Die Tochter des Zauberers - Erika Mann und ihre Flucht ins Leben (eBook)

Roman

(Autor)

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2020 | 2. Auflage
448 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1968-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Tochter des Zauberers - Erika Mann und ihre Flucht ins Leben - Heidi Rehn
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'Ein vielschichtiges Buch über die schillerndste Tochter Thomas Manns.' Brigitte Glaser.

New York, 1936: Erika hofft darauf, mit ihrem politischen Kabarett die Amerikaner für den Kampf gegen Hitler zu gewinnen. Dann lernt sie im Kreis der europäischen Exil-Künstler einen Mann kennen, der ihr mehr bedeutet, als sie jemals für möglich gehalten hätte - den Arzt und Lyriker Martin Gumpert, der fasziniert ist von ihrer Stärke und Unabhängigkeit. Bald muss sie sich entscheiden: Ergreift sie die Chance, sich als Kämpferin für Frieden und Freiheit zu etablieren, oder setzt sie ihr persönliches Glück an erste Stelle?

Die bislang unbekannte Liebesgeschichte einer großen Frau, die sich in einer düsteren Epoche behaupten muss.



Heidi Rehn, geboren 1966, studierte Germanistik und Geschichte in München. Seit vielen Jahren schreibt sie hauptberuflich. In München bietet sie literarische Spaziergänge 'Auf den Spuren von ...' zu den Themen ihrer Romane an, bei denen das fiktive Geschehen eindrucksvoll mit der Historie verbunden wird.
Im Aufbau Taschenbuch sind von ihr der Roman 'Die Tochter des Zauberers - Erika Mann und ihre Flucht ins Leben' sowie 'Das doppelte Gesicht' und 'Die letzte Schuld', die ersten beiden Bände der Krimireihe um Emil Graf und Billa Löwenfeld, erschienen.
Mehr zur Autorin unter www.heidi-rehn.de.

Prolog


München, Anfang April 1933

Geschafft! Erika kann es kaum fassen. Tatsächlich hat sie unbemerkt von den draußen patrouillierenden SA-Wachen das rettende Dachgeschoss erreicht. Sie zittert am ganzen Leib. Es gelingt ihr gerade noch, die Tür hinter sich zu schließen. Erschöpft zwingt sie sich, tief durchzuatmen. Allmählich normalisiert sich ihr Herzschlag. Das dicke Manuskriptbündel wie ein Schutzschild vor die Brust gepresst, gleitet sie in Zeitlupe am Türblatt hinunter zu Boden. Bleibt dort mit angezogenen Knien reglos sitzen.

Tiefe Dunkelheit umfängt sie. Im restlichen Haus rührt sich nichts. Nicht einmal der Familienchauffeur, der blonde, blauäugige Hans, ist in seinem Zimmer. Auch sonst scheinen die früheren Hausangestellten alle ausgeflogen. Sie hat genau den richtigen Zeitpunkt erwischt, um herzukommen. Behutsam bettet sie das Papierbündel neben sich auf den Holzboden, legt Hut und Brille obenauf und fährt mit den Händen übers glühende Gesicht, lässt sie einen Moment darauf liegen. Was gäbe sie jetzt für eine Zigarette! Doch es wäre Wahnsinn, dem Verlangen nachzugeben. Der Rauch würde sie sofort verraten.

Sie ist noch immer erschüttert. Niemandem ist mehr zu trauen, am allerwenigsten denen, bei denen sie sich früher sicher gefühlt hat. Wie etwa ihrem Chauffeur. Vor gut drei Wochen, als sie nach der Machtergreifung mit ihrem Lieblingsbruder, dem ein Jahr jüngeren Klaus, nach München zurückgekehrt ist, hat Hans sie zwar gewarnt, es könne gefährlich sein, an der Isar zu bleiben, vor allem für sie, das »Fräulein Erika«. Inzwischen aber hat sich herausgestellt, warum er so gut informiert gewesen ist: weil er seit Jahren die gesamte Familie als heimlicher Parteigänger Hitlers für die Gestapo ausspioniert hat!

Als er sie mit dem Familien-Buick am Bahnhof abholte, hat er ihr trotzdem ins Ohr geraunt: »Achtung, Fräulein, sie sind hinter Ihnen her. Sie wissen schon, die vom Braunen Haus!« Wenigstens dieses eine Mal noch hat die Loyalität gegenüber seinen langjährigen Arbeitgebern über das Pflichtgefühl den neuen Machthabern gegenüber gesiegt.

Beim Gedanken, sich ab sofort nicht mehr in der vertrauten bayerischen Heimat, sondern in Feindesland zu befinden, wird ihr speiübel. Die Eltern haben letztens noch bezweifelt, ob es wirklich schon so schlimm sei, und wären am liebsten ins geliebte München zurückgekehrt. Mit Engelszungen haben Erika und Klaus in einem nervenzehrend langen Telefonat auf sie eingeredet, um sie im letzten Moment davon abzubringen. Allein die Tatsache, dass sie nun wie ein gemeiner Dieb mit Hut, dunkler Brille und langem Regenmantel getarnt mitten in der Nacht in ihr eigenes Zuhause einbrechen muss, um ihr rechtmäßiges Eigentum zu holen, spricht Bände, wie es neuerdings um Deutschland bestellt ist.

Wie aber soll es weitergehen? Wie will sie nicht nur das Joseph-Manuskript ihres Vaters, sondern auch die Freunde und Kollegen von der neu gegründeten Kabaretttruppe Die Pfeffermühle schnellstmöglich in Sicherheit bringen? Wo können sie künftig auftreten? Wie sich Gehör verschaffen? Wovon werden sie im Exil ihren Lebensunterhalt bestreiten?

Manchmal ist ihr das alles zu groß. Warum erwartet alle Welt, allen voran ihr Vater, sie solle alles für alle in Ordnung bringen? Natürlich hat sie das bislang gern getan, aber wird ihr das auch künftig gelingen? Verzweifelt schüttelt sie den Kopf.

Die Situation ist mehr als bedrohlich: In den Liedern und Texten ihres ersten, sehr erfolgreichen Kabarettprogramms Anfang des Jahres haben sie und ihre Mitstreiter sich mit ihrer Kritik an den Zuständen in Deutschland weit aus dem Fenster gelehnt. Dabei haben sie zwar weder Namen noch Begebenheiten konkret benannt, stattdessen mit Märchen, Anspielungen und Persiflagen jongliert. Trotzdem hat es nicht erst der Warnung von Chauffeur Hans bedurft, um ihr die daraus resultierende Gefahr drastisch vor Augen zu führen. Gleich nach dem Reichstagsbrand in Berlin Ende Februar sind einige ihrer Freunde verhaftet worden. In Hitlers Lieblingsstadt München hat es erstaunlicherweise zwar noch bis kurz nach den Wahlen Anfang März gedauert, bis die Nazis endgültig an die Macht gelangt sind. Dafür toben sie sich nun umso unerbittlicher aus. Seit einigen Tagen existiert in Dachau, nur wenige Kilometer nordwestlich von München, ein sogenanntes Konzentrationslager. Es kursieren Gerüchte, dass dort Regimegegner und solche, die in den Augen der NSDAP »missliebige Objekte« darstellen, brutal misshandelt werden.

Für Erika beweist das, wie sicher sich Hitler und seine Schergen ihrer Sache bereits sind. Dass es sich bei ihnen nicht bloß um einen bald vorübergehenden Spuk, sondern um einen langen, bösen Alptraum handelt. Umso wichtiger, lautstark Partei gegen sie zu ergreifen und potente Mitstreiter dafür zu gewinnen. Jetzt, da die Kritiker in Deutschland nicht nur mundtot gemacht werden, sondern gar um ihr Leben fürchten, muss das umso entschiedener in Europa und am besten sogar in den USA geschehen.

Panik erfasst sie. Die Vorstellung, welche Konsequenzen damit verbunden sind, lässt sie schaudern. Ihre Eltern und die jüngeren Geschwister befinden sich zwar bereits in der rettenden Schweiz. Als Literaturnobelpreisträger wird ihr Vater auch dort ungehindert schreiben und veröffentlichen können. Seine Stimme ist zu wichtig, um überhört zu werden oder gar vollends zu verstummen. Deshalb muss sie ihn dazu bringen, sich explizit für den Kampf gegen Hitler einzusetzen. Eine schwierige Aufgabe. In puncto Politik ist er ein unmündiges Kind. Sie muss ihn buchstäblich an die Hand nehmen, damit er die richtige Position bezieht.

Je länger sie ins Finstere starrt, desto mehr lichtet sich die Schwärze um sie her. Durch einen Spalt zwischen den Fenstervorhängen fällt ein Streifen Mondlicht, die Umrisse der Möbelstücke zeichnen sich ab. Bett, Tisch, Kommode – das alles nicht nur vor sich zu sehen, sondern auch berühren zu können, ist unwirklich wie ein Traum und dennoch wahr. Rührung überkommt sie. Kaum drei Wochen nachdem sie gemeint hat, ihre Heimat für immer hinter sich lassen zu müssen, sitzt sie tatsächlich noch einmal in ihrem Zimmer. Und kann sich einbilden, es wäre nichts geschehen. Alles wäre wie früher. Gleich käme Klaus von nebenan herüber, und sie würden es sich im Bett unter der Decke gemütlich machen, um Schulter an Schulter in den Werken seiner großen Vorbilder Jean Cocteau oder André Gide zu lesen.

Unbändige Sehnsucht erfasst sie. Über zwanzig Jahre ist die Villa in der Poschinger Straße ihr Zuhause gewesen. Rettender Anker in den wilden Jahren ihrer Jugend, Zufluchtsort nach all den Stürmen, die ihr Leben bisher heimgesucht haben, seien es die ausbleibenden Erfolge auf Reinhardts Theaterbühne in Berlin nach dem Abitur, die krude Episode ihrer kurzen Ehe mit dem ehrgeizigen Hamburger Bühnenkollegen Gustaf Gründgens, der sich längst den neuen Machthabern an den Hals geworfen hat, oder die bittere Zeit nach dem Selbstmord ihres Kindheitsfreundes Ricki Hallgarten, den zu retten sie sich vergebens gewünscht hat. Tränen schießen ihr in die Augen. Um nicht laut aufzuschluchzen, beißt sie die Lippen aufeinander, schluckt einige Male heftig und wischt sich mit dem Handrücken das nasse Gesicht.

Von Neuem wandern ihre Augen durch das dämmrige Zimmer. Was hat sie hier oben unterm Dach in der von ihr heiß geliebten »Poschi« nicht schon alles erlebt! Und was alles mit Klaus und den anderen Freunden aus der berüchtigten Herzogpark-Bande in ihrer verrückten Backfischzeit ausgeheckt, während die vier jüngeren Geschwister wie die Eltern ein Stockwerk tiefer ahnungslos geschlafen haben. Die Erinnerungen an die unerhörten Telefonstreiche bei verdienten Mitbürgern oder die kühnen Diebestouren durch Münchner Feinkostläden bringen sie abermals zum Weinen.

Was ist ihr geblieben? Jetzt hat sie, den schwarzen Herrenhut tief ins Gesicht gezogen, die dunkle Brille schützend vor den Augen, den Mantelkragen hochgeschlagen, bei anbrechender Dunkelheit einen günstigen Moment abpassen müssen, um unbemerkt von den Nazi-Wachen das Gartentor aufzusperren und sich zwischen Büschen und Sträuchern quer über die Wiese ans Haus heranzupirschen, klopfenden Herzens die Stufen zur Tür hinaufzusprinten und ins Elternhaus einzudringen.

Wie gut, dass sie jede einzelne knarrende Stelle im Parkett kennt, von jeder Stolperfalle auf der Treppe weiß und sich in sämtlichen Räumen blind zurechtfindet. Selbst im eigentlich verbotenen, hochheiligen Arbeitszimmer ihres Vaters. Auf Anhieb ist ihr das Husarenstück gelungen, die wertvollen Seiten seines Joseph-Manuskripts mit einem einzigen gezielten Griff in die richtige Schublade an sich zu bringen.

Jetzt sitzt sie ungeduldig wartend da und will erst einige Stunden verstreichen lassen, bevor sie sich wieder aus dem Haus stiehlt. Eins aber steht fest: Die Poschi mag zwar verloren sein, die Kraft wird sie sich aber nicht nehmen lassen, die sie aus diesem Ort und dieser kurzzeitigen Rückkehr schöpft. Wenn sie es schafft, unbehelligt mit dem Manuskript zu entkommen, wird sie in den nächsten Jahren auch die weiteren Herausforderungen des Exils bewältigen.

Irgendwann, als der Mond am Himmel hinter dichten Wolken verschwunden und völlige Dunkelheit eingekehrt ist, scheint es ihr sicher genug, das Haus zu verlassen. Dieses Mal endgültig, wie ihr im selben Moment bewusst wird. Schweren Herzens verzichtet sie darauf, einen Abschiedsrundgang durch die vermeintlich unberührten Räume zu unternehmen, sich aus dem Vorratskeller die ein oder andere...

Erscheint lt. Verlag 18.8.2020
Reihe/Serie Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Boheme • Erika Mann • Familie Mann • Künstlerbiografien • Michelle Marly • New York • Thomas Mann
ISBN-10 3-8412-1968-3 / 3841219683
ISBN-13 978-3-8412-1968-8 / 9783841219688
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