Elsas Glück (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
480 Seiten
Blanvalet (Verlag)
978-3-641-26074-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Elsas Glück -  Beate Maly
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Elsa Sonnstein - das Lachen der Kinder ist ihr größtes Glück: historische Unterhaltung für den Sonntagnachmittag.
Wien, 1928: Elsa Sonnstein ist eine junge Frau, die am liebsten die ganze Welt verändern möchte. Sie studiert Psychologie und Pädagogik an der Universität und kann es gar nicht abwarten, das Erziehungswesen zu revolutionieren. Schon Elsas Mutter Lotte war eine starke Frau, die über zwanzig Jahre zuvor zusammen mit der berühmten Mizzi Kauba die erste Skimode für Frauen erfand. Aber auch Elsas Tatendrang kann nicht verhindern, dass sich so einige dunkle Wolken über der Familie Sonnstein zusammenbrauen. Und Elsa stößt auf ein Geheimnis, das sie mehr als erschüttert ...

Beate Maly, geboren und aufgewachsen in Wien, arbeitete zunächst als Kindergärtnerin und in der Frühförderung, bevor sie mit dem Schreiben begann. Neben Geschichten für Kinder und pädagogischen Fachbüchern hat sie inzwischen elf historische Romane geschrieben und fünf historische Krimis.

1


Pädagogisches Institut

Ein Handkarren blockierte die Gleise, und die Tramway blieb direkt vor dem Wiener Burgtheater stehen. Nervös lehnte sich Elsa aus dem Fenster. Eine ganze Ladung Salzgurken und Sauerkraut war auf der Straße gelandet. Die Flüssigkeit versickerte zwischen den Pflastersteinen. Der arme Junge, dem das Missgeschick passiert war, stand händeringend daneben und betrachtete fassungslos das Malheur. Saurer Essiggeruch stieg durch die offenen Fenster ins Innere des Waggons. Elsa rümpfte die Nase. Sie war wieder einmal zu spät dran. Leider gehörte Pünktlichkeit nicht zu ihren Stärken. Angespannt warf sie einen Blick auf ihre neue Armbanduhr, die sie letzte Woche zum zweiundzwanzigsten Geburtstag von ihren Eltern bekommen hatte. »Damit du nicht ständig zu spät kommst«, hatte ihr Vater, Jakob Sonnstein, gesagt. Das Geschenk würde ihr heute nicht weiterhelfen. Diesmal war es nicht Elsas Schuld, dass sie sich verspätete. Sie hatte nicht vorhersehen können, dass sich auf der kurzen Strecke von der Universität zum Burgring ein Unfall ereignete. Wenn Elsa jetzt ausstieg und einen Teil der Strecke lief, würde sie es vielleicht noch rechtzeitig zum Beginn der Vorlesung in den Hörsaal schaffen.

Sie stand auf und drängte zum Ausgang. Zum Glück hatten die Waggons der Elektrischen offene Plattformen ohne Türen. Elsa konnte abspringen. Vor ihr lag der Wiener Rathauspark, dahinter erhob sich der neugotische Prunkbau mit seinen zahlreichen Türmchen und Erkern. Mit dem Blick auf den Rathausmann, einer riesigen Ritterfigur auf der Spitze des höchsten Turms, setzte Elsa zum Sprung an. Doch mitten in der Bewegung hielt eine unfreundliche Stimme sie zurück: »Halt! Das Ein- und Aussteigen ist nur an den Stationen gestattet.«

Elsa blickte in das grimmige Gesicht einer Schaffnerin, die im hinteren Teil des Wagens, etwas erhöht, hinter einem Schalter saß und von ihrem Platz aus den ganzen Waggon unter Kontrolle hatte.

»Die Straßenbahn steht doch.« Elsa versuchte es mit ihrem charmantesten Lächeln und appellierte an das Mitgefühl der Frau. »Ich muss ganz dringend zu einer Veranstaltung. Können Sie nicht eine Ausnahme machen? Sie schauen kurz zu den Essiggurken auf der Straße, und ich steige aus? Bitte!«

Doch der Versuch prallte an der unfreundlichen Schaffnerin ab. »Vorschrift ist Vorschrift. Wo komma denn da hin, wenn ein jeder Fahrgast a Ausnahme haben will. Nehmen’s gefälligst wieder ordentlich Platz, so wie es sich ghört. Es wird no a bisserl dauern.«

Sollte Elsa sich über die Vorschrift hinwegsetzen und einfach abspringen? Sie erblickte einen Polizisten, der am Straßenrand stand und den Ablauf des Salzgurkenunfalls auf einem kleinen Notizblock festhielt. Seufzend ließ Elsa es bleiben. Es war zwecklos. Sie wollte sich nicht mit dem Hüter des Gesetzes anlegen. Die Schaffnerin konnte sie nicht überzeugen. Noch vor ein paar Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass Frauen in Männerberufen tätig waren. Dies war wohl die einzig erfreuliche Entwicklung, die der schrecklichste aller Kriege mit sich gebracht hatte. Als alle Männer an der Front gewesen waren, hatten Frauen die anstehenden Arbeiten übernommen. Die neu erworbenen Privilegien hatten sie sich auch nach Kriegsende nicht nehmen lassen. Seither gab es in Wien Schaffnerinnen, Briefträgerinnen, Straßenbahnfahrerinnen und Ärztinnen. Sogar in Tischlereien waren ein paar Frauen anzutreffen.

Resigniert ließ sich Elsa wieder auf einer der Holzbänke nieder. Ihr gegenüber saßen ein Mann und eine Frau. Beide waren in etwa im Alter von Elsas Eltern.

»Was ham’s denn für einen wichtigen Termin, Fräulein?«, erkundigte sich die Frau neugierig. Sie beugte sich zu Elsa und bot ihr eine der Krachmandeln an, die sie aus einem Papiersäckchen naschte.

»Danke.« Elsa griff bereitwillig zu und steckte eines der Seidenglanzbonbons mit cremigem Haselnusskern in den Mund. »Ich möchte zu einem Vortrag in die Burggasse 14.«

»Ist dort nicht das neu gegründete Pädagogische Institut der Stadt Wien?«, mischte sich der Mann ein. Die Frau hielt auch ihm ihre Krachmandeln entgegen, doch er schüttelte ablehnend den Kopf.

»Ja«, sagte Elsa.

»Sind Sie Lehrerin?«

»Noch nicht.« Die Antwort war weitaus komplizierter, zu kompliziert, um sie mit einer Fremden in der Straßenbahn zu erörtern. Elsa schob die Krachmandel in die rechte Wange. Das Bonbon schmeckte nach Marzipan.

»Mein Enkelsohn ist Anfang September eingeschult worden«, fuhr die Frau fort. Ihr Mitteilungsbedürfnis war ungewöhnlich. Wegen der Süßigkeit in ihrem Mund sprach sie etwas undeutlich. »In einer von den ganz neuen Schulen, die die rote Stadtregierung erbaut hat, in der Natorpgasse. Ein sehr schönes Gebäude. So hell und freundlich. Ganz anders als die Klassen, in denen wir früher unterrichtet worden sind.«

»Pah, alles Unfug«, brummte der Mann. Trotz des warmen Herbsttages trug er über seinem Anzug einen dicken Wollmantel, dessen Ärmel abgestoßen waren. Das Kleidungsstück hatte schon bessere Tage gesehen. Auf dem Kopf hatte er einen aus der Mode gekommenen Hut, und auf seinem Schoß hielt er eine abgegriffene Aktentasche. »Die ganze Schulreform war ein Fehler. Seit dem unglückseligen Kriegsende glauben die Politiker, alles verändern zu müssen. Heute liest man in den Zeitungen von Reformpädagogik, ganz so, als wäre es schlecht gewesen, was wir gelernt haben. Ich wünschte, der Kaiser würde noch leben. Dann wäre so ein Unfug nicht möglich.«

Wie viele Österreicher schien auch er zu jenen zu gehören, die an einer erfolgreichen Zukunft der neu gegründeten Republik zweifelten. Der Krieg hatte den stolzen Vielvölkerstaat der Habsburger, der über Jahrhunderte in der politischen Landschaft Europas eine federführende Rolle gespielt hatte, zu einem Winzling geschrumpft.

»Das Schulsystem war völlig veraltet«, erklärte Elsa überzeugt. »Es war dringend notwendig, es zu erneuern. Seit Maria Theresia hat sich das Land verändert und mit ihm auch die Menschen, die darin leben.« Sie war eine glühende Verehrerin von Otto Glöckel, der als Unterrichtsminister für einen neuen Wind in den österreichischen Schulen sorgte. Endlich hatten auch Frauen freien Zugang zur Universität, und Gewalt von Lehrern gegen Schüler war Geschichte, zumindest auf dem Papier. Elsa hatte als eine der Ersten davon profitiert.

»Sie sind ein junger Mensch, wie wollen Sie beurteilen können, was Kinder brauchen? Ich habe jahrelang unterrichtet, und ich sage Ihnen, das Wichtigste sind Disziplin und Ordnung.«

Aha, daher wehte der Wind. Der Mann war ein Lehrer im Ruhestand. Elsa hätte wirklich zu Fuß gehen sollen. Jetzt kratzte sich der Fahrgast selbstgefällig unter seinem Hut, dabei rutschte der nach hinten und legte eine hohe, schwitzende Stirn frei.

»Also unser Fredi, der fühlt sich sehr wohl in seiner Schule, und er hat eine so liebe Lehrerin«, schwärmte die Frau. »Er freut sich jeden Tag auf den Unterricht und lernt mit so viel Eifer, dass es eine Freude ist, ihm dabei zuzuschauen.«

»Dann ist er ein kluger Junge, seien Sie froh darüber. Aber eine Lehrerin hat nicht lieb zu sein«, empörte sich der Mann. »Sie soll hart durchgreifen können. Stellen Sie sich vor, wie die Männer im Krieg reagiert hätten, wenn wir sie verweichlicht erzogen hätten? Beim ersten Schuss des Feindes wären sie davongelaufen. Puff – und alle Schützengräben wären leer gewesen.«

»Was wäre daran verkehrt gewesen? Es hätte vielen jungen Männern das Leben gerettet und die größte Katastrophe in Europa verhindert.« Obwohl Elsa leise sprach, wurde ihre Bemerkung gehört.

Auf der Stelle lief das Gesicht des Lehrers dunkelrot an. Aufgebracht schnappte er nach Luft. Es war unüblich, dass eine junge Frau einem deutlich älteren Herrn in der Öffentlichkeit widersprach. Auch seine Sitznachbarin schien überrascht. Elsa erwog, ob sie sich entschuldigen solle. Doch gerade als sie zu einer Antwort ansetzte, fuhr ein Ruck durch den Waggon, und die Tramway setzte die Fahrt fort. Elsa schwieg. Mit übertriebener Neugier starrte sie aus dem Fenster. Der Junge hatte die Reste seiner kaputten leeren Fässer wieder auf seinen Handkarren geladen und schob ihn niedergeschlagen zur Seite des Prachtboulevards, wo hohe Platanen für Schatten sorgten und man auch im Sommer bei angenehmen Temperaturen flanieren konnte. Er musste dabei Pferdekutschen, Fußgängern und zwei Automobilen ausweichen. Elsa verlor ihn rasch aus den Augen, da die Straßenbahn an Tempo zulegte. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit trotzdem weiter auf die Straße in der Hoffnung, so eine Fortsetzung des Gesprächs zu vermeiden. Ihre Rechnung ging auf. Die Frau steckte sich eine weitere Krachmandel in den Mund, und der Mann neben ihr schwieg grimmig.

Als die Tramway in die Station am Burgring einfuhr, wartete Elsa bereits ungeduldig beim Ausstieg. Noch bevor der Wagen vollständig anhielt, sprang sie von der Plattform und sauste los. Vorbei an einem Zeitungskiosk und einem Würstelstand, hin zu den großen Museen, die der Kaiser im Zuge der Schleifung der Stadtmauer und Errichtung der Ringstraße hatte erbauen lassen. Obwohl sie Schuhe mit niedrigen Absätzen trug, wurden ihre Schritte im gekiesten Weg der Parkanlage langsamer. Elsa wich in die Wiese aus, auch auf die Gefahr hin, dass der Parkwächter sie abmahnte, denn das Betreten der Grünanlagen war strengstens verboten. Elsa hatte Glück, ihr Vergehen blieb unbemerkt, der Mann in Uniform hatte sein Augenmerk auf einen Hundebesitzer gerichtet, dessen Tier im Gras die Notdurft erledigte. Sie lief am übergroßen Denkmal von Maria Theresia vorbei und bog schließlich in...

Erscheint lt. Verlag 21.12.2020
Reihe/Serie Die Sonnsteins
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Anne Jacobs • Bergsport • eBooks • Familiensaga • Frauenemanzipation • Frauenromane • Historische Liebesromane • Historische Romane • Historische Unterhaltung • Kindererziehung • Liebesromane • Lottes Träume • Mizzi Langer-Kauba • Österreich • Romane für Frauen • Schmöker • schokoladenvilla • Starke Frauen • Tuchvilla • Weihnachtsgeschenk • Wien • Winterroman
ISBN-10 3-641-26074-4 / 3641260744
ISBN-13 978-3-641-26074-3 / 9783641260743
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