Der Weg nach Hause (eBook)

Roman
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2021 | 1. Auflage
368 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-28425-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Weg nach Hause -  Sofia Lundberg
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Kann eine Freundschaft das Schicksal überstehen?
Es ist Sommer auf Gotland. Viola, die seit jeher auf der Insel lebt, verbringt glückliche Tage umgeben von ihren Töchtern, Enkeln und Urenkeln. Doch ein Anruf aus Paris stellt ihr Leben auf den Kopf. Jahrzehntelang hat sie die Stimme ihrer besten Freundin nicht gehört und jetzt teilt Lilly ihr mit, dass sie sterben wird. Viola steht unter Schock. Denn mit einem Mal sind sie wieder da - die längst verdrängten Erinnerungen an die Vertraute aus Kindertagen. Kurzerhand beschließt Viola nach Paris zu reisen, um Lilly zu suchen. Denn sie weiß, dass sie keinen Frieden finden wird, ehe sie nicht erfährt, warum Lilly damals ohne ein Wort verschwand ...

Sofia Lundberg wurde 1974 geboren und arbeitete als Journalistin in Stockholm, bevor sie sich ganz dem Schreiben von Büchern widmete. Mit ihrem Debütroman »Das rote Adressbuch« eroberte sie die schwedische Literatur- und Bloggerszene im Sturm, woraufhin die Rechte in über 30 Länder verkauft wurden.

VIOLA


12. AUGUST 1948


Die üppigen Büsche mit dunkelgrünen, glänzenden Blättern und perfekt geformten Blüten zieren das breite Beet am Zaun, der das Grundstück zur Straße hin begrenzt. Gelb, rot, rosa, weiß sind die Blütenblätter. Groß und klein. Unterschiedliche Sorten, aber alle von einer Gattung. Auf dem Boden liegen verwelkte Rosenblätter, die in der Wärme langsam vermodern und einen süßsauren Geruch verbreiten.

Viola kriecht vorsichtig unter die Büsche, zwischen den dicken Stämmen windet sich ein Gang hindurch, wie ein Geheimgang, den nur sie kennt. Ihre nackten Knie schaben über die trockene Erde, die Dornen bleiben im Stoff ihres Sommerkleids und in den Haaren hängen, reißen Strähnen aus ihrem Pferdeschwanz.

»Hundert! Ich komme!«

Die Stimme lässt Viola erstarren. Sie hält die Luft an, kauert sich zu einem kleinen Ball zusammen und versteckt ihren Kopf zwischen den Knien. Ihr Herz pocht wie wild in ihrer Brust.

Sie hört klatschende Schritte, die vorbeirennen, dann auf einmal zurückkommen und sich erneut entfernen. Sie atmet erleichtert aus. Eine ganz Ewigkeit hat sie die Luft angehalten, zumindest hat es sich so angefühlt. Sie macht flache, schnelle Atemzüge, ihr wird ganz schwindelig davon. Dann atmet sie einmal tief ein und hält wieder die Luft an.

Plötzlich breitet sich ein dunkler Schatten über ihr aus, sie dreht den Kopf und sieht eine Hand, deren Zeigefinger auf sie gerichtet ist.

»Nein, tu es nicht!«, flüstert sie und schüttelt den Kopf.

Aber es ist schon zu spät. Die klatschenden Schritte kommen zurück, und Viola hört ein helles Kichern.

»Ich sehe dich! Gefunden, gefunden!«

Viola seufzt und kriecht rückwärts aus ihrem Geheimgang unter den Rosenbüschen. Die Dornen zerkratzen ihre Arme.

»Das macht keinen Spaß, wenn du immer schummelst, Lilly. Alvin hat dir mein Versteck verraten, ich habe es genau gesehen«, sagt sie beleidigt und klopft sich die Erde von den Knien.

Lilly blinzelt Alvin zu, der am Gartenpfosten lehnt. Er zwinkert und fährt sich mit der Hand durch sein glänzendes goldbraunes Haar. Die Ärmel seines weißen Hemdes sind hochgekrempelt, dazu trägt er eine leicht zerknitterte braune Leinenhose.

»Danke, danke.« Lilly hüpft kichernd auf und ab, dass ihre Haare nur so wippen.

Alvin sieht sie lächelnd an, sagt aber kein Wort. Dann, ohne jede Vorwarnung, reißt er die Arme in die Luft und wedelt mit den Händen. Viola kreischt laut auf und rennt davon, Lilly jagt ihr hinterher. So schnell sie ihre Füße tragen, stürmen sie über die Steinplatten des Gartenweges, weiter über den trockenen braunen Rasen. Einmal um die Flaggenstange herum und dann durch das kleine Loch im Gartenzaun in den Nachbargarten.

Ihre Schreie und ihr Lachen gellen durch die Luft. Alvin folgt ihnen, zuerst geht er gemächlich, dann fängt er an zu rennen. Er stützt sich mit den Händen auf dem Zaun ab und schwingt sich seitwärts hinüber. Seine Beine sind länger als die der Mädchen, wesentlich länger. Er holt sie ein und schnappt sich zuerst Viola, hält sie mit einem Arm und wirbelt sie herum. Lilly rennt hinzu und greift nach Violas Beinen.

»Lass sie los, lass sie los«, ruft sie und trommelt mit den Fäusten auf Arme und Beine ihres Bruders.

Aber Alvin hört nicht auf sie. Er lacht und nimmt Lilly unter den anderen Arm, dreht sich hin und her. Er ist so stark. Die Mädchen kreischen und kichern mit geröteten Wangen und fliegenden Haaren.

Die Sonnenstrahlen sind warm, man kann das rhythmische Rauschen der Wellen hören, die am Strand brechen. Die Schwalben fliegen tief über die Dächer und singen ihre schönen Lieder. Ein weiterer herrlicher Sommertag.

Aber dann hält Alvin abrupt inne, setzt die Mädchen ab. Auf der Treppe vor dem Haus mit der langsam bröckelnden Fassade sitzt sein Vater Walle und starrt mit eingefallenen Wangen und leerem Blick vor sich auf den Boden. In Violas Nachbarhaus, wo Alvin und Lilly wohnen, gibt es so viele Kinder, dass sie manchmal mit dem falschen Namen gerufen werden. Acht Kinder.

Neun.

Denn Walle hält ein Bündel in seinen Armen. Lilly stürmt auf ihn zu, klettert die Steintreppe auf allen vieren hoch und reckt ihren Hals, um das neue Baby zu begutachten.

»Ist es schon da? Was ist es geworden, ein Mädchen oder ein Junge?«, fragt sie aufgeregt und zupft an der Decke, in die das Neugeborene eingewickelt ist. Ein kleiner roter Kopf kommt zum Vorschein.

»Warum sitzt du hier draußen?«, fragt Alvin misstrauisch.

Walle legt seinem Sohn das Baby in den Arm. Dann räuspert er sich mit Tränen in den Augen.

»Es wird viel zu tun geben«, sagt er nur und geht ohne ein weiteres Wort der Erklärung zurück ins Haus.

Lilly folgt ihm, sie greift nach seinem Hosenbein. Auch Alvin verschwindet mit hochgezogenen Schultern im Haus, das neue Geschwisterchen fest an seine Brust gedrückt.

Viola bleibt allein zurück. Sie wischt sich mit dem Arm über die Stirn, die vom wilden Fangenspielen schweißnass ist, und setzt sich auf den Rasen. Starrt zum Haus ihrer besten Freundin.

Ein gellender Schrei durchschneidet die Luft, und sie zuckt zusammen.

Er ist herzzerreißend.

Es ist Lillys Stimme.

* * *

Viola sitzt wie versteinert da, den Blick auf das geöffnete Fenster im ersten Stock geheftet. Aus dem gerade Lillys Schrei nach draußen gedrungen ist, wie ein eiskalter Wind.

Es ist nicht totenstill im Haus, im Gegenteil. Sie hört viele Stimmen, die aufgeregt durcheinanderreden. Dann folgen dumpfe Geräusche, als jemand die Treppe hinunterrennt. Alvin stürmt durch die Tür, mit angstverzerrtem Gesicht fliegt er förmlich die Eingangstreppe hinunter, drei Stufen auf einmal, läuft auf das Gartentor zu und verschwindet. Zurück bleibt eine Staubwolke.

Viola sieht ihm lange hinterher. Erst als er außer Sichtweite ist, nähert sie sich mit zögernden Schritten der Eingangstür und geht ins Haus. Still bleibt sie im Flur stehen, sieht sich um.

Es riecht abgestanden, wie so oft hier. Nach Schweiß und aufgewärmtem Brei. Und nach Ruß vom Holzofen. Aber heute mischt sich noch ein anderer, unbekannter Geruch dazu.

Auf der Bank in der Küche sitzen die Kleinsten nebeneinander, artig und mit ernster Miene: Edgar, Sonja und Siv, die die Jüngste, die einjährige Rosa, auf dem Schoß hält. Viola winkt und wirft ihnen eine Kusshand zu.

»Ich komme gleich wieder runter«, sagt sie und geht weiter.

Lillys Schrei ist verstummt und wurde vom leisen und jämmerlichen, aber dennoch durchdringenden Weinen des Neugeborenen ersetzt. Viola schleicht die Treppe hoch, umklammert mit beiden Händen das Geländer. Im ersten Stock drängen sich die Räume aneinander, es wurden Wände eingezogen, um alle Kinder unterzubringen. Sie teilen sich ein Zimmer zu zweit, die Kleinsten auch ein Bett.

Die Tür des Elternschlafzimmers steht offen. Viola kann Gertrud sehen, sie hat das Baby im Arm und wiegt es hin und her. Auf dem Boden vor ihr kauert Lilly, sie hat die Arme um ihre Knie geschlungen. Hinter ihnen auf dem Bett sitzt ihr Vater und hat das Gesicht in seinen groben, rissigen Händen vergraben.

Viola stellt sich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können. Sie sucht nach Lillys Mutter, aber kann sie nirgends entdecken.

Der sonderbare Geruch ist hier oben noch viel intensiver, es riecht nach Metall. Auf dem Boden im Schlafzimmer steht ein grauer Zinkeimer, bis obenhin voll mit rotbraunen blutgetränkten Lappen. Viola weicht instinktiv zurück, aber da bemerkt Lilly sie. Die beiden Freundinnen sehen einander wortlos an.

Das unbeschwerte Lachen und das ausgelassene Spiel vom Vormittag sind auf einmal so unendlich weit entfernt. Lillys Gesicht ist bleich, und ihre Lippen sind blau angelaufen, als hätte sie vergessen zu atmen. Sie steht auf, greift nach Violas Hand und lässt ihre große Schwester und ihren Vater im Zimmer zurück. Ganz fest hält sie Violas Hand, bis sie draußen im Garten stehen.

»Warum seid ihr alle so traurig? Ist das Baby krank?«, flüstert Viola. Sie wagt es nicht, lauter zu sprechen. Alle wirken so furchtbar ernst.

Lilly antwortet nicht, sondern setzt ihren Weg fort, sie schiebt sich durch das Loch im Zaun, durch das man in Violas gepflegten, üppig blühenden Garten gelangt. Unter einer stattlichen Weißtanne leuchtet Violas rosa Spielhäuschen. Die Tür klemmt, als Lilly sie aufzieht, sie hat sich verzogen, ist auf dem feuchten Boden aufgequollen. Die Holzdielen knarren.

»Wir müssen den Boden wischen und alles aufräumen, so kann das nicht bleiben«, sagt Lilly entschlossen. Sie greift nach einem kleinen Kinderbesen und fegt damit wie besessen den Boden.

»Warum weint das Baby so? Hat deine Mutter keine Milch?«

Lilly stellt den Besen beiseite und deckt den kleinen Tisch mit dem Porzellangeschirr.

»Ich werde hier wohnen müssen. Ist das in Ordnung?«

»Warum sagst du so komische Sachen? Was meinst du damit?«

Lilly lässt sich auf einen der beiden Stühle fallen. Die Mädchen sind schon fast neun Jahre alt und langsam zu groß für die kleinen Kindermöbel.

»Das hier ist ein perfektes Zuhause. Hier gibt es alles, was ich brauche. Im Winter wird es vielleicht ein bisschen kalt werden, aber dann darf ich mich doch bei dir im Haus aufwärmen, oder?«

Viola sieht durch das kleine Fenster des Spielhäuschens, wie Alvin mit einigen Sachen im Arm zurückkommt. Im Schlepptau hat er eine Frau, die ein graues Kleid mit gestärkter Schürze und auf dem Kopf eine kleine weiße Haube trägt, die...

Erscheint lt. Verlag 30.8.2021
Übersetzer Kerstin Schöps
Sprache deutsch
Original-Titel Som en fjäder i vinden
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Beste Freundin • Buch Bücher Roman 2021 • buchempfehlungen 2021 • Bücher über starke Frauen • eBooks • Elizabeth Strout • Frankreich • Frauenfreundschaft • Freundschaft • Geschen für Frau Freundin • Laetitia Colombani • Neuerscheinungen 2021 • Roman • Romane • Romane Bestseller 2020 frauen • Romane Bestseller 2021 Frauen • Schweden • Skandinavien • Spiegel-Bestellerautorin • Spiegel-Bestsellerautorin
ISBN-10 3-641-28425-2 / 3641284252
ISBN-13 978-3-641-28425-1 / 9783641284251
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