Im Herz aller Dinge -  Rainer Gross

Im Herz aller Dinge (eBook)

Eine Lebensgeschichte Band 2

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
432 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7526-0027-8 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Ein Suchender. Ein Träumer, ein Dichter, ein Philosoph. Ein Springinsfeld und Taugenichts. Ein Student und Scholar. Motorradfahrer, Teetrinker und Pfeifenraucher. Eine Hochsensible Person. Ein Borderliner. Ein Rebell mit verstecktem Philisterwunsch. Japan-Fan und Zen-Buddhist. Atheist und Mystiker. Fabrikarbeiter, VHS-Dozent, Geldbote. Selbstmordkandidat. Bach-Liebhaber. Grüne-Wähler - dies alles ist oder war Joachim Klein. Der vorliegende Roman berichtet aus seinem Leben, aus den Studentenjahren 1984 bis 1992. Warum? Weil ich denke, dass seine Person und seine Geschichte eine ausführliche Darstellung verdient haben.

Rainer Gross, Jahrgang 1962, geboren in Reutlingen, studierte Philosophie und Literaturwissenschaft. Heute lebt er mit seiner Frau als freier Schriftsteller wieder in seiner Heimatstadt. Bisher u.a. erschienen: Grafeneck (2007, Glauser-Debüt-Preis 2008); Weiße Nächte (2008); Kettenacker (2011); Kelterblut (2012); Die Welt meiner Schwestern (2014); Yûomo (2014); Haus der Stille (2014); Schrödingers Kätzchen (2015); Haut (2015); My sweet Lord (2016); Die sechzigste Ansicht des Berges Fuji (2017); In der fernen Stadt (2017); Räucherstäbchenjahre (2018); Der Teehändler (2019); Er sollte nicht ahnen (2019); Lebkuchenstadt (2020); Schatzkiste (2020); Ein Nachmittag am Bondi Beach (2020). Flieg zum Regenbogen (2020); Frühling auf Helgoland (2020); Sommer auf Helgoland (2020).

2 De Bello Gallico


Joachim wechselte also im zweiten Hauptfach von Kunstgeschichte zu Germanistik. Dafür brauchte er das Kleine Latinum.

Am Gymnasium hätte er es machen können, aber er hatte Französisch gewählt.

So musste er zwei Semester lang den Lateinkurs an der Uni belegen.

Die Sprache gefiel ihm.

Sie war durch und durch logisch. Sie hatte eine berechenbare Systematik. Und sie bot sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten, die es im Deutschen nicht gab.

Das Lernen fiel ihm leicht.

Mit dem Auswendiglernen der vielen Formen und Flektionen hatte er keine Probleme.

Er begriff den Sinn grammatischer Konstruktionen und verstand beim Übersetzen vieles intuitiv.

Martin, sein Jugendfreund, hatte unterdessen auf dem Wirtschaftsgymnasium das Abitur nachgemacht und wollte auch studieren.

Theologie.

Dazu brauchte er, wie Joachim, das Kleine Latinum.

Also belegten sie den Kurs gemeinsam.

Von der Dreierfreundschaft waren nur sie beide geblieben. Noch immer war Martins Zimmer eine Zuflucht für Joachim.

Sie saßen also wieder in Martins Zimmer.

Sie büffelten zusammen Latein.

De Bello Gallico, von Cäsar. Das war einfacher als Cicero und Seneca. Hier erzählte Cäsar einfach von seinen Feldzügen. Wald roden, Lager bauen, für res frumentariae sorgen, Geiseln nehmen.

Töchter und Söhne von angesehenen Männern, Männer summa audaciae.

»Das bin ich nicht«, meinte Martin einmal. »Ich bin ein Mann weniger Worte«, sagte er und grinste schief.

Joachim tat es leid, dass Martin sich mit Latein so schwer tat. Er versuchte ihm zu helfen. Er erklärte immer wieder etwas.

Aber es wurde nur der intellektuelle Unterschied zwischen ihnen beiden deutlicher.

»Ich weiß auch nicht«, sagte Martin. »Das mit Latein ist scheiße! Ich krieg das nie hin!«

»Aber du brauchst es für Theologie«, meinte Joachim.

»Ich hab keine Ahnung, wie das werden soll. Wenn ich schon mit Latein solche Schwierigkeiten habe, wie soll das erst mit Griechisch und Hebräisch werden?«

Er pendelte mit dem Oberkörper hin und her, hatte die Deckung oben und schnupfte sich mit der Faust immer die Nase.

»Weißte«, sagte er nach Stallone-Manier, »weißte, ich bin ein einfacher Mann.«

Sie lachten.

Aber Joachim wusste, dass es Martin ernst war.

»Vielleicht ist Theologie doch nichts für mich«, meinte er schließlich und legte das Lateinbuch weg.

»Willst du wechseln?«

»Ich wollte ja eigentlich Kunsterzieher werden. Vielleicht werde ich das ohne Kunst vorne.«

»Erzieher?«

»Ich könnte Pädagogik studieren.«

Joachim sagte nichts. Er spürte, dass ihre Lebenswege sich zu trennen begannen.

Martin war vaterlos. Er war Halbwaise und bezog eine kleine Rente, die er der Mutter gab. Er war froh, Abitur gemacht zu haben.

Hin und wieder traf er sich mit Frankieboy.

Der schuftete nun auf Baustellen und machte seinen Zimmermannsgesellen.

Davon wollte Joachim nichts wissen.

Für ihn war Frankieboy gestorben.

Britta war weiterhin mit ihm zusammen, aber irgendwie auch mit Joachim.

Er hing an ihr. Das merkte er.

Er wünschte, sie würde mal einen klaren Schnitt machen. Das wäre schmerzhafter, aber besser. Dann würde er nicht immer so in der Luft hängen.

Martin hatte Frankieboys Verhalten kommentarlos hingenommen.

Er hielt sich raus.

Er war wohl der Ansicht, dass das eine Sache zwischen Britta und Frankieboy war.

Joachim jedenfalls, so sah er es, war raus aus der Sache.

»Jetzt muss ich ein paar Takte spielen«, sagte Martin und schnappte sich seine Gitarre.

Eine E-Gitarre, schwarzweiß. Der von Ritchie Blackmore nachempfunden.

Joachim wusste, was er zu tun hatte.

Er schaltete das Radio ein und drehte am Sendersuchlauf.

Er drehte langsam. Fand einen Sender mit Nachrichten, dann einen Klassiksender.

Martin spielte die ersten Takte.

Die Intro zu Wish you were here von Pink Floyd.

Martin konnte keine Noten lesen. Er spielte nach Gehör. Er hatte sich alles selbst beigebracht.

Joachim schaltete das Radio aus, während Martin in Fahrt kam.

Dass der das auswendig spielen konnte!, dachte Joachim.

Und dann sangen sie inbrünstig:

»So-o-oo, so you think you can te-e-ell

heaven from he-e-ell

blue skies from pain … «

Irgendwann wusste Martin nicht mehr weiter, und auch Joachim verließen sie, was den Text anbetraf.

Martin zupfte noch ein bisschen vor sich hin.

Dann stellte er die Gitarre weg und ging an sein Türschränkchen, hinter dem sich die Bar befand.

»Ich hab übrigens was für dich«, sagte er und öffnete die Lade.

Er holte ein schmales Päckchen heraus, gewickelt in Zeitungspapier, und gab es Joachim.

»Ein Geschenk? Wieso das denn?«

»Als ich das gesehen hab, musste ich gleich an dich denken. Du hast doch einen Japan-Fimmel, oder?«

Joachim packte aus und hielt ein kleines Bändchen in der Hand. Vorne drauf eine Tuschzeichnung und der Titel Worte der Stille.

Allerdings hatte Joachim einen Japan-Fimmel!

Seit er als Kind ein Japan-Abenteuer von Lurchi gelesen hatte, verfolgten ihn Bilder von geschweiften Dächern und Bogenbrücken, Geishas mit Schamisen, Riesenlurchen und Seidenspinnerraupen, Kirschblüten und Teezeremonie.

Japan war anders als die übrigen Länder. Japan war geheimnisvoll. Joachim wollte mehr von Japan wissen.

Japanische Gedichte, sagte die Einleitung des Bändchens.

Haikus.

»Hey, vielen Dank! Das kenne ich noch gar nicht.«

Er schaute sich das Bändchen näher an.

Es sah aus wie ein billiges christliches Traktat. Die Gedichte darin waren sehr kurz, manchmal nur drei Zeilen, und ohne Reim.

Ein bisschen arg schmucklos. Das kannte Joachim noch nicht.

Er las zwei, drei Gedichte und war sofort fasziniert.

Das ging tief. Das berührte ihn.

Da war ein Ton darin, eine Schönheit, die ihn ansprach. Da steckte eine tiefe Sehnsucht darin, fand Joachim.

Eine Feinfühligkeit, eine Naturwahrnehmung, eine einfache, klare Sprache, die ihm gefiel.

»Das schaue ich mir zuhause in Ruhe an«, sagte er.

Er war Martin wirklich dankbar für diesen Einfall.

Weiß der Geier, wo er das aufgetrieben hatte!

Leider ging auch diese Freundschaft zu Ende.

Martin fing an, sich mit Britta zu treffen.

Joachim erfuhr es von Britta.

Zuerst war er sauer. Dann versuchte er, über den Dingen zu stehen.

Es sollte ihm egal sein, was Britta tat! Wenn sie jetzt auch noch mit Martin rummachte, würde das Frankieboy nicht sehr gefallen.

Einmal entdeckte er eine Bleistiftzeichnung in einem Rahmen an der Wand in Martins Zimmer.

Er sprach ihn darauf an.

Die Pfadfinderfreunde hatten ihn auch schon darauf angesprochen.

»Das ist doch dem Frankieboy seine«, hatten sie gesagt.

Joachim wollte das gar nicht wissen.

Aber einmal hatte Martin die Lade zu seiner Bar offen stehen. Und Joachim entdeckte zufällig – oder weil Martin es wollte – ein Päckchen Kondome darin liegen.

Das konnte er nicht ignorieren.

»Wofür brauchst du denn Pariser?«, fragte er teils frotzelnd, teils verächtlich.

Und Martin schaute ihn nur an und meinte: »Britta war hier.«

Das traf Joachim.

Martin war offensichtlich wirklich der Meinung, dass Joachim Britta nichts mehr anging.

Britta erzählte ihm, was Martin ihr über ihn gesagt hatte.

Sie solle sich von Joachim fernhalten. Er tue ihr nicht gut.

Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Martin hatte die Freundschaft verraten und sein Vertrauen mit Füßen getreten.

Joachim beschloss, Martin künftig als Rivalen anzusehen. Als Feind.

Er schrieb ihm einen entsprechenden Brief, und mit dem gemeinsamen Lateinlernen war es vorbei.

Mit der Freundschaft auch.

Die Räucherstäbchenjahre nahmen ein unrühmliches Ende.

Die Worte der Stille überdauerten den Bruch.

Mehr noch: Mit diesem Geschenk hatte der alte Freund Joachim einen wichtigen Impuls für sein weiteres Leben mitgegeben.

Dafür war er ihm trotz allem dankbar.

Zuhause las Joachim noch einmal die Einleitung. Er fand den Hinweis auf ein Buch über Haikus, von einem Dietrich Krusche, und besorgte es sich.

Es war teuer, aber Joachim wollte mehr über Haikus erfahren.

Die Gedichte waren traditionellerweise kurz, im Original drei Zeilen zu fünf, sieben und fünf Silben. Das Versmaß wurde im Japanischen durch die Silbenzahl festgelegt.

Das Problem der Haikus war die Übersetzung.

Manche Autoren übersetzten frei und beachteten die Struktur des Originals nicht.

Andere versuchten, das Silbenmuster zu übernehmen. Das funktionierte im Deutschen nicht...

Erscheint lt. Verlag 10.12.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7526-0027-6 / 3752600276
ISBN-13 978-3-7526-0027-8 / 9783752600278
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 721 KB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99
Roman

von Fatma Aydemir

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99
Roman. Jubiläumsausgabe

von Umberto Eco

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99