Elsies Lebenslust (eBook)

Paul Ingendaay (Herausgeber)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 2. Auflage
480 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-60680-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Elsies Lebenslust -  Patricia Highsmith
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Die aufregend hübsche Elsie Tyler taucht in Greenwich Village auf und bringt zwei Männer durcheinander. Ralph, ein exzentrischer Atheist mit einem Hund namens God, spioniert ihr nach. Der Illustrator Jack, der mit seiner Frau Natalia eine freie, moderne Ehe führt, begegnet Elsie zufällig. Natalia nimmt Elsie auf und verfällt ihr ebenso wie Jack. Die Ehe bleibt bestehen, aber ein Mord geschieht '

Patricia Highsmith, geboren 1921 in Fort Worth/Texas, wuchs in Texas und New York auf und studierte Literatur und Zoologie. Erste Kurzgeschichten schrieb sie an der Highschool, den ersten Lebensunterhalt verdiente sie als Comictexterin, und den ersten Welterfolg erlangte sie 1950 mit ihrem Romanerstling ?Zwei Fremde im Zug?, dessen Verfilmung von Alfred Hitchcock sie über Nacht weltberühmt machte. Patricia Highsmith starb 1995 in Locarno.

Patricia Highsmith, geboren 1921 in Fort Worth/Texas, wuchs in Texas und New York auf und studierte Literatur und Zoologie. Erste Kurzgeschichten schrieb sie an der Highschool, den ersten Lebensunterhalt verdiente sie als Comictexterin, und den ersten Welterfolg erlangte sie 1950 mit ihrem Romanerstling ›Zwei Fremde im Zug‹, dessen Verfilmung von Alfred Hitchcock sie über Nacht weltberühmt machte. Patricia Highsmith starb 1995 in Locarno.

1


Die junge Frau überquerte rasch die Straße und sprang mit einem Satz auf den Bürgersteig. Sie trug neue, makellos weiße Turnschuhe, eine schwarze Cordhose und ein weißes T-Shirt mit einem stilisierten roten Apfel auf der Brust. Sie wich den anderen Passanten aus, machte einen kleinen Schlenker und verschwand in einem Geschäft, in dessen Schaufenster verschiedene lavendelfarbene Dinge sowie Perlen und knallrosafarbene Tücher ausgestellt waren. Sekunden später war sie wieder draußen und ging weiter. Sie schien drauf und dran, die Straße abermals zu überqueren, tat es jedoch nicht. Wie ein Schmetterling umsegelte sie im Halbkreis ein dahinschlenderndes Grüppchen und blieb vor einem anderen Geschäft stehen, dessen Waren bis auf den Bürgersteig quollen. Nein, auch hier nichts.

Die weißen Turnschuhe huschten weiter, das kurze, blonde Haar wippte. Die junge Frau bewegte sich auf einen roten Farbfleck zu, zögerte, trat ein. Auf dem Bürgersteig der West Fourth Street strömten Kauflustige in beide Richtungen. Es war kurz vor sechs an einem sonnigen Nachmittag Ende August, und die Luft war kühl. Die blonde Frau trat aus dem Geschäft, in der Hand eine beige Plastiktüte. Mit der anderen schob sie ein kleines Portemonnaie in die Gesäßtasche ihrer Cordhose. Das Lächeln auf ihren ungeschminkten Lippen war jetzt breiter – es war ein fröhliches Lächeln mit einer Andeutung von Übermut.

Die Fersen zusammengedrückt und ungeduldig auf den Zehenspitzen wippend, hielt sie inne, um einen Wagen vorbeizulassen. Ein junger Schwarzer ging vor ihr vorbei und machte eine Geste, als wollte er sie in den Busen kneifen. Sie fuhr zurück und verzog die Oberlippe, so daß ein spitzer Eckzahn zu sehen war. Und schon lief sie weiter, den Mund leicht geöffnet, um besser atmen zu können, und ihre Augen suchten nach Lücken im Strom der Passanten.

Ein Stück voraus, hinter dicken Frauen und Jungen in Bluejeans, entdeckte sie einen Mann mit einem leicht schwankenden Gang und einem Hund, den er an der Leine führte. Die junge Frau blieb abrupt stehen und wechselte bei der nächsten Gelegenheit die Straßenseite.

 

God hebt das Bein, und die Welt ist in Ordnung, dachte Ralph Linderman, als er sich der Ecke Grove und Bleecker Street näherte. Es war ein wunderschöner Sommertag, die tiefstehende Sonne fiel von Westen noch immer in bestimmte Straßen des verwinkelten Greenwich Village, und die Grove Street erschien Ralph hübscher als sonst. Die Grove Street war, wie die Barrow und die Commerce Street, ordentlich und aufgeräumt, und das gefiel Ralph. Die Menschen hier polierten ihre Türklopfer und fegten ihre Eingangsstufen. Die Morton Street dagegen, nur drei Straßen weiter südlich gelegen, war ein einziges Durcheinander: Dort lagen Papierfetzen im Rinnstein, und die Mülltonnen standen, für jedermann sichtbar, mitten auf dem Bürgersteig. Ralph war sich bewußt, daß er an Dingen und Menschen gewöhnlich schneller die häßliche Seite wahrnahm, doch das war in seinen Augen lediglich realistisch, ja sogar klug, denn bestimmten Menschen mit Mißtrauen zu begegnen, bevor sie einem etwas tun konnten, bewahrte einen vor so manchem Mißgeschick. New York war größtenteils eine heruntergekommene Stadt. Man brauchte sich nur in den mit Unrat übersäten Straßen umzusehen, um zu erkennen, daß die Leute nicht am selben Strang zogen. Kinder lernten schon früh, daß es ganz in Ordnung war, Pappbecher einfach auf den Bürgersteig zu werfen, und alle Arten von Spinnern liefen hier herum und murmelten vor sich hin, meist Obszönitäten und Flüche, die sich gegen ihre Mitmenschen richteten. Kranke Menschen, unglückliche Menschen! Und dann waren da die Räuber: Einer hielt einem von hinten die Arme fest, während der andere einem die Brieftasche abnahm, und im Nu waren sie weg. Das war Ralph einmal um fünf Uhr morgens passiert, auf dem Heimweg. Verflucht sollten sie sein – elendes Gesindel, Abschaum der Menschheit!

Ralph wünschte sich manchmal, er wäre vor zwanzig Jahren oder noch früher aus New York weggezogen, als Irma und er sich getrennt hatten – oder vielmehr: als sie mit einem anderen Mann davongelaufen war, korrigierte er sich ohne Groll. Er hätte zum Beispiel nach Cleveland, Ohio, ziehen können, in eine Stadt, die vielleicht ein bißchen amerikanischer, ein bißchen anständiger war. Möglicherweise hätte er dort die richtigen Leute kennengelernt, oder wenigstens einen guten Menschen, mit dem er sich hätte zusammentun können und der aus Ralphs Ideen etwas gemacht hätte. Ralph hatte viele Ideen für nützliche Erfindungen, aber nicht genug Kenntnisse in Mathematik und Maschinenbau. Aber dann war er vor fünfzehn, nein, achtzehn Jahren in der Garage, wo er als Wachmann gearbeitet hatte, während der Tagschicht in den Fahrstuhlschacht gestürzt. Im hellen Sonnenlicht hatte er nicht gesehen, daß der Fahrstuhl gar nicht dagewesen war, und das schwarze Quadrat für den Schatten auf dem Boden der Kabine gehalten, und so war er beinahe sechs Meter tief gefallen. Erstaunlicherweise hatte er sich nichts gebrochen, denn er hatte an diesem kalten Wintertag einen dicken Schaffellmantel getragen, doch alles in ihm war stark erschüttert gewesen. Er erinnerte sich, daß er das den Ärzten gesagt hatte, und so hatte er sich auch gefühlt: als hätte sich sein Herz ein wenig aus seiner Verankerung gelöst. Sein Kopf übrigens auch – er hatte eine Zeitlang Kopfschmerzen und so weiter gehabt. Man hatte einen Schock diagnostiziert, aber keine weiteren Verletzungen festgestellt. Doch seither hatte Ralph das Gefühl, ganz verändert zu sein. Er paßte jetzt gut auf sich auf, jawohl, und brauchte sich vor niemandem dafür zu rechtfertigen. Er konnte von Glück sagen, noch am Leben zu sein.

Der schwarzweiße Hund trabte gemächlich vor sich hin, schnupperte interessiert an einem Autoreifen oder einem zerknitterten Stück Aluminiumfolie und hob das Bein nur noch der Form halber, denn seine Blase hatte er bereits vor einer Weile geleert. Er war etwa sieben Jahre alt. Ralph hatte ihn aus dem Tierheim – er hatte ihn vor dem sicheren Tod bewahrt. God war eine Promenadenmischung, doch er hatte freundliche Augen, und das gefiel Ralph.

»God! God!« sagte er leise und zog an der Leine, denn der Hund schnüffelte nun schon seit einigen Sekunden an etwas, das, wie Ralph sah, die Exkremente eines anderen Hundes waren, die im Rinnstein lagen. »Komm jetzt.«

War das nicht Elsie, die da auf ihn zukam? Ralph blinzelte. Nein. Aber aus der Ferne sah sie ihr sehr ähnlich: der beschwingte Gang, der hocherhobene Kopf, ja, aus einiger Entfernung schien sie sogar wie Elsie zu lächeln. Doch als die junge blonde Frau an ihm vorbeiging, stellte Ralph fest, daß sie gar nicht lächelte. Elsie – also die sollte lieber einen richtigeren Kurs steuern, bevor es zu spät war! Ein unschuldiges, naives Mädchen aus einer Kleinstadt im New Yorker Hinterland, kaum zwanzig! Es war gewiß noch nicht zu spät, und bis jetzt war sie noch nicht in Schwierigkeiten geraten. Doch was ihr gefährlich werden konnte, war ihre Einstellung: Sie vertraute einfach jedem. Offenbar fand sie die Drogensüchtigen und grell geschminkten Prostituierten an der Eighth Street und der Sixth Avenue ebenso vertrauenswürdig wie … ganz normale Leute oder sogar ihn selbst! Elsie sagte, sie finde alle Menschen amüsant. Na ja, immerhin schien sie ihren Lebensunterhalt bislang selbst zu verdienen. Ralph hatte sie vor etwa einem halben Jahr in einem Coffeeshop in der West Fourth Street kennengelernt. Danach war sie für eine Weile von der Bildfläche verschwunden, und als er sie irgendwann auf der Straße wiedertraf, erzählte sie, daß sie in einem Coffeeshop mit 24-Stunden-Betrieb arbeite, wo man Espresso und Wein ausschenke. Elsie nahm befristete Jobs an. Ralph wußte nie, wo sie als nächstes auftauchen würde.

An Gods steifbeinigem Gang erkannte Ralph, daß der Hund gleich sein großes Geschäft machen würde. »In den Rinnstein, God!« Ralph zerrte an dem kauernden Hund, bis alle vier Beine vom Bürgersteig herunter waren. Zerstreut registrierte Ralph, daß Gods Verdauung in Ordnung zu sein schien, holte eine Plastiktüte und eine kleine Schaufel aus der Jackentasche und hob den Haufen auf. Die Schaufel steckte er mit dem schmutzigen Ende zuerst in die Tüte. Zu Hause würde er sie abwaschen. Gerade als God seine Schritte wieder beschleunigte, fiel Ralphs Blick auf etwas, das im Rinnstein lag.

Es war eine Brieftasche, nur zwei Meter von dort entfernt, wo God seinen Haufen gemacht hatte. Ralph bückte sich und hob sie auf, ohne stehenzubleiben. Er und der Hund, dessen Nase die Brieftasche im selben Augenblick berührte wie Ralphs Hand, gingen weiter. Ralph sah starr geradeaus. Niemand eilte ihm nach, um die Brieftasche zurückzufordern. Ralph hatte sich schon immer gewünscht, so etwas zu finden: eine Brieftasche, in der Geld und vielleicht auch ein Ausweis war. Diese hier war ziemlich dick, und das Leder war weich und glatt, wahrscheinlich Kalbsleder. Ralph steckte sie in die Jackentasche. Er bog nach links in die Hudson Street ein und ging in Richtung Barrow Street, die zur Bleecker Street führte. Dort wohnte er.

Ralph und God betraten ein vierstöckiges Gebäude und gingen die Treppe zu Ralphs nach hinten gelegener Wohnung hinauf. Vor dem Eingang hatten wie immer die beiden verzogenen Kinder gestanden, die sich, als Ralph zur Tür ging, quer über die Stufen einen Ball zugeworfen hatten, und dann war er der wie immer dunkelgekleideten Italienerin begegnet, die im zweiten Stock wohnte und sich stets vor ihrer offenen Wohnungstür mit einem Eimer oder einem Besen zu schaffen...

Erscheint lt. Verlag 26.2.2020
Übersetzer Dirk van Gunsteren
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Atheismus • Belletristik • Ehe • Franziskanerpriester • Gegenwartsliteratur • Greenwich Village • Journalist • Leidenschaft • Mord • Nachbar • Naher Osten • New York • Roman • Seele • Verhängnis • Zeichner
ISBN-10 3-257-60680-X / 325760680X
ISBN-13 978-3-257-60680-5 / 9783257606805
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