen gelben Punkte bereits mit Kleber bestrichen und trug anschließend hauchdünnes Blattgold auf. Er sprach mich an, streckte mir seine Hand entgegen, und ich stieg hoch und stellte mich vor ihn, gesichert von seinem Körper. Er gab mir einen Pinsel, um damit über das Blattgold zu streichen und es zu fixieren. Er zeigte mir, wie ich es vorsichtig mit meinem Daumen andrücken sollte, sodass nur noch die Galaxie zurückblieb, die er geschaffen hatte.

Als sämtliche Arbeiten ausgeführt waren, ließen die Restauratoren in der Nordwestecke des Grand Central Terminal, wo die hellblaue Decke auf die Marmorwand trifft, absichtlich einen kleinen dunklen Fleck zurück. Mein Vater erklärte mir, dass dies so üblich sei, für den Fall, dass Historiker sich ein Bild von der Urfassung machen wollten. Wie weit man gekommen ist, erschließt sich nur, wenn man weiß, wo man begonnen hat.

Jedes Mal, wenn ich in den Grand-Central-Bahnhof komme, muss ich an meinen Vater denken. Und daran, wie wir diesen in jener Nacht verließen, die miteinander verschränkten Hände überzogen von Sternenglanz.

Wir haben Freitag, den Dreizehnten, ich hätte es also wissen müssen. Um von Sotheby’s an der Upper East Side zum ­Ansonia an der Upper West Side zu kommen, muss ich mit dem Q-Train erst in die Gegenrichtung bis zum Times Square fahren und dann umsteigen. Ich hasse es, mich rückwärts zu bewegen.

Normalerweise würde ich durch den Central Park laufen, aber in meinen neuen Schuhen, die ich nie angezogen hätte, wenn Kitomi Ito mich nicht hätte rufen lassen, melden sich bereits die ersten Blasen. Also bleibt nur der öffentliche Nahverkehr. Aber irgendwas stimmt nicht, doch es dauert ein wenig, bis sich mir der Grund dafür erschließt.

Es ist zu ruhig. Für gewöhnlich muss ich mich durch Scharen von Touristen kämpfen, die einem Straßensänger oder einem Streichquartett lauschen. Heute jedoch ist das Atrium leer.

Gestern Abend waren die Broadway-Theater für einen Monat geschlossen worden, nachdem einer der Platzanweiser posi­tiv auf Covid getestet worden war. Eine übertriebene Vorsichtsmaßnahme, wie Finn meinte, jedenfalls war man im NewYork-Presbyterian-Krankenhaus, in dem er als Assistenzarzt arbeitet, noch nicht mit den massenhaften Coronafällen konfrontiert, wie man sie aus Washington D. C., Italien und Frankreich kannte. Als wir die Abendnachrichten sahen und ich mich laut fragte, ob Grund zur Panik bestand, beruhigte Finn mich mit der Information, dass wir nur neunzehn Fälle in der Stadt hatten. »Wasch deine Hände, und fass dir nicht ins Gesicht«, riet er mir. »Dann wird alles gut.«

Auch die Subway stadtauswärts ist fast leer. Ich steige an der Seventy-second aus, trete blinzelnd wie ein Maulwurf ins Freie und setze mich dann im New-York-typischen Laufschritt in Bewegung. Das Ansonia ragt in seiner ganzen Glorie wie ein wütender Dschinn vor mir auf und reckt sein Belle-Époque-Kinn trotzig dem Himmel entgegen. Einen kurzen Moment verweile ich auf dem Gehweg und bewundere das ausladende Gebäude mit seinem Mansardendach. Im Erdgeschoss gibt es einen North-Face- und einen American-Apparel-Laden, aber so überkandidelt war es nicht immer. Von Kitomi erfuhr ich, dass es in den Siebzigern, als sie und Sam Pride dort einzogen, nur so wimmelte von Hellsehern und Medien und es einen Swingerklub mit einem Raum für Orgien und einer Bar für Freigetränke sowie einem Imbiss gab. Sam und ich, meinte sie, sind mindestens einmal in der Woche dort gewesen.

Ich war noch nicht geboren, als Sams Band, die Nightjars, von Sam und seinem Songwriter-Kollegen William Punt mit zwei anderen Schulkumpeln aus Slough, England, gegründet wurde. Und auch nicht, als ihr erstes Album dreißig Wochen lang die Billboard-Charts beherrschte und ihre kleine vierköpfige Band in der Ed Sullivan Show auftrat, wo die vier Jungs von kreischenden amerikanischen Mädchen frenetisch gefeiert wurden. Und auch nicht, als Sam zehn Jahre später Kitomi Ito heiratete und sich die Band auflöste, wenige Monate nach dem Erscheinen ihres letzten Albums, mit Kitomi und Sam nackt auf dem Cover, Spiegelbilder der Personen eines Gemäldes, das über ihrem Bett hing. Und ich war auch noch nicht auf der Welt, als Sam drei Jahre später ermordet wurde, auf den Stufen dieses Gebäudes, niedergestochen von einem geistig Verwirrten, der ihn anhand jenes ikonischen Albumcovers erkannte.

Aber wie alle anderen auf diesem Planeten kannte ich natürlich die ganze Geschichte.

Der Pförtner des Ansonia lächelt mich höflich an, die Concierge blickt auf, als ich mich ihr nähere. »Ich bin hier, um Kitomi Ito zu besuchen«, erkläre ich cool und schiebe ihr meine Lizenz über die Theke zu.

»Sie werden erwartet«, erwidert die Concierge. »Achtzehnter Stock.«

»Ich weiß.«

Im Ansonia haben jede Menge Berühmtheiten gewohnt – von Babe Ruth über Theodore Dreiser und Toscanini bis hin zu Natalie Portman –, aber Kitomi und Sam Pride dürften wohl die berühmtesten sein. Wäre mein Ehemann auf den Eingangsstufen meines Wohnhauses ermordet worden, wäre ich nicht noch weitere dreißig Jahre hier wohnen geblieben, aber was zählt das schon. Außerdem zieht Kitomi jetzt endlich um, und das ist auch der Grund, warum die berühmt-berüchtigtste Rockwitwe meine Nummer auf ihrem Mobiltelefon gespeichert hat.

Was ist dagegen mein Leben, überlege ich, gegen die Wand des Aufzugs gelehnt.

Wenn man mich in meiner Jugend gefragt hatte, was ich als Erwachsene tun wollte, konnte ich mit einem ganzen Plan aufwarten. Als Erstes wollte ich in meinem Beruf Fuß fassen, mit dreißig heiraten und bis zum fünfunddreißigsten Lebensjahr alle meine Kinder bekommen. Wollte fließend Französisch sprechen und auf der Route 66 durchs Land gefahren sein. Mein Vater hatte über meine Checkliste nur gelacht. Du, erklärte er mir, bist zweifellos die Tochter deiner Mutter.

Und das empfand ich nicht als Kompliment.

Aber fürs Protokoll: Ich befinde mich absolut auf Kurs. Ich arbeite in meinem Fachgebiet bei Sotheby’s – Sotheby’s –, und Eva, meine Chefin, hat angedeutet, dass ich nach der Auktion von Kitomis Gemälde sehr wahrscheinlich mit einer Beförderung rechnen könne. Verlobt bin ich nicht, aber als ich am letzten Wochenende keine sauberen Socken mehr hatte und bei Finn nach einem Paar kramte, entdeckte ich versteckt in seiner Schublade für Unterwäsche einen Ring. Morgen brechen wir in den Urlaub auf, und dort wird Finn um meine Hand anhalten. Dessen bin ich mir so sicher, dass ich mir heute, anstatt zu Mittag zu essen, eine Maniküre gegönnt habe.

Und ich bin neunundzwanzig.

Die Aufzugstür öffnet sich direkt in Kitomis Foyer, das mit seinen schwarz-weißen Marmorfliesen an ein riesiges Schachbrett erinnert. Mit ihrem weißen Haarschopf und ihrem Markenzeichen, der violetten herzförmigen Brille, kommt sie mir in Jeans, Springerstiefeln und einem rosa Seidenmorgenmantel entgegen. Sie hat mich immer an einen Zaunkönig erinnert, ein zerbrechliches Federgewicht. Ich muss daran denken, wie Kitomis schwarzes Haar über Nacht vor Kummer weiß wurde, nachdem Sam ermordet worden war. Denke an die Fotos von ihr auf dem Gehweg, wie sie fassungslos dasteht.

»Diana!«, begrüßt sie mich, als wären wir alte Freundinnen.

Es kommt zu einem kurzen peinlichen Moment, als ich ihr instinktiv die Hand entgegenstrecke, bis mir einfällt, dass wir das ja nicht mehr tun, und ich ihr unbeholfen zuwinke. »Hi Kitomi«, sage ich.

»Ich freue mich, dass Sie heute kommen konnten.«

»Das ist kein Problem. Es gibt viele Verkäufer, die auf eine persönliche Übergabe der Papiere Wert legen.«

Über ihre Schulter hinweg kann ich es am Ende...

Erscheint lt. Verlag 23.11.2022
Übersetzer Elfriede Peschel
Sprache deutsch
Original-Titel Wish You Were Here
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2022 • Bestseller Bücher für Frauen • bestseller romane • Celest Ng • Covid-19 • eBooks • Evolutionstheorie • Galapagos • Gesundheit • Goodread Choice Award • Kleine große Schritte • Kristine Hannah • Lebensplanung • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2022 Bücher • New York • Pandemie • Roman • Romane • Romane Bestseller 2022 Frauen • Umwege des Lebens
ISBN-10 3-641-26244-5 / 3641262445
ISBN-13 978-3-641-26244-0 / 9783641262440
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