Der Klang der Wälder (eBook)

Roman | Ein Schmöker voller Poesie über die alles verändernde Kraft der Musik
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
238 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-76878-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Klang der Wälder -  Natsu Miyashita
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Als der junge Tomura einem Klavierstimmer bei der Arbeit lauscht, fühlt er sich durch den Klang in die hohen, rauschenden Wälder seiner Kindheit zurückversetzt, und fortan prägt die Leidenschaft für die Musik sein Leben. Er lernt das Handwerk des Klavierstimmens, doch bei aller Hingabe auf der Suche nach dem perfekten Klang ist da stets die Angst vor dem Scheitern. Als er das Klavier der beiden Schwestern Kazune und Yuni stimmen soll, muss er erkennen, dass es dabei um mehr geht als um technische Versiertheit. Und als er Kazune, die angehende Konzertpianistin, dann spielen hört, spürt er die Bestimmung seines Lebens: ihr Spiel zum Strahlen zu bringen.

Ein Roman voller Poesie über die alles verändernde Kraft der Musik.



<p>Natsu Miyashita wurde 1967 in der japanischen Präfektur Fukui geboren. Sie liest für ihr Leben gern und spielt Klavier, seit sie klein war. Für <em>Der Klang der Wälder </em>erhielt sie den renommierten japanischen Buchhändlerpreis. <em>Der Klang der Wälder</em> war in Japan ein Millionenbestseller und wurde 2018 von Kojiro Hashimoto verfilmt.</p>

1


Ich konnte den Wald riechen. Einen herbstlichen Wald in der Dämmerung, wenn der Wind durch die Bäume fegt und das Laub raschelt. Den feuchten Duft des Waldes bei Einbruch der Nacht.

Nur, da war kein Wald. Und dennoch roch ich das welke Herbstlaub, spürte die sich herabsenkende Dunkelheit, während ich mich doch nur in einer Turnhalle aufhielt.

Der Unterricht war vorbei, die Halle verlassen. Ich wartete am Rand und beobachtete den Mann, den ich gerade hereinbegleitet hatte.

Vor mir stand das Klavier. Imposant, glänzend schwarz, mit geöffnetem Deckel – ein Konzertflügel. Der Mann ging darauf zu. Er warf einen flüchtigen Blick in meine Richtung, aber ich brachte kein Wort heraus. Er schlug ein paar Tasten an und erneut entstieg dem geöffneten Deckel der Duft von warmer Erde und raschelndem Laub. Die Dunkelheit rückte allmählich näher. Ich war siebzehn.

Weshalb der Lehrer gerade mich gebeten hatte, den Besucher in die Turnhalle zu führen, lag wohl daran, dass er mich als Letzten im Klassenzimmer angetroffen hatte.

Ich war im zweiten Semester des Abschlussjahrgangs in der Phase der Zwischenprüfungen, wo sämtliche Clubaktivitäten ruhten. Entsprechend eilig hatten es meine Klassenkameraden, von hier wegzukommen. Ich hatte keine Lust gehabt, ins Wohnheim auf mein einsames Zimmer zurückzukehren und wollte mich stattdessen in die Bibliothek setzen, um zu lernen.

»Hör mal, Tomura-kun«, sprach mich der Lehrer an. »Wir erwarten heute Nachmittag einen Besucher, ich muss aber in eine Dienstbesprechung. Kannst du ihn bitte in die Turnhalle führen? Er kommt um vier. Das wäre nett.«

Ich erklärte mich einverstanden. Es kam häufig vor, dass man mich um Gefälligkeiten bat. Vermutlich wirkte ich einfach hilfsbereit oder wie jemand, der schwer Nein sagen konnte. Vielleicht dachte man auch, ich hätte sonst nichts vor. Zugegeben, das stimmte. Ich hatte reichlich Zeit und keinerlei Verpflichtungen. Auch keine Hobbys. Ich wollte einfach nur den Schulabschluss einigermaßen hinkriegen und hinterher einen vernünftigen Job finden, um mein Leben irgendwie zu meistern. So dachte ich damals.

»Wer kommt denn?«

Der Lehrer, schon im Gehen begriffen, drehte sich zu mir um:

»Der Stimmer.«

Komisch, das Wort hatte ich noch nie gehört. Kam er, um die Klimaanlage zu justieren? Aber wieso musste er dazu in die Turnhalle? Na ja, das konnte mir im Grunde egal sein. Um die Zeit totzuschlagen, verbrachte ich die nächste Stunde im Klassenzimmer, wo ich für den Test am nächsten Tag japanische Geschichte paukte.

Als ich kurz vor vier am Haupteingang eintraf, wartete der Mann bereits an der Glastür. Er trug ein braunes Jackett und hatte eine Art Koffer bei sich.

»Sie kommen wegen der Klimaanlage?«, fragte ich, während ich ihm von innen öffnete.

»Mein Name ist Itadori, von Etō Musikinstrumente.«

Musikinstrumente? Dann war dieser ältere Mann vielleicht gar nicht der Besucher, den ich empfangen sollte? Ich hätte mich beim Lehrer vorsichtshalber nach dem Namen erkundigen sollen.

»Kobuta-san sagte mir, dass er heute wegen einer Besprechung nicht abkömmlich sei. Das ist nicht weiter schlimm. Hauptsache, du zeigst mir den Weg.«

»Sie müssen zur Turnhalle, richtig?«, vergewisserte ich mich, während ich ihm die braunen Slipper für Gäste bereitstellte.

»Ja, heute ist der Flügel dort dran.«

Was hat er denn damit vor?, wunderte ich mich, aber weiter reichte meine Neugierde nicht.

»Hier entlang, bitte.«

Ich ging voran, er folgte mir dicht auf den Fersen. Der Koffer schien einiges zu wiegen. Ich führte ihn bis zum Flügel und wollte mich gleich zurückziehen. Der Mann stellte sein Gepäck auf den Boden und nickte mir zu. Ich dachte, damit sei die Sache erledigt, und verneigte mich ebenfalls, um mich zu verabschieden. In der Halle, wo normalerweise um diese Zeit die Volleyball- und Basketball-AGs lautstark trainierten, war es mucksmäuschenstill. Durch die Oberlichter fiel sanftes Abendlicht herein.

In dem Moment, als ich den Rückweg über den Korridor antrat, ertönte hinter mir der Flügel. Ich blieb stehen und lauschte dem sanften und rhythmischen Klang. Eine tiefe Wehmut erfasste mich, als ich die Töne vernahm, die mir konkret wie greifbare Formen erschienen. Ich empfand sie als ungemein wohltuend, ohne ihr eigentliches Wesen erfassen zu können. So kam es mir jedenfalls vor.

Der Mann beachtete mich nicht und schlug weitere Tasten an. Er spielte nichts Besonderes, sondern schien nur den Klang der einzelnen Töne zu prüfen. Ich blieb eine Weile am Rand stehen, bevor ich erneut auf den Flügel zuging.

Ich schien den Mann nicht zu stören. Er trat einen Schritt von der Klaviatur zurück, um den Deckel zu öffnen. Dieser Deckel … er sah aus wie eine Vogelschwinge. Der Mann hob die Schwinge und befestigte sie mit einem Metallstab. Dann schlug er weitere Tasten an.

In diesem Moment rieche ich den Wald. Die Schwelle des Waldes, bei Einbruch der Nacht. Ich will ihn betreten, halte jedoch inne. Denn der düstere Wald birgt Gefahren. Früher erzählte man mir oft Geschichten von Kindern, die sich im Wald verirrt und nicht mehr zurückgefunden hatten. Man durfte nicht mehr in den Wald, wenn die Sonne unterging, denn das geschah viel schneller, als man tagsüber vermuten würde.

Mein Blick fiel auf den inzwischen geöffneten Koffer. Er enthielt die verschiedensten Werkzeuge. Werkzeuge, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Was wollte er damit anstellen? Ich traute mich nicht, ihn zu fragen. Wer fragte, verpflichtete sich. Wenn er mir antwortete, müsste ich wiederum etwas entgegnen. Die Frage schwirrte gestaltlos in meinem Kopf herum, ohne dass ich sie formulieren konnte. Vielleicht weil mir nichts einfiel, was ich anschließend hätte sagen können.

Was haben Sie mit dem Flügel vor? Was möchten Sie mit dem Flügel machen? Oder: Was werden Sie an dem Klavier tun?

Damals hatte ich keine Ahnung, wie ich es am besten ausdrücken sollte. Sogar heute wüsste ich es noch nicht. Aber ich wünschte mir immer wieder, ich hätte ihn gefragt. Ich hätte mich einfach trauen sollen, ihm die entscheidende Frage, die sich mir aufdrängte, zuzumuten, auch wenn sie noch keine richtige Form besaß. Dann wäre es mir später erspart geblieben, immer wieder nach Antworten suchen zu müssen. Sofern mich seine Erklärung zufriedengestellt hätte …

Ich stand also einfach bloß da und schaute ihm schweigend zu, um ihn nicht bei der Arbeit zu stören.

In meiner Grundschulzeit hatten meine Lehrer im Musikunterricht öfter Klavier gespielt, und wir Kinder hatten dazu gesungen. Es hatte dort zwar keinen so imposanten Flügel gegeben wie diesen hier, aber der Klang eines Klaviers war mir seit damals vertraut. Aber nun erschien mir dieses große schwarze Instrument völlig neu. Zumindest erhielt ich zum ersten Mal einen Einblick in das Innenleben unter den geöffneten Schwingen, der mir fast intim vorkam. Es überraschte mich auch, dass die ihm entlockten Töne auf meiner Haut vibrierten.

Ich konnte den Wald riechen. Im Herbst, in der Abenddämmerung. Ich stellte meine Schultasche ab und lauschte den Tönen, die sich nun abwechselten. Zwei Stunden mochten vergangen sein, aber ich merkte nicht, wie die Zeit verstrich. Die Herbsttage wurden allmählich kürzer. Es war Anfang September gegen sechs Uhr abends, noch war es hell und die Luft relativ trocken. Aber im Gegensatz zum verbliebenen Tageslicht in der Stadt, gelangten die letzten Sonnenstrahlen nicht über die hohen Bäume hinweg bis in das abgelegene Bergdorf. Man kann schon den leisen Atem der auf die Nacht lauernden Kreaturen in der Umgebung erahnen. Ein ruhiger, warmer und tiefer Hauch. So klangen die Töne des Flügels.

»Der Flügel ist ziemlich alt.«

Endlich sagte der Mann etwas, wahrscheinlich, weil er bald mit der Arbeit fertig war.

»Er hat einen ganz samtigen Klang.«

Ich nickte bloß, weil ich nicht sicher war, was genau er damit meinte.

»Ein guter Flügel.«

Ich nickte abermals.

»Früher waren die Zeiten in den Bergen und auf den Weiden besser.«

»Wie bitte?«

»Nun ja, die Schafe in den Bergen haben...

Erscheint lt. Verlag 15.2.2021
Übersetzer Sabine Mangold
Sprache deutsch
Original-Titel HITSUJI TO HAGANE NO MORI
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Asiatische Literatur • Bestseller • Bestseller-Autorin • Geschenkbuch • Han Kang • Haruki Murakami • insel taschenbuch 4917 • IT 4917 • IT4917 • Japan • Japanisch • japanische Autorin • Japanische Literatur • kawakami • Klavier • Klavierbauer • Klavierliebhaber • Klavierstimmer • Mieko Kawakami • Murakami • Musik • Musikliebhaber • neues Buch • Piano
ISBN-10 3-458-76878-5 / 3458768785
ISBN-13 978-3-458-76878-4 / 9783458768784
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