Der Sonne so nah (eBook)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
480 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01102-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Sonne so nah -  Axel S. Meyer
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Ein faszinierender Roman über die großen Pioniere der Luftfahrt Otto Lilienthal und Graf von Zeppelin.  Zwei Männer machen sich im 19. Jahrhundert auf, den Himmel zu erobern. Im pommerschen Städtchen Anklam sucht der junge Otto Lilienthal Zuflucht in der Natur. Als er in den Niederungen den Flug der Störche beobachtet, keimt in ihm der Wunsch, selbst einmal wie ein Vogel fliegen zu können. Unterdessen wächst Ferdinand Graf von Zeppelin als Spross einer Adelsfamilie bei Konstanz am Bodensee auf. Schon früh interessiert er sich für Technik und Mechanik, muss sich aber den Wünschen seines Vaters fügen und schlägt zunächst eine Militärkarriere ein. Und doch hält er an seinem großen Traum fest, eines Tages ein mächtiges Luftschiff zu bauen. Zwei Männer, besessen von dem uralten Traum des Fliegens, die in einem Fernduell um die Herrschaft der Lüfte ringen. Von ihren Mitmenschen als Fantasten verspottet, lassen sie sich nicht beirren, auch wenn es zunächst scheint, als würden ihre Kritiker recht behalten ... Eine unterhaltsame Verbindung von Fakten und Fiktion, kenntnisreich und mit opulentem Zeitkolorit erzählt.

Axel S. Meyer, 1968 in Braunschweig geboren, studierte Germanistik und Geschichte. Heute lebt er in Rostock, wo er als Redakteur der Ostsee-Zeitung tätig ist. Bei Rowohlt hat er bereits mehrere historische Romane veröffentlicht, darunter die erfolgreiche Reihe um den Wikinger Hakon und zuletzt den Roman «Der Mann, der die Welt ordnete» über den schwedischen Naturforscher Carl von Linné.

Axel S. Meyer, 1968 in Braunschweig geboren, studierte Germanistik und Geschichte. Heute lebt er in Rostock, wo er als Redakteur der Ostsee-Zeitung tätig ist. Bei Rowohlt hat er bereits mehrere historische Romane veröffentlicht, darunter die erfolgreiche Reihe um den Wikinger Hakon und zuletzt den Roman «Der Mann, der die Welt ordnete» über den schwedischen Naturforscher Carl von Linné.

I. Teil Am Boden


1847–1871

1. Auf dem Mond


Schloss Girsberg, 1847

«Flieg endlich, bleedes Vogelding – flieg, flieg, flieg!»

Der Junge galoppierte auf seinem Pony über die frisch gemähte Wiese hinter Schloss Girsberg und schrie seinen Ärger raus. In der einen Hand hielt er den Zügel, in der anderen eine Schnur, an deren Ende ein aus Papier und Holzstäben gebastelter Drachen durch die Luft taumelte wie eine sturzbetrunkene Möwe.

Am Rande der Wiese, in sicherer Entfernung zu dem aufgebrachten Buben und den wirbelnden Ponyhufen, standen bei einem Heuhaufen zwei weitere Kinder, ein Junge und ein Mädchen, die die Szenerie beobachteten. Der wütende Reiter war neun Jahre alt und hieß Ferdinand Adolf Heinrich August Graf von Zeppelin, genannt Ferdi. Der andere Junge war sein jüngerer Bruder Eberhard, das Mädchen hieß Adelina. Sie war ein Jahr älter als Ferdinand und, wenn man so wollte, der Grund für dessen zornige Raserei: Eigentlich wollte Ferdinand ihr nämlich mit dem Drachen imponieren. Adelina war die Tochter einer Tante mütterlicherseits, also seine Cousine, sie war wunderschön und das tapferste Mädchen, das er kannte, was er natürlich nie zugeben würde, nicht einmal unter der Folter.

Man schrieb das Jahr 1847. Adolph Menzel malte den unaufhaltsamen, technischen Fortschritt jener Zeit in Gestalt eines dampfenden Eisenbahnzugs und gab dem Gemälde den Titel Die Berlin-Potsdamer Bahn. In München brannte der Hauptbahnhof ab. Auf dem nordamerikanischen Michigansee ging der Raddampfer Phoenix in Flammen auf. Das britische Kriegsschiff HMS Driver schipperte rund um die Welt. Jesse James machte noch in die Windeln, auch der Pazifist und Sozialethiker Moritz von Egidy wurde geboren, der Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy machte seinen letzten Atemzug, ebenso Jeanne Labrosse, die erste Ballonfahrerin und Fallschirmspringerin der Welt. In Irland und in anderen Gegenden verfaulten die Kartoffeln in der Erde und Hafer und Weizen am Halm; viele Menschen litten Hunger, eine Million Tote, überall in Europa stiegen die Lebensmittelpreise.

Währenddessen war auf der Wiese bei Schloss Girsberg am Bodensee Graf Ferdinand der Verzweiflung nahe. Schon ritt er im vollen Galopp auf das Birkenwäldchen zu, ohne dass der Drachen auch nur ansatzweise das tat, was er tun sollte: fliegen. Zwar stieg er wohl ein paar Meter in die Luft auf, kippte aber gleich wieder zur Seite ab, drehte sich im Kreis, schlug Kapriolen, bockte, zickte, schlug Haken und krachte schließlich mit der Spitze voran auf den Erdboden. Der Drachen wurde hinter dem Pony hergeschleift, dabei zerbrachen die Holzstäbe, das Papier zerriss, die Schnur verhedderte sich.

Und das war’s dann auch. Am Birkenwäldchen hielt Ferdinand das Pony an. Sein Gesicht war rot wie eine reife Tomate. Wütend sprang er vom Pony herunter und lief zu den Überresten des Drachens. Er hatte ihn in mühevoller Kleinarbeit zusammengebaut in der Absicht, Adelina, die heute mit ihren Eltern zu Besuch auf Schloss Girsberg war, zu beeindrucken. Und jetzt war der Drachen ein zerfetztes Knäuel aus Holz, Papier und Schnur und Ferdinand blamiert bis auf die Unterhose.

«Dein Drachen ist doch ein bisschen geflogen», tröstete ihn Klein Eberhard, der mit Adelina herbeigelaufen kam. Eberhard war erst fünf und verehrte den großen Bruder wie einen Gott.

«Na ja», meinte Adelina, «geflogen würde ich das nicht unbedingt nennen. Du solltest warten, bis Wind aufkommt, Ferdi. Im Moment weht doch kein Lüftchen.»

«Jetzt ist das bleede Ding eh nicht mehr zu gebrauchen …», knurrte Ferdinand, der bemüht war, seinen Zorn zu unterdrücken. Immerhin war er ein Graf und wusste, wie man sich im Beisein einer Dame zu verhalten hatte, und unkontrollierte Wutausbrüche gehörten nicht dazu.

Ein solches Feingefühl ließ Ferdinands Vater vermissen, als er in diesem Augenblick lärmend durchs Unterholz im Birkenwäldchen zwischen der Wiese und dem Schloss brach. Kaum war er bei den Kindern angelangt, zeterte er los: «Ja, zom Donndrweddr abbr au! Hier seid ihr. So an Lombagruschd, so an verregta!» In seinen Augen hatte Adelina wahrscheinlich noch nicht den Status einer Dame erreicht. Der Vater hieß mit vollem Namen Friedrich Jerôme Wilhelm Karl Graf von Zeppelin, genannt: Fritz, wie der Alte Fritz, der Preußenkönig. Was in Gegenwart des Grafen aber niemand erwähnen durfte, denn er war ein aufrechter Württemberger, einer, dem der Stolz aufs Vaterland aus jedem Knopfloch leuchtete und der die Preußen aufs Blut hasste.

Graf Fritz von Zeppelin – vierzig Jahre alt, fürstlich-hohenzollernscher Hofmarschall und reicher Baumwollfabrikant – bot eine plumpe Erscheinung: kleiner Wuchs und ein Gesicht wie ein blasiger Pfannkuchen mit Kartoffelnase. Vor einigen Jahren war er mit den Kindern, zu denen auch Tochter Eugenia gehörte, und seiner Frau Amélie Françoise Pauline, eine geborene Macaire d’Hogguèr, von Konstanz aufs Schloss Girsberg gezogen, das ihnen Amélies Vater, der Fabrikant und Bankier David Macaire d’Hogguèr, zu Weihnachten geschenkt hatte. Es war ein prächtiges und, wie Fritz meinte, seiner Stellung angemessenes Anwesen: ein großes Herrenhaus im Stile des Klassizismus mit einer uralten Eiche davor und einer breiten Auffahrt, mit Nebengebäuden fürs Gesinde, mit Dienern, Köchen, Gärtnern, sowie weitläufigen Ländereien für Ackerbau und Viehzucht.

Ja, hier ließ es sich gut leben, vorausgesetzt, alles lief so, wie Fritz wollte, dass es lief. Und dass die Bagasch sich ohne ordnungsgemäße Abmeldung aus dem Haus gestohlen hatte, war eine Unverschämtheit, eine Ovrschemdheit. Somit endete Ferdinands erster und einziger Drachenflugversuch damit, dass der gräfliche Hofmarschall die abtrünnigen Söhne an den Ohren gepackt durchs Wäldchen zum Schloss zurücktrieb wie Vieh. Adelina und das Pony trotteten hinterdrein.

 

Später am Abend saßen Ferdinand, Klein Eberhard und ihre elfjährige Schwester Eugenia mit ihrer Mutter Amélie auf dem Kanapee im herrschaftlichen Wohnzimmer. In Amélies Schoß lag das Buch, aus dem sie den Kindern eine Gutenachtgeschichte vorlas. Onkel, Tante und Adelina waren abgereist, der Ärger des Vaters fast verraucht und Ferdinands Herz schwer wie ein Klumpen Eisenerz. Noch immer trauerte er der verpassten Gelegenheit nach, Adelina mit dem Drachen zu beeindrucken. Sie liebte Vögel, besonders Steinadler, die Könige der Lüfte. Ewigkeiten konnte sie im Gras liegen, die Hände hinterm Kopf verschränkt, einen Grashalm zwischen den Lippen, und zusehen, wie so ein majestätischer Vogel mit ausgebreiteten Schwingen am Himmel kreiste. «Fliegen müsste man können», hatte sie einmal gesagt und so ergriffen geseufzt, dass Ferdinand die Haut kribbelte. «Ja – fliegen», hatte er zugestimmt.

Ganz warm war ihm ums Herz geworden. Adelina neben ihm im weichen Gras, das seine Wangen streichelte, umwölkt vom Duft des Frühlings und Adelinas Haut und Haar, und hoch über ihnen schwebte ein Steinadler unter der Sonne. Vielleicht wurde hier der Wunsch in ihm geboren, eines Tages selbst in die Lüfte aufzusteigen. Aber vielleicht hing es ja auch mit einer anderen Gelegenheit zusammen: mit der Geschichte, die Amélie an jenem Abend nach dem misslungenen Drachenflug ihren Kindern vorlas.

Über Ferdinands Vater, der in seinem Ledersessel versunken an der Pfeife nuckelte, stiegen blaue Rauchkringel auf und schwebten hinauf zu der hohen, mit Stuck verzierten Zimmerdecke. In der Ecke tickte die Standuhr. In dem mit goldenen Säulen eingefassten Kamin knackten brennende Holzscheite, und auf dem Sims starrten kostbare, aus Elfenbein geschnitzte Elefanten in einen riesigen Spiegel, der das Wohnzimmer noch größer erscheinen ließ.

Amélie schlug das Buch auf. Klein Eberhard gähnte, Eugenia popelte, und Ferdinand kuschelte sich an Amélies weiche Hüfte. Er liebte seine Mutter. Diese Liebe begründete sich auf dem Gefühl von Geborgenheit und Urvertrauen, es gab nichts, das diese reine Liebe hätte trüben können, auch nicht die körperlichen Veränderungen, die Amélie seit einiger Zeit durchmachte, seit ihr Leib begann, sich ins Uferlose zu dehnen. Im Gegenteil, je breiter sie wurde, desto inniger wurde Ferdinands Zuneigung zu ihr. Jeden, der es gewagt hätte, seine Mutter aufgrund ihrer Leibesfülle zu beleidigen, den hätte er vermöbelt. Zumindest hätte er es versucht, er war ja nicht der Stärkste, sondern körperlich eher unterer Durchschnitt in seiner Altersklasse, was bisweilen gehörig an seinem Ehrgefühl kratzte.

Den Grund für Amélies Veränderung kannte niemand, kein Arzt, kein Heiler, kein Alchemist. In ihrer Kindheit hatte sie unter einer Herzschwäche gelitten und war mit Pulver, Medizin und Ziegenmilchkuren behandelt worden. Kaum war ihr Herz geheilt, drohte sie zu erblinden, erlangte aber auf wundersame Weise ihre Sehkraft zurück. Schlank wie ein Schilfrohr war sie damals gewesen, man rief sie im Scherz Hopfenstange. Dann war ihr im Alter von siebzehn Jahren Fritz über den Weg gelaufen und hatte sich in die Hopfenstange verliebt. Und er liebte Amélie auch noch, als sich ihre Taille wölbte und die Leibesfülle sie in ihren Bewegungen einschränkte. Obwohl ihr das Körpergewicht auf Gelenke,...

Erscheint lt. Verlag 31.1.2023
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 19. Jahrhundert • Aeronautik • Aviatik • der Traum vom Fliegen • Entdecker • Fliegen • Flugzeug • Geschichte der Luftfahrt • Graf von Zeppelin • historische Entdecker • Historischer Roman • Lilienthal • Luftfahrt • Otto Lilienthal • Pioniere • Roman • Wissenschaft • Zeppelin
ISBN-10 3-644-01102-8 / 3644011028
ISBN-13 978-3-644-01102-1 / 9783644011021
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 3,4 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99
Roman

von Fatma Aydemir

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99
Roman. Jubiläumsausgabe

von Umberto Eco

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99