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Guten Morgen, du Schöner (eBook)

Begegnungen mit ostdeutschen Männern
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
256 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-1975-6 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
14,99 inkl. MwSt
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Endlich - die Liebeserklärung an den Ostmann Der Ostmann sächselt, wählt AfD und pöbelt tumb durch Deutschlands Straßen. Dieses Bild vermitteln uns die Medien und es ist mehr als an der Zeit, damit aufzuräumen. In Anlehnung an Maxie Wanders Klassiker 'Guten Morgen, du Schöne' (1977) gibt die junge, ostdeutsche Journalistin Greta Taubert den Ostmännern von heute eine Stimme. Sie sind zwischen Mitte dreißig und Ende fünfzig, sprechen über das Mannsein, über Gleichberechtigung, über die Suche nach sich selbst und die Prägungen durch die Umbrucherfahrung. Greta Taubert ist von Osten nach Westen, von Norden nach Süden gereist und hat sich mit vielen Männern unterhalten. Ihr Buch ist eine charmante und spannende Annäherung an den zu Unrecht unterschätzten 'Ossiboy'. »Greta Taubert ist eine, die zuhört und hinsieht, keine Fremde, sondern eine Verbündete, die die Gefühls- und Gedankenwelt ihrer Zeitgenossen festhalten kann. Sie gibt dem Ostmann endlich viele Gesichter. Kurz: Greta Taubert ist die langersehnte Maxie Wander der Wendejungs.« Carolin Würfel, Journalistin und Autorin

Greta Taubert ist Reporterin und Autorin in Leipzig. Sie schreibt u. a. für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, das SZ Magazin, Die Zeit und die taz. Als Buchautorin veröffentlichte sie die Titel 'Apokalypse Jetzt' (2014) und 'Im Club der Zeitmillionäre' (2016), in denen sie unterschiedliche Gesellschaftsutopien untersucht und ausprobiert.

»Weil unseren Eltern ein ’68 gefehlt hat, holen wir Ostmänner das jetzt nach.«
Tobias, 38, Erfurt, Puppenspieler, zwei Söhne


Die Hitze steht flirrend zwischen den Plattenbauten, als wir uns zum ersten Mal treffen. Tobias hat Schweißtropfen auf der Stirn und ein Lächeln im Gesicht. Er ist einer der ersten Männer, die ich im echten Leben treffe, nachdem ich den Aufruf ins Internet gestellt hatte: »Ostmann gesucht!« Daraufhin waren unzählige Nachrichten eingetroffen. Manche schrieben von Flucht und Fremdsein, andere nur ihr Alter und den Geburtsort. Einer gab sich als das Taufkind von Joachim Gauck zu erkennen, ein anderer hatte ein Meerschweinchen als Profilbild und erzählte von seiner Einsamkeit. Einer schickte mir Bilder seiner Ferienwohnung an der Ostsee, ein anderer spammte mich mit Kaffeeeinladungen voll. Es war nicht einfach.

Tobias schrieb in seiner Nachricht, dass er sich viel mit seiner ostdeutschen Prägung beschäftige. Er habe eine Art »Generationenverschiebung« festgestellt. Gerade im Bereich Kindererziehung. Im Vergleich zu Menschen, die in den siebziger oder achtziger Jahren in Westdeutschland geboren seien, hätten ostdeutsch Sozialisierte einerseits vieles aufzuholen. In manchem hätten sie aber auch einen Erfahrungsvorsprung. Ich wollte wissen, was das bedeute. »Wo hast du denn deine Rose im Knopfloch?«, frage ich ihn, als wir uns zum ersten Mal gegenüberstehen. Er lacht: »Wenn wir ein Erkennungszeichen für dieses besondere Blind Date bräuchten, dann ja wohl eine rote Nelke!«

Als Puppenspieler bin ich immer mein eigener Regisseur. Ich gucke von oben auf die Puppe drauf, die ich selbst bin. Ich beobachte sie, ich steuere sie. Und so ist das manchmal auch außerhalb der Bühne. Das Stück, das ich im Leben spiele, ist natürlich noch nicht abgeschlossen, aber es gibt darin Szenen, die mich bewegen. Wenn ich darüber nachdenke, gibt es durchaus ein erstes Erlebnis, das nur ich als Ostdeutscher habe oder haben kann. Das war 1989. Ich war gerade acht Jahre alt und stand mit meiner Mutter auf dem Anger in Erfurt. Um uns herum hielten sich Menschen an den Händen, sie bildeten eine Kette und riefen etwas. Uns gegenüber standen die Volkspolizisten. Die waren alle total jung, und ich hab deren Angst gesehen vor dieser immer lauter werdenden Masse, die um ihre Freiheit kämpfte. Meinem Kinderkopf war bewusst, dass hier irgendetwas passierte. Nur was, das ist mir erst rückblickend klar geworden.

Mein Vater war zu dieser Zeit schon lange weg, im Westen. Er wollte flüchten und ist beim Fluchtversuch gefasst worden. Monatelang wusste niemand, wo er ist. Erst als die Eltern meines Vaters einen Brief bekommen haben, wussten wir, dass er im Knast sitzt. 1982 ist er freigekauft worden und nicht mehr zu uns zurückgekommen. Ich war gerade erst auf der Welt. Meine Mutter wusste davon nichts. Sie hat erst später bei der Gerichtsverhandlung davon erfahren. Sie war damals ja erst 18 Jahre alt, hatte eine Ausbildung angefangen und war total mit sich selbst beschäftigt. Sie hätte mich vermutlich weggegeben. Zum Glück hat meine Oma gesagt: »Das Kind bleibt!« Dafür bin ich ihr bis heute dankbar. Sie hat sich auch sehr fürsorglich um mich gekümmert, und ich bin zum größten Teil bei ihr aufgewachsen. Wir sind die ersten Jahre auf dem Dorf geblieben, ich erinnere das als eine schöne Zeit. Man war halt viel draußen, ist rumgestreunt und in Fuchsbaue geklettert. Als einziges Spielzeug hatte ich Holzbauklötze und diese kleinen Gummiindianer und -soldaten. Mehr gab es nicht. Wenn wir einen Konflikt hatten, haben wir uns gekloppt. Und wenn uns etwas weh getan hat, haben die Erwachsenen gesagt: »Das ist nicht so schlimm! Hab dich nicht so!« Für meine Mutter war es normal, dass sie mich als Ersten in den Kindergarten bringt und als Letzten abholt, selbst wenn ich heulend in der Tür gestanden hab. Irgendwie war alles ein bisschen rauer als heute, habe ich den Eindruck. Es gibt für unsere Generation da einen großen Nachholbedarf, gerade was Erziehung betrifft. Uns fehlt da etwas. Mir kommt das so vor, als würde ein wesentlicher Entwicklungsschritt regelrecht aus den Biographien herausgeschnitten. Ostdeutschland hatte kein ’68. Unsere Eltern haben sich nicht damit auseinandergesetzt, wie eine Erziehung ohne Bestrafung oder Druck aussieht. Das stand gar nicht zur Debatte. Die haben immer gearbeitet und die Sachen so gemacht, wie man sie halt zu machen hatte. Weil es unseren Eltern gefehlt hat, kommt das jetzt erst bei uns als Thema auf. Wir Ostmänner beginnen da von vorn. Das meine ich mit »Generationenverschiebung«.

Ich habe zwei Söhne. Der erste ist schon 18 Jahre alt und wohnt in der Nähe von Ulm. Und der Kleine ist jetzt fünf und geht in den Kindergarten. Dort gibt es immer noch so alte Osterzieherinnen. Die haben zwar eine große Herzlichkeit, aber eben auch Strenge. Es gibt noch Bestrafungsmethoden und Regeln, die überhaupt keinen Sinn machen. Zum Beispiel beim Schlafengehen. Das ist ein Muss. Nach wie vor. Selbst wenn es in der Hausordnung steht, dass es respektiert werden soll, wenn ein Kind nicht schlafen will. Aber die Erzieherinnen setzen das nicht um. Die machen das lieber so, wie sie es immer gemacht haben und für richtig halten. Das wäre bestimmt im Westerwald so nicht möglich. Da wurde der Muff von 1000 Jahren schon gelüftet von der Elterngeneration. Dort ist es Alltag und Normalität geworden, dass Kinder nicht von Autoritäten bestraft werden. Aber bei uns müssen wir das jetzt machen, wir müssen uns das selbst aneignen und verstehen, warum das nicht sein darf. Ich denke ganz viel darüber nach: Woher kommt dieses Bestrafen überhaupt? Wieso machen Menschen das?

Als ich meinen ersten Sohn bekommen habe, war ich auch sehr jung, 20 Jahre erst, und mitten im Studium. Und für mich war von Anfang an klar, dass ich es anders machen wollte als meine Eltern. Ich wollte möglichst viel für das Kind da sein und so viel wie möglich über die Bedürfnisse des Kindes lernen. Ich war da sehr neugierig, was das überhaupt bedeutet: Bedürfnisorientierung. Ich möchte dabei sein, wie mein Kind Sachen erlebt. Viel lieber noch, als mit ihm etwas zu erleben. Das finde ich total spannend zu verfolgen, wie er eigene Lösungen für Probleme findet. Das ändert sich ja auch ständig: Gerade spielen wir viele Karten- und Brettspiele. Noch vor einem halben Jahr war es kein Problem für ihn, wenn er verloren hat. Dann hat er sich noch mitgefreut, wenn man gewonnen hat. Und jetzt plötzlich ist das ein Riesenproblem. Dann bockt er. Da muss man doch nicht mit Drohung oder so was reagieren, sondern sich damit auseinandersetzen: Was geht in dem Kind gerade vor? Was will es wirklich? Ich merke das auch in meinem Beruf ständig, wenn ich vor Kindern spiele. Die sind dann wirklich voll da, ganz unmittelbar und pur. Da kommt man an ungefilterte Emotionen ran. Das ist so aufregend, sich damit auseinanderzusetzen, wie man damit umgeht, wenn sie sich weh tun oder etwas nicht gut finden. Ich will das ganz anders machen, als ich es in meiner Kindheit gehört habe. Da hat man immer gesagt: »Das ist nicht so schlimm!« Aber es war vielleicht schlimm, für mich. Aber eben nicht der Ball am Kopf, sondern etwas anderes, das schmerzt.

Ich finde das schwierig, dass in unserer Gesellschaft immer alles einen Begriff braucht. Das ist antiautoritär, das sind Helikopter-Eltern. Es gibt doch so viele Aspekte, die zum Zusammenleben dazugehören. Das lässt sich nicht auf ein Prinzip festlegen. Das ist wie bei einem guten Gericht. Da gehören viele Zutaten und Gewürze rein, und man schmeckt immer mal wieder ab, ob es so passt. Ich möchte da flexibel und offen bleiben und mich nicht unter die feste Hülle eines Begriffes begeben.

Die Entscheidungen für das Kind teilen wir uns als Eltern fifty-fifty auf. Aber ganz ehrlich: Das setzt immer einen langen Kommunikationsprozess voraus. Meine Partnerin kommt ursprünglich aus Münster, und da gibt es Themen, die schwierig sind. Zum Beispiel Impfen. Ich persönlich habe kein Problem damit. Wir wurden damals ja alle durchgeimpft. Aber ich verstehe, dass es problematisch sein kann, wenn man nur noch Fünffach- oder Siebenfach-Impfungen bekommt und keine Wahlfreiheit mehr haben soll. Das wird einem dann so komplett aus der Hand genommen. Meine Partnerin ist aber total gegen das Impfen, weil sie Angst vor Impfschäden hat. Ich sage dann: Wenn viele so denken, treten die Masern wieder auf, und dann haben wir alle ein Problem. Das ist eine wirklich schwere Krankheit. Das ist ein Punkt, an dem sich die Ost- und Westsozialisation deutlich reibt. Es geht beim Impfen nicht nur um das eigene Wohl, sondern um das einer ganzen Gruppe. Aber wie soll ich ihr das erklären? Unser Sohn lag nach der Geburt drei Wochen auf der Intensivstation in der Uni-Klinik und wurde nach dem Gießkannenprinzip mit Medikamenten vollgepumpt. Da hat sie viel Vertrauen in die Schulmedizin verloren. Und auch der Kleine hat panische Angst vor Ärzten. Im Moment hat er nur eine Masernimpfung, aber er braucht ja möglichst bald danach die zweite. Das bedeutet: Entweder er ist nicht geschützt oder er wird am Ende zwei Mal geimpft.

Für uns beide ist es aber eine Selbstverständlichkeit, dass wir uns gleichberechtigt um das Kind kümmern. Das ist ja mittlerweile auch gesellschaftlich so gesetzt, oder? Da bin ich ganz froh über meinen Job. Wenn ich morgens eine Vorstellung habe, setze ich mich danach wieder in den Zug und bin mit Glück um eins zu Hause. Dann kann ich das Kind um zwei aus dem Kindergarten holen – und das ist das Allerwichtigste. Das ist das Kernthema des Vaterdaseins: für das Kind da sein und nicht weg.

Was eine Vaterfigur sein kann, ist...

Erscheint lt. Verlag 10.3.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Familie / Erziehung
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Beziehung • Frauen • Liebe • Männer • Maxie Wander • Ossis • Osten • Ostmann • Ost-West-Konflikt • Porträts • Rassismus
ISBN-10 3-8412-1975-6 / 3841219756
ISBN-13 978-3-8412-1975-6 / 9783841219756
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