Leise, leise im Wind -  Patricia Highsmith

Leise, leise im Wind (eBook)

Paul Ingendaay (Herausgeber)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
320 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-60829-8 (ISBN)
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Zwölf psychologische Erzählungen aus den 70er Jahren über den Traum von Liebe und Glück und wie weit moderne Menschen junge Eltern, Liebespaare, einsame Großstadtmenschen zu gehen bereit sind, um ihn zu realisieren.

Patricia Highsmith, geboren 1921 in Fort Worth/Texas, wuchs in Texas und New York auf und studierte Literatur und Zoologie. Erste Kurzgeschichten schrieb sie an der Highschool, den ersten Lebensunterhalt verdiente sie als Comictexterin, und den ersten Welterfolg erlangte sie 1950 mit ihrem Romanerstling ?Zwei Fremde im Zug?, dessen Verfilmung von Alfred Hitchcock sie über Nacht weltberühmt machte. Patricia Highsmith starb 1995 in Locarno.

Patricia Highsmith, geboren 1921 in Fort Worth/Texas, wuchs in Texas und New York auf und studierte Literatur und Zoologie. Erste Kurzgeschichten schrieb sie an der Highschool, den ersten Lebensunterhalt verdiente sie als Comictexterin, und den ersten Welterfolg erlangte sie 1950 mit ihrem Romanerstling ›Zwei Fremde im Zug‹, dessen Verfilmung von Alfred Hitchcock sie über Nacht weltberühmt machte. Patricia Highsmith starb 1995 in Locarno.

Das Netz


Das Telefon – eigentlich waren es zwei schicke Telefone, eines beige und eines malvenfarben – klingelte in Frans kleiner Wohnung ungefähr alle halbe Stunde. Es klingelte so oft, weil Fran derzeit und tatsächlich schon seit etwa einem Jahr die inoffizielle Mutter Oberin des Netzes war.

Das Netz bestand aus einer Gruppe von Freunden in New York, die sich gegenseitig moralische Unterstützung gaben, indem sie einander anriefen und sich beständig ihrer Freundschaft und Solidarität versicherten inmitten des Ozeans von Feinden, von Nichtfreunden, von potentiellen Dieben, Vergewaltigern und Schwindlern. Natürlich traf man sich auch häufig und tauschte untereinander die Hausschlüssel aus, um sich gegenseitig Gefälligkeiten zu erweisen, wie mit dem Hund auszugehen, die Katze zu füttern oder Blumen zu gießen. Das wichtigste dabei war, daß man einander vertrauen konnte. Einmal hatte das Netz eine Lebensversicherung für eins der Mitglieder durchgeboxt, das alle Gesellschaften abgelehnt hatten. Einer aus der Gruppe konnte Hi-Fi-Anlagen und Fernseher reparieren. Ein anderer war Arzt.

Fran war nichts Besonderes, nur Buchhaltungssekretärin, aber sie war geduldig, und man durfte sich nach Herzenslust bei ihr ausweinen, und da sie momentan nicht arbeitete, hatte sie noch mehr Zeit als sonst. Zehn Monate zuvor war sie an der Gallenblase operiert worden, kurz darauf hatte man eine Verwachsung im Magen-Darm-Trakt diagnostiziert, was eine weitere Operation nach sich zog, und danach hatte sich ihr altes Rückenleiden (ein Bandscheibenvorfall) zurückgemeldet und das Tragen eines Stützkorsetts nötig gemacht, das Fran aber nicht ständig anlegte. Fran war achtundfünfzig, also ohnedies nicht mehr die Beweglichste. Sie war unverheiratet und arbeitete seit siebzehn Jahren bei der Stromgesellschaft Consolidated Edison in der Kundenabteilung (im Grunde war das der Rechnungsdienst). Con Ed bezahlten großzügig Krankengeld, hatten sie auch in eine gute Krankenzusatzversicherung aufgenommen und hielten ihr ihre Stelle offen. Fran hätte auch eigentlich schon seit gut zwei Monaten wieder arbeiten gehen können, doch sie hatte sich an die Ungebundenheit gewöhnt und genoß es auch, jederzeit ans Telefon gehen zu können, wenn es klingelte.

»Hallo? Ah, Freddie! Wie geht’s dir denn?« Fran saß beim Telefonieren immer etwas geduckt da und raunte in den Apparat, als fürchtete sie, daß jemand mithörte, und hielt dabei den leichten Hörer so sanft in beiden Händen, als wäre er ein kleines Pelztier oder gar die Hand des Freundes, mit dem sie gerade sprach. »Ja, geht gut. Ist bei dir ganz bestimmt alles in Ordnung?«

»Och, ja. Und bei dir auch?« Irgendwie hatten alle Mitglieder des Netzes Frans Angewohnheit übernommen, sich gleich doppelt zu vergewissern, daß es dem anderen auch wirklich gutging. Freddie war Werbezeichner und hatte ein eigenes Atelier und eine Wohnung auf der West Thirtyfourth Street.

»Ja, alles bestens. Sag mal, hast du letzte Nacht auch die Polizeisirenen gehört? Nein, nicht die Feuerwehr, das war die Polizei«, sagte Fran.

»Wann war das?«

»So gegen zwei Uhr morgens. Meine Güte, die waren dem vielleicht hinterher! Das müssen sechs Wagen gewesen sein, die da die Seventh entlanggerast sind, und du hast gar nichts gehört?« Nein, Freddie hatte nichts gehört, und das Thema wurde fallengelassen. Fran raunte weiter: »Oje, sieht nach Regen aus, und ich muß noch kurz einkaufen …«

Als sie auflegten, murmelte Fran weiter vor sich hin. »Also, wo war ich gerade? Der Pullover. Einmal ausgespült, muß noch einmal ins Wasser … der Müll in den Müllschlucker …« Sie spülte den Pullover im Badezimmerwaschbecken, drückte ihn aus und hatte ihn gerade auf einem aufblasbaren Kleiderbügel an die Duschstange gehängt, als das Telefon erneut klingelte. Fran hob im Ankleideraum ab, zwischen Bad und Eßbereich, erkannte die Stimme von Marj (fünfundvierzig, gutbezahlte Einkäuferin für das Warenhaus Macy’s) und raunte: »Oh, Marj, hallo. Hör mal, bleibst du kurz dran, dann kann ich rüber zu dem Apparat im Wohnzimmer, ja?«

Fran legte den Hörer auf die Kommode und ging in ihr Wohnzimmer hinüber. Sie hinkte und ging leicht gebückt, das hatte sie sich seit ihrer Bandscheibengeschichte angewöhnt – sogar wenn sie allein war, wie ihr soeben klar wurde, doch um so besser, denn zweimal im Monat schickten ihr Con Ed ihren Versicherungsbeauftragten vorbei, um ein wenig zu schnüffeln und nachzufragen, wann sie wieder zur Arbeit käme. »Hallo Marj, wie geht’s?«

Der nächste Anruf kam von einem Versandhaus für Sportartikel auf der East Forty-second Street, dessen Name Fran vage vertraut klang und das ihr eine Stelle in der Buchhaltung anbot, Arbeitsbeginn am nächsten Montag zu zweihundertzehn netto pro Woche plus Kranken- und Pensionsversicherung.

Fran erschrak kurz. Woher hatten die bloß ihren Namen? Sie war doch gar nicht auf Stellensuche. »Vielen Dank. Sehr liebenswürdig«, sagte Fran höflich, »aber sobald ich gesund bin, fange ich wieder bei Con Ed an.«

»Ich glaube, bei uns bekommen Sie ein besseres Gehalt. Wollen Sie sich das Angebot überlegen?« Die Frau mit der angenehmen Stimme blieb hartnäckig. »Unsere diversen Quoten haben wir erfüllt, und jetzt hätten wir gern jemanden wie Sie.«

Die Schmeichelei verfing nicht lange. Hielt man bei Con Ed ihre Stelle etwa nicht länger für sie offen? Hieß das etwa, bei Con Ed hatte man sie abgeschrieben und an diese Firma weitervermittelt, um ihr das Krankengeld nicht mehr zahlen zu müssen, das fast so hoch war wie ihr Gehalt? »Danke, ich bleibe doch lieber bei Con Ed«, sagte Fran. »Die waren immer so nett zu mir.«

»Tja, wie Sie meinen …«

Nach dem Auflegen beschlich Fran ein unangenehmes Gefühl. Bei Con Ed anzurufen und direkt nachzufragen, was dahintersteckte, das wagte sie nicht. Angestrengt überlegte sie, wie der letzte Besuch dieses Versicherungsmenschen verlaufen war. Dummerweise hatte sie damals vergessen, daß er sich für halb fünf bei ihr angesagt hatte, und so mußte der Arme fast eine Stunde lang unten in der Lobby auf sie warten, und dann war sie quietschfidel mit Connie hereinspaziert, einer Freundin, die abends als Kellnerin arbeitete und tagsüber oft frei hatte. Sie waren im Kino gewesen. Als sie plötzlich den Versicherungskontrolleur in der leeren Halle stehen sah (es gab keine Möbel im Eingangsbereich ihres Hauses, alles gestohlen, obwohl es an die Wände angekettet gewesen war), hatte Fran sofort einen Buckel gemacht und war auf ihn zugehinkt. Es gehe zwar eindeutig bergauf mit ihr, sagte sie, aber einem täglichen Achtstundenjob fühle sie sich noch nicht gewachsen. Sie mußte in einem Büchlein unterschreiben, als Bestätigung für seinen Besuch bei ihr. Ein Schwarzer war es gewesen, aber durchaus ein freundlicher Bursche. Er hätte viel fieser sein können, mit gemeinen Bemerkungen und so, aber der hier war höflich gewesen.

Fran erinnerte sich auch, daß sie am selben Tag Harvey Cohen begegnet war, der bei ihr im Haus wohnte, und Harvey hatte ihr berichtet, der Kontrolleur habe ihn unten im Eingang angesprochen und sich nach Miss Covaks Gesundheitszustand erkundigt. Harvey hatte gemeint, er habe »dick aufgetragen« und dem Mann erzählt, daß Miss Covak immer noch hinkte und es zwar dann und wann in den Lebensmittelladen an der Ecke schaffte, weil ihr als alleinstehender Frau nichts anderes übrigblieb, aber daß sie noch nicht den Eindruck machte, als könnte sie schon wieder regelmäßig arbeiten. Der gute alte Harvey, dachte Fran. Juden wußten eben, wie man so etwas deichselte, die waren Schlauberger. Fran hatte Harvey herzlich gedankt und es auch so gemeint.

Aber jetzt? Was um Himmels willen war geschehen? Sie würde Jane Brixton deswegen anrufen. Jane hatte einen klugen Kopf, sie war mehr als zehn Jahre älter als Fran (Lehrerin im Ruhestand), und nach einem Gespräch mit Jane fühlte Fran sich immer beruhigt. Jane bewohnte eine wunderschöne Etagenwohnung voll antiker Möbel in der West Eleventh Street.

»Ha-ha«, lachte Jane leise, nachdem sie Frans Geschichte gehört hatte. Fran hatte sie in allen Einzelheiten erzählt und sogar die Bemerkung der Frau erwähnt, das Sportartikelgeschäft habe seine Quoten erfüllt, und Jane sagte: »Das bedeutet, sie haben bereits so viele Schwarze eingestellt, wie es das Gesetz verlangt, und nun würden sie ganz gern mal wieder eine Weiße dazwischenmischen, solange es noch geht.« Jane hatte einen leichten Südstaatenakzent, obwohl sie aus Pennsylvania stammte.

So ungefähr hatte Fran die Bemerkung der Frau auch verstanden.

»Wenn du noch nicht arbeiten gehen möchtest, dann tu’s nicht«, sagte Jane. »Das Leben ist …«

»Eben, wir haben doch neulich mal alle darüber gesprochen, schließlich hole ich mir ja nur das Geld zurück, das ich über die Jahre eingezahlt habe. Wie die Krankenhausbeiträge. Sag mal, Jane, könntest du mir nicht eine Bescheinigung oder so was ausstellen, daß du mir ein paar Rückenmassagen gegeben hast?«

»Na ja – ich bin doch gar nicht ausgebildet. Deshalb wird dir eine solche Bescheinigung wohl wenig nützen.«

»Da hast du auch wieder recht.« Fran hatte sich gedacht, ein weiteres Papier könnte ihre Arbeitsunfähigkeit zusätzlich unterstreichen. »Du kommst doch hoffentlich auch zu Marjs Party am Samstag?«

»Natürlich. Übrigens ist gerade mein Neffe in der Stadt und wohnt bei mir. Eigentlich ist es der Sohn meines Neffen, aber ich sage immer ›mein Neffe‹. Den bringe ich auch mit.«

»Deinen Neffen! Wie alt ist er? Und wie heißt...

Erscheint lt. Verlag 26.2.2020
Übersetzer Werner Richter
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 70er Jahre • Belletristik • Erzählungen • Gegenwartsliteratur • Glück • Haare • Liebe • Liebespaare • Naher Osten • Radikal • Romeo und Julia
ISBN-10 3-257-60829-2 / 3257608292
ISBN-13 978-3-257-60829-8 / 9783257608298
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