Zwei Königskinder (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
184 Seiten
Czernin Verlag
978-3-7076-0690-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Zwei Königskinder -  Sophie Reyer
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'Es waren zwei Königskinder, die hatten einander so lieb. Sie konnten zusammen nicht kommen, das Wasser war viel zu tief.' (Altes Volkslied) Käthe wächst in der Provinz auf. Sie fu?hlt sich einsam und hässlich. Die Mutter ist in die Stadt gezogen, der Vater spricht kaum mit ihr. Doch dann trifft sie Johanna mit ihrem schiefen Eckzahn, von dem sie sofort fasziniert ist und findet in ihr ein neues Zuhause. Die beiden Mädchen verbindet eine große Leidenschaft zu Musik und zu Musicals. Bald merkt Käthe, dass irgendetwas an ihren Gefu?hlen fu?r Johanna 'nicht ganz normal' zu sein scheint. Sophie Reyer, eine der vielseitigsten und interessantesten Stimmen der jungen österreichischen Gegenwartsliteratur, erzählt mit leichter Hand und ungemein präzise eine zarte Liebesgeschichte u?ber die Wirren des Erwachsenwerdens und ein Mädchen, das ein Mädchen liebt.

Sophie Reyer, 1984 in Wien geboren, promovierte Philosophin. Sie arbeitet am Institut fu?r Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien sowie an der Pädagogischen Hochschule Hollabrunn. Sie schreibt Prosa, Lyrik und Theatertexte fu?r Erwachsene und Kinder. Diverse Preise und Stipendien.

Sophie Reyer, 1984 in Wien geboren, promovierte Philosophin. Sie arbeitet am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien sowie an der Pädagogischen Hochschule Hollabrunn. Sie schreibt Prosa, Lyrik und Theatertexte für Erwachsene und Kinder. Diverse Preise und Stipendien.

Als ich Johanna das erste Mal begegnete, war das Erste, was mir auffiel, ihr schiefer Eckzahn. Es muss im Kirchenchor gewesen sein, an einem dieser regnerischen Tage. Meine Mutter war aus dem Dorf gezogen, und mein Vater die meiste Zeit über still. Eine Art Schatten ging mit dem Schweigen einher. Vielleicht wusste er nicht, was er mit mir anfangen sollte? Auf jeden Fall schickte er mich nachmittags meistens in die Pfarrgemeinde. Es gab nicht viele Alternativen, das Dorf war klein, gleichsam hingespuckt in die hügelige Weinlandschaft, in der immer zu viel Wind wehte. Der Eckzahn blieb mir in Erinnerung. Ich weiß noch, wie ich Johanna beobachtete. Sie riss ihren schmalen Mund auf, wenn sie sang, und sah dabei wie ein Fisch aus. Ich konnte immer wieder den Zahn sehen, der ein bisschen zu groß war, leicht hervorsprang und von einer Zahnspange gehalten wurde. Ich weiß nicht warum, aber der Zahn gefiel mir. Auch an mir waren sämtliche Dinge zu groß, im Besonderen die Nase. Später hörte ich oft, dass das doch typisch sei für dieses Alter. Ich weiß es nicht. Ich fühlte mich einfach nicht in einer passenden Form. Während das Becken seltsam breit aussah und der Oberkörper viel zu kurz zu sein schien, schlenkerten meine Arme eigentümlich lang an mir herunter. Die Finger sehen aus wie Spinnengebein, dachte ich, wenn ich in den Spiegel sah.

»Schön«, rief die Klavierlehrerin, als sie mich nach dem Sommer wiedergesehen hatte. Sie hatte damit die Finger gemeint, die nun über die Oktaven hinausgreifen können würden. Ich selbst fand mich und meine langen Finger nur seltsam. Wusste nicht so recht, wo ich sie hingeben sollte. Sie waren ständig im Weg, baumelten an mir hinab wie deformierte Fremdkörper. Auch die Handgelenke sahen komisch aus, so, als könnten sie in jedem Moment abbrechen. Wenn ich mich im Spiegel betrachtete, grauste mir vor den roten Pünktchen, die immer wieder mein Gesicht übersäten. Sie kamen und gingen über Nacht. Eine Brust war größer als die andere. Ich fühlte mich als seltsamer Auswuchs meines Selbst. Ähnlich war es mit meinen Gefühlen. Die spielten verrückt in meinem Bauch oder waren auf einmal wieder ganz verschwunden. Ließen eine Art Leere zurück. Im Herzen, im Hirn. Ein Druck an den Schläfen, der es schwermachte, zu schlucken. Als Mutter wegging, war dieser Druck fast unerträglich geworden. Und dann Johannas Eckzahn.

An diesem Abend wusste ich, ich musste mich mit ihr verbünden. Ich sah ihr zu, wie sie sang, hörte ihre hohe Knabenstimme jubilieren. Ich riss meine Augen auf. Sie blickte schamhaft zu Boden. Ihre Wimpern schimmerten dunkelgolden. Ich musste lächeln.

»Mach den Mund zu, Käthe. Der Sopran ist dran«, murrte die Chorleiterin Sabine.

Ich blickte in ihr wulstiges Gesicht und nickte mit offenem Mund.

»Ich bin Käthe«, sagte ich später und streckte Johanna meine Hand hin.

»Johanna.«

»Du singst schön.«

»Danke. Und du singst tief.«

Ich wusste nicht, was ich antworten sollte.

»Danke«, sagte ich deshalb zur Sicherheit, und schob mir eine der Haarsträhnen bemüht locker hinter das rechte Ohr.

In der Zeit, in der ich Johanna begegnete, drehte ich mir mein Haar mit den Lockenwicklern meiner Mutter ein. Die hatte sie dagelassen, in dem Haus, das viel zu groß war für uns, meinen Vater und mich. Die Lockenwickler sahen aus wie Schaumrollen. Ich wickelte die einzelnen Strähnen um die runden, genoppten Dinger. Dann steckte ich diese mit kleinen Plastiknadeln fest. Das pikste an der Kopfhaut. Es war ein guter Schmerz. Ein Schmerz, der mich daran erinnerte, dass ich einen Kopf hatte. Außerdem waren die Lockenwickler eines der wenigen Dinge, die mir meine Mutter von sich dagelassen hatte.

Seitdem spürte ich oft Schläge in meinem Bauch. Zum Beispiel, wenn ich durch die Gänge der Dorfschule streifte und die Jungs ansah, die mir fremd erschienen.

Ich versuchte, schön auszusehen. Spielte mit einer meiner Haarsträhnen. Sie rochen nach dem billigen Shampoo, das man in der Trafik im Dorfzentrum kaufen konnte. Bevor ich in die Chorproben ging, wusch ich mir immer das Haar. Es sollte leuchten. Ich verteilte den Schaum darin. Dann rollte ich die Strähnen auf, fixierte sie mit den Plastiknadeln. Dann föhnte ich. Das dauerte lange. Obwohl ich das Haar nur bis zum Kinn trug, war es schwer und dicht. Die Lockenwickler hingen, sie taten weh. Das Gewicht ließ sich nur schwer ertragen, ich ertrug es aber, und das den ganzen Nachmittag. Bis es zu dämmern begann. Dann löste ich die runden Wickler aus dem Haar. Einige der Zacken waren bereits abgebrochen. Immer wieder verhedderten sich Strähnen in diesen Leerstellen, die zwischen die Zacken geraten waren. Manchmal riss ich daran, rupfte mir versehentlich Strähnen aus. Ich hatte auch Nester im Haar, besonders da, wo der Nacken begann. Ich kämmte, fluchte. Aber ich hörte nicht auf. Dass sich mein Haar wellen sollte, das bildete ich mir einfach ein. Jetzt spielte ich damit. Das hatte ich mir bei meiner Cousine abgeschaut. Sie war achtzehn und jeder liebte sie.

Aus der Nähe sah ich, dass Johannas Haar fein war. Es fühlte sich bestimmt samtig an, dachte ich. Rollte sich am Ende der Strähnen leicht nach innen. Meines hingegen war von strohiger Beschaffenheit.

»Ich mag deine Haare«, sagte Johanna, als hätte sie meine Gedanken gelesen.

Ich lächelte.

»Danke.«

»Die sind so gerade«, fuhr sie fort.

Ich seufzte leise. Die vielen Nachmittage. All die Anstrengung: umsonst. Nach weniger als einer Stunde hingen meine Haare wieder an mir hinab wie glatte Nudeln. Ich wusste nicht, wie kurz ich sie noch hätte schneiden sollen, dass sie nicht an meinen Wangen klebten, aussahen wie hingepappt.

»Aha«, antwortete ich schließlich, um irgendetwas zu sagen.

Wir standen eine Weile so da und schwiegen einander an. Ich konnte Johannas Atem an meiner Wange spüren. Hinter dem Fenster hatte es zu dämmern begonnen. Der Moment schwappte über mich. So, dachte ich, könnte sich Sein anfühlen. Der Rest des Chors war bereits gegangen. Sabine klappte das Klavier zu, schob ihre Mappen unter die Arme und lächelte uns an.

»Na, ihr Küken, jetzt aber ab mit euch. Eure Eltern werden schon warten.«

Sie blickte mich von der Seite an.

»Ich meine, … dein Vater, Käthe.«

Ich nickte und schlüpfte in meine Jacke, ohne Johannas Eckzahn noch einmal zu mustern.

Johanna lächelte Sabine an. Ihre Zahnspange blitzte.

»Vielen Dank, Sabine. Und auf bald.«

Sie drehte sich um, und ich sah den Ansatz ihres Nackens. Ihr Haar war dunkelblond. Und da hastete ich ihr mit stammelnden Schritten nach. Konnte gerade noch erkennen, wie Johanna in den Regen entschlüpfte, der eine Art Schleier hinter ihrem Rücken bildete. Die Tür eines blitzenden großen Wagens sprang auf. Ich sah die Konturen eines Mannes, stark hervorspringende Backenknochen, ein ausgemergeltes Gesicht. Dicke Brillengläser. Das musste ihr Vater sein.

Es dauerte, bis ich das erste Mal mit Johanna allein war. In der Zwischenzeit hatte ich einiges über sie herausgefunden. Die Familie war offenbar reich und vor Kurzem in ein Haus nahe am See gezogen, die Mädchen aber besuchten eine Eliteschule in der Stadt und man sah sie meist nur in der Kirche. So vergingen die Tage. Der Frühling war bereits fortgeschritten. Es war ein milder Nachmittag, an dem wir beide mit Regenschirmen vor der verschlossenen Türe des Chorraums standen. Ich starrte auf Johannas Eckzahn, als sie den Schirm abspannte. In ihren Augenbrauen hatten sich kleine Wasserperlen verfangen, die glitzerten. Sie lächelte. Es sah ein wenig verschoben aus. Ihre Augen waren klein und versteckten sich hinter Brillengläsern.

»Hallo«, sagte sie.

»Hallo.«

»Es ist zu.«

Ich deutete auf den Chorraum. Johanna rüttelte an der Tür. Sie rüttelte aber auf eine Art, die so vorsichtig war, dass mir warm ums Herz wurde, als ich ihr dabei zusah. Ich stützte mich auf meinen Schirm und pustete mir eine Locke aus dem Gesicht, die bereits begann, sich auszurollen.

»Sieht so aus, als wäre niemand da«, seufzte Johanna.

»Ja«, nickte ich.

Stille. Johanna machte keine Anstalten zu gehen. Sie trug eine taillierte Jacke, die ihre dünne, langgezogene Figur verbarg. Johanna sah aus wie ein Knabe. Ihr Haar war dunkelblond. Die Arme lang.

»Weißt du, wie schön du singst?«, sagte sie plötzlich.

Da geriet ich gleich ins Schwärmen.

»Du singst doch so schön. Das habe ich dir schon oft gesagt, oder?«

Sie hatte den glockenhellen Sopran eines Knaben. All das passte zu ihr. Zu den schmalen Hüften, den hellen Blusen, die sie trug.

Wir...

Erscheint lt. Verlag 18.3.2020
Verlagsort Wien
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Aufwachsen • Coming of Age • Entwicklung • Erwachsen werden • Gefühle • Jugend • Königskinder • Liebe • Mädchen • Pubertät • Reyer • Verwirrung
ISBN-10 3-7076-0690-2 / 3707606902
ISBN-13 978-3-7076-0690-4 / 9783707606904
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