Nora Joyce und die Liebe zu den Büchern (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
463 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-76893-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Nora Joyce und die Liebe zu den Büchern -  Nuala O?Connor
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Sie war ihm »Heilige und Hure«: Nora Barnacle ist zwanzig und Zimmermädchen in einem Dubliner Hotel, als sie den zwei Jahre älteren James Joyce kennenlernt. Aus der zunächst körperlichen Beziehung entwickelt sich eine tiefe Liebe. Nora ist bereit, alles für Joyce aufzugeben - verlässt mit ihm sogar ihre Heimat Irland, trotz seiner Weigerung, sie zu heiraten. Schwierige Jahre in Triest, Pula und Zürich folgen, geprägt von großer Armut, von Joyce' Trunksucht und von seinem labilen Gesundheitszustand, vor allem aber von seiner Besessenheit: Für ihn zählt nur sein literarisches Werk. Es ist Nora, die die Familie über Wasser hält und als Rückhalt und Muse mit Joyce dem literarischen Durchbruch entgegenfiebert.

Die mehrfach ausgezeichnete irische Autorin Nuala O'Connor verleiht in dieser fulminant erzählten Romanbiographie Nora erstmals eine Stimme.



<p>Nuala O&rsquo;Connor, geboren 1970 in Dublin, lebt im County Galway in Irland. <em>Nora</em> ist ihr f&uuml;nfter Roman. Sie hat au&szlig;erdem Erz&auml;hlungen und eine Lyriksammlung ver&ouml;ffentlicht. 2018 wurde sie mit dem britischen Short Fiction Prize ausgezeichnet und 2019 mit dem Preis des James Joyce Quarterly.</p>

GEBURTSTAG


Brioni  
2. Februar 1905

Jim wird heute dreiundzwanzig. Ein richtiger Mann jetzt. Er liebt seinen Geburtstag wie keinen anderen Tag, und ich bin überglücklich, ein großes Trara um ihn zu machen. Das Geld ist knapp, da wir jeden Abend essen gehen – ich teile Clotildes Küche nicht gern mit ihr; bei jeder Bewegung scheine ich sie anzurempeln, und immer ist gerade der richtige Topf oder die passende Pfanne in Gebrauch.

Wir haben im Miramar und in der Osteria da Piero gleich daneben gespeist, wo ich den gebratenen Fisch und die Männer mag, die singen, das Weinglas schwenken und ein wenig weinen. Aber trotz des Geldes, das wir fürs Essengehen ausgeben, habe ich für Jims Geburtstag Münzen in einem Strumpf gehortet, und von einigen davon habe ich einen dicken Riegel torrone gekauft. Auch wenn seine Zähne nicht die besten sind, bekommt Jim gar nicht genug von diesem weißen Mandelzeug. Und ich habe für heute einen Plan, den ich mit Fräulein Globocnik, der Sekretärin der Berlitz, ausgeheckt habe, und den ich Jim enthüllen werde, sobald ich meinen Spaß gehabt habe.

»Sag mir, was wir machen, Nora«, mosert er, während er sich die Stiefel anzieht. »Ich habe das Recht zu wissen, wie meine eigene Feier aussieht.«

»Heul nicht wie ein gossoon, Jim. Du kannst warten.« Ich bürste mir die Haare auf und stecke Nadeln rein.

»Haben die Francinis damit zu tun?«

»Nein. Weil der kleine Daniele so schnieft, müssen sie zu Hause bleiben.« Ich lege den Schleier über die Krempe des neuen Huts, mit dem Jim mich überrascht hat, und setze ihn auf. Weitere Nadeln.

»Dann mein Kollege Eyers?«

»Ja, leider, obwohl ich eigentlich nicht wollte, dass dieser Tropf uns den ganzen Tag hinterherläuft. Fräulein Globocnik hat ihn eingeladen. Ich glaube, er hat sie dazu gezwungen.«

»Ah, dann gehen wir also irgendwo hin. Und mit der Globocnik, dieser androgynen Melancholikerin.«

»Ich habe keine Ahnung, was das bedeutet, Jim, aber behalte es für dich, weil es nicht besonders freundlich klingt.«

»Es bedeutet, die Globocnik sieht traurig und geschlechtslos aus.«

»Hör auf!«, kichere ich. Es ist zwar grausam, aber wahr. Aber sie kann Englisch – für mich hier immer eine Erleichterung –, und sie war so nett, unseren Tag zu organisieren. Ich ziehe meine Jacke an.

»Dann also ein Ausflug?«

»Ja, natürlich gehen wir irgendwohin, Jim, glaubst du denn, ich habe mich so rausgeputzt, nur um drinnen zu sitzen?« Ich drehe mich für Jim in meinem Kleid, das wenigstens über die Knöchel geht; bei meinem anschwellenden Bauch sah ich in dem anderen, das sich vorn so unziemlich anhob, schon allmählich aus wie eine Vogelscheuche. »Geht das so?«

»Mehr als das; du bist ganz reizend, Nora«, sagt Jim.

Wir fahren mit dem Dampfschiff zur Insel Brioni Grande, und es tuckert zierlich durch den Sund; Jim steht an der Reling und schaut rauchend auf das gläserne Meer, ich sitze auf einer Bank und mache das Gleiche.

»Die Brioni Grande ist bekannt für ihren Käse«, sagt Fräulein Globocnik, macht sonst aber keine weitere Bemerkung.

Ich betrachte ihr sauberes graues Kleid und wie ihre Haut farblich beinahe dazu passt. Sicher, sie ist nicht sehr ansehnlich, aber wenn sie sich etwas Mühe gäbe, wäre sie auch ein wenig hübsch. Eyers glotzt sie an und starrt dann in seiner brütenden Art weiter in die Ferne. Als das Fräulein an die Reling tritt, um aufs Wasser zu schauen, huscht Eyers heran und stellt sich sehr dicht hinter sie. Ich sehe, wie er die Hand auf ihre Hüfte legt und sie ihn wegstößt. Wieder drückt er sich neben sie, und ich beobachte amüsiert diese linkische kleine Jagd. Dann dreht das Fräulein den Kopf und sagt scharf etwas zu Eyers, worauf er knapp nickt und weggeht. Würde er doch endlich aufhören, Fräulein Globocnik zu belästigen.

Kaum von Bord, sind Eyers, das Fräulein und Jim entschlossen, die Ruinen der römischen villa rustica ein Stück weiter die Küste hinaus zu besichtigen, aber nach einer Weile kann ich nicht mehr. Ich sehe einen hübschen flachen Stein mit Blick über die Bucht und setze mich drauf.

»Ich bleibe hier sitzen, Jim, und verschnaufe ein bisschen.«

»Ich bleibe bei Ihnen, Signora Joyce«, sagt Fräulein Globocnik.

»Nein nein, ich will nur meine Zehen entlasten. Gehen Sie doch mit den anderen.« Auch Jim drückt sich noch bei mir herum, obwohl ich sehe, dass er unbedingt weiterwill. »Weg mit dir«, sage ich, denn er schaut sich zu gern alte Gebäude an und unterhält sich über ihre Geschichte mit Leuten, die sich damit auskennen.

Er küsst mir die Hand und schlendert mit dem Fräulein und Eyers weiter, und da fällt mir auf, wie entspannt er in seinem blassen Anzug und mit dem Hut auf diesem weißen Fels in der Adria wirkt. Er hat sich einen Schnurrbart stehen lassen, worauf er sehr stolz ist, und er sorgt sich, ob der mich an der Nase kitzelt und ich niesen muss, wenn wir uns küssen, aber ich bin nicht so grausam, ihm zu sagen, dass dieser Bart nichts als Flaum ist und ich ihn überhaupt nicht spüre. Jim hält sich für einen sehr hübschen Mann, was ja auch stimmt, und heute umgibt ihn ein Glücksschimmer.

Das Fräulein läuft neben Jim her, und sie wirkt tatsächlich ziemlich männisch, und ich frage mich, ob sie Frauen liebt, wie Jim mir angedeutet hat, und, wenn ja, was passiert, wenn sie beieinanderliegen. Kriechen sie übereinander her wie Jim und ich? Genügen Mund und Finger? Mir würde ja seine harte, sichere Kraft fehlen und die Nähe der beiden Körper bei der Vereinigung. Jims maneen tief in mir und wenn ich mich darauf bewege, das kommt für mich der Erhebung am nächsten; allein beim Gedanken daran wird mir warm. Ich ziehe die Nadeln aus dem Hut und fächle mir mit der Krempe Luft zu, obwohl es ein kühler Tag ist. Schon meine Gedanken erhitzen mich, jetzt, da ich schwanger bin, und ich kann von Jim nicht genug kriegen. Wir zerren nachts zwei-, dreimal aneinander, sodass ich an den meisten Tagen bis zum Abend gar nicht bequem gehen kann.

Jim, das Fräulein und Eyers verschwinden in den Fichten, und ich recke das Gesicht der Sonne entgegen, die in diesem Teil der Welt stets gegenwärtig ist, und frage mich, ob ich Irland wirklich vermisse. Den Regen von Galway jedenfalls nicht, und auch zum Schmutz von Dublin und dem unwandelbaren Trott meiner Arbeit in Finn’s Hotel zieht’s mich nicht zurück.

Jim hat mir erzählt, dass Stannie auf seine Bitte hin zum Finn’s gegangen ist, um zu sehen, ob sie wegen meines abrupten Weggangs sauer waren, aber dass sie nur sagten: »Miss Barnacle ist fortgegangen«, als wäre ich vom Angesicht der Erde getreten, um nie mehr zurückzukehren. Aber ja, es ist wohl richtig: Miss Barnacle ist tatsächlich fortgegangen, und an ihrer Stelle gibt’s jetzt eine andere Frau – ich bin eine Ehefrau (sozusagen) und werdende Mutter. Ich bin weder Nora aus Galway noch Miss Barnacle aus Dublin. Ich bin Signora Joyce aus Europa. Und ich merke, dass ich damit glücklicher bin denn je.

Jims Stimme und ein kleines Lachen wehen durch die Bäume, die den Pfad säumen, und da sehe ich auch schon meine drei Begleiter zurückkehren. Fräulein Globocnik stellt ihre Tasche ab und zieht ein Gummituch heraus. Darauf breitet sie ein Picknick aus Käse, Brot, Salami und Wein aus, und wir alle schreien auf, als sie noch mehr – Gläser, Tomaten und Schokolade – aus ihrer kleinen Tasche holt, die offenbar einen ganzen Markt aufnimmt. Jim setzt sich neben mich auf meinen Stein, das Fräulein belegt einen uns gegenüber; Eyers zwängt sich neben sie, worauf sie zusammenzuckt, sich aber sogleich wieder im Griff hat.

»Eyers hat mich wegen meiner Kompetenz im Italienischen aufgezogen, Nora«, sagt Jim.

»Ihre Version dieser Sprache ist tot, Joyce«, sagt Eyers. »Kommen Sie ins zwanzigste Jahrhundert, mein Alter, und gesellen sich zu den Lebenden.«

Ich bin für Jim brüskiert. »Wenn es eines gibt, was Jim kennt, Mr Eyers, dann sind es Wörter und Sprachen«, sage ich.

»Sie haben vollkommen recht, Signora Joyce«, sagt Fräulein Globocnik und reicht mir ein Glas Weißwein und ein Stück focaccia. »Ihr...

Erscheint lt. Verlag 18.4.2021
Übersetzer Eike Schönfeld
Sprache deutsch
Original-Titel Barnacle
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Autor • Beziehung • Briefe • dirty letters • Dublin • Ehe • Ehefrau von James Joyce • Emanzipation • Erotik • Frauen • Frauenbiografie • Frauenfigur • Frauenliteratur • Frauenroman • Gefühle • geschenke für freundin • Geschenk für Frauen • insel taschenbuch 4842 • Irland • IT 4842 • IT4842 • James Joyce • Klassiker • Liebe • Liebesbeziehung • Liebesbriefe • Literatur • Molly Bloom • Muse • Nora Barnacle • Paris • Romane • Romantik • Starke Frau • Starke Frauen • Triest • Ulysses • Weltliteratur
ISBN-10 3-458-76893-9 / 3458768939
ISBN-13 978-3-458-76893-7 / 9783458768937
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