Mist, die versteht mich ja! (eBook)

Spiegel-Bestseller
Aus dem Leben einer Schwarzen Deutschen
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
240 Seiten
Orlanda Verlag
978-3-944666-78-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mist, die versteht mich ja! -  Florence Brokowski-Shekete
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 'Ein Mensch mit einer anderen Hautfarbe muss einfach woanders herkommen, die Sprache nicht verstehen und auch sonst kulturell anders gestrickt sein. Anders kann es einfach nicht sein, sonst würde das Weltbild einiger erschüttert.' Die kleine Florence, geboren in Hamburg als Kind nigerianischer Eltern, wird Ende der 60er-Jahre in Buxtehude von einer alleinstehenden Frau in Pflege genommen. Mit neun Jahren nehmen die Eltern sie mit nach Lagos, in ein Land, dessen Sprache sie nicht spricht, dessen Kultur ihr fremd ist, zu einer Familie, die sie nicht kennt. Durch das beherzte Eingreifen einer Lehrerin schafft sie es zurück nach Deutschland und macht dort ihren Weg ... In ihrer Autobiografie beschreibt die Autorin mit einer guten Prise Humor die Erlebnisse einer Schwarzen Frau in einer weißen Gesellschaft, den schmalen Grat zwischen witzigen Anekdoten und unschönem Alltagsrassismus, zwischen der Herausforderung, Brücken zu bauen, und der Grenzen zu setzen, zwischen Integration und Identitätsfindung, zwischen Beruf und dem Muttersein als Alleinerziehende - kurz: die Lebensgeschichte einer beeindruckenden Frau.

Florence Brokowski-Shekete ist Schulamtsdirektorin in Baden-Württemberg, als erste Schwarze in Deutschland. Sie ist Gründerin der Agentur FBS intercultural communication, bei der sie seit 1997 als freie Beraterin, Coach und Trainerin tätig ist. Sie arbeitete als Lehrerin, Schulleiterin und Schulrätin. Und sie mischt sich ein und setzt Grenzen, wenn sie auf Alltagsrassismus stößt.

Florence Brokowski-Shekete ist Schulamtsdirektorin in Baden-Württemberg, als erste Schwarze in Deutschland. Sie ist Gründerin der Agentur FBS intercultural communication, bei der sie seit 1997 als freie Beraterin, Coach und Trainerin tätig ist. Sie arbeitete als Lehrerin, Schulleiterin und Schulrätin. Und sie mischt sich ein und setzt Grenzen, wenn sie auf Alltagsrassismus stößt.

Wie alles begann


Rückblickend war es eine schöne Kindheit, behütet, idyllisch, warmherzig. Diese Frau – sie sah anders aus als ich, ihre Haut war hell – war liebevoll, sie beschützte mich, sorgte für mich, half mir auf, wenn ich hingefallen war, spielte mit mir, wenn unten im Hof kein anderes Kind war. Bei ihr fühlte ich mich wohl. Es heißt, ich habe sie bereits zwei Stunden nach meiner Ankunft »Mama« genannt.

Meine Mama – das ist sie bis heute, meine Herzensmama – ich hatte sie sehr lieb. Und dennoch war immer klar, meine Mutter war sie nicht.

Ich hatte Vater und Mutter, schließlich war ich kein Findeloder Waisenkind. Meine Eltern, mit denen alles begann, die verantwortlich dafür waren, dass es mich, meine Geschichte überhaupt gibt.

Es muss an einem typischen Februarnachmittag gewesen sein, 1969 – stürmisch, trübe, nasskalt. Ein Ehepaar westafrikanischer Herkunft, Mitte, Ende Zwanzig, sucht in einer niedersächsischen Hansestadt eine Bleibe für ihre kleine Tochter. Sie sprechen bereits etwas Deutsch, gut genug, um sich verständigen zu können.

Sie waren beide nach Hamburg gekommen, um dort zu studieren, er vor vier, sie vor drei Jahren. 1967 bekamen sie ihr zweites Kind, ihre zweite Tochter, die erste hatten sie in ihrer westafrikanischen Heimat, Lagos in Nigeria, bei Verwandten zurückgelassen. Nun hatten sie also noch ein Kind, in Deutschland, in einem für sie fremden Land. In einem Land, in dem sie ohne Verwandte und familiäre Unterstützung zurechtkommen mussten. Als Studierende war es für sie schwer, sich um dieses Kind zu kümmern. Sie suchten immer wieder nach Möglichkeiten, ihr Baby unterzubringen. Nach Pflegestellen, die gegen Geld auf es aufpassten. Wenn sie eine Pflegestelle gefunden hatten, waren sie erst mal zufrieden, sie konnten sich in Ruhe ihrem Studium widmen. Doch sollte dieser Zustand nie von Dauer sein, nach einer Weile holten sie ihr Kind von der Pflegestelle ab und suchten eine neue und wieder eine neue und wieder. Warum das so war, sollte sich erst viele Jahre später klären.

Nun also in Niedersachsen, genauer gesagt, in Buxtehude. Meine Eltern suchten erneut eine Bleibe für ihre knapp zwei Jahre alte Tochter Florence – für mich. Natürlich war das nicht einfach. Wer ist bereit, rund um die Uhr ein fremdes Kind bei sich aufzunehmen, sich um es zu kümmern, als sei es das eigene? »Wir suchen eine Frau, die unserer Tochter Liebe gibt«, sollen sie gesagt haben. Natürlich war ihnen klar, dass niemand unentgeltlich ein Kind bei sich aufnimmt. Liebe hin oder her – wer ist schon derart altruistisch? In Buxtehude trafen sie auf den Pfarrer einer evangelischen Kirchengemeinde und berichteten ihm von ihren Sorgen. Warum sie gerade einen Pfarrer und nicht einfach das Jugendamt aufsuchten? Nun, sie waren gläubige Menschen, Baptisten. Sie berichteten dem Pfarrer von ihrem bisherigen Leben, davon, dass sie nach Deutschland gekommen seien, um zu studieren. Es war ihre Chance auf Bildung und auch auf die Bleibeberechtigung. Sich nur um das Kind zu kümmern, war ihnen aufgrund ihres Aufenthaltsstatus in Deutschland nicht möglich. Eine Alternative gab es nicht, aber wohin mit dem Kind?

Der Pfarrer hörte ihnen zu, er verstand ihre Not. Aber konnte er ihnen helfen? Wer würde Ende der Sechzigerjahre ein Schwarzes Kind bei sich aufnehmen und das in einer Stadt, in der es bis zu jenem Zeitpunkt so gut wie keine dunkelhäutigen Menschen gab? Wer wäre bereit, sich anstarren zu lassen, sich den Fragen der Mitmenschen zu stellen? Dem Kind müsste erklärt werden, warum es anders aussähe als alle anderen Kinder in der Umgebung, im Kindergarten, in der Schule. Das Kind müsste beschützt werden, wenn es aufgrund seiner Hautfarbe gehänselt, heute würde man sagen »gemobbt«, werden würde. Im Verwandten- und Bekanntenkreis gäbe es Diskussionen. Der Begriff »Neger« ist kränkend, würde das jeder verstehen? Die Person, die dieses Kind aufnähme, stünde selbst im Fokus. »Warum machst du das? Gib es nicht genug weiße Kinder, die ein Zuhause suchen?« Wer, egal und wenn auch in Gottes Namen, wollte sich freiwillig Ende der Sechzigerjahre diesen Stress antun? So viel Geld konnte eine solche Aufgabe gar nicht einbringen, dass man diese Summe als eine Art Entschädigung betrachten könnte für all das, was der Alltag mit Kind und dazu einem Schwarzen Kind so mit sich brächte.

Eines musste auch diesem Pfarrer sehr schnell klar gewesen sein: Wegen des Geldes wird dieses Kind niemand bei sich aufnehmen. Geld, das die Eltern des Kindes ohnehin nicht besaßen, wie sich später noch herausstellen sollte.

Zunächst war er ratlos, wollte das Ehepaar mit der Kleinen wegschicken. Doch dann hatte er eine Idee. Es gab in jener Kirchengemeinde eine Frau, die sich seit Jahrzehnten ehrenamtlich engagierte. Sie führte Kindergottesdienste und Kinderstunden durch. Sie sang im Kirchenchor und nahm an Bibelstunden teil. Der Glaube spielte eine große Rolle in ihrem Leben, sie lebte förmlich in und für die Kirche. Zeitweise hatte sie die ehemaligen Pfarrersleute bei der Betreuung ihrer Kinder unterstützt. Sie liebte Kinder und fühlte sich wohl in ihrer Nähe. Außerdem hieß es, dass sie »Schwarze Kinder so niedlich fände«. Dieser Frau wollte er die Not des Schwarzen Ehepaares schildern. Er wollte nichts unversucht lassen.

Doch wer war diese Frau?

Mitte Vierzig, selbstständige Schneiderin, alleinstehend, kinderlos, eine Vertriebene aus Westpommern eine Geflüchtete, wie es heute heißen würde. Sie galt als sehr korrekt, sprach geschliffenes Hochdeutsch. Sie wusste, wie es sich anfühlte, in der Fremde zu sein, ein neues Zuhause suchen zu müssen. Sie wusste, wie es sich anfühlte, trotz weißer Hautfarbe anders auszusehen, aufgrund eines anderen Kleidungs- oder Haarstils angestarrt zu werden, nicht dazuzugehören und trotzdem dort leben zu müssen – dort leben zu wollen. Sie war dankbar, damals, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Buxtehude ein neues Zuhause gefunden zu haben, Menschen, die ihr wohlwollend begegneten, ihr, einer Vertriebenen aus Stettin. »Wir mussten unsere Stadt verlassen, mussten fliehen und hatten nichts weiter als einen Koffer mit ein paar persönlichen Sachen und der Kleidung am Leib«, erzählte sie später. »Meine Eltern wollten nicht weg, doch ich wusste, dass wir dort, in Stettin, in unserer Heimat, nicht mehr bleiben konnten. Die Stadt wurde besetzt und wir, wir gehörten zum Feind.« Sie berichtete später oft, wie schwer es für sie als junge Frau von 21 Jahren gewesen sei, ihre Eltern und die ältere Schwester davon zu überzeugen, Stettin verlassen zu müssen, in einen Zug zu steigen, von dem niemand wusste, wohin er führe. Schon damals habe ihr der Glaube Halt gegeben, habe ihr, wie sie sagte, geholfen, die dramatischen Situationen durchzustehen.

Diese Hilfe, das Wohlwollen, die Freundlichkeit, ja, auch die Nächstenliebe, die sie damals erfahren habe, wollte sie zurückgeben, wo immer es ihr möglich war. Sie war hilfsbereit, kümmerte sich gerne um andere Menschen und stellte dabei ihre eigenen Bedürfnisse stets zurück. So zu leben, schien ihr zu gefallen, sie zufrieden zu machen und ihr einen Sinn im Leben zu geben.

Diese Frau wollte der Pfarrer also fragen – er war überzeugt, wenn jemand helfen könnte, dann sie.

Natürlich weiß ich dies alles nur aus Erzählungen – Erzählungen von meiner Mama und anderen Menschen, die unsere Geschichte begleitet haben. Und natürlich erzählt sie jeder aus seiner Perspektive. Meine leiblichen Eltern haben kaum über diese frühe Phase meiner Kindheit gesprochen. Emotionalität schien ihnen fremd. Andererseits: Möglicherweise waren sie emotional, möglicherweise blieb mir ihre Art der Emotionalität fremd.

Der Pfarrer stellte den Kontakt zwischen meinen Eltern und dieser Frau her. Ja, sie fand Schwarze Kinder tatsächlich niedlich. Aber sollte sie sich das wirklich antun? »Was würden die Leute sagen?« Diese Frage sollte zu einer der Leitfragen meines Lebens werden. »Was würden die Leute sagen?« War es jedem klar, dass dieses Kind »nur« ein Pflegekind war und nicht ein uneheliches Kind, weil sie sich wohlmöglich von einem Schwarzen Mann hat schwängern lassen und dieser sie dann schnöde hatte sitzenlassen? Was würden ihre Kundinnen sagen, auf die sie angewiesen war, für die sie schneiderte, um Geld zu verdienen? Wie käme sie mit den Eltern dieses Kindes zurecht, Menschen aus einem völlig anderen Kulturkreis? Menschen, die zwar der deutschen Sprache mächtig waren und doch nicht dieselbe Sprache sprachen wie sie. Schließlich geht es nicht nur darum, eine Sprache zu sprechen, sondern auch die Kultur zu begreifen, die es ermöglicht, die Sprache zu fühlen. Hatten sie diese begriffen? Würden sie einander verstehen? Nicht nur rational, sondern auch emotional? Und warum hatten sie derart oft die Pflegestelle gewechselt? Warum hatten sie diesem kleinen Kind derart oft einen Wechsel der Bezugspersonen zugemutet? Ist das...

Erscheint lt. Verlag 15.10.2020
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Afro-deutsch • Alleinerziehende • Alltagsrassismus • Autobiografie • Dekolonialisierung • Empowerment • Familie • Familienbegriff • Farbe bekennen • Feminismus • Frauen • Herkunf • Intersektionalität • Kindheit • Kirche • Kolonialismus • Lagos • Migration • Nächstenliebe • Nigeria • Pädagogik • Pflegefamilie • Pflegekind • Pflegemutter • Rassismus • Resilienz • Schule • Schwarze Deutsche
ISBN-10 3-944666-78-X / 394466678X
ISBN-13 978-3-944666-78-5 / 9783944666785
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