Der Katholische Bahnhof -  Irmin Burdekat

Der Katholische Bahnhof (eBook)

Roman
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2020 | 1. Auflage
256 Seiten
Berg & Feierabend (Verlag)
978-3-948272-07-4 (ISBN)
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Ronald ist Pächter des 'Katholischen Bahnhofs', einer Kneipe, die er von seinem Vater übernommen hat. Seine ganze Aufmerksamkeit gilt dem Fußballclub Arminia Bielefeld, seinem Sohn Ché-Daniel, dem ständigen Streit mit seiner Ex und anhaltenden finanziellen Engpässen. Trotzdem textet er ab und zu seine eigene Hauszeitung ('Die Thekenschlampe'); zur Unterhaltung für seine Gäste. Der Sohn seines Vermieters, Spross der Fabrikantenfamilie Pretorius, schanzt Ronald den Auftrag für eine Familien- und Firmensaga zu ('Alter, schreib mal was Fettes á la 'Buddenbrooks'!'). So wird der Gastwirt zum Chronisten, der sich mit zunehmender Leidenschaft, mit Interesse und Energie in die Lebens- und Liebesgeschichte des 'Jungen Fabrikanten Pretorius' verbeißt: Der Junge Fabrikant ist als Gymnasiast für alle nur 'Werther', weil er ein unerschöpfliches Reservoir an Goethezitaten zu haben scheint. Ein echter Goethe Fan! Und als der sich in Marlene verliebt und man den beiden ihre Liebe nicht lassen will, beginnt eine so kuriose wie bewegende Liebesgeschichte, die in Deutschland beginnt und sich Jahrzehnte später in Kanada fängt. Die wunderbaren Figuren im Roman von Irmin Burdekat lieben, werden getrennt, verrennen sich und landen am Ende wieder dort, wo sie losgelaufen sind. So kommt es, dass Ronald, der Chronist und Erzähler, von seiner eigenen Geschichte eingeholt wird. Er berichtet, interpretiert und dreht sich eigentlich doch nur um sich selbst. Und ganz plötzlich wird ihm bewusst, dass er mitten in seiner eigenen Geschichte steht: Marlene und Werther finden nach einem ganzen Leben am Ende zusammen und beschließen zu heiraten. Und sie laden Ronald, den Wirt vom 'Katholischen Bahnhof', der ihrer beider Leben so liebevoll nachgezeichnet hat, ein, dabei zu sein. Die Stränge laufen nun ineinander, die Ereignisse überschlagen sich noch einmal, das Erzählkonzept wird aufgelöst, da es über sich selbst hinauswächst und .... was lange währt, wird endlich gut.

'Wer was wird, wird Wirt - und wer das verpasst, bleibt Gast!' - Auf diese Binsenweisheit muss Irmin Burdekat hereingefallen sein, denn er landete schon als Zwanzigjähriger in der Gastronomie - anstatt 'was Ordentliches zu machen', wie seine Mutter hoffte. Als Gastwirt, diese Einsicht kam ihm früh und sehr gelegen, ist man gut beraten, ein Geschichtenerzähler zu sein, denn Gäste erwarten mehr als Bier und Bouletten. Übrigens, seine fünf Kinder schliefen mit seinen Gutenachtgeschichten deutlich besser, vor allem schneller ein. Als aus einer Kneipe zwei, dann drei und dann ganz viele wurden, war es vorbei mit dem Geschichtenerzählen am Tresen. Irmin Burdekat begann, seine Geschichten aufzuschreiben. Irgendwann wurden daraus Bücher, die der Verleger Romane nennt. Seine Frau machte ihn vor fünfunddreißig Jahren mit ihrer kanadischen Heimat bekannt, in der Hoffnung, dass er sie lieben könnte wie sie selbst. Zeitverzögert g-lang es ihm, ihr diesen Gefallen zu tun. Seitdem färben Holzfällerromantik und deutscher Kneipendunst seine Geschichten gleichermaßen. Irmin Burdekat beantwortet die wichtigste Frage über seinen neuen Roman gleich selbst: 'Warum ich den 'Katholischen Bahnhof' geschrieben habe? Keine Ahnung! Die Story geisterte schon Jahre lang in meinem Kopf herum und wollte jetzt raus. Wenn ich nicht schreiben würde, müsste ich Golf spielen, Tauben züchten oder im Garten arbeiten - alles Verrichtungen, für die ich mich nicht eigne. Ach, und natürlich ist die Geschichte nicht autobiografisch. Oder fast nicht.'

Ich hatte ja schon von der am Anfang dramatisch erscheinenden Umsatzhalbierung berichtet, nachdem ich die Kneipe meines Vaters übernommen und den Namen von Zum Lindenbaum in Katholischer Bahnhof geändert hatte. Wie oft habe ich mir angehört, was für ein Dussel ich doch sei und wie man nur ein so schönes Geschäft dermaßen eigensinnig in die Grütze fahren könne. An dieser Stelle wird es Zeit, einmal den wahren Grund für meinen strategischen Geniestreich zum Besten zu geben. Bei meinem Vater waren die größten Säufer der Stadt Stammgäste. Diese Typen huldigten ihm wie Nordkoreaner ihren diversen Kims. Sie lobten ihn über den vierblättrigen Klee und priesen ihn als Lichtgestalt des Kneipenkosmos. Ein Thekengott! Und warum? Weil sie bei ihm auf Deckel tranken. Eine Lage nach der anderen. Mein Vater war mehr Kreditgeber als Wirt. All diese prima Kumpel luden meinen Vater ein, bis er die Bierdeckel-Verwaltung komplett aus den Augen verlor. Sein Rechnungswesen war also eher ein Verrechnungswesen zu seinen Ungunsten. Man glaubt gar nicht, wie hartnäckig diese Typen mich unter Druck setzten. „Wir ham hier immer auf Deckel getrunken. Gewohnheitsrecht, Alter! Mach keine Zicken!“ Erst wollte ich die Kneipe deshalb Keine Zicken nennen. Aber Katholischer Bahnhof wirkte wie eine Mischung aus Weihrauch und Mottenkugeln. Es stank ihnen, und sie blieben weg. Ein schlüssiges Konzept! Ich habe schließlich nicht umsonst studiert.

Marlene durchlebt eine schreckliche Zeit. Immer wieder grübelt sie, versteht nicht, was vor sich geht. Warum darf sie keinen Kontakt zu Manfred aufnehmen? Nachts liegt sie schlaflos im Bett, redet mit Manfred in ihren Gedanken und will zu ihm. Ihre Gefühle schlittern auf einer rasanten Berg-und-Tal-Fahrt, die keinen Blick nach vorne zulässt. Sie weiß nie, was kommen wird, und ist oft der Verzweiflung nahe. Wenn es ihr ausweglos scheint, beginnt sie, sich und dem Kind leise Schlaflieder vorzusingen. Sie trifft oft nicht die Töne, aber ihr Herz. Dann kommt etwas Ruhe auf und sie schläft ein.

Die Muskoka Wood Mill am Muskoka River sägt und fräst selbstverständlich nicht mehr mit Wasserkraft. Schon seit über vierzig Jahren. Man kann den technischen Zustand der Sägerei antiquiert nennen, für die Bedürfnisse der kleinen Waldbesitzer aus der Umgebung ist sie jedoch ein Segen. Vier Gattersägen laufen parallel. Eben noch schwer bewegliche Baumriesen sind auf einmal Balken oder Bretter, die von Menschenhand transportiert und gestapelt werden können. Modern an der Holzmühle sind die Rollentische, auf denen selbst tonnenschwere Stämme vor die Sägen geschoben werden. Außerhalb der großen Halle mit den Sägestationen laden Arbeiter entastete Bäume auf die Tische. Zwei Kräne und ein paar Gabelstapler helfen dabei.

Qualifiziert ist die Arbeit vor den Sägen. Hier müssen geschulte Augen sowohl die Holzsorte als auch die daraus optimal herzustellenden Produkte erkennen. Ähnlich wie ein hochkarätiger Diamantschleifer, wenngleich in anderen Dimensionen, handelt ein Sägewerkmeister. Dan Mielhausen ist siebenundsechzig Jahre alt und seit über hundert Jahren – wie er behauptet – Sägemeister. Für ihn muss ein Nachfolger gefunden werden. Wenn es geht, ein deutschstämmiger. Hat sich bewährt.

Ein Holzspezialist mit Adleraugen. Kräftig genug, um mit den groben Greifhaken Stämme zu drehen. Dazu drückt man mit dem Fuß auf ein Pedal und es kommen querlaufende Rollen und heben Stämme hydraulisch über die längslaufenden. Damit kann jeder Baumstamm, und sei er noch so lang, in die ideale Position gebracht werden. Starke Arme sind hier gefragt! Die sind Alfons Lendruscheit geblieben. Er wäre der richtige Mann. Leider spricht er noch kein Wort Englisch. Und Inch, Fuß, Yards, Square Foot, Acres und andere Maße sind für ihn böhmische, nein, kanadische Dörfer. Er kennt Fichten, Tannen, Kiefern, Lärchen, Douglastannen, auch Eichen, Buchen, Eschen, Kastanien, sogar Ahorn, natürlich Birken und Linden und einige mehr. Das Holz all dieser Bäume kann er bestimmen, weil man es ihm in der Lehre nahezu eingeprügelt hat. Aber was ist White Pine, Black Walnut, Red Oak, Yellow Birch, Sugar Maple, Cedar oder Larch? Ein halbes Jahr zum halben Stundenlohn bietet der angebliche Ehrenmann dem schüchternen Einwanderer aus Deutschland sowie Hilfe bei der Einbürgerung.

Die erste kanadische Wohnung der Familie ist ein großer, silberner Wohnwagen, der praktischerweise direkt auf dem Gelände des Sägewerks steht. Es ist ein 54er-Airstream in gutem Zustand. Daneben ein kleiner Flusslauf. Der wäre das zuständige Badezimmer, nur ist er noch zugefroren. Harte Bedingungen. Aber wenn man schon unten ist, kann man auch dort anfangen. Mit dieser Einstellung begegnet man den Neuen im Lande und weiß recht schnell, ob sie Ausdauer und Zähigkeit mitbringen. Lendruscheit ist somit wieder Rekrut. Er fühlt Stiefel im Nacken, auch wenn es dieses Mal Mokassins sind, die den Druck ausüben. Und er weiß:

Wenn man dem Druck nicht standhält, ist man schnell Kanonenfutter. Er hat die Sprache des Militärs gelernt, jetzt wird er die Sprache des Feindes erlernen müssen. Um zu überleben und um zu siegen. Alfons Lendruscheit reiht sich ein! Wie seine Frau, die schon eine Woche nach Ankunft in Huntsville die Kirche putzt, dazu das Pfarrhaus und den Gemeinderaum. Dafür gibt es fünfundzwanzig Dollar in der Woche. Immerhin. Religion kann eine Geißel sein, aber Gemeinde, das Miteinander von Menschen, die sich im Glauben zusammengehörig fühlen – all das ist ein unschätzbarer Wert. Saint Mary of the Assumption heißt die katholische Kirche in Huntsville. Und Father Fitzgerald ist Chef dieser Filiale des römisch-katholischen Lizenzgebers. Ein Mann, der sich um seine Gemeinde kümmert, damit die Gemeinde sich um die Kirche kümmert. Katholisch bedeutet ja nicht zuletzt „allumfassend“. Alle umfassen alle. Das spüren die Lendruscheits auf wundervolle Weise. Die ersten drei Nächte schlafen sie im Pfarrhaus, dann einen knappen Monat im Wohnwagen, bevor die Wohnung von Mrs. Williams gereinigt und renoviert ist. Leider ist sie dort unbemerkt verstorben und erst nach einiger Zeit gefunden worden. Pietät und Gerüche fordern die kurze Übergangszeit im Campingmodus. Aber dann! Ein Umzug – fast wie ein Menschenauflauf. Alle helfen. Alle bringen etwas mit, schleppen es die klapprige Holztreppe hoch in zwei Zimmer plus Wohnküche. Ein guter Vormittag, dann sind Lendruscheits möbliert, mit Bettwäsche, Decken, Geschirr und Besteck versorgt. Alles kunterbunt und mit heftigen Gebrauchsspuren, aber glückspendend und tiefe Dankbarkeit auslösend. Zuletzt kommt Father Fitzgerald, hängt ein schlichtes Holzkreuz in die Küche und segnet die Wohnung und seine drei neuen Gemeindemitglieder. Tiefgläubige Christen, die sich aufgenommen und umarmt fühlen. Zum ersten Mal fasst Alfons Lendruscheit ein wenig Mut und den Entschluss, der neuen Heimat etwas Vertrauen entgegenzubringen. Er eröffnet bei der Royal Bank ein Konto und zahlt die zehntausend Mark seines ehemaligen Chefs ein. Dafür bekommt er nicht einmal zweitausendfünfhundert Canada-Dollar, aber eine gute Portion Ansehen. Der Bankdirektor, Mitglied der Gemeinde, wird die erstaunliche Bonität der Neuen im Kirchenvorstand natürlich nicht ausplaudern, sondern nur süffisant andeuten. Imagebildend!

Die Spannungen innerhalb der kleinen Familie lösen sich etwas auf, und alle werden mehr und mehr von Zuversicht erfüllt. Sogar Marlene. So oft sie kann, betet sie. Nicht nur beim Einschlafen erbittet sie Segen für sich, ihr Kind und Manfred. Sie betet für ein Wiedersehen mit ihm. Möglichst ein baldiges. Ihre Sehnsucht nach ihm ist ungebrochen. Regelmäßig schmiedet sie Ausbruchs- beziehungsweise Fluchtpläne. Aber wie kommt man runter von einer einsamen Insel? Und der amerikanische Kontinent ist eine Insel! Die Einsamkeit unter den vielen Menschen ist für Marlene real.

Ihr erster Besuch in der neuen Kirche – die ist zu diesem Zeitpunkt noch kein Jahr alt – wird für sie ein Wendepunkt. Nie zuvor hat sie ein so modernes Gotteshaus gesehen. Die Front außen geradezu futuristisch, das Innere ein Festival in Holz. Schwere schwarze Balken ragen steil in den First und halten die unbehandelten Fichtenbretter, deren buntes Astlochmuster eine Verbeugung vor den großen Wäldern zu sein scheint. An der Seite kleine, rechteckige Fenster mit Bleiverglasungen, ähnlich wie sie es aus Deutschland kennt. Aber die Motive sind zeitgemäßer, wenngleich farbenfroh. Aus dem hinteren, total verglasten Giebel kommt helles Licht in den Raum. Der Altar vor einer weißen Wand, bescheiden in den Ausmaßen, dafür mit einem circa zehn Meter hohen Holzkreuz, das aus einer goldenen Wurzel zu wachsen scheint. Das Auge bleibt an einer naturalistischen Jesusfigur hängen, die Vertrautes vermittelt. Marlene spürt hier eine belebende Energie, die gleichwohl beruhigend zu sein scheint. Dieser Raum verdrängt zunehmend ihre Zukunftsängste. Sie ist immer mehr gespannt und beginnt, sich ein wenig zu freuen. Vor ihr und ihrem Kind muss einfach eine gute Zukunft liegen. Sie will es, und es erscheint plötzlich möglich. Die Sehnsucht nach Manfred bleibt, aber die Hoffnung auf bessere Zeiten schiebt Mut und Zuversicht in den Vordergrund. Marlene ist tagsüber oft alleine. Sie führt den Haushalt und bereitet das warme Abendessen vor. Gegen neunzehn Uhr sitzt sie mit den Eltern am Tisch und es kommt zu Gesprächen, endlich ohne Vorhaltungen und Vorwürfe. Jeder reflektiert den Tag mit seinen neuen Eindrücken: Der Vater ist stolz auf die Arbeit, die Mutter trifft regelmäßig Frauen aus der Gemeinde und versucht zu verstehen, was sie ihr...

Erscheint lt. Verlag 9.3.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-948272-07-7 / 3948272077
ISBN-13 978-3-948272-07-4 / 9783948272074
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