Eine Bibliothek in Paris (eBook)

Roman
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2021 | 1. Auflage
560 Seiten
Blanvalet (Verlag)
978-3-641-26053-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Eine Bibliothek in Paris -  Janet Skeslien Charles
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Bücher sind das Licht in der Dunkelheit, der Hoffnungsschimmer in der Not ...
Montana, 1983. Auf der Suche nach Abenteuern lernt die zwölfjährige Lily ihre Nachbarin Odile kennen. Zwischen dem Teenager und der alten Dame entwickelt sich eine zarte Freundschaft. Doch als Lily mehr über die Vergangenheit Odiles herausfindet, stellt sie fest, dass diese unter einem tragischen Geheimnis leidet ...
Paris, 1939. Für Odile geht ein Traum in Erfüllung: Sie hat eine Anstellung an der renommierten Amerikanischen Bibliothek in Paris erhalten. Große literarische Werke in Händen halten und dabei den Duft alter Buchseiten einatmen - etwas Schöneres kann sich die Französin nicht vorstellen. Als die Nazis jedoch in Paris einmarschieren, droht Odile alles zu verlieren, was ihr lieb ist. Auch ihre Bibliothek. Gemeinsam mit einigen Mitarbeitern schließt sie sich dem Widerstand an und kämpft mit den besten Waffen, die ihr zu Verfügung stehen: Büchern. Doch dann unterläuft Odile ein fataler Fehler ...
Inspiriert von der realen Geschichte der Pariser Bibliothekare, die während des Zweiten Weltkriegs ihr Leben riskierten - mit Zusatzmaterial zum wahrend Hintergrund im Buch!

Janet Skeslien Charles wuchs in Montana auf. Nach ihrem Studium unterrichtete sie fünfzehn Jahre lang Englisch, Französisch und Kreatives Schreiben, zunächst in der Ukraine, dann in den USA und schließlich in Frankreich, wo sie später eine Stelle an der Amerikanischen Bibliothek in Paris antrat. Dort erfuhr sie von der außergewöhnlichen Geschichte der Bibliothekare, die zur Zeit des Zweiten Weltkriegs ihr Leben für ihre Leser und Bücher riskierten - und genau diese Geschichte wurde die Inspiration für ihren Roman »Eine Bibliothek in Paris«.

KAPITEL 1

ODILE

Paris, Februar 1939

Zahlen über mir wie Sternbilder. 823. Die Zahlen waren der Schlüssel zu einem neuen Leben. 822. Konstellationen der Hoffnung. 841. Spätabends in meinem Schlafzimmer, am Morgen auf dem Weg zum Bäcker, für die Croissants, tat sich vor meinem geistigen Auge eine Abfolge nach der anderen auf: 810, 840, 890. Sie standen für Freiheit, für die Zukunft. Zusammen mit den Zahlen hatte ich die Geschichte der Bibliotheken bis zurück ins fünfzehnte Jahrhundert studiert. Während Heinrich VIII. in England einer Ehefrau nach der anderen den Kopf abschlagen ließ, modernisierte unser König François seine Bibliothek und machte sie den Gelehrten zugänglich. Seine königliche Sammlung bildete den Grundstock der Bibliothèque Nationale. Jetzt bereitete ich mich am Schreibtisch meines Zimmers auf mein Vorstellungsgespräch an der American Library vor und ging dazu ein letztes Mal meine Notizen durch: gegründet 1920; die erste in Paris, die der Öffentlichkeit Zugang zu ihrer Sammlung erlaubte; Subskribenten aus mehr als dreißig Ländern, ein Viertel davon aus Frankreich. An diese Fakten und Zahlen klammerte ich mich in der Hoffnung, mich damit vor der Leiterin, der Directress, als qualifiziert zu erweisen.

Ich lief von der Wohnung meiner Familie an der rußgeschwärzten Rue de Rome zum Bahnhof Saint-Lazare mit seinen Rauch spuckenden Lokomotiven. Der peitschende Wind hatte ein paar Haarsträhnen gelöst, die ich unter meine Baskenmütze zurückschob. In der Ferne ragte die schwarze Kuppel von Saint-Augustin auf. Religion: 200. Altes Testament: 221. Und das Neue Testament? Ich wartete, aber die Zahl wollte sich nicht einstellen. Ich war so nervös, dass ich einfachste Fakten vergaß. Ich zog mein Notizbuch aus der Tasche. Ach ja: 225. Wusste ich es doch.

Mein Lieblingsgebiet auf der Bibliotheksschule war die Dewey-Dezimalklassifikation. 1873 vom amerikanischen Bibliothekar Melvil Dewey erdacht, ordnete sie in zehn Klassen Bibliotheksbücher nach Fachgebieten. Für alles stellte sie eine Zahl bereit und erlaubte so den Lesern, in jeder Bibliothek jedes Buch zu finden. Maman beispielsweise war stolz auf ihre 648 (Hauswirtschaft). Papa würde es zwar herunterspielen, aber er erfreute sich sehr an 785 (Kammermusik). Mein Zwillingsbruder war eher ein 636.8-Mensch, wohingegen ich 636.7 bevorzugte. (Katzen beziehungsweise Hunde.)

Ich erreichte le grand boulevard, wo ein einziger Häuserblock reichte, um die Stadt ihren Arbeiterkittel abstreifen und sie in den Nerzmantel schlüpfen zu lassen. Der vulgäre Geruch von Kohle machte Platz für Joy, den honigsüßen Jasminduft, der die Frauen umwehte, die sich an den im Schaufenster ausgestellten Nina-Ricci-Kleidern und grünen Lederhandschuhen von Kislav ergötzten. Ein Stück weiter wich ich Musikern aus, die aus einem Laden kamen, der gebrauchte Partituren verkaufte, passierte den Barockbau mit der blauen Tür und bog dann in eine schmale Seitengasse ein. Ich kannte den Weg im Schlaf.

Ich liebte Paris, die Stadt voller Geheimnisse. Wie Bucheinbände, einige aus Leder, andere aus Stoff, führte jede Pariser Tür in eine aufregende Welt. Alles war möglich, von einem Haufen ineinandergeschobener Fahrräder auf dem Hof bis zu einer molligen Concierge mit Besen. Hinter der massiven Holztür der Library jedoch fand man sich in einem geheimen Garten wieder. Gesäumt von Petunienrabatten auf der einen, von Rasen auf der anderen Seite, führte ein weißer Kiesweg zu einem aus Ziegeln und hellem Stein errichteten Gebäude. Unter den einträchtig nebeneinanderflatternden Flaggen Frankreichs und Amerikas trat ich über die Schwelle und hängte meine Jacke an den wackeligen Garderobenständer. Ich sog den besten Duft der Welt in mich auf – eine Melange aus dem moosigen Geruch muffiger Bücher und dem druckfrischer Zeitungsseiten – und hatte das Gefühl, nach Hause gekommen zu sein.

Da ich für das Vorstellungsgespräch einige Minuten zu früh dran war, ging ich um den Ausleihschalter herum, wo der immer liebenswürdige Bibliothekar für alle Fragen der Subskribenten ein offenes Ohr hatte (»Wo kann man in Paris ein anständiges Steak essen?«, erkundigte sich ein Neuankömmling in Cowboystiefeln. »Warum muss ich die Gebühr bezahlen, obwohl ich das Buch gar nicht ausgelesen habe?«, beschwerte sich die zänkische Madame Simon und betrat die Stille des gemütlichen Lesesaals.

An einem Tisch vor den bis auf den Boden reichenden Fenstern las Professorin Cohen die Zeitung, eine kecke Pfauenfeder im Chignon; Mr. Pryce-Jones widmete sich Pfeife paffend der Times. Normalerweise hätte ich guten Tag gesagt, aber ich war wegen meines Vorstellungsgesprächs so aufgeregt, dass ich Zuflucht in meiner Lieblingssektion des Magazins suchte. Für mich gab es nichts Schöneres, als von Geschichten umgeben zu sein, manche so alt wie die Zeit, andere erst im letzten Monat erschienen.

Ich überlegte, einen Roman für meinen Bruder auszusuchen. Immer öfter und zu allen möglichen Nachtzeiten wurde ich wach und hörte ihn seine Traktate tippen. Wenn Rémy nicht gerade Artikel darüber verfasste, wie Frankreich den durch den Bürgerkrieg aus Spanien Vertriebenen helfen solle, warnte er davor, dass Hitler sich Europa einverleiben würde, wie er das bereits mit einem Stück der Tschechoslowakei getan hatte. Ein gutes Buch war das Einzige, was Rémy seine Sorgen – soll heißen die Sorgen anderer – vergessen ließ.

Meine Finger strichen über die Buchrücken. Um auszuwählen, schlug ich die Bücher stets an einer zufälligen Stelle auf. Ich beurteilte nie ein Buch aufgrund seiner Anfangszeilen. Das käme einer Verabredung gleich, die mit einem viel zu strahlenden Lächeln begann, das unmöglich anhalten konnte. Nein, ich schlug eine Seite in der Mitte auf, wo der Autor oder die Autorin mich nicht zu beeindrucken versuchte. Es gibt Licht im Leben, aber es gibt auch Schatten; Sie sind Licht. Oui. Merci, Mr. Stoker. Das sollte ich Remy unbedingt sagen.

Jetzt war es aber höchste Zeit. Ich eilte zum Ausgabeschalter, unterschrieb die Karte und steckte Dracula in meine Tasche. Die Directress erwartete mich schon. Wie immer hatte sie ihr kastanienbraunes Haar zu einem Knoten aufgesteckt und hielt einen silbernen Füller in der Hand.

Miss Reeder kannten alle. Sie schrieb Zeitungsartikel und überzeugte im Radio, lud alle ein, in die Library zu kommen: Studenten, Lehrer, Soldaten, Ausländer und Franzosen. Unerschütterlich hielt sie daran fest, dass dies ein Ort für alle war.

»Ich bin Odile Souchet. Entschuldigen Sie meine Verspätung. Ich war früh dran und habe ein Buch aufgeschlagen …«

»Lesen ist gefährlich«, entgegnete Miss Reeder mit einem wissenden Lächeln. »Lassen Sie uns in mein Büro gehen.«

Ich folgte ihr durch den Lesesaal, wo die Subskribenten in schicken Anzügen ihre Zeitungen senkten, um einen Blick auf die berühmte Directress zu erhaschen, dann über eine Wendeltreppe nach oben und weiter auf dem Flur in den geheiligten »Nur für Mitarbeiter«-Flügel und in ihr Büro, wo es nach Kaffee duftete. An der Wand hing die große Luftaufnahme einer Stadt, deren Straßenzüge an ein Schachbrett erinnerten, völlig anders als das Straßen- und Gassengewirr von Paris.

Weil sie mein Interesse bemerkte, sagte sie: »Das ist Washington, D.C. Ich habe dort in der Library of Congress gearbeitet.« Sie bedeutete mir, mich zu setzen, und nahm an ihrem Schreibtisch Platz, der von Papieren übersät war – einige versuchten, ihrer Ablage zu entkommen, andere wurden durch das Gewicht eines Lochers an Ort und Stelle gehalten. Auf der Ecke stand ein glänzendes schwarzes Telefon. Ich entdeckte Romane von Isak Dinesen und Edith Wharton. Lesezeichen in Form leuchtender Bänder winkten aus beiden und luden die Directress zum Weiterlesen ein.

Was für eine Art Leserin mochte Miss Reeder sein? Keinesfalls würde sie wie ich in Ermangelung eines marque-page Bücher aufgeschlagen herumliegen lassen. Sie würde sie niemals unter ihrem Bett stapeln. Würde vier oder fünf gleichzeitig lesen. Aber sie hätte gewiss immer ein Buch in ihrer Handtasche dabei für Busfahrten durch die Stadt. Eins, zu dem eine gute Freundin ihre Meinung erbeten hatte. Ein weiteres, von dem keiner jemals etwas erfahren würde, ein heimliches Vergnügen für einen verregneten Sonntagnachmittag …

»Wer ist Ihr Lieblingsautor?«, wollte Miss Reeder wissen.

Wer ist Ihr Lieblingsautor? Eine unmögliche Frage. Wie konnte man sich für nur einen entscheiden? Tatsächlich hatten meine Tante Caro und ich Kategorien entwickelt – tote Autoren, lebende, fremdsprachige, französische und viele andere mehr –, um uns nicht entscheiden zu müssen. Ich dachte an die Bücher im Leseraum, die ich gerade erst berührt hatte, Bücher, die mich berührt hatten. Ich bewunderte Ralph Waldo Emersons Denkweise: Ich bin nicht einsam, wenn ich lese und schreibe, obschon niemand bei mir ist, wie auch die von Jane Austen. Obwohl die Autorin im neunzehnten Jahrhundert schrieb, war für viele Frauen die Situation immer noch die gleiche: Ihr Geschick lag in den Händen dessen, von dem sie geheiratet wurden. Vor drei Monaten, als ich meinen Eltern mitteilte, dass ich keinen Ehemann brauchte, schnaubte Papa nur und brachte von da an zu jedem sonntäglichen Mittagessen einen anderen Untergebenen aus der Arbeit mit. Wie den Truthahn, den Maman mit Petersilie bestreute, präsentierte mir Papa jeden davon wie auf dem Servierteller: »Marc hat noch keinen Tag in der Arbeit gefehlt, nicht mal als er Grippe...

Erscheint lt. Verlag 15.11.2021
Übersetzer Elfriede Peschel
Sprache deutsch
Original-Titel The Paris Library
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2. Weltkrieg • Abenteuerroman • Amerikanische Bibliothek • Anthony Doerr • Bibliothek • Buchclub • Die Bücherdiebin • dunkles Geheimnis • eBooks • Frankreich • Frauenfreundschaft • Frauenschicksal • Freiheitskampf • Historische Romane • Historischer Roman • Kristin Hannah • Lesekreis • Libellenschwestern • Lisa Wingate • Montana • Paris • Roman • Romane • Taschenbuch Neuerscheinung 2021 • wahre Begebenheiten • Weltkrieg • Widerstand • Zusatzmaterial • Zweiter Weltkrieg • zwei Zeitebenen
ISBN-10 3-641-26053-1 / 3641260531
ISBN-13 978-3-641-26053-8 / 9783641260538
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