Die letzte Bibliothek der Welt (eBook)

Roman
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2021 | 1. Auflage
368 Seiten
DuMont Buchverlag
978-3-8321-7103-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die letzte Bibliothek der Welt -  Freya Sampson
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Die schüchterne June Jones lebt in dem britischen Dorf Chalcot und ist mit Leib und Seele Bibliothekarin. Ihre besten Freunde sind die Menschen, denen sie Tag für Tag bei ihrer Arbeit begegnet: der alte Stanley, dem sie mit dem Computer hilft, Chantal, eine Schülerin, die zu Hause keine Ruhe zum Lernen hat, Leila, eine geflüchtete Frau, für die sie Kochbücher heraussucht. Außerhalb der Bibliothek bleibt June allerdings gern für sich - und in Gesellschaft ihrer Bücher. Junes wohlgeordnetes Leben gerät aus den Fugen, als die Gemeinde mit der Schließung der Bücherei droht. Und dann trifft sie auch noch Alex wieder, einen alten Schulfreund, für den sie bald ganz neue Gefühle entwickelt. Während June alles tut, um ihre Welt aus Büchern zu retten, lernt sie viel über sich selbst - und darüber, wie wichtig Freundschaft, Gemeinschaft und nicht zuletzt die Liebe sind ...

FREYA SAMPSON ist Fernsehproduzentin und war u. a. an zwei Dokumentationen über die britischen Royals beteiligt. Sie hat in Cambridge Geschichte studiert und stand 2018 auf der Shortlist für den Exeter Prize. Bei DuMont erschien 2021 ihr Debütroman >Die letzte Bibliothek der Welt<. Freya Sampson lebt mit ihrer Familie in London.

KAPITEL 1

Man erfährt einiges über Menschen, wenn man sich anschaut, welche Bücher sie sich ausleihen.

Wenn in der Bücherei wenig los war, spielte June gern ein Spiel: Sie pickte sich eine Besucherin oder einen Besucher heraus und überlegte sich anhand der Bücher, die die Person auswählte, eine Lebensgeschichte für sie. Heute fiel ihre Wahl auf eine Frau mittleren Alters, die zwei Romane von Danielle Steel und einen Island-Reiseführer in ihrem Korb hatte. June schloss daraus, dass die Arme in einer lieblosen Ehe gefangen war, mit einem ungehobelten, wenn nicht gar gewalttätigen Mann. Sie plante, sich nach Reykjavík abzusetzen, wo sie sich in einen kernigen Isländer mit Vollbart verlieben würde. Doch kaum dass sie endlich ihr wahres Liebesglück gefunden hätte, würde ihr Ehemann sie aufspüren, um zu verkünden …

»Was für eine Scheiße!«

June wurde unsanft in die Realität zurückgeholt. Vor ihr an der Theke stand Mrs Bransworth und wedelte ihr mit einem Buch vor der Nase herum. Was vom Tage übrigblieb von Kazuo Ishiguro.

»Was für ein sinnloser Haufen Scheiße. Herren und Diener? Reinste kapitalistische Propaganda! Ich könnte interessantere Geschichten erzählen.«

Mrs B kam mehrmals die Woche in die Bücherei. Sie trug sommers wie winters einen abgerockten Siebzigerjahre-Ledermantel und dazu fingerlose Handschuhe. Ihre Buchauswahl war völlig willkürlich. Am einen Tag lieh sie ein Handbuch übers Klempnern, am anderen einen Nobelpreisträger. Doch egal, was sie mit nach Hause nahm, ihr Urteil fiel immer gleich aus.

»Ich möchte bitte meinen Büchereiausweis zurückgeben. Aus Protest!«

»Tut mir leid, dass Ihnen das Buch nicht gefallen hat, Mrs Bransworth. Wollen Sie sich vielleicht mal bei den Neuzugängen umsehen?«

»Garantiert auch alles Schrott.« Mrs B dampfte Richtung Sportregal ab. Zurück blieb ein Hauch nasser Ziege.

June lud die letzten Rückgaben auf den museumsreifen Bücherwagen und schob ihn durch die Regalreihen. Die Bücherei befand sich in der ehemaligen Dorfschule von Chalcot, einem zugigen roten Backsteingebäude aus den 1870er-Jahren. Achtzig Jahre später war die Schule in eine Bücherei umgewandelt worden, verfügte jedoch bis heute über den Großteil ihres ursprünglichen Inventars, einschließlich des undichten Schieferdachs, der knarzenden Holzdielen und einer hartnäckigen Mäusefamilie, die seit Generationen den Dachboden bewohnte und sich durch Aktenkartons fraß. Die letzte Renovierung hatte die Kreisverwaltung der Bücherei in den Neunzigern gegönnt, seither beleuchteten Neonröhren einen grünen Filzteppichboden, wie man ihn damals in den meisten öffentlichen Gebäuden fand. June malte sich gerne aus, wie die Bücherei in ihrer ursprünglichen Form ausgesehen haben mochte, als Kinder mit schmuddeligen Gesichtchen an ihren Pulten gesessen hatten, dort wo jetzt die Regalreihen standen, und auf ihren Schiefertafeln Lesen und Schreiben gelernt hatten – wie in Jane Eyre.

June bog gerade mit dem Bücherwagen um eine Ecke, als ihre Chefin auf sie zugestürmt kam. Eine Ausgabe von Mrs Dalloway fiel fast aus ihrer Handtasche.

»Komm bitte sofort mit in mein Büro!«

Marjorie Spencer war die Bibliotheksleiterin, ein Titel, den sie wie einen Kriegsorden an ihre Bluse gepinnt trug. Sie gab sich gern, als würde sie ausschließlich hohe Literatur lesen – doch June wusste, dass sie Shades of Grey dreimal verlängert hatte.

Sie folgte ihrer Chefin ins Büro. Eigentlich war es eine Mischung aus Lager und Pausenraum gewesen, bis Marjorie ein paar Jahre zuvor einen Schreibtisch hineingestellt und ein Namensschild an die Tür gehängt hatte. Für mehr Stühle als ihren eigenen war kein Platz, also hockte sich June auf einen Stapel Druckerpapier.

»Das ist jetzt absolut vertraulich, aber die Kreisverwaltung hat mich gerade angerufen.« Marjorie spielte an ihrer Perlenkette herum. »Ich soll am Montag zu einem dringenden Treffen kommen. Im Sitzungssaal.« Sie legte eine Kunstpause ein, damit June Zeit hatte, diese beeindruckende Information sacken zu lassen. »Du musst hier also am Montag allein die Stellung halten.«

»Okay, kein Problem.«

»Ich kann Rhyme Time so kurzfristig nicht absagen, du müsstest das also für mich übernehmen.«

Panik stieg in June auf. »Äh, tut mir leid, ich hatte ganz vergessen, dass Alan am Montag …«

»Keine Widerrede. Außerdem ist das eine gute Übung für dich – wer weiß, ob dir meine Nachfolgerin die Kinderveranstaltungen nicht sowieso aufs Auge drückt, wenn ich Weihnachten in Rente gehe.«

»Marjorie, ich bitte dich, du weißt genau, dass …«

»Herrgott noch mal, June, du sollst ein paar Kinderlieder singen, nicht bei The Voice auftreten.«

June wollte zum Widerspruch anheben, doch Marjorie schaltete ihren Computer an und setzte ihr ›Bitte nicht stören‹-Gesicht auf.

Mit klopfendem Herzen verließ June das Büro. Es war fast siebzehn Uhr, Zeit für ihre Feierabendrunde. Während sie die herumliegenden Bücher und Zeitungen einsammelte, stellte sie sich die erwartungsfrohen Gesichter bei Rhyme Time vor, einen ganzen Raum voller Kinder und Eltern, die gespannt darauf warteten, dass sie das Wort ergriff. June schauderte unwillkürlich und ließ einen Stapel Zeitungen fallen.

»Benötigen Sie Hilfe, meine Liebe?« Neben ihr am Tisch saß Stanley Phelps und beobachtete sie.

»Danke, es geht schon«, sagte June und hob die verstreuten Zeitungen auf. »Es ist übrigens leider schon fünf, wir schließen gleich.«

»Dürfte ich vorher noch kurz um Ihre Hilfe ersuchen? Gesellschaft ist das beste Gegenmittel. Neun Buchstaben, Anfangsbuchstabe I.«

June dachte kurz nach, zerlegte den Hinweis im Kopf, wie Stanley es ihr beigebracht hatte. »Isolation?«

»Bravo!«

Stanley Phelps, der am liebsten historische Romane las, die im Zweiten Weltkrieg spielten, war in den zehn Jahren, die June schon hier arbeitete, nahezu jeden Tag in die Bücherei gekommen. Er trug stets ein Tweedjackett und sprach wie eine Figur aus einem P.G.-Wodehouse-Roman. Sie stellte sich gern vor, dass er zu Hause im Stil eines verarmten Adeligen lebte, in Seidenpyjamas schlief und Räucherfisch zum Frühstück aß. Das Kreuzworträtsel im Telegraph gehörte zu seinen täglichen Ritualen.

»Bevor ich mich aufmache, habe ich noch eine Kleinigkeit für Sie.« Stanley holte aus seinem fadenscheinigen Einkaufsbeutel einen kleinen Strauß welker Blümchen hervor, die von einem Bindfaden zusammengehalten wurden. »Herzlichen Glückwunsch, June.«

»Ach Stanley, das wäre doch nicht nötig gewesen!« June spürte, dass sie rot wurde. Eigentlich hielt sie Berufliches und Privates strikt getrennt, aber Stanley hatte vor Jahren irgendwie herausgefunden, wann ihr Geburtstag war, und ihn seitdem nie vergessen.

»Unternehmen Sie heute Abend etwas Schönes?«, fragte er.

»Ach, ich treffe mich bloß mit ein paar alten Freunden.«

»Nun, dann wünsche ich Ihnen viel Spaß dabei. Sie haben sich eine große Sause verdient.«

»Danke.« June wich seinem Blick aus und studierte eingehend den Blumenstrauß.

Um siebzehn Uhr dreißig schloss June die schwere Büchereitür hinter sich ab und trat in den warmen Sommerabend. Die Bücherei lag an der Hauptstraße, The Parade. Sie lief am Dorfladen vorbei, dann am Pub mit der flatternden Union-Jack-Wimpelkette über der Tür, und schließlich an der Bäckerei, in der ihre Mum und sie jeden Samstag Marmeladen-Donuts gekauft hatten. Vor dem Postamt standen ein paar Stammgäste der Bücherei, und June nickte ihnen zu, ehe sie abbog und den Hügel hinunterging, an der Dorfwiese und dem Chinaimbiss namens Golden Dragon vorbei und dann links. Die Willowmead-Siedlung war ein in den 1960ern errichtetes Labyrinth aus identischen Reihenhaushälften, mit winzigen Gärten und Mülltonnen vor jeder Tür. Hier lebte June, seit sie vier Jahre alt war, in einem Haus mit grüner Tür und verblichenen roten Gardinen.

»Bin zu Hause!«

Sie zog ihre Strickjacke aus, stellte die Schuhe ins Schuhregal, aus dem sie sie erst Montagmorgen wieder herausziehen würde, und ging ins Wohnzimmer. Einer der Bilderrahmen hing schief. June rückte ihn zurecht und musterte den zerzausten Teenager mit der Zahnspange, der ihr aus dem Foto entgegenblickte. Die Zahnspange war zum Glück Geschichte, im Gegensatz zu den widerspenstigen braunen Locken, die sie inzwischen mit einem strengen Dutt bändigte. Im Wohnzimmer trat June ans überfüllte, aber fein säuberlich sortierte Bücherregal, das die gesamte Wand auf der linken Seite des Raums einnahm. Adichie, C.; Alcott, L.M.; Angelou, M. Sie fand das Buch, das sie gesucht hatte, und trug es in die Küche, wo sie sich eine Fertiglasagne in die Mikrowelle schob und ein Glas Wein einschenkte.

Bis auf gedämpfte Stimmen aus dem Fernseher von nebenan war im ganzen Haus kein Ton zu hören. June schaute die Post durch: ein Flyer von der Müllabfuhr und die Dunningshire Gazette. Sie schlug die Zeitung auf, denn es hätte sich ja eine Geburtstagskarte hineinverirrt haben können, aber Fehlanzeige. June stieß einen leisen Seufzer aus und genehmigte sich einen Schluck Wein.

Das Pingen der Mikrowelle ließ sie zusammenzucken. Sie beförderte die Lasagne auf einen Teller und garnierte sie mit ein paar sauren Gürkchen. Dann setzte sie sich mit ihrem Buch an den Tisch. Der Einband war vom jahrelangen Lesen ganz angestoßen, die Worte Stolz und Vorurteil waren kaum...

Erscheint lt. Verlag 1.7.2021
Übersetzer Lisa Kögeböhn
Sprache deutsch
Original-Titel The Last Library
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Beziehung • Bibliophil • Bibliothek • Bibliothekarin • Britisch • Britischer Humor • Bücher • Bücherei • Bücherliebe • Büchermensch • Büchermenschen • Bücher über Bücher • Bücherwurm • Buchhandlung • Buchliebhaber • charing crossroads • Clare Pooley • das antiquariat der träume • Der Buchspazierer • Die kleine Buchhandlung am Ufer der Themse • die kleine buchhandlung an der themse • Die Mitternachtsbibliothek • Dorf • England • Feel-Good • Frauenroman • Freundinnen • Freundschaft • Gefühl • gefühlvoll • Gemeinschaft • Geschenkbuch • Humor • june jones • Katze • Katzen-Geschenkbuch • Katzen-Roman • Kleinstadt • Liebe • Liebesgeschichte • Liebesroman • Meine wundervolle Buchhandlung • Montags bei Monica • Rettungsaktion • romantisch • Romanze • Schicksal • The Last Library • Unterhaltsam • Unterhaltung • wohlfühlen • Wohlfühlroman
ISBN-10 3-8321-7103-7 / 3832171037
ISBN-13 978-3-8321-7103-2 / 9783832171032
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