Die Urlauber (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
432 Seiten
Limes (Verlag)
978-3-641-27265-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Urlauber -  Amanda Eyre Ward
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Sommer, Sonne und dann noch ein Hauptgewinn: 10 Tage Kreuzfahrt. Nur mit der Familie. Was kann da schon schiefgehen?
Die siebzigjährige Charlotte Perkins nimmt an einem Schreibwettbewerb teil, denn der Hauptgewinn, eine Kreuzfahrt mit ihren Lieben, wäre eine Chance, die Mitglieder ihrer Familie wieder zusammenzubringen. Da ist zum einen Tochter Lee, eine mäßig bekannte Schauspielerin, Sohn Cord, ein attraktiver Unternehmer, und zu guter Letzt Regan, ihres Zeichens gestresste Mutter, der es Charlotte einfach nicht recht machen kann. Als sie den Wettbewerb tatsächlich gewinnt, verbringt die Familie die nächsten zehn Tage auf einem luxuriösen Kreuzfahrtdampfer. Und während sich ihnen auf den Zwischenstopps alte und neue Liebschaften anschließen, brechen Konflikte auf und Geheimnisse kommen ans Licht ...

Amanda Eyre Ward wurde in New York City geboren und lebt heute mit ihrem Mann und ihrem Sohn in Austin, Texas. Bereits ihr erster Roman 'Die Träumenden' stieß auf ein begeistertes Echo - die Produktionsfirma von Sandra Bullock erwarb umgehend die Filmrechte. Auch von 'Winterschwestern ' sind die Filmrechte bereits vergeben, eine Hollywood-Verfilmung ist in Arbeit.

1 / Charlotte

MANCHMAL STAND CHARLOTTE abends vor dem Familienporträt. Es hing in ihrer Eigentumswohnung in Savannah, Georgia, über dem Gaskamin, den sie nur selten anfeuerte. Auf dem Gemälde wirkte ihr Haar wie ein Meisterwerk aus Bernsteinfarbe und Gold, das in lockeren Wellen ihr Gesicht umrahmte. Ihre Züge zeigten ein unergründliches Mona-Lisa-Lächeln, wie man es nannte, das durch seine Zurückhaltung verlockend wirkte. In Wirklichkeit lächelte niemand so. Es war ein Ausdruck, auf den der Betrachter blicken sollte, kein Lächeln, das spontan war oder auf Freude beruhte. Und dennoch, so schloss Charlotte, sah sie auf dem Bild reizend aus, viel besser, als sie je im wirklichen Leben ausgesehen hatte. Und sicherlich viel besser, als sie jetzt mit einundsiebzig Jahren aussah. Ihr graues Haar ließ sie sich jeden dritten Dienstag von Hannah bei Shear Envy zu Marilyn Monroes Platinblond aufhellen.

Charlotte beschloss, auf der Beerdigung ihrer besten Freundin ein kleines Schwarzes zu tragen. Minnie hatte sich ein bisschen über Charlotte lustig gemacht, als sie im Ralph Lauren Outlet Store eine neonpinke Strickjacke gekauft hatte. Die warf sich Charlotte über die Schultern und griff nach einer weißen Coachtasche. Charlotte hätte ihre Tochter Regan anrufen und darum bitten können, sie zu fahren, doch dann hätte sie sich wieder die Geschichte vom Weight-Watchers-Geschenkgutschein anhören müssen. Also beschloss sie, selbst zu fahren.

Charlotte und Minnie hatten sich öfter über Särge unterhalten. Für Charlotte hatte ein offener Sarg etwas Beängstigendes, und sie fand es auch irgendwie geschmacklos. Minnie hingegen war ganz anderer Meinung. Sie fand, dass man sich von einem echten Gesicht besser verabschieden konnte. »Ich lebe in der Realität«, hatte Minnie gesagt. »Und du verdrängst alles. Oder zumindest versuchst du das. Aber das wird dich eines Tages einholen, Char.«

Vielleicht war heute dieser Tag.

Langsam ging Charlotte zum Altar, sie fühlte sich schwach, und ihr war schwindelig. Sie sah, dass Pfarrer Thomas sie beobachtete, und wusste es zu schätzen, dass er sich Sorgen machte. Sie blickte in den offenen Sarg, genau wie Minnie es gewollt hatte. Minnie trug zu viel Bronzer, aber sie hatte schon immer zu viel Bronzer getragen. Charlotte hatte sie gewarnt. »Minnie, sei vorsichtig mit dem Bronzer!« Aber Minnie wollte nicht hören und machte einfach immer, was sie wollte. Das war einer der Gründe, weshalb Charlotte sie vom ersten Moment an ins Herz geschlossen hatte. Sie hatten sich in der St.-James-Kirche beim Pancake-Frühstück kennengelernt, kurz nachdem Minnie nach Savannah gezogen war. Die Pancakes waren furchtbar mehlig und mit billigem Sirup getränkt gewesen, und Minnie hatte sich zu Charlotte umgedreht und einfach nur »Igitt« gesagt. Charlotte hatte verlegen nach unten geblickt, weil sie sich für kultiviert und für keine Frau hielt, die in einer Kirche schlecht über Pancakes sprach.

»Haben Sie gehört?«, hatte Minnie gefragt. »Ich habe ›Igitt‹ gesagt.«

»Das habe ich gehört«, hatte Charlotte gemurmelt.

»Ihre Hose ist toll«, hatte Minnie gesagt.

Charlotte hatte mit der Hand über die Hose im Leopardenmuster gestrichen (die zu ihren Schuhen mit Gepardenmuster passte). Sie war tatsächlich todschick. Beide waren sie einsam gewesen. Und so besuchten sie zusammen Vernissagen, Weinverkostungen und das Driftaway-Café. Sie besuchten den Marshwood Pool und den Franklin Creek Pool, wirbelten über Golfplätze, vorbei an Magnolienbäumen und Kamelien, die im Winter blühten. Sie spielten Golf und sahen den Menschen beim Tennisspielen zu. Minnie hatte einen Golfwagen Modell Blue Demon mit einem Achtundvierzig-Volt-Motor und Ledersitzen. Irgendwie – ja wie? – waren zwanzig Jahre vergangen, und Charlotte war nun offiziell alt und Minnie tot.

»Zu viel Bronzer, Schätzchen«, flüsterte Charlotte, und ihr Hals fühlte sich heiß an. Sie berührte Minnies Wange. »Hübsches Rouge. Warum nicht hübsches Rouge, Min?«, fragte sie leise. Einmal, nachdem sie sich eine Flasche Barefoot Chardonnay geteilt hatten, hatte Minnie Charlotte erlaubt, ihr ein Make-up zu verpassen. Dafür hatte Minnie in Charlottes Badezimmer ihr Gesicht zur Verfügung gestellt. Charlotte trug Grundierung, Mascara, Lippenkonturenstift und Lippenstift auf. Sie tuschte Minnies spärliche Wimpern und bestäubte sie mit Puder. Dann endlich durfte Minnie die Augen öffnen. Charlotte fuhr mit einer Bürste durch das Haar ihrer besten Freundin, während Minnie ihr verbessertes neues Gesicht betrachtete.

»Und?«, meinte Charlotte und verschränkte die Arme. »Bist du nicht wunderschön?«

»Ich sehe aus wie eine Nutte am Samstagabend«, erwiderte Minnie und drehte den Kopf zur Seite, um Charlottes fachmännisch ausgeführte Konturierung zu begutachten.

»Es ist Mittwoch«, kommentierte Charlotte gelassen.

Dann waren beide in Gelächter ausgebrochen. Wie gut es sich doch anfühlt, sich das Lachen zu gestatten, dachte Charlotte, und für einen Moment die Deckung fallen zu lassen. Am nächsten Tag, als sie sich bei Sonnenaufgang zu ihrem Spaziergang um die Lagune trafen, war Minnies Gesicht wieder so nackt wie das eines Säuglings. Einige Jahre später, nachdem ihre Tochter ihr Bronzer zum Geburtstag geschickt hatte, kreuzte Minnie dann jeden Morgen mit ihrer üblichen Kappe und in Jogginghose, aber mit karottenfarbenen Wangen auf. Bei Abendveranstaltungen erstrahlte Minnie dann vom Haaransatz bis zum Dekolleté orangefarben. Je mehr Charlotte sie beriet und Minnie sogar zart getönte Sonnencremes und flüssiges Rouge bei TK Maxx kaufte, desto aufsässiger trug Minnie Bronzer auf.

Charlotte musste an Minnies warme Wangen unter ihren Fingern denken, an Minnies kleinen Seufzer, als sie das Vergnügen einer Berührung genoss. Nun war Minnies Haut eiskalt.

»Madam?«, sagte die Frau, die hinter Charlotte in der Schlange stand. Sie drehte sich um, doch die Frau war eine Fremde.

Vor der St.-James-Kirche schüttete es. Ein junger Mann bot seinen Regenschirm an, doch Charlotte schüttelte den Kopf. Sie konnte es nicht leiden, von irgendjemandem abhängig zu sein.

Sie hatte Mühe, ihren Schlüssel ins Schloss ihres VW zu stecken. Es regnete unerbittlich. Wenn sie zu Hause in ihrer gemütlichen Eigentumswohnung saß, genoss sie die Gewitter in Savannah. Aber hier, auf einem Parkplatz, empfand sie Angst. Alles wirkte viel zu laut. Charlotte wollte nur noch nach Hause, sich ein Glas kühlen Barefoot Chardonnay einschenken und das Glas leeren. Warum konnte sie Minnie nicht anrufen, um über die Beerdigung zu tratschen? Wer hatte Minnie in ihre verhassteste Bluse mit Tulpenmuster und den unvorteilhaften, hoch taillierten Rock gesteckt?

Minnie hatte zwei Kinder, einen nichtsnutzigen Sohn und eine geschiedene Tochter. Beide lebten in New Jersey, dem Bundesstaat, aus dem Minnie nach dem Tod ihres Mannes geflohen war. Charlotte hatte per Mail eine Einladung zu einem Brunch erhalten, der in Minnies Stadthaus nach der Beerdigung unserer geliebten Mama stattfinden sollte, aber sie hatte sie gelöscht. Charlotte ertrug es nicht, zusehen zu müssen, wie Minnie in die Erde versenkt wurde. In ihrem Namen war sie bestürzt, dass ihre Kinder sich nicht die Mühe gemacht hatten, eine Einladung in Papierform zu verschicken. Minnie wäre das vermutlich gleichgültig gewesen. Aber Charlotte war es nicht gleichgültig. Es war einfach lieblos, eine elektronische Einladung zu einem Brunch nach dem Begräbnis zu verschicken. Minnie hätte etwas Besseres verdient – eine eierschalenweiße oder blassrosa Einladung, handgeschrieben, auf dickem Papier. Wussten Charlottes eigene Kinder, wie man Einladungen auf Papier verschickte? Wussten sie, dass sie nach ihrer Beerdigung ein Mittagessen in Marshwood haben wollte? Sie machte sich im Kopf eine Notiz, mit Regan darüber zu sprechen, die würde sich daran erinnern. Für einen Moment überkam Charlotte im Regen eine Welle der Dankbarkeit für ihre übergewichtige, aufmerksame Tochter. Sie beschloss, sich mehr Mühe mit ihr zu geben und freundlicher zu ihr zu sein.

Die Batterie in Charlottes Schlüssel war seit Monaten leer. Sie wusste, dass sie ihren Schlüssel an die richtige Stelle drückte, aber die Tür blieb verschlossen. »Mrs. Perkins!«, rief der junge Mann, von dem Charlotte sich kurz zuvor entfernt hatte. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«

Was hätte Charlotte dafür gegeben, in ihr Auto zu steigen und abrauschen zu können!

»Ich kann Ihnen helfen!«, fuhr er fort und rannte unter seinem riesigen Golfschirm über den Parkplatz auf sie zu. »Mrs. Perkins«, sagte er, und seine Stimme klang eine Spur zu besorgt. Charlotte wusste, dass sie für ihn einfach nur eine ältere Dame war, die im Regen stand. Sie hätte ihm gern vermittelt, dass sie früher eine atemberaubende Schönheit gewesen war … und dass sie in ihrem Innern noch immer diese anmutige junge Schönheit war. Denn dass Fremde sie als einen Menschen wahrnahmen, der sie nicht sein wollte, war einfach eine der Demütigungen des Alters. Man konnte es akzeptieren, darauf schimpfen oder einfach so tun, als würde es nicht passieren. Charlotte bewegte sich zwischen Akzeptanz und vorsätzlichem Ignorieren, sie war sich zu gut (oder vielleicht war sie auch zu erschöpft), um sich mit Schönheitsoperationen und Videos über straffe Strandhintern zu beschäftigen, auf die ihre Freundin Greer schwor.

»Kommen Sie, ich helfe Ihnen, Mrs. Perkins!«, sagte der Mann. Er...

Erscheint lt. Verlag 10.5.2021
Übersetzer Christiane Winkler
Sprache deutsch
Original-Titel The Jetsetters
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Athen • Barcelona • book club • Bücher für den Urlaub • Carolin Hulse • eBooks • Emma Straub • familienkatastrophen • Familienroman • Frauenunterhaltung Neuerscheinung 2021 • Kreuzfahrt • Mikrokosmos • Mutter und Sohn • Mutter und Tochter • Reese Witherspoon • Reisen • Rom • Roman • Romane • Roman Familie • Roman Frauen • Sommer • Sommerlektüre • Sommerroman • Taschenbuch Neuerscheinung 2022 • Urlaub • Urlaubslektüre • Urlaubsroman
ISBN-10 3-641-27265-3 / 3641272653
ISBN-13 978-3-641-27265-4 / 9783641272654
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