Ciao (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
272 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30350-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ciao -  Johanna Adorján
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Johanna Adorján entwirft mit »Ciao« eine Gesellschaftssatire, die extrem komisch ist und gleichzeitig ernsthaft gegenwärtig. Ist der Untergang des alten weißen Mannes beschlossene Sache oder sollte man mit dieser Spezies doch gnädig sein? Hans Benedek, einst ein gefragter Feuilletonist, hat seinen Bedeutungsverlust selbst noch gar nicht realisiert. Er wähnt sich weiterhin als Mann von beträchtlichem Einfluss, aber die Zeichen mehren sich, dass sich etwas verändert hat. Seine ständigen Affären mit Praktikantinnen sind nicht mehr so unbeschwert wie noch vor einigen Jahren. Seine Tochter beschimpft ihn als Mörder, da er immer noch Bacon zum Frühstück isst. Als seine Frau ihn auf die Idee bringt, ein Portrait über die gefragteste junge Feministin des Landes zu schreiben, wittert Hans seine Chance. Doch die Begegnung mit ihr wird Hans in einen Abgrund von bisher ungekannter Tiefe stürzen. Ein Roman über Menschen, über die die Zeit hinweggegangen ist. Über Leute von gestern im heutigen Leben. Übers Älterwerden. Und ein bisschen auch über die Liebe.

Johanna Adorján, geboren 1971 in Stockholm, wuchs in München auf und studierte Theater- und Opernregie. Seit 1994 arbeitet sie als Journalistin, ab 2001 fürs Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, heute für die Süddeutsche Zeitung. Ihr erstes Buch, der Bestseller »Eine exklusive Liebe«, erschien 2009 und wurde in 16 Sprachen übersetzt. 2013 folgte der Erzählungsband »Meine 500 besten Freunde«, 2016 ihr Roman »Geteiltes Vergnügen«, 2019 ihr Buch »Männer«. Johanna Adorján lebt in Berlin.

Johanna Adorján, geboren 1971 in Stockholm, wuchs in München auf und studierte Theater- und Opernregie. Seit 1994 arbeitet sie als Journalistin, ab 2001 fürs Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, heute für die Süddeutsche Zeitung. Ihr erstes Buch, der Bestseller »Eine exklusive Liebe«, erschien 2009 und wurde in 16 Sprachen übersetzt. 2013 folgte der Erzählungsband »Meine 500 besten Freunde«, 2016 ihr Roman »Geteiltes Vergnügen«, 2019 ihr Buch »Männer«. Johanna Adorján lebt in Berlin.

Inhaltsverzeichnis

4


»Sagt dir Xandi Lochner etwas?«

Hans hatte eigentlich warten wollen bis zum Espresso, aber jetzt platzte er doch schon vor dem Bestellen damit heraus.

»Ach«, sagte Lothar Herzig, ohne von der Karte aufzusehen, »heute gibt es veganes Curry als Mittagsgericht. Was ist mit Xandi Lochner?«

»Ich schreib was über die.«

»Oh nee, das ist mit Koriander, ich hasse Koriander.«

Er hatte sich Lothar Herzigs Reaktion euphorischer vorgestellt.

»Meine Frau war gestern Abend mit ihr essen …«

»Oder doch wieder Caesar Salad …« Herzig sah immer noch in die Karte. Er hatte jeden Fingernagel in einem anderen Pastellton lackiert, aber nur an einer Hand.

»… das war wohl sehr nett.«

»Hm.«

Hans tat auch so, als wäre er in die Karte vertieft, konnte sich jedoch nicht konzentrieren. Henriette hatte beim Frühstück versucht zu erklären, warum der Abend so katastrophal verlaufen sei, aber Hans hatte es nicht verstanden. Es war ja nicht so schlimm, nicht einer Meinung zu sein, Henriette zufolge aber doch. Dennoch hatte ihm Henriette Xandi Lochners Handynummer gegeben. Hans hatte sie noch vor der Konferenz angerufen, aber sie war nicht drangegangen. Dann hatte er per Mail ein Interview über ihre Agentur angefragt. Fünf Minuten später hatte Xandi Lochner persönlich ihm per Mail geantwortet: »Bin available. Wann?« Morgen würde er sie treffen. In Baden-Baden, wo sie bei »Ois Bonanza?« zu Gast sein würde, Michi Denningers legendärer Fernseh-Rateshow, die Hans schon als Junge geguckt hatte. Er hatte nicht gewusst, dass es sie noch gab. Es gab sie wohl auch nicht mehr, sondern wieder. Eine Neuauflage, die auf einem Sender lief, von dem er noch nie gehört hatte, vielleicht war es auch nur ein Online-Streaming-Portal, das musste er erst noch recherchieren. Jedenfalls würde er morgen also nicht nur Xandi Lochner kennenlernen, sondern womöglich auch Michi Denninger. Den Michi Denninger, dessen Begrüßungsformel – Ois Bonanza? – zu einem geflügelten Wort geworden war, das allerdings jüngeren Leuten heute nichts mehr sagte. Oder?

»Sagt dir ›Ois Bonanza?‹ was?«

Lothar sah von der Karte auf, setzte den »Come on«-Gesichtsausdruck auf, den sich alle bei amerikanischen Comedians abgeschaut hatten, und summte die Titelmelodie.

Hans summte mit. Erinnerungen stiegen in ihm auf. Er vor dem Fernseher, die Füße im selben flauschigen blauen Stoff steckend wie der Rest seines von der Badewanne noch heißen Körpers: Onesie sagte man heute dazu, damals hatte man Sleeper gesagt, er hatte ewig gedacht, man schreibe es Sliepa, vermutlich würden die Kinder von heute in ein paar Jahren Wonnsie schreiben. Ein Glas warme Milch mit Honig vor ihm auf dem Glastisch, er im Schneidersitz, das Kinn auf die kalte Platte gestützt. In seiner Erinnerung hörte er seine Mutter in der Küche hantieren und fühlte seinen Vater, den er nicht sah, im Rücken mit seiner ganzen Respekt einflößenden Präsenz. Henriette hatte neulich irgendwo gelesen, dass Männer in leitenden Berufen nie aufhörten, Männer in einem leitenden Beruf zu sein. Dass ein Chef nie sein Verhalten der Umgebung anpasste, weil er nicht musste, es wurde nicht von ihm erwartet, anders als etwa von einer Chefin, die abends zu Hause vielleicht Mutter war oder mit Freundinnen Freundin. Und es stimmte, sein Vater war überall und immer Chef gewesen. Tagsüber in seinem Architekturbüro, das er gegründet hatte, das seinen Namen trug. Abends zu Hause. Auf einmal hatte Hans in der Nase, wie sein Vater früher gerochen hatte, war es ein Aftershave oder ein Herrenduft, auf jeden Fall etwas, dem er die Farbe Gelb zuordnen würde, etwas Seifiges, Sauberes, das sich mit der Abendzigarette seiner Mutter zu einem triumphalen olfaktorischen Akkord verband.

Der Sliepa hatte vorne einen weißen Reißverschluss, und auf Brusthöhe war eine Figur aus der Muppetshow appliziert. Oder war es der gelbe Vogel aus der Sesamstraße?

Seine Schwester, von der damals noch niemand wusste, dass sie einen Herzfehler hatte und wenige Jahre später tot sein würde, war in seiner Erinnerung gerade mit dem Hund draußen. Sie war gut die Hälfte seiner Kindheit gerade mit dem Hund draußen, was nicht stimmen konnte, möglicherweise hatte er sie nachträglich hinausradiert, entweder um selbst etwas mehr Raum zu haben, denn sie war eine sehr dominante größere Schwester gewesen, auch schon mit neun, elf, dreizehn Jahren. Oder aber, hatte ihm Henriette einmal von ihrer Therapeutin ausgerichtet, es war noch viel nachträglicher geschehen, post mortem, um nicht so oft mit ihrem Tod konfrontiert zu sein. So war Marthe aus heutiger Sicht aber für ihn die meiste Zeit mit dem Hund draußen gewesen, einem unendlich rührenden Labrador-Mischling namens Le Corbusier, genannt Corbi, der glänzendes schwarzes Fell gehabt hatte und die beweglichsten Ohren, die man sich überhaupt vorstellen kann.

»Klar kenn ich ›Ois Bonanza?‹«, sagte Lothar.

»Da bin ich morgen.«

»›Ois Bonanza‹? Wahnsinn. Gibt’s das noch?«

»Xandi Lochner ist zu Gast, und ich begleite sie. Also als Reporter.«

»Okay«, sagte Lothar gedehnt. Hans fand, dass es ironisch klang. Er ärgerte sich darüber, dass er es überhaupt erzählt hatte. Was hatte er denn erwartet von Lothar Herzig. Lob?

Lothar Herzig arbeitete für ein Konkurrenzblatt als fester freier Mitarbeiter. Doch Journalismus war nur ein weiterer Posten in seinem Potpourri aus Medienberufen. Als einer der Ersten hatte er einen Podcast gemacht, der immer noch sehr erfolgreich war. Er interviewte darin junge Kreative, die Hans nicht kannte, was allerdings nichts hieß. Er hatte ungefähr zu der Zeit damit aufgehört, das Popgeschehen aktiv zu verfolgen, als sich Take That auflösten, und was er für neu entdeckten Schauspielerinnen-Nachwuchs hielt, hatte längst Millionen Follower auf Instagram und warb für Chanel. In der Mode war für ihn weiterhin Helmut Lang das Nonplusultra, und da er den Beginn der Karriere von Hedi Slimane zufällig mitbekommen, ihn sogar recht früh interviewt hatte (also früh für eine deutsche Publikation), würde er ihn für den Rest seines Lebens für ein riesiges Nachwuchstalent halten. Neulich hatte er irgendwo ein aktuelles Foto des englischen Schauspielers Jude Law gesehen, auf dem der neben einem älteren Mann stand, und erschrocken der Bildunterschrift entnommen, dass der ältere Mann Jude Law war und der von ihm für Jude Law Gehaltene dessen Sohn. Naja.

Hans’ Glück war, dass es seinem Ressortleiter Walter Windisch genauso ging. Der wusste sogar noch, wie die No Angels hießen, jede einzelne von ihnen. Beyoncé dagegen verstand er einfach nicht – mit ihren dicken Beinen.

Und so traf Hans diesen Lothar Herzig auch, um in Konferenzen anschließend mit dessen Wissen punkten zu können. Hans konnte die Namen der vielversprechenden jungen Talente, die Herzig in seinem Podcast interviewte, dann fallen lassen, als wären sie ihm schon ewig geläufig, und die jüngeren Kollegen, die all diese Namen natürlich kannten, deren Themenvorschläge Windisch aber nicht ernst nahm, bestätigten mit ihrem wissenden Nicken sein Gespür für neue Trends. Das machte Windisch natürlich ganz fuchsig, weil er sich ausgeschlossen und abgehängt fühlte, und um nicht als alt und von gestern dazustehen, bestellte er sofort lauter große Geschichten von Hans über all diese faszinierenden jungen Leute und neuen Entwicklungen.

Aber Hans traf Lothar Herzig nicht nur, um Themen abzugraben. Er traf ihn auch, um ihn zu studieren. Herzig war einer dieser neuen Männer, die plötzlich da waren, wo er auch war, ohne dass er ihren Auftritt bemerkt hatte. Wann waren sie gekommen, womit war er beschäftigt gewesen? Sie genderten nicht nur, ohne dass es sie die geringste Mühe zu kosten schien, sie machten auch niemals Witze auf Kosten anderer, sie machten eigentlich, wenn Hans es genau bedachte, überhaupt keine Witze, und ihr Privatleben kam ihm neuartig, faszinierend und rätselhaft vor. Viel wusste er nicht darüber, weil er sich nicht die Blöße geben wollte, zu ungläubig nachzufragen und sich somit schon wieder einmal als alter weißer Mann zu outen, als der er ja neuerdings galt. Aber von ferne schien es in dieser Generation, was Liebe und Sex anging, viel freier, leichter, fluider zuzugehen. Ja, vor allem vielleicht fluider.

Herzig hatte mal das Wort polyamor fallen lassen, hatte es flüchtig dahingesagt über irgendeine Frau, mit der er sich gerade traf. Eine sachliche Feststellung, die er nur deshalb erwähnte, weil es die Erklärung für seine Verspätung war. Eine Frau hatte versehentlich seinen Schlüssel eingesteckt, und er musste warten, bis sie, »sie ist polyamor«, von ihrem anderen Liebhaber quer durch die Stadt mit dem Schlüssel zu ihm gekommen war. Hans hatte genickt und sich innerlich eine Notiz gemacht.

Herzig hatte Hans auch einmal erzählt, überhaupt nur mit Instagram angefangen zu haben, weil man da leichter Frauen kennenlerne als auf Tinder. Es sei dort gleich viel persönlicher, und mit wenigen Direktnachrichten springe eine Verabredung raus. Eigentlich erwähnte er bei jedem ihrer Treffen eine neue Instagram-Bekanntschaft und zückte sein Handy, um ihm die jeweilige Schönheit auf ihrem Profil zu präsentieren. Das Erstaunliche war, dass Lothars Wunsch nach neuen Frauenbekanntschaften ihm eine zusätzliche Karriere beschert hatte: er war so etwas wie ein Instagram-Star. 80.000 Leute verfolgten seine täglichen Postings. Sein Account hieß »Too Young To Die« und bestand aus Sprüchen, die Hans und Henriette...

Erscheint lt. Verlag 8.7.2021
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Älterwerden • Alte weiße Männer • Bestseller-Autorin • Digitalisierung • Eine exklusive Liebe • Feminismus • Feuilleton-Roman • Generationen-Konflikt • Medienwelt • moderne Gesellschaft
ISBN-10 3-462-30350-3 / 3462303503
ISBN-13 978-3-462-30350-6 / 9783462303506
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