Marie Antoinette (eBook)

(Autor)

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2021 | 1. Auflage
576 Seiten
Anaconda Verlag
978-3-641-27644-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Marie Antoinette -  Stefan Zweig
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Marie Antoinette wäre wohl ihr Lebtag eine ganz durchschnittliche Adlige am Hof von Versailles geblieben, so Stefan Zweig: »Sie hätte getanzt, geplaudert, geliebt, gelacht, sich aufgeputzt, Besuche gemacht und Almosen gegeben« - wäre ihr nicht die Weltgeschichte in die Quere gekommen. Denn in der Französischen Revolution wurde die Ehefrau König Ludwigs XVI. den Bürgern zum Hassobjekt schlechthin. Ihr eigentümlicher Weg vom Boudoir zur Guillotine war ein idealer Stoff für den unvergleichlich klugen und stilistisch brillanten Biografen Stefan Zweig.

Stefan Zweig (1881-1942) wuchs als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Wien auf. Er schrieb Gedichte, Novellen, Dramen und Essays, die 1933 der Bücherverbrennung der Nationalsozialisten zum Opfer fielen. Seit 1938 auf der Flucht, lebte der engagierte Pazifist und Humanist zuletzt in Brasilien, wo er zusammen mit seiner Ehefrau Selbstmord beging.

EINLEITUNG


Die Geschichte der Königin Marie Antoinette schreiben, heißt einen mehr als hundertjährigen Prozess aufnehmen, in dem Ankläger und Verteidiger auf das Heftigste gegeneinander sprechen. Den leidenschaftlichen Ton der Diskussion verschuldeten die Ankläger. Um das Königtum zu treffen, musste die Revolution die Königin angreifen, und in der Königin die Frau. Nun wohnen Wahrhaftigkeit und Politik selten unter einem Dach, und wo zu demagogischem Zweck eine Gestalt gezeichnet werden soll, ist von den gefälligen Handlangern der öffentlichen Meinung wenig Gerechtigkeit zu erwarten. Kein Mittel, keine Verleumdung gegen Marie Antoinette wurde gespart, um sie auf die Guillotine zu bringen, jedes Laster, jede moralische Verworfenheit, jede Art der Perversität in Zeitungen, Broschüren und Büchern der »louve autrichienne« unbedenklich zugeschrieben; selbst im eigenen Haus der Gerechtigkeit, im Gerichtssaal, verglich der öffentliche Ankläger die »Witwe Capet« pathetisch mit den berühmtesten Lasterfrauen der Geschichte, mit Messalina, Agrippina und Fredegundis. Umso entschiedener erfolgte dann der Umschwung, als 1815 abermals ein Bourbone den französischen Thron bestieg; um der Dynastie zu schmeicheln, wird das dämonisierte Bild mit den öligsten Farben übermalt: keine Darstellung Marie Antoinettes aus dieser Zeit ohne Weihrauchwolke und Heiligenschein. Preislied folgt auf Preislied, Marie Antoinettes unberührbare Tugend wird ingrimmig verteidigt, ihr Opfermut, ihre Güte, ihr makelloses Heldentum in Vers und Prosa gefeiert; und reichlich mit Tränen genetzte Anekdotenschleier, meist von aristokratischen Händen geklöppelt, umhüllen das verklärte Antlitz der »reine martyre«, der Märtyrerkönigin.

Die seelische Wahrheit liegt hier wie meist in der Nähe der Mitte. Marie Antoinette war weder die große Heilige des Royalismus noch die Dirne, die »grue« der Revolution, sondern ein mittlerer Charakter, eine eigentlich gewöhnliche Frau, nicht sonderlich klug, nicht sonderlich töricht, nicht Feuer und nicht Eis, ohne besondere Kraft zum Guten und ohne den geringsten Willen zum Bösen, die Durchschnittsfrau von gestern, heute und morgen, ohne Neigung zum Dämonischen, ohne Willen zum Heroischen und darum scheinbar kaum Gegenstand einer Tragödie. Aber die Geschichte, dieser große Demiurg, bedarf gar nicht eines heroischen Charakters als Hauptperson, um ein erschütterndes Drama emporzusteigern. Tragische Spannung, sie ergibt sich nicht nur aus dem Übermaß einer Gestalt, sondern jederzeit aus dem Missverhältnis eines Menschen zu seinem Schicksal. Sie kann dramatisch in Erscheinung treten, wenn ein übermächtiger Mensch, ein Held, ein Genius in Widerstreit gerät zur Umwelt, die sich zu eng, zu feindselig erweist für seine ihm eingeborene Aufgabe – ein Napoleon etwa, erstickend im winzigen Geviert von St. Helena, ein Beethoven, eingekerkert in seine Taubheit –, immer und überall bei jeder großen Gestalt, die nicht ihr Maß und ihren Ausstrom findet. Aber ebenso ergibt sich Tragik, wenn eine mittlere oder gar schwächliche Natur in ein ungeheures Schicksal gerät, in persönliche Verantwortungen, die sie erdrücken und zermalmen, und diese Form des Tragischen will mir sogar die menschlich ergreifendere erscheinen. Denn der außerordentliche Mensch sucht unbewusst ein außerordentliches Schicksal; seiner überdimensionalen Natur ist es organisch gemäß, heroisch oder, nach Nietzsches Wort, »gefährlich« zu leben; er fordert die Welt durch den ihm innewohnenden gewaltigen Anspruch gewaltsam heraus. So ist der geniale Charakter im letzten nicht unschuldig an seinem Leiden, weil die Sendung in ihm diese Feuerprobe mystisch begehrt zur Auslösung einer letzten Kraft; wie der Sturm die Möwe, so trägt ihn sein starkes Schicksal stärker und höher empor. Der mittlere Charakter dagegen ist von Natur aus auf friedliche Lebensform gestellt, er will, er benötigt gar nicht größere Spannung, er möchte lieber ruhig und im Schatten leben, in Windstille und gemäßigten Schicksalstemperaturen; darum wehrt er sich, darum ängstigt er sich, darum flüchtet er, wenn ihn eine unsichtbare Hand in Erschütterung stößt. Er will keine welthistorischen Verantwortungen, im Gegenteil, er fürchtet sich vor ihnen; er sucht das Leiden nicht, sondern es wird ihm aufgenötigt; von außen, nicht von innen wird er gezwungen, größer zu sein als sein eigentliches Maß. Dieses Leiden des Nicht-Helden, des mittleren Menschen sehe ich, weil ihm der sichtliche Sinn fehlt, nicht als geringer an als das pathetische des wahrhaften Helden und vielleicht noch als erschütternder; denn der Jedermannsmensch muss es allein für sich austragen und hat nicht wie der Künstler die selige Rettung, seine Qual in Werk und überdauernde Form zu verwandeln.

Wie einen solchen mittleren Menschen aber manchmal das Schicksal aufzupflügen vermag und durch seine gebietende Faust über seine eigene Mittelmäßigkeit gewaltsam hinauszutreiben, dafür ist das Leben Marie Antoinettes vielleicht das einleuchtendste Beispiel der Geschichte. Die ersten dreißig ihrer achtunddreißig Jahre geht diese Frau gleichgültigen Weg, allerdings in einer auffälligen Sphäre; nie überschreitet sie im Guten, nie im Bösen das durchschnittliche Maß: eine laue Seele, ein mittlerer Charakter und, historisch gesehen, anfangs nur Statistenfigur. Ohne den Einbruch der Revolution in ihre heiter unbefangene Spielwelt hätte diese an sich unbedeutende Habsburgerin gelassen weitergelebt wie hundert Millionen Frauen aller Zeiten; sie hätte getanzt, geplaudert, geliebt, gelacht, sich aufgeputzt, Besuche gemacht und Almosen gegeben; sie hätte Kinder geboren und sich schließlich still in ein Bett gelegt, um zu sterben, ohne wahrhaft dem Weltgeist gelebt zu haben. Man hätte sie als Königin feierlich aufgebahrt, Hoftrauer getragen, aber dann wäre sie ebenso dem Gedächtnis der Menschheit entschwunden wie alle die unzähligen andern Prinzessinnen, die Marie-Adelaiden und Adelaide-Marien und die Anna-Katharinen und Katharina-Annen, deren Grabsteine mit lieblosen kalten Lettern ungelesen im Gotha stehen. Nie hätte ein lebendiger Mensch das Verlangen gefühlt, ihrer Gestalt, ihrer erloschenen Seele nachzufragen, niemand hätte gewusst, wer sie wirklich war, und – dies das Wesentlichste – nie hätte sie selber, Marie Antoinette, Königin von Frankreich, ohne ihre Prüfung gewusst und erfahren, wer sie gewesen. Denn es gehört zum Glück oder Unglück des mittleren Menschen, dass er von selbst keinen Zwang fühlt, sich auszumessen, dass er nicht Neugierde fühlt, nach sich selber zu fragen, ehe ihn das Schicksal fragt: Ungenützt lässt er seine Möglichkeiten in sich schlafen, seine eigentlichen Anlagen verkümmern, seine Kräfte wie Muskeln, die nie geübt werden, verweichlichen, bevor sie nicht Not zu wirklicher Abwehr spannt. Ein mittlerer Charakter muss erst herausgetrieben werden aus sich selber, um alles zu sein, was er sein könnte, und vielleicht mehr, als er selber früher ahnte und wusste; dafür hat das Schicksal keine andere Peitsche als das Unglück. Und so, wie sich ein Künstler manchmal mit Absicht einen äußerlich kleinen Vorwurf sucht, statt eines pathetisch weltumspannenden, um seine schöpferische Kraft zu erweisen, so sucht sich das Schicksal von Zeit zu Zeit den unbedeutenden Helden, um darzutun, dass es auch aus brüchigem Stoff die höchste Spannung, aus einer schwachen und unwilligen Seele eine große Tragödie zu entwickeln vermag. Eine solche Tragödie und eine der schönsten dieses ungewollten Heldentums heißt Marie Antoinette.

Denn mit welcher Kunst, mit welcher Erfindungskraft an Episoden, in wie ungeheuren historischen Spannungsdimensionen baut hier die Geschichte diesen mittleren Menschen in ihr Drama ein, wie wissend kontrapunktiert sie die Gegensätze um diese ursprünglich wenig ergiebige Hauptfigur! Mit diabolischer List verwöhnt sie erst diese Frau. Als Kind schon schenkt sie ihr einen Kaiserhof als Haus, der Halbwüchsigen eine Krone, der jungen Frau häuft sie verschwenderisch alle Gaben der Anmut, des Reichtums zu und gibt ihr überdies ein leichtes Herz, das nicht fragt nach Preis und Wert dieser Gaben. Jahrelang verwöhnt sie, verzärtelt sie dieses unbedachte Herz, bis ihm die Sinne schwinden und es immer sorgloser wird. Aber so rasch und leicht das Schicksal diese Frau auf die höchsten Höhen des Glücks emporreißt: umso raffiniert grausamer, umso langsamer lässt es sie dann fallen. Mit melodramatischer Krassheit stellt dieses Drama die äußersten Gegensätze Stirn an Stirn; es stößt sie aus einem hundertzimmerigen Kaiserhause in ein erbärmliches Gefängnisgelass, vom Königsthron auf das Schafott, aus der gläsern goldenen Karosse auf den Schinderkarren, aus dem Luxus in die Entbehrung, aus Weltbeliebtheit in den Hass, aus Triumph in die Verleumdung, immer tiefer und tiefer und unerbittlich bis in die letzte Tiefe hinab. Und dieser kleine, dieser mittlere Mensch, plötzlich inmitten seiner Verwöhntheit überfallen, dieses unverständige Herz, es begreift nicht, was die fremde Macht mit ihm vorhat, es spürt nur eine harte Faust an sich kneten, eine glühende Kralle im gemarterten Fleisch; dieser ahnungslose Mensch, unwillig und ungewohnt alles Leidens, wehrt sich und will nicht, er stöhnt, er flüchtet, er sucht zu entkommen. Aber mit der Unerbittlichkeit eines Künstlers, der nicht ablässt, ehe er nicht seinem Stoff die höchste Spannung, die letzte Möglichkeit entrungen, lässt die wissende Hand des Unglücks nicht von Marie Antoinette, ehe sie diese weiche und unkräftige Seele nicht zu Härte und Haltung gehämmert, ehe sie nicht alles, was von Eltern und Urahnen an Größe in ihrer Seele verschüttet lag, plastisch herausgezwungen hat. Aufschreckend in ihrer...

Erscheint lt. Verlag 8.2.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
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ISBN-10 3-641-27644-6 / 3641276446
ISBN-13 978-3-641-27644-7 / 9783641276447
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