Reise nach Maine (eBook)

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2021 | 1. Auflage
224 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00925-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Reise nach Maine -  Matthias Nawrat
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Ein Mann - er ist Schriftsteller von Beruf, nachdenklich und ein wenig konfliktscheu - will die USA bereisen. Zunächst nach New York City, dann weiter Richtung Maine. An seiner Seite eine meinungsstarke Osteuropäerin, die seit dreißig Jahren im Fränkischen zu Hause ist: seine Mutter. Von Beginn an liegt ein Schatten auf der Unternehmung: Donald Trump ist seit kurzem Präsident der angeschlagenen Nation, und Celina hat ihrem Sohn kurz vor der Abreise eröffnet, dass sie, anstatt die zweite Reisewoche bei einem Jugendfreund in Texas zu verbringen, die ganze Zeit mit ihm zusammenbleiben wird. Dann hat sie auch noch einen Unfall. Mit gebrochener Nase und zwei blauschwarzen Veilchen zieht sie überall die Aufmerksamkeit wohlmeinender Fremder auf sich. Der leise Ärger des Sohnes wird zunächst von Sorge überlagert. Auf der Autoreise an die Küste Neuenglands aber beginnt ein Konflikt aufzubrechen, der viel darüber verrät, wie Männer mit Frauen, wie Mütter mit Söhnen sprechen, ein Konflikt, der nicht nur das Leben der beiden und ihr Verhältnis zueinander prägt. Davon erzählt Matthias Nawrat in sehr komischen, fein austarierten Szenen. Immer im Hintergrund: America the beautiful, der derangierte Sehnsuchtsort.

Matthias Nawrat, 1979 im polnischen Opole geboren, emigrierte als Zehnjähriger mit seiner Familie nach Bamberg. Für seinen Debütroman «Wir zwei allein» (2012) erhielt er den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis; «Unternehmer» (2014), für den Deutschen Buchpreis nominiert, wurde mit dem Kelag-Preis und dem Bayern 2-Wortspiele-Preis ausgezeichnet, «Die vielen Tode unseres Opas Jurek» (2015) mit dem Förderpreis des Bremer Literaturpreises sowie der Alfred Döblin-Medaille. «Der traurige Gast» (2019) war unter anderem für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. 2020 erhielt Matthias Nawrat den Literaturpreis der Europäischen Union. «Reise nach Maine» (2021) ist sein fünfter Roman. Zuletzt erschien der Gedichtband «Gebete für meine Vorfahren» (2022), ausgezeichnet mit dem Fontane-Literaturpreis der Stadt Neuruppin.

Matthias Nawrat, 1979 im polnischen Opole geboren, emigrierte als Zehnjähriger mit seiner Familie nach Bamberg. Für seinen Debütroman «Wir zwei allein» (2012) erhielt er den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis; «Unternehmer» (2014), für den Deutschen Buchpreis nominiert, wurde mit dem Kelag-Preis und dem Bayern 2-Wortspiele-Preis ausgezeichnet, «Die vielen Tode unseres Opas Jurek» (2015) mit dem Förderpreis des Bremer Literaturpreises sowie der Alfred Döblin-Medaille. «Der traurige Gast» (2019) war unter anderem für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. 2020 erhielt Matthias Nawrat den Literaturpreis der Europäischen Union. «Reise nach Maine» (2021) ist sein fünfter Roman. Zuletzt erschien der Gedichtband «Gebete für meine Vorfahren» (2022), ausgezeichnet mit dem Fontane-Literaturpreis der Stadt Neuruppin.

Es war ein peinlicher Rassismus, den ich wieder an mir feststellte, nachdem ich meiner Mutter ins Taxi geholfen hatte und neben ihr eingestiegen war. Ich wusste doch, dass die Leute in diesem Viertel normale Leute waren. Und doch erschienen mir jetzt alle potenziell gefährlich, mindestens aber schwer einzuschätzen. Wer war dieser Dale, und was wollte er eigentlich, dachte ich, während seine winkende Gestalt im Rückfenster verschwand. Mir schien nun auch, von der Rückbank aus, das dunkle Gesicht des Taxifahrers im Rückspiegel vollkommen unlesbar, ich konnte es gar nicht erkennen. Ich war, als er uns fragte, wohin wir wollten, und ich es ihm sagte, nicht in der Lage gewesen, seine Gesichtszüge zu erfassen.

Was ist passiert?, fragte er jetzt.

Meine Mutter erklärte ihm, dass sie hingefallen sei und sich dabei möglicherweise die Nase gebrochen habe.

Oh, I’m sorry, sagte er.

Nicht so schlimm, sagte meine Mutter in einem Tonfall, als wäre das die normalste Plauderei der Welt. Sie erzählte ihm, dass wir vielleicht heute Abend noch in die Stadt fahren würden. Sie fragte ihn, wie es sei, in New York Taxi zu fahren.

Es gefalle ihm meistens, sagte er. Er habe niemals einen anderen Beruf ausüben wollen. Schon als Kind, sagte er, aber wir sollten es keinem weitersagen. Man sei ziemlich unabhängig, mache Pause, wann man wolle, man komme herum und lerne interessante Leute kennen, und man könne jeden Tag genau den Lunch essen, auf den man an genau diesem Tag Lust habe.

New York ist riesig, sagte meine Mutter.

Absolut, sagte er.

Er fragte, woher wir kämen.

Aus einer kleinen Stadt in Franken, Bamberg, sagte meine Mutter.

Interessant, sagte er. Das kenne er nicht.

Es ist in Bayern, sagte meine Mutter.

Er würde sich gern noch länger mit uns unterhalten, sagte der Fahrer, aber leider seien wir schon da.

Wir waren in eine Einfahrt eingebogen und vor einer Glastür stehen geblieben.

Sie hätten leicht noch weiterfahren können. Woher sollten wir denn wissen, dass es so nah ist, sagte meine Mutter.

Das ist wahr, sagte der Taxifahrer und lachte. Seine Augen verschwanden, wie ich im Rückspiegel sehen konnte, in einem Kranz kleiner Fältchen.

Hundert Dollar?, sagte meine Mutter.

Er lachte wieder. Für euch habe ich ein Sonderangebot, ich habe derzeit Nasenbruch-Wochen.

Viel zu lang kramte ich, nachdem wir ausgestiegen waren, das Geld aus meinem Portemonnaie und reichte es dem Taxifahrer endlich durchs Fenster. Ich hatte keine Ahnung, wo wir waren. Obwohl wir höchstens drei Minuten gefahren waren, hatten wir mehrfach die Richtung gewechselt.

Das Taxi fuhr davon. Das Gebäude vor uns hatte sieben oder acht Stockwerke und schien sich über mehrere Blöcke zu ziehen. Ein Schild über der Glastür wies es als das Emergency Center des Kings County Hospital aus. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, in einer Zeile aus zweistöckigen Häusern, lagen drei Lebensmittelgeschäfte direkt nebeneinander. Ein Auto fuhr vorbei, danach blieb die Straße still und leer, es herrschte eine Stimmung wie an einem Sonntag in einer Kleinstadt.

Vor einem Aschenbecher neben dem Eingang stand ein Mann in meinem Alter und telefonierte. Er telefonierte auf eine interessante Weise, und überhaupt schien mir alles an ihm bemerkenswert. Er war schlaksig wie ein noch nicht ausgewachsener Jugendlicher, aber um seinen Mund sprießte ein Bart. Seine kurze Hose und das gelbe Trikot der L.A. Lakers waren ihm viel zu weit. Dazu trug er weiße, bis zu den Knien hochgezogene Strümpfe, die wiederum in überdimensional großen schwarzen Lederschuhen steckten, die eher zu einem Anzug gepasst hätten. Auf seinem bandagierten Kopf saß eine gelbe Basecap der L.A. Lakers. Er ging neben dem Aschenbecher auf und ab und sprach aufgeregt in sein Telefon, das zwischen seine Mütze und die Bandage geklemmt war. Während er telefonierte und auf und ab ging, rieb er sich die freien Hände vor dem Körper, als würde er sie eincremen. Exactly, sagte er und lachte. Dann trat er vor die Glastür, die vor ihm auseinanderglitt, und verschwand im Gebäude.

Jetzt waren meine Mutter und ich die einzigen Menschen weit und breit.

Ist das Krankenhaus überhaupt geöffnet?, fragte meine Mutter.

Wir waren durch eine Folge von Glastüren in eine Halle getreten. Vor uns befand sich ein Tresen, an dem zwei schwarze Frauen in blauer Krankenhauskleidung vor je einem Bildschirm saßen und sich miteinander unterhielten. Rechter Hand entdeckte ich einen weiteren Schalter – oder eher einen niedrigen Holzschreibtisch –, hinter dem ein junger weißer Typ saß, der ebenfalls blaue Krankenhauskleidung trug. Zu unserer Linken öffnete sich ein Raum, in dem mehrere Reihen von Leuten in Plastikschalensesseln saßen wie in einer Abflughalle. Eine alte Frau schlurfte in kleinen langsamen Schritten zwischen den Sitzreihen hin und her. Im hinteren Bereich des Raums sah ich den Dünnen mit dem Telefon in der Mütze vor einem Automaten.

Wir stellten uns, weil ich mich nicht zuerst dem jungen Weißen zuwenden wollte, vor eine der zwei schwarzen Krankenpflegerinnen. Sie trug silberne Ohrringe und hatte lange pinke Fingernägel, laut Namensschild hieß sie Joanne. Monique weiß gar nicht, wie man da rauskommt, sagte sie gerade zu ihrer Kollegin.

Sie sollte es aber langsam wissen, antwortete diese.

Ich sagte Hallo, und fragte, wie es ihnen ging. Sie drehten sich zu uns um, und Joanne sagte, dass es ihr gut ging, wie es mir ginge. Ich sagte danke, gut, wobei wir das Problem hätten, dass meine Mutter hingefallen sei und sich verletzt habe.

I broke my nose, sagte meine Mutter. Sie hatte, wie ich plötzlich feststellte, ein blaues Kühlpad in der Hand, das sie von Dale bekommen haben musste. Sie drückte es von oben auf die Nase, aus der unten zwei zusammengeknüllte Papierstreifen ragten.

Oh no, sagte Joanne. Sie war klein und dick und trug eine gepflegte, bläulich schimmernde Ponyfrisur. Sie konnte, dachte ich, höchstens zwanzig sein.

Joanne schaute meine Mutter mitfühlend an. Wenn wir ihr unser Anmeldeformular geben könnten, sagte sie, werde sie uns sofort ins System aufnehmen.

Wir haben kein Anmeldeformular, sagte ich.

Warum habt ihr kein Anmeldeformular?, fragte sie.

Wo können wir eines bekommen?, sagte ich.

Sie zeigte auf den Schreibtisch des jungen Mannes hinter uns und erklärte, dass wir uns zuerst anmelden müssten, danach könnten wir mit dem Anmeldeformular zu ihr kommen, dann werde sie uns sofort ins System aufnehmen.

Wir haben keine Versicherung, sagte ich.

Das machen wir später, sagte sie und drehte sich zu der anderen Schwester um und sagte: Wenigstens weiß Monique, wie man sich interessant macht.

Wir stellten uns vor den Schreibtisch des jungen Mannes. Er trug ein Stethoskop um den Hals und hatte, wie es schien, noch keinen Bartwuchs. Während wir vor seinem Schreibtisch standen, der mir kaum übers Knie reichte, unterhielt er sich mit einer Pflegerin, die hinter ihm am Computer saß.

Ich sagte Hallo und fragte, wie es ihm ging, worauf er sich zu uns umdrehte und mir von unten zunickte. Es gehe ihm gut. Wie es uns gehe? Ich hörte meine Mutter mit näselnder Stimme sagen, dass sie sich möglicherweise die Nase gebrochen habe.

Oh no, sagte er völlig unbewegt, was mich irgendwie aufbrachte. Er fragte, wie es passiert sei, und meine Mutter erklärte es ihm.

Wo seid ihr her?, fragte er.

Aus Bamberg, sagte meine Mutter. In Bayern. Eigentlich in Franken.

Herzogenaurach, sagte der junge Mann, der, wie ich jetzt bemerkte, kein Namensschild trug, sondern nur das Stethoskop. Eine Freundin von mir kommt von dort, erklärte er. Sie hat mit mir zusammen das praktische Jahr in einer Klinik in San Diego gemacht. Tina. O.k., Leute, wir müssen euch anmelden, es wird alles gut. Habt ihr euer Aufnahmeformular für mich?

Das Aufnahmeformular?, sagte ich. Wir haben gehofft, es hier zu bekommen.

Nein, das bekommt ihr drüben, bei meinen Kolleginnen. Bei mir kriegt ihr das Anmeldeformular. Braucht ihr eines?

Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht, sagte ich.

O.k., sagte er. Ich denke, ihr braucht eines. Aber zuerst müsst ihr zu meinen zwei Kolleginnen dort drüben. Sie geben euch das Aufnahmeformular. Das bringt ihr dann zu mir.

Wir haben keine Krankenversicherung, sagte ich.

Darum kümmern wir uns später, sagte er.

Wir traten zurück an den anderen Schalter, und ich sagte zu Joanne, die sich sofort umdrehte und uns freundlich anlächelte, dass wir ein Aufnahmeformular bräuchten. Ihr Kollege habe uns gesagt, dass wir erst ein Aufnahmeformular ausfüllen müssten, bevor er uns das Anmeldeformular geben könne.

Es ist genau umgekehrt, sagte Joanne. Sie verdrehte die Augen, schaute die andere Pflegerin an und lächelte uns dann zu. Kenny!, rief sie quer über die Halle.

Ja?, rief der junge Mann, der sich in seinem Stuhl zurücklehnte und mit je einer Hand ein Ende des Stethoskops umfasst hielt, daran zog und sich noch weiter zurücklehnte.

Sie seufzte, schob den Stuhl zurück und stand auf. Please excuse me, sagte sie zu uns. Sie ging umständlich um die Theke herum und durch die Halle zu seinem Schreibtisch. Sie stand dort eine Weile über ihm und sprach auf ihn ein. Er schüttelte den Kopf, fasste, während er von hinter seinem Tischchen zu ihr aufschaute, mit beiden Händen nach dem Stethoskop und zog daran. Dann redete er auf sie ein, und sie schüttelte dabei den Kopf. Die Pflegerin hinter ihnen lachte. Sie drehte sich zu ihrem Computer um und tippte etwas ein. Kurz darauf begann der Drucker zu ruckeln und zu...

Erscheint lt. Verlag 20.7.2021
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte camden • Deutscher Autor • Familie • Humor • Kommunikation • Literatur • Maine • Mütter • Mutter Sohn Beziehung • Mutter und Sohn • New York (Brooklyn) • on the road • Psychologie • Road Novel • Road Trip • Romane • Roman Neuerscheinung 2021 • Söhne • Urlaub • USA
ISBN-10 3-644-00925-2 / 3644009252
ISBN-13 978-3-644-00925-7 / 9783644009257
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