Die Wäscheleinen-Schaukel (eBook)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
288 Seiten
Orlanda Verlag
978-3-944666-75-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Wäscheleinen-Schaukel -  Ahmad Danny Ramadan
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Dieser Roman führt durch die Lebenswege zweier homosexueller syrischer Männer, die sich im kriegszerrütteten Syrien kennenlernen und über Beirut und Kairo schließlich gemeinsam nach Vancouver fliehen. Die Erinnerungen an ihre zurückgelassene Heimat werden in den fantasievollen, manchmal schwermütigen, aber jede für sich wunderschönen Geschichten wiedererweckt. als einer der Protagonisten vier Jahrzehnte später versucht, seinen Partner an dessen Sterbebett am Leben zu halten. Die einzelnen Geschichten bilden ein verwobenes Mosaik aus bewegenden, nachklingenden Eindrücken einer Kindheit in Damaskus, von Liebesgeschichten im Verborgenen, den gewaltvollen Erfahrungen des Krieges und der Homophobie sowie der hoffnungsvollen Suche nach einem freieren Leben. Ahmad Danny Ramadan, der selbst 2012 von Syrien nach Kanada geflohen ist, eröffnet den Lesenden in seinem Roman auf poetische Weise die ungewöhnliche Perspektive queerer Menschen in Syrien auf die Erinnerungen an eine untergehende Heimat.

Ahmad Danny Ramadan ist ein syrisch-kanadischer Autor, ein Geschichtenerzähler und ein LGBTQ-Geflüchteten-Aktivist. Sein Debütroman wurde mehrfach ausgezeichnet. Er lebt mit seinem Ehemann in Vancouver.

Ahmad Danny Ramadan ist ein syrisch-kanadischer Autor, ein Geschichtenerzähler und ein LGBTQ-Geflüchteten-Aktivist. Sein Debütroman wurde mehrfach ausgezeichnet. Er lebt mit seinem Ehemann in Vancouver.

Prolog


Die süßesten Küsse sind jene, die wir an verbotenen Orten tauschen. Jener Kuss, den ich dir im dunklen Fond eines Taxis auf dem Weg durch Damaskus stahl, während der Fahrer über die Kontrollpunkte und den Krieg schimpfte; jener Kuss, als ich dich bei H&M in Beirut zurück in die Umkleide zog und meine Lippen auf deine presste; jener, den du mir gabst, als wir uns am Wreck Beach bei Vancouver im hohen Gras versteckten.

Für uns waren die meisten Orte verboten. Wir lernten uns im kriegsgeschüttelten Damaskus kennen und zogen im religiös gespaltenen Beirut zusammen, bevor wir schließlich in Kanada landeten. Für uns bedeutete das Vorspiel nicht sanfte Berührungen und zärtliche Küsse, sondern einen Platz zu finden, wo uns weder Polizisten noch aufgebrachte Eltern noch neugierige Nachbarn aufspüren würden. Es bedeutete, die Vorhänge fest zuzuziehen und den anderen zum Stillsein zu ermahnen, wenn er vor Lust zu laut stöhnte, was uns, wenn auch nur für kurze Zeit, ein trügerisches Gefühl der Sicherheit verschaffte.

Wenn ich mich festlegen müsste, würde ich sagen, der süßeste von unseren Küssen war der allererste. Dieser Kuss ist mir kostbar, denn er war die erste Blüte in einem Garten verbotener Früchte, den wir gemeinsam pflanzten. Er war der Spross, der durch die Erde unseres banalen Lebens brach und all die anderen Blumen gedeihen ließ.

Ich sehe vor mir, wie wir eines Abends im Spätfrühling 2011 auf dem Berg Qasyun standen und schweigend auf Damaskus hinabblickten. Unter uns säumten immer mehr Lichter das Labyrinth der Straßen; die unzähligen Moscheen wurden neongrün beleuchtet. Am Abendhimmel erschienen die Sterne und funkelten auf dem dunklen Baldachin über uns; wir waren umgeben von einer unvergänglichen Kulisse tanzender Lichter.

»Was auch immer mit dieser Stadt passiert, das hier wird bleiben«, hast du gesagt, die Lichter der Stadt in deinen Augen, als berge ihr Dunkel ein ganzes Universum. »Kein Krieg kann der Schönheit von Damaskus etwas anhaben.«

Du hast auf die Umayyaden-Moschee links von uns gezeigt und mich durch die umliegenden Straßen dirigiert, bis ich dein Elternhaus ausmachen konnte, ein winziges Haus, dessen Mauern mit Weinlaub bewachsen waren. Ich wedelte vage in die Richtung, in der mein dunkles Elternhaus stand, es hob sich ab wie ein kranker Zahn, nur wenige Blocks von eurem entfernt.

Ich zitterte; meine Nase fühlte sich an wie ein Eiswürfel, der in meinem Gesicht schmolz, in meinen Augen standen Tränen. Du zogst mich an dich, legtest mir den Arm um die Schulter und begannst schüchtern zu lächeln. »Ich hatte einen schönen Tag«, flüsterte ich. Du brummtest etwas Zustimmendes.

Dort, unweit des Gipfels, tief in seinem Schatten, küssten wir uns. Meine Lippen verschmolzen nur eine Sekunde lang mit deinen; du zogst meine Oberlippe zwischen deine Zähne, und die Wärme deines Gesichts prickelte an meiner eiskalten Nase. Auf einmal warst du kein Fremder mehr. Du warst kein unbekanntes Wesen mehr, das mich gleichermaßen entzückte und ängstigte.

Du wurdest zu jemand Vertrautem, Sicherem, Einladendem und Warmem.

Aus Angst davor, von Soldaten oder Passanten in unserem Versteck überrascht zu werden, küssten wir uns nur kurz. Du strichst mir noch einmal übers Haar und löstest dich von mir. Dann setztest du dein schiefes, scheues Lächeln auf und seufztest. »Das sollten wir wiederholen«, sagte ich. Du lachtest.

Der Tag, an dessen Ende wir auf dem Berg die Sterne betrachteten, begann im Herzen der Altstadt von Damaskus, wo ich im Pages Café nervös auf dich wartete. Das Café, an der Ecke einer schmalen Gasse neben einer historischen Schule gelegen, war schummrig und gemütlich, und es wurde zum Treffpunkt für Liberale, Freidenker und intellektuelle Rebellen in Damaskus, bevor sie verhaftet oder getötet wurden oder flüchten mussten.

An den Wänden hingen abstrakte Poster und Gemälde. Manche versprachen eine Revolution, andere beschworen ein utopisches Damaskus, das die glorreichen Sechzigerjahre wieder aufleben lassen würde. Der Duft von türkischem Kaffee und frisch gebackenen syrischen Leckereien erfüllte das Café mit einem heimeligen Gefühl und überdeckte irgendwie den durchdringenden Schweißgeruch, den die Geheimpolizisten in Zivil absonderten. Sie hatten sich unter die Rebellen gemischt und belauschten unsere Gespräche, hinterließen mit ihren Stiefeln Dreck auf dem schwarz-weißen Fliesenboden und konnten es kaum erwarten zu gehen, um Freidenker anzuzeigen oder Aktivisten verhaften zu lassen.

»Ich habe eine Geschichte für dich«, sagte ich zu dir, als du an dem Ecktisch neben dem alten Klavier Platz nahmst, Sonnenstrahlen fielen, reflektiert von der Fassade der benachbarten Schule, durch die hohen, schmalen Fenster in das Café. Du hast gelächelt und dein schwarzer, akkurat gestutzter Bart glänzte mit deinen Zähnen um die Wette. Es war unsere allererste Begegnung – ich sah dich durch die Glastür kommen und wusste sofort, dass du es warst. Ich kannte deine Fotos von der Dating-Seite. Als du das schummrige Café betratst, hüllte dich die Sonne in ein engelhaftes Licht.

Du wirktest überrascht, um nicht zu sagen baff. Später erfuhr ich, dass du dachtest, was für ein Idiot du wärst, dich mit diesem Fremden zu treffen. Dass ich auf die üblichen Begrüßungsfloskeln verzichtete, machte dich verlegen, fast ängstlich. Du bist schon immer unsicher geworden, wenn du deine Komfortzone verlassen hast.

»Klar, erzähl mir eine Geschichte«, hast du taktvoll erwidert und im Geist die Schritte gezählt, die du bis zur Tür brauchen würdest.

»Meine früheste Erinnerung ist«, begann ich, »wie ich auf dem Schoß meiner Großmutter saß. Sie hat mich gekitzelt und dabei mit dem Mund so grässliche Geräusche gemacht. Ich muss drei Jahre alt gewesen sein, aber ich weiß noch, dass ich aus vollem Herzen lachte.«

Eine Sekunde lang lag dieser Das kann doch nicht dein Ernst sein-Blick auf deinem Gesicht. Du wusstest nicht, wie du darauf reagieren solltest. Du wusstest nicht, was als Nächstes kommen würde. In der Hoffnung, dass dich ein Anruf vor einem Nachmittag mit diesem Freak retten würde, warfst du einen Blick auf dein Handy-Display.

»Weißt du, ich erzähle dir das, weil ich ein Geschichtenerzähler bin«, sagte ich. »Ich bin ein Fabulierer, ein Dichter, ein hakawati

Es dauerte einen Moment. Du schautest mir in die Augen, begannst zu lächeln und sagtest: »Dann erzähl mir eine Geschichte.«

Dieses Lächeln, dieses wunderschöne, intensive, unerträglich süße Lächeln, das sich durch die vielen Schutzschichten deiner Seele einen Weg bahnte, brachte mich dazu, dich zu bitten, mich auf den Berg Qasyun zu begleiten, brachte mich dazu, dich zu küssen, mich in dich zu verlieben, während wir durch eine Stadt fuhren, die im Krieg versank.

Für den Rest unserer gemeinsamen Zeit in Damaskus hast du zweimal pro Woche bei mir übernachtet und deiner Mutter irgendeine Lügengeschichte darüber aufgetischt, wo du bist. Du zogst meine Pyjamahose an, und sie passte wie angegossen. Wir spielten Karten mit meinem Mitbewohner und blieben viel zu lang auf. Wenn dein Bedürfnis nach sozialer Interaktion gestillt war, bekamst du immer diesen speziellen Gesichtsausdruck, den ich sofort registrierte. Ich zog dich am Arm und nahm dich mit in mein Schlafzimmer. Mein Mitbewohner stellte kichernd Vermutungen über unseren Wunsch nach Privatsphäre an. Dabei kuschelten wir den Großteil der Nacht nur, weil wir mitten in der Unterhaltung einschliefen.

Der Genuss des Morgenkaffees auf meinem Balkon wurde oft durch das Schreien und Brüllen von Armeeoffizieren und Polizisten gestört, die jemanden verfolgten, um ihn zu verhaften. Sie zerrten den Flüchtigen am Hemd zu Boden, während die Frauen aus seiner Familie, die vom Fenster aus zusahen, lauthals jammerten und sich ihre weißen Kopftücher fester ums Gesicht zogen. Der Gefangene wurde unter den Blicken der Schaulustigen, darunter auch du und ich, in den Kofferraum gestoßen, dann wurde der Deckel zugeklappt und das Auto fuhr davon. Als wir das erste Mal Zeugen einer solchen Szene wurden, schlug uns das Herz bis zum Hals, und wir versteckten uns zwei Stunden lang in meinem Schlafzimmer. Nach ein paar Verhaftungen gewöhnten wir uns an das Brüllen und Wehklagen, frühstückten einfach weiter und stellten das Radio an.

Ich weiß nicht mehr, wie oft wir um drei Uhr morgens aufwachten, weil es irgendwo am anderen Ende der Stadt knallte. Der Kriegslärm hallte durch die stillen Straßen, und wir schreckten in Panik aus dem Schlaf hoch und fühlten uns sehr verlassen. Eines Nachts hast du gewimmert, noch halb im Schlaf, aus dem Land der Träume gerissen, voller Sorge, die Explosionen könnten zu nah bei uns sein. Ich strich dir...

Erscheint lt. Verlag 13.1.2021
Übersetzer Heide Horn, Christa Prummer-Lehmair
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Beirut • Bürgerkrieg in Syrien • Damaskus • Diskriminierung • Einwanderung • Einwanderung Kanada • Flucht • Gewalt gegen Schwule und Lesben • Gewalt in der Familie • Homofeindlichkeit • homophobe Gewalt • Homophobie • Intersektionalität • Kairo • Krieg • Lesben • LGBTQ • LGBTQ* • LGBTQ Aktivist • Migration • Opfer Rassismus • Orient • Patenprogramm Kanada • Politische Gewalt • Queer • queeres Syrien • Queersein als Tabu • Rassismus • Schwule • Schwulsein im muslimischen Ländern • Schwulsein im Orient • Schwulsein und Islam • Syrien • Vorurteile
ISBN-10 3-944666-75-5 / 3944666755
ISBN-13 978-3-944666-75-4 / 9783944666754
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