Omama (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020
384 Seiten
Paul Zsolnay Verlag
978-3-552-07216-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Omama - Lisa Eckhart
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Der Debütroman der Kabarettistin Lisa Eckhart ist ein wilder Ritt durch die Nachkriegsgeschichte: tabulos, intelligent, böse, geschliffen - und sehr, sehr komisch.
'Helga, schnell, die Russen kommen!' 1945 ist Oma Helga in der Pubertät und kämpft mit ihrer schönen Schwester Inge um die Gunst der Besatzer. 1955 schickt man Helga dann aufs Land. Den Dorfwirt soll sie heiraten. Sowohl Helga als auch die Wirtin haben damit wenig Freude. 1989 organisiert die geschäftstüchtige Oma Busreisen nach Ungarn, um Tonnen von Fleisch über die Grenze zu schmuggeln. Bevor sie - inzwischen schon über achtzig - in See sticht und mit der Enkelin im handgreiflichen Wettbewerb um den Kreuzfahrtkapitän buhlt. Lisa Eckhart unternimmt einen wilden Ritt durch die Nachkriegsgeschichte: tabulos, intelligent, böse, geschliffen - und sehr, sehr komisch.

Lisa Eckhart, geboren 1992 in Leoben, tritt als Kabarettistin in diversen Fernsehsendungen regelmäßig auf und steht mit Soloprogrammen auf der Bühne. Sie studierte in Paris und Berlin Germanistik und Slawistik. Heute lebt sie in Leipzig. Omama ist ihr erster Roman.

Prolog


Es mangelt weiß Gott nicht an Autoren, die sich an der eigenen Familie vergehen. Das Leben schreibt nämlich die besten Geschichten, sagen die heillosen Naturalisten, wann immer es ihnen an Einfällen fehlt. Besonders die Kaste der Großeltern ist ein beliebtes Sujet vieler schriftelnder Enkel. Und ganz gleichgültig, welche Epoche — jede Erzählung von Großeltern hebt stets mit einer schweren Zeit an. Eine Zeit der Entbehrung, des Hungers, der Not, welche zum lichten Horizont blickt, dem Horizont des Enkelglücks. Und von da an wird geschmachtet, dass die Seiten transpirieren: Der Opa hat mir den Weltlauf erklärt, die Oma hat mir was Gutes gekocht. Selbst Thomas Bernhard, der Großmarketenderin des Schimpfes, welche sich naturgemäß jedes nette Wort verbittet, zerfließt beim Suhlen in Großvaters Spuren das Ressentiment zum Sentiment.

Dem gemeinen Leser mag das freilich imponieren, da er, für Kunst so taub wie blind, stets Wahres dem Erdachtem vorzieht. Das Leben meiner Großmutter, welches ich hier niederschreibe, hat sich fürwahr so zugetragen, wie ich es behaupten werde. Das soll mein Werk jedoch nicht schmälern. Dies ist eine Aufarbeitung — nur nicht die meine. Es bleibt dem Leser überlassen, ob er diese Biografie als Hommage oder als Rufmord erachtet. Ich vermag darüber nicht zu urteilen. Wenn ich von meiner Großmutter erzähle, so zeichne ich in jedem Falle keinen von Krieg und Besatzung geprägten, von Ehen enttäuschten, vom Alter gerächten, tätschelnden, verhätschelnden Archetyp des weisen Ahnen. Großmutter hat mir die Welt nicht erklärt. Ich erkläre sie dem Leser. Anhand des Lebens meiner Großmutter.

Großmutter starb kurz nach meiner Geburt. Ich war bereits vier Tage alt, verweigerte aber seit der Entbindung jede selbstständige Körperfunktion. Offenbar sah ich nicht ein, von der ausreichend unwürdigen Existenz eines uteralen Mitessers sogleich mit der nächsten Unzumutbarkeit des menschlichen Daseins konfrontiert zu werden — jener, fortan tagtäglich zu koten, die herrlichsten Speisen zu Stuhl zu entstellen und in Scham zurückgezogen aus meinem Leib zu exorzieren. Ich wollte nicht wahrhaben, dass meine neugewonnene Würde als Körpereigentümer mit solch einer Abscheulichkeit verbunden sein sollte. Wie kann es dem Mensch gelingen, einst zu reinem Geist zu werden, sich den Göttern gleich zu machen und die Gestirne zu Boden zu ringen, wenn er doch metertief durch Dung stakst?

Langer Rede kurzer Sinn, ich litt an desaströser Verstopfung. Ich hatte großen Appetit, doch ebensolchen Futterneid, der mich sogar dahin trieb, die mir kredenzte Muttermilch selbst verdaut nicht herzugeben. Was in meiner Krippe lag, waren strampelnde Fäkalien, von einer dünnen Schicht Säugling ummantelt. Besorgt, ich könnte implodieren, suchte meine Mutter Rat. Und zwar bei ihrer eigenen Mutter.

Sie eilt zu ihrem Elternhaus und übergibt der Muttermutter ihr kotfarciertes Töchterchen. Meine Großmutter väterlicherseits verspürt exakt in diesem Moment nur wenige Kilometer entfernt einen dumpfen Stich im Herzen. Die Muttermutter schnitzt derweil aus einem Seifenstück ein kleines, kindgerechtes Zäpfchen, welches mir ungeniert und formlos in die streikende Öffnung gesteckt wird. Die Vatermutter stützt sich keuchend mit einer Hand am Esstisch ab. Die andre presst sie an die Brust. Sie ruft verzweifelt nach dem Gatten. Nach diesem rief sie heute aber leider schon zweimal zuvor. Erst, als die Eieruhr geklemmt hat, und später, als der Müllsack voll war. Darum rührt er sich jetzt nicht mehr. Irgendwann muss auch mal Schluss sein. Soll das denn ewig so dahingehen? Sie stelle sich vor, er wäre tot! Sie Witwe und allein zu Haus. Sie muss endlich lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Doch die eigenen Beine haben eben versagt.

»Das funktioniert nicht! Hol es raus!«, hechelt meine Mutter panisch. Als wäre es nicht schlimm genug, dass ihr Kind voll Exkrement ist, doch nun steckt ihm auch noch die Seife im Auspuff. Die Muttermutter mahnt bestimmt, sie möge endlich Ruhe geben. Die Vatermutter ist schon ruhig. Ihr fröstelt von dem kalten Schweiß, welcher ihre Bluse tränkt. »Ich glaube, da kommt was!«, stammelt die Mutter und stiert gebannt auf meinen Anus. Und in der Tat, das Seifenzäpfchen lugt bereits verschämt hervor, als hätte es sich umgesehen und wisse nun nicht recht, wie sagen, dass gerade ihm als Seife, als großer Freund der Sauberkeit und Adept der Asepsis, dieser Wohnort nicht behage. In Zeitlupe entwindet es sich dem konstipierten Enddarm und ein jeder schien gespannt, ob es die Zeit darin genutzt hat, auch die Fäkalien zu mobilisieren und sie zum Ausgang zu geleiten. Wie Orpheus aus der Unterwelt steigt das blütenweiße Fettstück immer weiter ans Licht. Im Schlepptau hinter sich, so hofft man, die anverdaute Angetraute. Bald kann der kleine runde Muskel das Stückchen Seife nicht mehr halten. Er lässt es einfach achtlos fallen. Das Tor in den Körper steht weiterhin offen. Der Mund der Mutter ebenso. Der Erwartungsdruck von außen ist größer als der Druck von innen. Das Tor wird wieder zugezogen. Da staunt selbst die Muttermutter. Das soll es jetzt gewesen sein? Die Vatermutter ächzt benommen. Sie ruft abermals um Hilfe. Jetzt wird es dem Gatten aber zu bunt. Jetzt zeigt er ihr, wo der Barthel den Most holt. Und wenn sie dann schon einmal dort ist, soll sie auch gleich Bier mitbringen. Er findet sie am Boden liegend, die Augen zu, der Atem flach. Er stupst sie besorgt mit der Fußspitze an. Sie reißt erneut die Augen auf. Und exakt in dem Moment durchbricht nur hundert Meter weiter ein Rammbock aus Stuhl die Tore der Darmbastion. »Na siehst du!«, lacht die Muttermutter. »Auch du, Schwiegertochter!«, flucht die Vatermutter. Schnaubend rappelt sie sich auf. Das wird sie nimmermehr verzeihen. Das Enkerl zur eigenen Mutter zu bringen statt zu ihr, der Schwiegermutter, die sie bereits seit zwei Jahren kennt! Pechschwarzer Teer quillt aus dem Säugling. Die Mutter würgt. Vor Ekel und Glückseligkeit. Die Muttermutter putzt mich ab und legt mir neue Windeln an. Als Mutter hat sie sich bislang nicht sonderlich hervorgetan. Sie war eine Matriarchin. Und die sind bekanntlich weniger damit beschäftigt, die Tränen ihrer Kinder zu trocknen, denn ihre Gatten zum Weinen zu bringen. Doch das soll nun vergessen sein. Was ihr als Mutter auch misslang, wird ihr als Großmutter gelingen. Die Muttermutter wiegt mich im Arm. »Wenn das nächste Mal was ist, kommst einfach wieder direkt zu mir.«

Drei Tage später war sie tot. Verunglückt bei einem Fahrradunfall. Beziehungsweise einem Autounfall. Beide Fahrzeuge waren verwickelt, und ich weiß nicht, welchem der zwei man im Falle eines Unfalls bei der Bezeichnung Vorrang gibt. Das Auto gab ihn jedenfalls nicht. Das räumte das Fahrrad, auf dem die Muttermutter saß, einfach anstandslos von der Fahrbahn.

»Das ist ja schrecklich!«, wehklagt die Vatermutter lauthals. »Und das nur eine Woche, nachdem sie Großmutter wurde! Schrecklich ist das, schrecklich!« Sie nimmt meine Mutter lang in den Arm und blickt über ihre Schulter zu mir, die ich weit davon entfernt bin, irgendetwas zu verstehen. Ich bin froh, mich an ihr Lächeln, das sie mir damals heimlich zuwarf, nicht mehr zu erinnern. Sie löst die innige Umarmung mit meiner frisch verwaisten Mutter und deklariert ihr feierlich: »Das bekommen wir schon hin. Dann ist die Lisa halt bei mir. Und du, du darfst mich Mutter nennen.«

Der Lenker des Autos beging übrigens Fahrerflucht. Man fand bis heute nicht heraus, wer ihren Tod verantwortet hatte. Großmutter — das heißt die Vatermutter, welche wir von hier an nur mehr Großmutter nennen, als hätte es nie eine andre gegeben — hat für den Tag kein Alibi. Aber natürlich war es nicht sie, die den Unfallwagen lenkte. Natürlich war’s ein anderer, der ihr diesen Traum erfüllte. Natürlich ärgert es sie auch, wie schmählich einfach es sich zutrug. So wollte sie dann doch nicht siegen. Sie wollte viel lieber über Jahre hinweg bei allen Festen demonstrieren, wer hier die wahre Großmutter ist. Sie wollte ein K. o. in der siebzigsten Runde und keinen Herzinfarkt beim Einmarsch. Ich sprach sie einmal darauf an, wie es wohl gewesen wäre, hätte sie mich teilen müssen. Das konnte sie sich gar nicht vorstellen. »Wo warst du denn, als es passierte?«

Fast alle Enkel dieser Welt berichten von zwei Großmüttern, die sich von Grund auf unterscheiden. Einer guten und einer bösen. Ich werde niemals wirklich wissen, welche von beiden am Straßenrand starb.

Dass jeder Mensch zwei Großmütter hat, ist kein geringeres Übel denn die fatalste Doppelbesetzung der Natur. Die Liebe der Großmutter für ihre Enkel ist unteilbar und absolut. Sie duldet keine Nebenbuhler. Sie erträgt keinen...

Erscheint lt. Verlag 17.8.2020
Verlagsort Wien
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Ausladung • Böse • cancel culture • Debüt • Dieter Nuhr • Dorf • Großmutter • Harbour Front Literaturfestival • Humor • Kabarett • Kabarettistin • Klaus-Michael-Kühne-Preis • Komisch • Land • Literarisches Quartett • Literaturskandal • maxim biller • Mitternachtsspitzen • Nachkriegszeit • Nochtspeicher • #ohnefolie • ohnefolie • Österreich • Politik • Politische Korrektheit • Satire • Schwarz • Schwarzer Block • Tabulos • Ungarn • Witz • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-552-07216-0 / 3552072160
ISBN-13 978-3-552-07216-9 / 9783552072169
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