Wir Gotteskinder (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
272 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-27074-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wir Gotteskinder -  Nana Oforiatta Ayim
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»Eine mutige Neuerfindung der Einwanderungserzählung, verführerisch, poetisch ... beispiellos.« Taiye Selasi
Maya Mensah ist im deutschen Exil täglich damit konfrontiert, anders zu sein. Auch ihre Eltern sind anders. Ihr Vater ist ein scheuer Intellektueller, und ihre schöne Mutter liebt es, das Geld mit vollen Händen auszugeben und an ihre königliche Abkunft zu erinnern. Doch wenn Maya in der Schule von ihrer glanzvollen Familie erzählt, wird sie verspottet. Beistand leistet ihr einzig ihr Cousin Kojo. Maya ist fasziniert von seinen farbenprächtigen Erzählungen aus Ghana, an das sie sich kaum erinnern kann. Sie klingen für sie wie Märchen, die mythisch und wirklich zugleich scheinen, und öffnen ihr den Blick: für ein Land, das seine Seele nach all den Jahren der Kolonialzeit erst wiederfinden muss, für ihre entwurzelten Eltern - und endlich erkennt sich Maya als Teil dieser Geschichte.

Poetisch, fesselnd, faszinierend - » Wir Gotteskinder« ist wahre Weltliteratur und eine Hymne an das Geschichtenerzählen als verbindendes Glied zwischen den Kulturen.

Nana Oforiatta Ayim, geboren und aufgewachsen in Deutschland, ist die Enkelin des Königs der ghanaischen Region Akyem Abuakwa. Sie studierte Afrikanische Kunstgeschichte, arbeitete für die UN in New York und ist heute weltweit v.a. als Kunstvermittlerin und Kuratorin, aber auch als Filmemacherin tätig. »Okay Africa« zählt sie zu den »12 wichtigsten Frauen aus Afrika, die Geschichte schreiben«. Sie gehört auch zu den »Apollo 40 unter 40« und damit zu »den talentiertesten und inspirierendsten jungen Personen, die die Kunstwelt heute voranbringen«. 2022 verantwortet sie den ghanaischen Pavillon auf der Biennale von Venedig. »Wir Gotteskinder« ist ihr hochgelobter Debütroman. Sie lebt in Accra/Ghana.

2

Abele«, sang meine Mutter vor dem Frisierspiegel, während ich auf der Satinsteppdecke auf dem Bett hinter ihr lag und sie beobachtete.

»Abele Sie bewegte sich auf ihrem Stuhl tanzend hin und her, und ihre Mundwinkel waren anerkennend ein wenig nach unten gezogen. »Schade, dass mein Kind nicht meine Schönheit geerbt hat«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild, während sie Creme auf ihrem Gesicht verteilte und sie in die weiche Haut hineinstreichelte, dabei die Höhlung unter den Wangenknochen betrachtete und den Glanz, der in den Bernsteinwinkeln ihrer Haut gefangen war. Sie drehte sich zu mir um, als erinnere sie sich. »Du musst immer mehr als perfekt aussehen. Nicht bloß gut genug, sondern perfekt. Du musst bei allem, was du tust, besser als sie sein, sonst denken sie, du bist weniger wert.«

Meine Mutter tauchte vor mir auf, der Geruch ihres pudrigen Luxus umgab mich und ließ meine Augen tränen. Ich öffnete sie. Sie lief seitwärts die Treppe hinunter, und ihre Schuhe klapperten gegen ihre Fersen.

Würde er über Nacht kommen, der Wunsch nach Perfektion, wie auch die Fähigkeit, teuer zu riechen und maßgeschneiderte Kleider zu tragen?

»Maya, was ist los mit dir, Mädchen? Willst du, dass dein Vater nach Hause kommt und mir das Leben schwer macht? Ah.«

Ich ging langsam, seitwärts, die Treppe hinunter, auf meine Mutter zu, die weit weg war wie der Rest der Welt. Als ich sie eingeholt hatte, knöpfte sie meinen Mantel zu. Meine Arme ragten an beiden Seiten heraus. Ich sah an ihr vorbei auf mein Spiegelbild, halb dort, halb an einem anderen Ort. Sie trat zurück, um mich zu betrachten, und bewegte sich auf den offenen Karton neben der Eingangstür zu.

Ich schloss die Augen, weil ich nicht sehen wollte, wie sie fiel.

»Aich«, schrie sie.

Ich machte die Augen auf.

Sie saß nicht auf dem großen neuen Fernseher, sondern hing darüber, die Arme hatte sie hinter sich gegen die Wand gestemmt, die Beine waren ausgestreckt, der Rock hochgerutscht.

Ich fing an zu lachen.

»Ah!« Diesmal klang ihr Gelächter schrill. »Kwasiaa! Komm und hilf mir.«

Ich zog sie hoch, und ihr Gewicht warf mich beinah um.

Sie schaute in den Karton und zog die Mundwinkel nach unten. »Hmm«, sagte sie, der Rock noch immer bis zu den Schenkeln hochgerutscht, »sie sollen ihn sehen.«

Ich lief neben ihr her durch das makellose Viertel mit den Doppelhaushälften aus rotem Backstein, dessen Wert nur durch die afrikanische Familie, der eine davon als Tarnung diente, nicht ganz makellos war. Nicht ganz makellos, was aber auch nicht allzu sehr auffiel, weil er Arzt war, seine Frau schön und seine Tochter tadellos gepflegt. Nicht ganz makellos, weil sie ihre Wäsche im Garten aufhängten, bis die Nachbarin ihnen sagte, sie sollten das nicht machen. Nicht ganz makellos, weil ihr Fernseher auf Büchern stand, nicht auf einem Gestell. Nicht ganz makellos, weil der Vater den neuen Fernseher mit Gestell, den die Mutter mit seiner Kreditkarte gekauft hatte, für zu teuer hielt und ihn zurückschicken ließ. Aber immer noch besser als die Männer, die zusammengedrängt vor dem Bahnhof und McDonald’s standen und nach Illegalität stanken, als die Frauen, die in den Afroshops saßen und in einem schrillen Stimmengewirr schwatzten, während die Friseure Haare flochten und die Stoffhändler gepunktete, gestreifte, in den Niederlanden bedruckte Stoffbahnen herauszogen, wie farbenprächtige exotische Tierarten.

Ich sah zu meiner Mutter auf, die zu laut mit ihrem unperfekten Akzent sprach. Die Leute musterten sie, als sie vorbeiging, doch sie nahm es nicht wahr. Selbst wenn ich nicht ihre Schönheit geerbt hatte, begriff ich, was sie nicht begriff, dass du nämlich, um besser als sie zu sein, ihnen so vollkommen gleichen musstest, dass sie dein Anderssein nicht mehr wahrnahmen.

Ich weiß nicht, ob es von Anfang an da war, dieses Wissen, dass ich nie einfach nur ich war, sondern ein Ich, das sowohl in mir als auch außerhalb von mir war und das alles beobachtete und bezeugte, was ich tat und was um mich herum war. Als ich später von den Ahnen berichten hörte, wusste ich es bereits, und als mein Vater mir meinen Namen gab – Εno, Großmutter –, ich war fast noch ein Baby, geschah das, weil auch er sehen konnte, dass das, was ich sah und verstand, nicht nur mir gehörte.

Es fing an zu regnen. Sie zog mich dicht an sich, und ihr erbsengrüner seidener Regenmantel schützte uns beide, als wir rannten.

Wir kamen am Kaufhaus an und fuhren mit der Rolltreppe nach oben, vorbei an den Abteilungen für Elektronik, Kosmetik, Haushaltswaren und Unterwäsche bis zur Abteilung für Damenmode. Sie war fast leer. Draußen wurde es dunkel, und die Deutschen ließen sich zu ihrem Abendbrot nieder.

Die Verkäuferin musterte uns von oben bis unten, als wir, immer noch tropfend, vorbeigingen. Meine Mutter schlängelte sich zwischen den Kleiderständern hindurch wie eine Betrunkene, mit den Händen prüfte sie Seide, Polyester, Pailletten und Federn, nahm ein Kleidungsstück nach dem anderen herunter, bis sie die Arme vollgeladen hatte und Kleider auf dem Boden hinter sich herzog.

Die Verkäuferin stand jetzt hinter uns, aber meine Mutter bekam es immer noch nicht mit.

»Kann ich helfen?«, fragte sie in einem keineswegs hilfreichen Ton.

Nun drehte sich meine Mutter um und lachte. »Ich will alles kaufen«, sagte sie. »Alles. Hier hilf mir.« Sie sprach die Frau mit dem familiären Du an, nicht dem höflichen Sie, und übergab ihr die Kleider. Sie schaute vage nach links, dann nach rechts und runzelte die Stirn, als konzentriere sie sich, doch ihre Bewegungen ließen keinen Fokus erkennen. Sie ließ ihren Schal hinter sich fallen.

Ich sah auf ihn hinunter, sah in das stirnrunzelnde Gesicht der Frau, als sie sich bückte, um ihn aufzuheben, und meiner Mutter wie eine Bedienstete folgte. Ich begab mich in die Kinderabteilung und fuhr mit den Händen durch die Kleidungsstücke wie meine Mutter, verweilte bei den Samtstoffen und weichen dunklen Cordsachen. Ich schloss die Augen und sah mich in Cordsachen: ein perfektes deutsches Mädchen, eine junge Romy Schneider, die durch den Wald lief, die Arme ausgestreckt nach einem Reh im Gehege, lächelnd wie das Mädchen auf der Sechsfrucht-Saftflasche von Rotbäckchen, die Wangen apfelrot, passend zu ihrem Kopftuch.

»Guck mal! Guck mal, der Neger!«

Das war die Stimme eines kleinen Mädchens hinter mir. Meine Hand verharrte auf dem weinroten Cordkleid. Ich blickte hoch, um zu sehen, wen sie meinte, und wandte mich dann zu ihr um. Sie zeigte auf mich. Sie hatte mich für einen Jungen gehalten. Ihre Mutter sah mich verärgert an, nahm das Mädchen bei der Hand und ging weg. Ich blieb stehen und schaute in den bodentiefen Spiegel links von mir. Meine Haare waren zu vier dicken Zöpfen geflochten. Es stimmte, ich hatte Hosen an, aber wie konnte sie mich mit einem Jungen verwechseln? Mein Vater sagte mir immer, ich solle Ohrringe tragen, was ich nicht tat. Ich berührte meine Ohren.

»Schön«, hörte ich hinter mir. »Ja.«

Meine Mutter wählte das rote Cordkleid von der Stange und noch ein anderes, pfirsichfarben mit weißen Rüschen und einem Satinband. Sie wählte weiße Schuhe und ein weißes Kleid mit Erdbeeren auf der linken Brust. Sie wählte Cord-Latzhosen und eine passende Bluse.

»Ich bin Prinzessin, wissen Sie?«, sagte sie zu der Verkäuferin. »Prinzessin Yaa.« Sie erzählte ihr, wo sie herkomme, seien ihre Kleider aus Spitze und Gold, sie habe Diener und sei in einem Palast aufgewachsen.

Die Frau hatte jetzt einen etwas erschrockenen Gesichtsausdruck.

Meine Mutter ging in die Umkleidekabine, und ich folgte ihr, um in eine kleine zukünftige Prinzessin verwandelt zu werden, Erbin der Schönheit.

Vier Verkäuferinnen hatten meine Mutter bedient, als wir mit fünf Plastiktüten davonzogen. Sie zahlte mit der Kreditkarte meines Vaters. Sie begleiteten uns. Sie strichen mir übers Haar. Sie halfen meiner Mutter auf die Rolltreppe. »Tschüss Prinzessin Yaa. Tschüss.«

Sie sah sich nicht um. Ihr Blick war nach unten gerichtet. Ich folgte ihm und sah, was sie sah: einen großen Schrank voller Teller in allen Größen und Tiefen; weiße Teller mit tintenblauen Rändern und Goldarabesken, die in die Ränder eingebettet waren wie Schwäne mit goldenen Flügelspitzen am Rand eines Sees, verzaubert.

Wir kamen im Erdgeschoss an, und sie lief darauf zu, nicht geradewegs, sondern in einer Art Zickzackkurs. Ich sah mich um. Keiner beobachtete uns. Sie blieb vor dem Schrank stehen, und diesmal kam ein Mann zu ihr.

»Ja?«, sagte er mit erhobenen Augenbrauen.

»Wie viel?«, fragte sie.

»Wie viele Teller?«, fragte er die exzentrische Frau, die die Anzahl der Teller wissen wollte.

»Wie viel kostet sie?« Sie zeigte auf die Teller.

Der Mann blickte verwirrt. Wollte sie den Preis eines Tellers wissen?

»Sie will wissen, wie viel alles zusammen kostet«, bot ich an.

»Ah«, sagte der Mann, ging zum Ladentisch und öffnete ein Buch. Er kam damit zurück und zeigte es meiner Mutter, während er sie wortlos anblickte.

»Ich kaufe«, sagte sie.

Seine Brauen wanderten noch höher. Er klappte das Buch zu und führte uns zum Ladentisch.

Meine Mutter reichte dem Verkäufer die Kreditkarte und sagte ihm, dass die Teller tagsüber vor 18 Uhr und nicht am Wochenende geliefert werden sollten. Sie wollte nicht, dass mein Vater sie zu sehen...

Erscheint lt. Verlag 13.4.2021
Übersetzer Reinhild Böhnke
Sprache deutsch
Original-Titel The Godchild
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Afrika • Afrikanische Literatur • Afrodeutsche • Biennale 2022 • Biennale Venedig • Black History Month • Black lives matter • Chimamanda Ngozi Adichie • Coming-of-age • eBooks • Einwanderung • Entwicklungsroman • Familiensaga • Ghanaischer Pavillon • Identitätssuche • Ijoma Mangold • Jackie Thomae • Kuratorin Ghanaischer Pavillon • Rassismus • Tariye Selasi • Twi
ISBN-10 3-641-27074-X / 364127074X
ISBN-13 978-3-641-27074-2 / 9783641270742
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