Das Wörterbuch des Windes (eBook)

Roman

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2020 | 1. Auflage
576 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2363-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Wörterbuch des Windes -  Nina Blazon
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Wenn der Wind sich dreht, wirst du die Freiheit finden, du selbst zu sein.  In Island, der Insel der Winde, treffen sie am Walfjord aufeinander: die deutsche Touristin Swea, deren Ehe gerade auf der gemeinsamen Reise zerbrochen ist, der ehemalige Lehrer Einar Pálsson und der scheue Jón Árnarsson. In Einars Haus am Meer versucht Swea noch einmal ganz neu anzufangen. Früher hat sie Kunst studiert, wollte malen, Liebhaber sammeln und auch sonst in jeder Hinsicht frei sein. Aber kann man wirklich alles auf Null setzen? Auf der Suche nach Antworten entdeckt Swea das Leben und das Lieben neu und wagt es schließlich, ihre eigenen Geister zurückzulassen und dem Weg des Windes zu folgen.

Nina Blazon, geboren 1969, studierte Slawistik und Germanistik in Würzburg und lebt inzwischen in Stuttgart, wo sie als freie Journalistin, Autorin und Trainerin für kreatives und therapeutisches Schreiben arbeitet. Nina Blazon ist Autorin zahlreicher Jugendromane. Zu ihren großen Erfolgen zählen 'Faunblut', 'Totenbraut' und 'Der Winter der schwarzen Rosen'. Ihr Roman 'Liebten wir' wurde von der Presse hymnisch besprochen.

Nina Blazon, geboren 1969, studierte Slawistik und Germanistik in Würzburg und lebt inzwischen in Stuttgart, wo sie als freie Journalistin, Autorin und Texterin arbeitet. Nina Blazon ist Autorin zahlreicher Jugendromane. Sie wurde mit dem Deutschen Phantastikpreis und dem Wolfgang-Hohlbein-Preis ausgezeichnet.

Swea


Es gehörte nicht zum Plan für unseren Hochzeitstag, Henrik auf einem isländischen Lavahügel zurückzulassen. Der Plan war, mit dieser Reise auf eine magische Insel den Neuanfang unserer Ehe zu besiegeln. Aber die Wahrheit ist: Nichts an diesem kahlen Land ist magisch. Und fünfzig Prozent meiner Ehe verschwinden gerade im Rückspiegel.

Henrik hat sich von den ersten Sekunden Fassungslosigkeit erholt und rennt dem Wagen hinterher. Obwohl seine offene Jeans an den Hüften rutscht, holt er schnell auf, während ich mit der Kupplung kämpfe. Sogar durch die geschlossenen Fenster höre ich ihn rufen, dass ich stehen bleiben soll. Im Seitenspiegel sehe ich sein empörtes Gesicht. Aufgerissener Mund mit weiß gebleichten Zähnen. Dieser aufgebrachte Henrik hat nichts mehr gemein mit den Zeitungsporträts, auf denen er seine sensibelste Künstlermiene zur Schau trägt, einen Zug von Weltschmerz um den Mund und dazu diesen intensiven Blick, den eine Journalistin einmal als Wolfsblick des Savants, des gnadenlos Wissenden umschrieben hat.

Tja, aber ein ›gnadenlos Wissender‹ wüsste, wann man sein Smartphone besser ausschaltet, denke ich. Vulkanschotter spritzt, als ich endlich den zweiten Gang finde und das Gaspedal durchtrete. Der Mietwagen röhrt in dem Moment auf, als Henrik versucht, die Fahrertür aufzureißen. Er springt zurück und reißt den Arm vor das Gesicht. Für einen Moment erschrecke ich vor mir selbst. Was mache ich hier? Doch als Henrik mit der flachen Hand hinten aufs Wagendach schlägt und mit zornrotem Kopf losbrüllt, erwacht in mir ein kleiner, beängstigend fremder Teil, der große Lust hätte, ihm gleich noch eine Schotterdusche zu verpassen. Stattdessen beschleunige ich nur, obwohl das Tempo für den steilen Pfad zwischen den Hügeln schon jetzt zu hoch ist. Noch bis zur Kurve am Fuß des nächsten Lavabuckels kann ich Henrik »Swea, verdammt!« brüllen hören. Und dazu einige Worte, die den Elfen in diesen Hügeln sicher zu denken geben werden. Ich bin also eine »eifersüchtige Irre« und »total krank im Kopf«?

In der Kurve kommt der Toyota ins Schlingern. Als ich ihn nach einer Ewigkeit wieder auf Kurs habe, zittere ich, während ich das Lenkrad umklammere. Das Beben setzt sich fort bis in den Rücken, die Beine. Ich muss die Zähne zusammenbeißen, um nicht loszuheulen.

Aber egal, wie krampfhaft ich schlucke, das Bild verschwindet nicht: das Foto einer apfelrunden Frauenbrust, mehr enthüllt als verborgen durch glattes, rotbraunes Haar und eine junge Hand mit metallicblau lackierten Nägeln. Am Daumen steckt ein Silberring in Form einer Schlange, und zwischen Mittel- und Zeigefinger drückt sich eine mädchenhaft rosige Brustwarze hervor.

Unter dem Sicherheitsgurt sticht es – dort, wo sich der Häkchenverschluss meines offenen BHs unter der Bluse in eine Rippe drückt. Ich glaube, Henriks Hand wieder auf der Haut zu spüren, seine Zunge an meinen Lippen und den Atemstoß seiner Worte. »Ach komm schon, Sexy! Niemand sieht uns hier. Und wie lange ist es her, dass wir mal im Auto gevögelt haben?« Die sachlich richtige Antwort würde lauten: Noch nie. Was auch für diese neue, aufgesetzte Art von Sextalk gilt. Aber für Henrik sind Erinnerungen und Fantasien oft nur fließende Konzepte. Wie unser Neuanfang offenbar auch.

Plötzlich schäme ich mich – dafür, diesem Kuss doch noch nachgegeben zu haben, und noch mehr dafür, dass ich Henrik überhaupt zugehört habe, nachdem er mir das Smartphone aus der Hand gerissen hatte. Pech für ihn, dass es in irgendeiner Kurve halb aus seiner Skizzenmappe gerutscht war. Über seine Schulter hinweg konnte ich es auf dem Rücksitz liegen sehen, während seine Hände unter meiner Bluse den BH aufhakten. Warum ist sein Handy in der Mappe? Das schoss mir durch den Kopf. Und hätte ich die Angewohnheit, beim Küssen die Augen zu schließen, das lautlose Leuchtsignal der Nachricht wäre mir entgangen. Aber so hatte ich freie Sicht auf fremde Brüste, während Henrik mich küsste.

Ich war so schnell von ihm runter, dass ich mit dem Knie schmerzhaft gegen die Kupplung stieß. Mit dem anderen Knie landete ich aus Versehen punktgenau in Henriks Schritt. Er keuchte überrascht auf und krümmte sich. Doch als ich sein Smartphone vom Rücksitz schnappte und es ihm vor die Nase hielt, fiel seine schmerzverzerrte Grimasse wie eine Maske. Was blieb, war nackte Ehe, so, wie wir sind – oder besser gesagt: wie wir nie sein wollten.

»Wer ist das, Henrik?«, brachte ich mit zitternder Stimme hervor. »Diese … neue Studentin, die im Atelier jobbt? Mia heißt sie doch?« Ich wünschte, ich hätte nicht so sehr wie die Parodie einer typischen Ehefrau aus einer Drama-Vorabendserie geklungen.

»Was?« Henrik nahm das Phone an sich. »Keine Ahnung, wer das ist. Herrgott, denkst du im Ernst, ich würde mit Mia …« Er schüttelte so verärgert den Kopf, als könnte diese Idee nur der Fantasie einer Wahnsinnigen entspringen. Die wäre dann wohl wieder mal ich.

»Das ist Arbeit, Swea! Ich sammle seit einem Jahr Originaltexte für meine Installation. Jeder meiner Mitarbeiter schickt mir gerade solches Zeug, wenn er es im Internet findet, das ist Fundus

Für einen Moment stellte ich mir vor, wie mein Abteilungsleiter Herr Schöttle seiner altehrwürdigen Gattin erklärt, dass die Nackte auf seinem Smartphone Fundus ist. Aber das ist das Verrückte an der Ehe mit einem Künstler: Manchmal bedeuten fremde, nackte Körper tatsächlich nichts. Sie können Material, Fragment und Projektionsfläche sein. Oder der Grund, warum ich vor einem Jahr meinen Ehering in einem Gulli in Hamburg-Altona versenkt habe.

Wie Gegner, die einander einschätzten, starrten wir einander nun an. Es war, als würden in unserem Schweigen alle Wahrheiten und Worte hallen, Sätze wie Wunden, die längst schon verheilt sein sollten. Zumindest hatte ich mir das eingeredet.

Henriks Augen haben immer noch dieses seltene, kristalline Blau, in dem ich mich vor achtzehn Jahren sofort verloren hatte. Die Farbe ist Teil seines Markenzeichens, sie schafft die Aura von Henriks hypnotischem, luzidem Blick, der früher zwischen rabenschwarz gefärbten Haarsträhnen hervorblitzte. Auf Porträts wirken starke Kontraste aggressiv, aber auch attraktiv, das war meine erste Lektion im Kunststudium gewesen. Doch erst als ich Henrik begegnete, verstand ich dieses Prinzip ganz. Inzwischen mischt sich in seinem Haar erstes Grau in zahmes Dunkelbraun. Und wenn Henrik sich unbeobachtet glaubt, erlischt sein Blick und wird wasserblass und hart. Ja, Henriks Leuchten verblasst, auch wenn er immer noch genug Sternenstaub aus dem Ärmel schütteln kann, um seine Gegner zu blenden.

»Du versteckst dein Smartphone also neuerdings in der Skizzenmappe, damit ich deine Arbeit nicht sehe?«, brach ich schließlich das Schweigen.

Henrik seufzte. »Meine Güte, ich wollte einfach nicht, dass du sauer bist, weil ich auch im Urlaub Arbeitsmails bekomme.« Er zog den linken Mundwinkel nach oben. »Tja, das hat ja toll funktioniert.«

Ich wünschte mir, ihm glauben zu können. Aber wir kennen uns lange genug, um zu wissen, dass die Wahrheit manchmal beschämend banal ist. Seit jeher gibt es ein ehernes Vertrauensgesetz zwischen uns. Niemals würde ich einen Blick in seine Mappe werfen. Unfertige Kunstwerke sind heilig und verletzlich. Das versteht niemand besser als ich.

Ein kurzes Aufleuchten am unteren Rand meines Blickwinkels gab mir einen kleinen heißen Stich. Noch eine Nachricht. Ich zwang mich dazu, nicht nach unten zu schauen, gab vor, nichts zu bemerken, wie ein Kind, das glaubt, etwas, das man nicht sieht, existiere nicht. Doch während Henrik meinem Blick standhielt, veränderte sich der Ausdruck seiner Augen. Ein Aufflackern von Angst. Und während er mir gewinnend zulächelte, drehte er beiläufig das Display nach unten. Mein Herz raste los, als hätte es einen Zeitsprung in die Vergangenheit gemacht. Und auch alles andere war wieder da: der Geschmack von Galle im Mund, das leere Stolpern zwischen Kehle und Bauch, als würde mein Herz in Erwartung des endlosen Falls schon jetzt den Takt verlieren.

»Swea, hör zu«, begann er mit dieser geduldigen Sanftheit, die mich noch jetzt zur Weißglut bringt. »Du verstehst das völlig falsch. Es gibt keinen Grund, wieder hysterisch zu werden. Du kennst doch das Konzept der Ausstellung.« Er strich mir mit den Knöcheln zärtlich über die Wange. »Hey, du bist mein Venus girl! Wir haben den ganzen Mist hinter uns gelassen. Sonst wären wir jetzt doch kaum auf unserer zweiten Hochzeitsreise, oder?« Er klang genau in der richtigen Dosis gekränkt, dass ich mir normalerweise wie ein Idiot vorgekommen wäre. Normalerweise. Als er sich vorbeugte, um mich zu küssen, erwischte ich sein rechtes Handgelenk, bevor er das Smartphone unauffällig ins Off schicken konnte. Bingo. Das Selfie war nur Teil eins der Nachricht gewesen. »Lügner!«, hörte ich mich sagen. Und ab da zerfällt meine Erinnerung in ein...

Erscheint lt. Verlag 28.9.2020
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Betrug • Einsamkeit • Freiheit • Freundschaft • Gehobene Unterhaltung • Geister • Gezeiten • Island • Kunst • Künstler • Liebe • Neuanfang • rätselhaft • Reise • Scheidung • Selbstfindung • Skandinavien • Starke Frau • Suche • Trauer • Trennung • Wikinger
ISBN-10 3-8437-2363-X / 384372363X
ISBN-13 978-3-8437-2363-3 / 9783843723633
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3 Das Wörterbuch des Windes – nett geschrieben, aber nicht mein Geschmack

von (Marienfeld), am 29.10.2020

Als Islandfan muss man natürlich dieses Buch lesen, habe ich mir gedacht. So richtig warm geworden bin ich allerdings nicht damit. Island wird natürlich wie immer als raue Schönheit mit skurrilen Bewohnern beschrieben. Die Charakteren im Buch waren alle ziemlich abgedreht, aber sind die Isländer wirklich so? Ich habe auf jeden Fall schon bessere Islandromane gelesen mit deutlich weniger Klischees.
Die Hauptpersonen blieben mir die ganze Zeit etwas suspekt. Sweas Bettgeschichten zogen das Buch nur in die Länge. Die Geheimnisse um Jóns und Einars Vergangenheit hielten zwar die Spannung aufrecht (der einzige Grund das Buch zu Ende zu lesen), waren jetzt aber auch nicht umwerfend. Auf Island stößt man überall auf Feenhügel, und hinter jedem moosbewachsenen Steinhaufen vermutet man Elfen. Den Aspekt des Übersinnlichen fand ich durchaus passend für den Roman.
Fazit: Nette Lektüre, aber nicht unbedingt mein Geschmack.
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