Technophoria (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020
288 Seiten
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
978-3-446-26834-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Technophoria - Niklas Maak
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Unsere Zukunft hat bereits begonnen. Ein Roman zu den großen Fragen unserer Zeit: wild, melancholisch und hinreißend zugleich
Turek arbeitet für eine Firma, die Smart Cities baut. Sein Chef ist besessen von einem alten Plan: Wenn es gelänge, die ägyptische Qattara-Senke mit Wasser aus dem Mittelmeer zu fluten, könnte man den Meeresspiegel senken, den Klimawandel bremsen - und Milliarden verdienen. Technophoria erzählt von den Schönheiten und Absurditäten der digitalen Welt, von Menschen, die an der Zukunft bauen oder ihr zu entkommen versuchen. Ein scharfer Blick auf eine Gesellschaft, die ihre Freiheit für Komfort und Sicherheit aufgegeben hat, und eine ungewöhnliche Liebesgeschichte, die um die ganze Welt führt, zu Gorillas und Robotern, in anarchistische Kommunen, sprechende Häuser und Serverfarmen - und zu Menschen, die ihr Leben so wenig auf die Reihe bekommen wie die Liebe.

Niklas Maak, Jahrgang 1972, studierte in Hamburg und Paris Kunstgeschichte, Philosophie und Architektur und lebt in Berlin. Seit 2001 ist er Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Kunst und Architektur, außerdem unterrichtete er als Gastprofessor für Architekturgeschichte in Frankfurt am Main und in Harvard. Für seine Arbeit erhielt er den George-F.-Kennan-Preis, 2012 den Henri-Nannen-Preis, den COR-Preis 2014, den BDA-Preis für Architekturkritik 2015 und den HBS-Kritikerpreis 2017. Im Carl Hanser Verlag erschienen zuletzt: Wohnkomplex. Warum wir andere Häuser brauchen (2014), Atlas der seltsamen Häuser und ihrer Bewohner (2016), Durch Manhattan (2017, mit Leanne Shapton) und Technophoria (Roman, 2020).

Qattara Depression


Die Qattara-Depression ist eine Senke der Libyschen Wüste in Ägypten und in dessen nordwestlichem Gouvernement Matruh gelegen. Die maximale Länge beträgt 120 und die maximale Breite 80 Kilometer. Die einzige ständig bewohnte Siedlung in der Qattara-Senke ist die Qara-Oase, in der etwa 300 Menschen leben. Zudem ist die Senke von nomadisch lebenden Beduinen und ihren Herden bewohnt. Im Jahr 1916 kam der Geologe Albrecht Penck auf die Idee, hier ein Wasserkraftwerk zu bauen, was angesichts des fast vollkommenen Fehlens von Wasser allgemeine Verwunderung hervorrief. Da die tiefste Stelle der Senke 133 Meter unter dem Meeresspiegel liegt, könnte man über mehrere Dutzend Kilometer einen Wasserweg vom Mittelmeer zur nördlichen Abbruchkante der Senke graben. Der Plan wurde mehrfach angegangen und immer wieder wegen technischer Schwierigkeiten aufgegeben.

(Brockhaus-Lexikon, Eintrag »QATTARA«)

Oktober 1978


Ein Dienstwagen des Bundeswirtschaftsministeriums rast auf der Autobahn von Köln nach Bonn. Auf der Rückbank sitzt Hans-Walther Ehlen, Ingenieur, Mitarbeiter des Instituts für Wasserbau und Wasserwirtschaft in Darmstadt — vor allem aber Berater der ägyptischen Regierung und Mitglied eines achzigköpfigen Forschungsteams im Bundeswirtschaftsministerium, das in Ägypten eines der größten Bauprojekte der Welt realisieren will, einen Kanal nämlich, der Wasser aus dem Mittelmeer in eine Senke in der Libyschen Wüste leitet, und dort, 130 Meter unter dem Meeresspiegel, das größte künstliche Binnenmeer der Welt entstehen lässt.

Obwohl, künstlich: Ganz früher war da keine Wüste, sondern ein riesiges Meer. Das trocknete irgendwann aus. Eigentlich rekonstruiert Ehlen nur den Naturzustand der Erde zu einem gewissen Zeitpunkt, von dem aus der heutige Zustand einer riesigen Wüste wie eine unfassbare Katastrophe aussieht. Seit fünfzehn Jahren arbeitete er an dem Projekt, fünf Jahre lang war er immer wieder nach Kairo geflogen, war mitten in der Nacht aufgestanden, hatte draußen vor dem Haus noch eine geraucht, dann kam der Chauffeur, der ihn zum Flughafen nach Frankfurt brachte, fünf Stunden Flug, dann die Landung in der Nachmittagshitze, der Lärm, die Fahrt ins Hotel … der Marmorboden des Ministeriums … Tage in Sitzungssälen, an den Wänden Fotos von Pyramiden und der New Yorker Skyline …

Die Machbarkeitsstudie hatte gezeigt, dass es gehen würde. Sie würden einen Kanal vom Mittelmeer in die Senke sprengen, das Wasser würde in Druckrohre geleitet, um Strom zu erzeugen, und danach in die Senke fließen — aber in der trockenen Hitze würde es schnell verdunsten, so dass immer mehr Wasser eingeleitet werden könnte. Sein Chef, Friedrich Bassler, hatte bewiesen, dass das Qattara-Kraftwerk, das erste hydro-solare Depressionskraftwerk der Welt, in der ersten Phase des Projekts 1,6 Gigawatt erzeugen könnte, mit dem geplanten Pumpspeicherwerk könnte man die Kapazität auf 6,8 Gigawatt anheben — viel mehr Strom erzeugen als durch den Assuan-Damm … ganze Städte, Fabriken könnten so versorgt werden, und nach einem Jahrzehnt hätte sich der weit unter dem Meeresspiegel liegende Teil der Wüste gefüllt und wäre wieder ein Meer: 18.000 Quadratkilometer Wüste geflutet. Durch den Kanal würden auch Schiffe fahren können, Fischschwärme würden sich ansiedeln, ja, die Libysche Wüste würde zu einem der reichsten Fischgründe der Welt werden, Tausende, die jetzt hungernd durch die Wüste irrten, hätten Arbeit als Fischer, eine ganz neue Industrie würde sich ansiedeln, Nordafrika zu einer Wohlstandsregion heranwachsen, zu einem neuen Markt auch für europäische Produkte —

Sie arbeiten seit 1963 an diesem Plan. Fünfzehn Jahre … Ehlen schaut aus dem Fenster der Limousine. Da war der Neubau, sehr schön der Blick ins Grüne, wie alle Gebäude der Bonner Republik war auch dieses Institut versteckt in einem Park, so wie der Kanzlerbungalow, den man ja gar nicht sah von der Straße — wenn über ein Treffen im Kanzleramt berichtet wurde, sah man im Fernsehen Helmut Schmidt in einer Limousinenkolonne am Pförtnerhäuschen vorbei in einen Park rauschen, so dass der romantische Eindruck entstehen musste, Deutschland werde aus einem Wald heraus regiert …

Eine tiefgefrorene Neubausiedlung fetzt am Fenster vorbei; auf den Fichten Raureif. Ein blaues Autobahnschild, ein schmutziger Lastwagen, ein kanariengelber Kleinwagen auf der rechten Spur. Im Radio spielen sie Hiroshima von Wishful Thinking. Helmut Schmidt gratuliert Sadat und nennt ihn einen Freund und Menschen mit Weitblick …

Neben Ehlen, auf dem grünen Velourssitz des Mercedes, liegt ein Glückwunschtelegramm, das er an Präsident Anwar el Sadat schicken muss, der hat gerade den Friedensnobelpreis bekommen, zusammen mit Menachem Begin. Sadat ist ihr Auftraggeber, er hat ihn über Helmut Schmidt kennengelernt, als Schmidt noch Wirtschaftsminister war. Schmidt hatte sofort begriffen, was Qattara für die deutsche Industrie bedeuten könnte, Sadat war zuletzt kritisch, er war nicht richtig zu überzeugen gewesen, die Sache mit den atomaren Sprengungen hatte ihn verschreckt. Gut. Anders ging es aber nicht. Sie waren ja keine Idioten. Ein Team von immerhin achtzig Experten hatte alles über Jahre sehr genau berechnet. Man konnte den sechzig Kilometer langen Kanal, den man brauchte, um Qattara zu fluten, nicht ausbaggern, man würde angesichts des ärgerlich hohen Felsrückens auch mit normalem Dynamit nicht weit kommen, also gab es, davon war Bassler überzeugt, nur die Möglichkeit, den Kanal mit atomaren Sprengungen herzustellen.

Wie bitte? Doch, ja. Das war Basslers Plan. 213 Bohrlöcher, in die man Sprengladungen von einer bis 1,5 Megatonnen Sprengwirkung füllen würde, und zack! — hätte man in nur wenigen Wochen einen sehr schönen Kanal. Die Welt zum Besseren umgebaut. Ein Meer in der Sahara, das zu starker Wolkenbildung führen würde — unter dieser neuen Wolkendecke deutlich angenehmere Temperaturen, Regen auf fruchtbarem Boden, die Wüsten würden ergrünen, Millionen von Arbeitsplätzen entstehen … Aber die Leute hatten Angst vor Atomkraft, bei Atomkraft dachten sie an Krieg und Wettrüsten, Bassler, hatte man geschrieben, wolle die hundertfache Sprengladung von Hiroshima einsetzen, das klang nach dem Ende der Welt. Sie vertrauten der Technologie nicht. Sie waren technologiefeindlich, gerade die Jugend, für die man das doch alles machte, für ihre Zukunft — und der Dank dafür: Anti-Atomkraft-Demos, lange Haare, Kapitalismuskritik, Landkommunen, Maoismus.

Sein Sohn. Grad, vor ein paar Wochen, einundzwanzig geworden. Als er einundzwanzig war … das war 1930.

Da studierte er in München Bauingenieurwesen, dann Wehrdienst in der Luftwaffe. 1941 als Offizier bei Rommel in der Libyschen Wüste. Da war er zum ersten Mal in der Qattara-Senke, das heißt in der Nähe, denn so richtig hinein kam man nicht in dieses riesige Drecksloch, in dem wirklich niemand wohnte außer ein paar Geparden und ein paar Leuten in der Qara-Oase, wohin sie nie gekommen waren, weil die Panzer im Sand der Senke versanken; deshalb die verdammte Schlacht oben, jenseits der Wüste, bei El Alamein. Weil man sonst nirgendwo durchkam. Jeder, der Qattara je sah, musste, angesichts der enormen, endlosen Ödnis und Traurigkeit dieser Wüste, die Idee begrüßen, sie zu fluten, sie zum Verschwinden zu bringen. Man spürte, dass das hier nicht so gedacht war, dass diese Wüste das Ergebnis einer kosmischen Katastrophe, einer lebensvernichtenden, jeder Idee von Schöpfung zuwidergehenden Austrocknung der Welt war, dass ihre Flutung den Weltbauplan reparieren würde — die Franzosen träumten schon Ende des 19. Jahrhunderts von einem Kanal, Jules Vernes Sohn hatte über solche Flutungsfantasien einen ganzen Roman, »Der Einbruch des Meeres«, geschrieben, den er dann unter dem Namen seines Vaters veröffentlichte, nur dass bei Verne ein Erdbeben einen Kanal in die Wüste reißt, da ist den Ingenieuren die Arbeit abgenommen. Danach wollten die Engländer einen Kanal bauen, sogar die CIA hatte dem amerikanischen Präsidenten Eisenhower 1957 empfohlen, Qattara zu fluten, sie hatten eine Kopie des Briefs in ihrem Büro — die Flutung wäre »spektakulär und friedlich« und würde das Klima in den kommenden Jahren wesentlich verändern, stand da, es würden während der Bauzeit »Arbeitsplätze und danach Lebensraum für...

Erscheint lt. Verlag 9.3.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 21. Jahrhundert • Afrika • Anarchie • Autonomes Fahren • Digitalisierung • Drohne • Internet • Kongo • Mobilität • #ohnefolie • ohnefolie • Online • Plattformkapitalismus • Roman • Smart Home • Stadt
ISBN-10 3-446-26834-0 / 3446268340
ISBN-13 978-3-446-26834-0 / 9783446268340
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