Für die Ewigkeit (eBook)

Die Flucht von Cis und Jorge Jega
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
192 Seiten
Berlin Verlag
978-3-8270-8014-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Für die Ewigkeit -  Helmut Krausser
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Über Liebe und andere Grausamkeiten Buenos Aires 1902: Der aus Deutschland geflohene Student Jörg Jäger verdingt sich als Klavierlehrer der schönen Fabrikantentochter Francisca »Cis« Alameda, verfällt ihr und fordert sein Schicksal heraus. Die beiden fliehen quer durch Südamerika, verfolgt von den Häschern des Vaters und einem besonderen Detektiv, dem perfiden Fredo Torres, der die junge Cousine für sich will. Nach tragischen und auch komischen Komplikationen kommt es zum Showdown in Rio: Es gibt einen Toten und einen spektakulären Prozess. Helmut Krausser zeigt, warum er zu den großen Literaten des Landes zählt - ein reifes Werk über erotische Anziehung, Liebe und Verrat, Schuld und Sühne sowie mit der sprachlichen Verve und dem klugen Witz, die sein ?uvre seit Jahrzehnten auszeichnen.

Helmut Krausser, geboren 1964 in Esslingen, schreibt Romane, Erzählungen, Lyrik, Tagebücher, Hörspiele, Theaterstücke, Drehbücher und komponiert Musik. Von ihm erschienen u.a. »Fette Welt« (1992), »Melodien oder Nachträge zum quecksilbernen Zeitalter« (1993), »Thanatos« (1996), »Der große Bagarozy« (1997), »UC (Ultrachronos« (2003), »Eros« (2006), »Die kleinen Gärten des Maestro Puccini« (2008), »Einsamkeit und Sex und Mitleid« (2009), »Die letzten schönen Tage« (2011), »Nicht ganz schlechte Menschen« (2012), »Gebrauchsanweisung für den FC Bayern München« (2015), »Alles ist gut« (2015), »Geschehnisse während der Weltmeisterschaft« (2018) und zuletzt der Lyrikband »Glutnester« (2021) sowie die Romane »Trennungen. Verbrennungen« (2019), »Für die Ewigkeit. Die Flucht von Cis und Jorge Jega« (2020) und »Wann das mit Jeanne begann« (2022). Mehrere seiner Bücher wurden verfilmt und seine Werke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Er lebt in Berlin.

Helmut Krausser, geboren 1964 in Esslingen, schreibt Romane, Erzählungen, Lyrik, Tagebücher, Hörspiele, Theaterstücke, Drehbücher und komponiert Musik. Von ihm erschienen u.a. "Fette Welt" (1992), "Melodien oder Nachträge zum quecksilbernen Zeitalter" (1993), "Thanatos" (1996), "Der große Bagarozy" (1997), "UC (Ultrachronos" (2003), "Eros" (2006), "Die kleinen Gärten des Maestro Puccini" (2008), "Einsamkeit und Sex und Mitleid" (2009), "Die letzten schönen Tage" (2011), "Nicht ganz schlechte Menschen" (2012) und zuletzt "Gebrauchsanweisung für den FC Bayern München" (2015) sowie die Romane "Alles ist gut" (2015) und "Geschehnisse während der Weltmeisterschaft" (2018). Mehrere seiner Bücher wurden verfilmt und seine Werke wurden in alle wichtigen Sprachen übersetzt. Er lebt in Berlin.

MAR DEL PLATA


I


Während der Zugfahrt saßen sie einander gegenüber, und wann immer niemand hinsah, küßten sie sich, blitzschnell, und wenn nichts anderes ging, drückten sie die Sohlen ihrer Schuhe gegeneinander, wie kleine Kinder. Es war eine Qual, über die Zukunft nicht reden zu dürfen, das Abteil besaß Ohren. Cis trug ihr Lieblingskleid, das hellblaue mit den zitronengelben Längsstreifen, man muß allerdings sagen, daß ihr Kleiderschrank noch Auffälligeres bereitgehalten hätte.

Bereits am frühen Nachmittag kamen die beiden an und suchten ein freies Hotelzimmer, hatten nicht damit gerechnet, daß dies zum Problem werden könnte. Sie klapperten ein Haus nach dem anderen ab, ohne Erfolg. Mitten in der Urlaubssaison platzte Mar del Plata aus allen Nähten. Erschwerend kam hinzu, daß sie zwei freie Zimmer gebraucht hätten. Um gemeinsam in einem zu übernachten, mußten sie verheiratet oder Bruder und Schwester sein. Für Reisen innerhalb des riesigen Gebietes Argentiniens war kein Ausweis nötig, das wurde sehr liberal gehandhabt. Auf einem Meldezettel falsche Angaben zu machen war jedoch ein Vergehen, für das Zuchthaus verhängt werden konnte. Die Bruder/Schwester-Version kam nicht in Frage, da Jorge einen zu deutlich deutschen Akzent im Mund führte. Wenn sie sich als Vermählte ausgaben, hätten sie zumindest zwei gleiche, wenigstens ähnliche, Ringe tragen müssen. Auch dann konnte es vorkommen, selbst bei Vorauszahlung, daß nach den Papieren und dem Trauschein gefragt wurde, besonders, wenn es um ein noch junges Mädchen ging.

 

Es war brennend heiß, Francisca war Reisen und Schwitzen nicht gewohnt, sie kam sich klebrig und verschmutzt vor, und nach drei Stunden erfolglosen Suchens saß sie auf dem Gehsteig und brach in Tränen aus. Jorge hob sie auf, trug sie in den Schatten eines Baumes, bekam Angst, sie könne einen Hitzschlag erleiden. Cis hatte keine Haube dabei oder sonst irgendeine Kopfbedeckung. Man hätte eine kaufen können, überall gab es hier Stände, die nützliche Dinge für vergeßliche Touristen anboten, zu surrealen Preisen. Jorge schlug vor, in einen Park zu gehen und im Gras den Nachmittag zu verdösen. Abends konnten sie an den Strand gehen, wie es viele Verliebte taten. Es würde warm genug sein, um dort die Nacht zu verbringen. Morgen dann würden sie mit frischen Kräften wieder auf die Suche gehen. Cis war von der Idee nicht eben begeistert.

»Im Sand? Das ist nicht dein Ernst. Wir haben nicht mal so was wie eine Decke dabei. Außerdem werden wir dort ganz schnell aufgegriffen, mein Schatz. Oder beklaut. Oder beides.«

Jorge gab ihr recht und schlug ritterlich vor, daß sie den Abendzug zurück nach Buenos Aires nehmen solle. Noch sei im Grunde nichts passiert, ihr Vater würde ihr sicher vergeben, er selbst würde in diesem Fall hierbleiben und –

»Nein, Karnickel! Ich verlaß dich nicht. Halt die Klappe. Laß mich nachdenken.«

II


Die Detektive der Agentur Claridad hatten in Santa Fe das Unterste zuoberst gekehrt, hatten der halben Stadt unter den Rock geguckt, aber keine Spur von den Flüchtigen gefunden. Ganz sicher waren die beiden in keinem offiziellen Hotel abgestiegen. Der Ort war ein Dreckloch. Hier gab es nichts von Bedeutung außer einer Makkaronifabrik, einem Jesuitenkolleg und häufigen Überschwemmungen durch den Río Salado. Im Sommer wurde man von Insekten halb aufgefressen. Prompt verlangten die Detektive eine Zulage. Sie kosteten jetzt schon ein Vermögen, ohne von irgendwelchem Nutzen zu sein. Fredo besuchte noch einmal den Billettverkäufer, der ihm den Tip gegeben hatte. Er ging den schon älteren Mann hart an, weil er Alameda hinter sich wußte und sich so einiges mehr herausnehmen konnte.

»Hat Francisca Sie etwa geschmiert, damit Sie uns auf die falsche Fährte locken?«

»Ich bin ein Beamter, mein Herr, ich verbitte mir das.«

»Dann schwören Sie auf die Bibel, daß es wahr ist, was Sie mir sagten.«

»Ich schwöre jederzeit. Die Frau auf dem Foto kaufte zwei Billetts dritter Klasse nach Santa Fe.«

Fredo zuckte zusammen. Warum war ihm das Detail nicht aufgefallen?

»Dritter Klasse, sagen Sie?«

Jetzt war ihm die Sache klar. Francisca würde sich wohl herablassen und zweiter Klasse fahren, um Geld zu sparen, aber niemals dritter Klasse, dafür war sie zu anspruchsvoll. Wenn sie demnach Billetts für die dritte Klasse gekauft hatte, dann nur, weil sie alsbald aussteigen und einen anderen Zug nehmen wollte. Logischerweise in eine ganz andere Richtung, also nicht nach Santa Fe, sondern nach Osten oder Süden. Daß Jorge Jega das Risiko eingehen würde, uruguayisches Staatsgebiet zu betreten, erschien Fredo sehr unwahrscheinlich. Die Sache sah so aus: Wenn sie ins Ausland wollten, waren sie weg, Punkt. Vielleicht aber wollten die beiden nicht sofort ins Ausland? Dann blieben gar nicht so viele Möglichkeiten, die für ein junges Liebespaar attraktiv gewesen wären.

Bestimmt hielten sie sich nicht mehr in Buenos Aires auf. Hier, obschon die Stadt sehr groß war, würden sie keine vierundzwanzig Stunden unentdeckt bleiben. Für ein junges Mädchen, das sich amüsieren wollte, war Mar del Plata das logischste Ziel. Fredo überlegte einen Moment, dann ließ er nach Santa Fe telegrafieren und entsandte die vier Detektive, auf eigene Faust und Verantwortung, in den beliebten Badeort, der jetzt, in der Hochsaison, von Sommerfrischlern geradezu überquellen mußte. Wenn Cis und Jega sich dort aufhalten sollten, gab es eine kleine Chance, sie abzufangen.

III


Am Abend sank die Temperatur auf milde sechsundzwanzig Grad. Cis und Jorge hatten den Rest des Nachmittags, ausgestattet mit einer Gallone Wasser, in einer kühlen Kirche verbracht, wo sie auf einer Bank aneinandergelehnt saßen und über ihre Zukunft nachdachten, mehr noch über ihre Gegenwart, die sich etwas anders entwickelt hatte, als zuvor ausgemalt. Die Kirche würde bald geschlossen werden, dann stünden sie wieder auf der Straße. Eben war der Küster damit beschäftigt, die Votivkerzen im Gotteshaus zu löschen, selbst jene, die tagsüber von Gläubigen entzündet worden waren.

Cis stand auf und sprach den Küster an, einen hinkenden mittelalten Mann mit einer blau-braunen Warze auf der Nase.

»Verzeihen Sie mir. Wir sind Reisende und haben kein Quartier für die Nacht gefunden. Können Sie uns helfen bitte?«

Der Küster musterte das Mädchen eindringlich. Er sagte nicht auf Anhieb nein, mußte erst überlegen.

»Es geht leider nicht. Tut mir leid, doch hier können Sie nicht bleiben, und meine eigenen Wohnverhältnisse sind allzu beengt.«

»Wir würden bezahlen. Zehn Pesos pro Bett.«

»Woher soll ich freie Betten haben? Ihr könntet allenfalls auf Strohmatten im Pfarrheim wohnen, aber ohne Erlaubnis des Pastors geht das nicht.«

»Dann fragen Sie ihn bitte.«

Der Küster schüttelte den Kopf. »Er würde sich sehr bedanken, wenn ich ihm mit solchen Anfragen komme. Ihr beiden seid jung. Und seid unverletzt und, soweit ich sehen kann, weder schwanger noch am Verhungern. Ihr wart einfach nur so töricht, kein Zimmer zu buchen. Jetzt verschwindet!«

»Wie reden Sie mit mir? Ich bin die Tochter von Don Alameda!«

»Wer soll das sein? Los, raus hier!« Der Küster wurde übergangslos grob, doch Jorge verkniff sich, seiner Geliebten beizuspringen. Viel eher hätte er ihr Vorwürfe machen wollen, weil sie hier, ohne jeden Nutzen und Not, herumposaunte, wie sie hieß. Auch das verkniff er sich. Zorn schaltet den Verstand aus, das ist nun mal so. Vielleicht würde er morgen, wenn es sich ergab, beiläufig erwähnen, daß es klüger sein könne, den eigenen Namen möglichst sparsam im Munde zu führen, wenn man auf der Flucht ist. Nein, das Wort ›klüger‹ würde er nicht verwenden, das konnte überheblich wirken. ›Empfehlenswert‹ ginge. Vielleicht.

Als hinter ihnen das Kirchenportal zufiel, fragte Cis prompt, weshalb er dem Küster nicht die Meinung gegeigt habe. Ihre Stimme klang bissig, Jorge zuckte mit den Schultern, um einen Streit zu vermeiden. In diesem Moment trat eine sonderbare Gestalt an sie heran, wie aus dem Nichts, ein Mulatte oder Kreole, nicht viel älter als zwanzig. Obwohl von dunkler Hautfarbe, trug er einen schick geschnittenen Anzug aus weißem Leinen und einen Hut mit roter Feder, ähnlich dem italienischer Gebirgssoldaten.

»Guten Abend. Kann man euch helfen?«

Cis staunte ihn an und fragte zurück, weshalb er glaube, daß sie Hilfe benötigten.

»Nun, ich besitze Verstand und zwei Augen. Ihr steht auf der Straße, mit Gepäck, und hinter euch fiel eben eine Kirchentür mit Wucht ins Schloß. Bitte um Verzeihung, wenn meine Frage als Einmischung empfunden wird. Also setze ich an dieser Stelle meinen Spaziergang einfach fort und wünsche euch viel Gutes auf den Weg.«

»Moment!« rief nun Jorge, denn Cis konnte sich offenbar partout nicht entschließen, vom hohen Roß herabzusteigen.

»Sie könnten uns behilflich sein, in der Tat, wir suchen eine Unterkunft für die Nacht. Wir würden selbstverständlich dafür bezahlen.«

Der Mulatte, es war, bei näherer Betrachtung, ein Mulatte, kein Kreole, blieb stehen, drehte sich um und reichte ihm seine Hand, die Jorge, ohne zu zögern, ergriff. Francisca trat einen Schritt zurück, sie wollte das Halbblut lieber nicht ohne guten Grund berühren. Was durchaus üblich war und im Einklang mit den sittlichen Regeln der Gesellschaft. Dennoch ärgerte sich Jorge ein wenig über die Arroganz seiner Geliebten. Der Mann bot ihnen schließlich Hilfe an, verhielt sich freundlich und wohlerzogen und schien bereit, über Franciscas Rassedünkel souverän hinwegzusehen.

»Zufällig wüßte ich eine...

Erscheint lt. Verlag 31.8.2020
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. Jahrhundert • Argentinien • Bestseller 2020 • Betrug • Buenos Aires • Eifersucht • Flucht • Klavierlehrer • Klaviermusik • Lateinamerika • Leidenschaft • Leidenschaftliche Liebe • Liebe und Verrat • Lolita • Musik • Rio de Janeiro • Schuld und Sühne • sexuelle Anziehung • Sexuelle Beziehung • Standesunterschiede • Südamerika • tragische Liebe • Verführung
ISBN-10 3-8270-8014-2 / 3827080142
ISBN-13 978-3-8270-8014-1 / 9783827080141
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