(Außer) Kontrolle (eBook)

Was wir beeinflussen können und was nicht - und wie wir lernen, damit umzugehen
eBook Download: EPUB
2022
208 Seiten
Mosaik bei Goldmann (Verlag)
978-3-641-28739-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

(Außer) Kontrolle -  Ulrich Hoffmann
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Der Zeitgeist lässt uns glauben, wir sollten jederzeit alles unter Kontrolle haben. Und wenn das nicht gelingt, wäre es unsere Schuld. Die Psychologen sagen, das ist der sicherste Weg in Burn-Out oder Depression, denn vieles lässt sich nicht kontrollieren. Dabei hilft es der Lebenszufriedenheit enorm, wenn wir eine möglichst umfangreiche Selbstwirksamkeit entfalten. Deshalb ist es wichtig zu erkennen, was wir beeinflussen können und was nicht, und wie wir mit der Kränkung unserer Allmachtsfantasie besser klarkommen. Der Philosoph, Meditationslehrer und mehrfache Bestsellerautor Ulrich Hoffmann untersucht unsere aktuellen Ansprüche an das Leben und legt offen, was möglich ist und was nicht. »(Außer) Kontrolle« ist ein alltagsphilosophisches Lesevergnügen: leicht verständlich, unterhaltsam, weitsichtig und nützlich.

Ulrich Hoffmann arbeitet als erfolgreicher Autor, Übersetzer und freier Journalist. Als Autor, Ressortleiter und Textchef war er für alle großen deutschen Verlage tätig und widmet sich vor allem philosophischen wie zeitgeistigen Themen. Ulrich Hoffmann lebt in Hamburg.

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ALLESKÖNNER


Woher der gesellschaftsdurchdringende Allmachtsanspruch kommt


Globalisierung, Dezentralisierung, Industrialisierung, Digitalisierung – je mehr Arbeitsteilung, desto weniger »Geschafft!«-Gefühl. Diesem gesamtgesellschaftlichen Problem versuchen wir auf individueller Ebene etwas entgegenzusetzen. Adorno und Horkheimer sahen die Unterhaltung als »Opium fürs Volk«. Die Entertainmentindustrie wurde zwar nicht staatlich gesteuert, diente aber dem Erhalt der Machtverhältnisse. Noch umfassender verlagern heute die (sozialen) Medien den Frustabbau ins Private. Wird Erfolg als Ergebnis individueller Leistung angesehen, dann ist Misserfolg folglich ebenfalls der Einzelperson zuzuschreiben.

Sogar für viele Dinge, die lange als »gegeben« angesehen wurden, wird uns heutzutage die Verantwortung angelastet: Gesundheit, sozialer Status, unsere Umwelt, Leben und Tod. Und wir machen mit, denn in guten Zeiten fühlt sich eine derartige Machtzuschreibung stark an.

Schutz vor der Verworrenheit der Welt


Zumindest beruflich wird die möglichst umfassende Kontrolle aller Umstände häufig mit Erfolg gleichgesetzt. Klischees sind nicht umsonst welche, und wenn Sie im Film einen erfolgreichen Geschäftsmann sehen, ist er garantiert ein Kontrollfreak. Bestes Beispiel für diese – wortwörtliche – Fetischisierung unseres Kontrollwahns ist Milliardär Christian Grey in »Fifty Shades of Grey«. Beruflich hat ihn die Kontrolle extrem weit gebracht, sein privates Bedürfnis nach Dominanz wird durch traumatisierende Kindheitserlebnisse erklärt. Die Kontrolle über die Frauen vermittelt ihm die Sicherheit, ungehemmt (sexuelle) Bedürfnisse ausleben zu können.

Genau deshalb planen wir Reisen, Mahlzeiten, das ganze Leben. In der Annahme, je stabiler der Rahmen, desto intensiver die Glückserfahrung. Über den Künstler Jürgen Krause, der seit 22 Jahren jeden Tag freihändig ein kariertes Blatt Papier zeichnet, schrieb der Kurator Volker Adolphs: »Das gleichmäßige Tun sichert vor der Verworrenheit der Welt.« Mir scheint, dass wir uns genau davor immer dringender schützen wollen: vor der Verworrenheit der Welt.

Aus der Psychologie ist bekannt, dass die Partnerschaften mit Suchtkranken für manche Menschen eine über lange Zeit stabile Möglichkeit darstellen, mit der eigenen Angst vor Nähe umzugehen. Eine glückliche gemeinsame Zukunft ist im Regelfall unmöglich oder zumindest unwahrscheinlich. Die Partner*innen der Süchtigen denken sich: Halte ich das aus, bin ich doch wohl eindeutig zur Liebe fähig! An mir, so der Fehlschluss, liegt es jedenfalls nicht, dass wir beide derart leiden.

Meine These ist, dass viele von uns sich analog dazu in die Hoffnung verliebt haben, dass die Kontrolle, das Erzwingen, irgendwann doch zum Glück führen müsse. Zugleich hält dieses Bemühen die Angst vor dem Glück, vor dem ungezügelten Lebensgenuss, in Schach.

Im Lauf der Industrialisierung haben wir eine immer größere Kontrolle über die Natur erlangt. Krankheiten können geheilt und Flüsse eingedämmt werden. Die persönliche Sicherheit hat sich vergrößert, unsere Lebenszeit sich verlängert. Globalisierung, Digitalisierung und Kommerzialisierung versprachen eine noch größere Kontrolle: Wir können im Grunde jederzeit überall sein, und alles steht immer zur Verfügung. Ein Wisch, und die Pizza oder ein möglicher Liebespartner kommen ins Haus. Ein Klick, und auf der anderen Seite der Welt fällt ein für uns personalisiertes Produkt vom Band. In riesigen SUVs thronen wir hoch über dem Verkehr mit viel Sicherheitsabstand zu den übrigen Verkehrsteilnehmer*innen.

Doch unser Bedürfnis nach Angstfreiheit hat dadurch nicht abgenommen. Im Gegenteil: Wir haben Blut geleckt und wollen noch mehr Sicherheit! Zugleich ist unsere Furcht vor allem, was sich jenseits der elektrifizierten, domestizierten Welt befinden könnte, gewachsen: Keime, Wälder, Unordnung – sie wirken bedrohlicher, weil wir verwöhnter sind. Je mehr kontrollierbar wurde, desto schwieriger ist es für uns heute, das Unkontrollierbare auszuhalten.

Deshalb versuchen wir, die widerspenstigen Bereiche entweder auch zu disziplinieren – oder auszublenden. Die Disziplinierung jedoch misslingt, die Verdrängung rächt sich zeitverzögert.

Alles sollen wir kontrollieren. Unser Gewicht, unsere Laune, unsere Außenwirkung (mittels Selbstdarstellung wie in den sozialen Medien), unseren ökologischen Fußabdruck. Und natürlich soll das Ergebnis immer nur ein positives sein. Es gilt als Lob, wenn wir über jemanden sagen, dass sie oder er uns nicht mit Emotionen »belästigt«.

Was Konfuzius nie sagte


Die Königsdisziplin der Kontrolle ist der Sinn. Beziehungen und Hobbys sollen nicht mehr bloß Spaß machen oder guttun. Sie sollen uns herausfordern und beim inneren Wachstum unterstützen, bei der Entfaltung unserer Persönlichkeit. Und Jobs sind nicht mehr nur zum Geldverdienen da. Nein, wir wollen etwas »Sinnstiftendes«, und unsere Arbeit soll die Welt besser machen.

Konfuzius hat nie gesagt: »Wähle einen Beruf, den du liebst, und du brauchst keinen Tag im Leben mehr zu arbeiten.«

Das Wort »Beruf« kommt zwar von »Berufung«, das stimmt – aber im Sinne einer Berufung zum Beispiel durch Gott oder einen Herrscher: Jemand hat mich zu dieser Tätigkeit »berufen«. Er hat sie mir also zugewiesen. Das ist das Gegenteil dessen, was wir heute meinen, wenn wir davon sprechen, den Beruf zur Berufung zu machen, oder besser noch, die Berufung (oder das Hobby) zum Beruf.

Natürlich ist es traurig, lästig, ärgerlich und anstrengend, wenn der Beruf nervt. Selbstverständlich gibt es Menschen, die in bester Absicht einen Beruf gewählt haben, der ihnen später nicht gefällt oder für den sie vielleicht nicht geeignet sind. Ich plädiere hier keinesfalls für ein Durchhalten um jeden Preis.

Aber mir scheint die Forderung übergroß. Autoren und Geisteswissenschaftler, die ihr Tätigkeitsfeld weitgehend selbst wählen und ihren Arbeitsalltag meist selbst bestimmen können, haben es leicht mit solchen Ansprüchen. Bei ihnen fallen das, was sie interessiert, und das, womit sie Geld verdienen, tatsächlich oft zusammen. Und das empfinden sie als angenehm.

Doch für die meisten Menschen ist Arbeit etwas, was sie nicht täten, wenn sie nicht dafür bezahlt werden würden. Zu Recht werden sowohl die Arbeitsbedingungen als auch die Inhalte und die Bezahlung in unterschiedlichsten Bereichen kritisch diskutiert. Dennoch kann es im Kern nur darum gehen, eine gute Lösung für die Notwendigkeit des Geldverdienens zu finden – und nicht gleich mit überzogenen Ansprüchen die Welt aus den Angeln heben zu wollen. Das löst am Ende nur Frust bei den Betroffenen aus.

Auf sich allein gestellt würde wohl niemand mehr arbeiten als notwendig. Aber wer heutzutage früher geht oder freiwillig die Wochenarbeitszeit reduziert, gilt als schwächlich oder faul. Wer hingegen diszipliniert rackert und ordentlich erschöpft ist, am besten immer ganz kurz vor dem Burn-out, hat sein Leben offenbar im Griff und ist irgendwie wichtig. Dieses Image reicht weit zurück. Lange galt Berufsarbeit gar als von Gott aufgetragene Pflicht. Hatte man Erfolg, war das ein Zeichen der Gnade, also für die Zufriedenheit des Herrn. Auch in der Frühindustrialisierung war Erwerbsarbeit in Deutschland überdurchschnittlich hoch angesehen.

Der häufigste Einwand gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen besteht in der Befürchtung, die Menschen würden dann nicht mehr arbeiten gehen. Entlarvend, dass die Angst vor der Faulheit – die durch nichts begründet ist – die größte Sorge der zivilisierten Gesellschaft ist . Arbeit und Beruf sind immer noch die wichtigsten sinngebenden Elemente im Leben vieler Menschen.

Der Druck nimmt zu


An dieser Stelle treffen jedoch einige Faktoren aufeinander. Erstens: Viele Jobs werden von den Berufstätigen als wenig sinnstiftend empfunden. Zweitens: Wichtige, sogenannte »systemrelevante« Jobs werden häufig schlecht bezahlt (Pflegeberufe, Bildung und Erziehung, Einzelhandel, Reinigung und Instandhaltung des öffentlichen Raums). Drittens: Durch Effizienzsteigerungen entsteht keine Entlastung für die Arbeitnehmer, sondern noch höherer Druck. Wenn aufgrund technischer Verbesserungen in vier Tagen geschafft werden kann, was vorher fünf Tage brauchte, dann gibt es nicht einen Tag frei, sondern es soll in fünf Tagen mehr erledigt werden als zuvor.

Wir scheinen einer gnadenlos durchstrukturierten Arbeitswelt ausgeliefert zu sein, nach dem Motto »friss oder stirb«. Der Wunsch nach einer Berufung, nach »etwas mit mehr Sinn« ist deshalb oft nur die Ausweichformulierung für: Ich kann und will so nicht mehr weitermachen. Wir versuchen im Privaten Lösungen zu finden für ein Systemversagen.

Das kann klappen, muss aber nicht.

Der Anspruch, dass der Job Freude machen und einen mit Energie aufladen sollte, ist schwer zu rechtfertigen. Der Anspruch, dass man angemessen bezahlt wird für die Arbeit, die man abliefert, und dass man dabei anständig behandelt wird, ist jedoch völlig gerechtfertigt. Wer sich über diesen Unterschied klar wird, versucht nicht mehr nach den Sternen zu greifen und landet dann aller Wahrscheinlichkeit nach doch wieder nur in einem ganz normalen Arbeitsverhältnis. Sondern man kann dann handfeste Kriterien für einen Jobwechsel entwickeln, der wirklich zufriedener macht.

Wir überschätzen unser zukünftiges Ich


Im Grunde ist unser Scheitern darin, möglichst viel zu kontrollieren, überraschend. Schließlich gab es noch nie so viele Tools, Apps und Hilfsmittel, um Dinge geregelt und...

Erscheint lt. Verlag 11.4.2022
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie
Schlagworte Akzeptanz • Allmachtsfantasie • Angst • Burn-out • Coronakrise • Depression • Hilflosigkeit • kontrolle abgeben • Kontrollzwang • Lebenssinn • Loslassen Buch • Perfektionismus • Resilienz • Selbstwirksamkeit
ISBN-10 3-641-28739-1 / 3641287391
ISBN-13 978-3-641-28739-9 / 9783641287399
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