Allegro Pastell (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
288 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-32034-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Allegro Pastell -  Leif Randt
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Germany's next Lovestory. Leif Randt erzählt vom Glück. Von Tanja und Jerome, von Wirklichkeit und Badminton, von idealen Zuständen und den Hochzeiten der anderen. Eine Lovestory aus den späten Zehnerjahren. Tanja Arnheim, deren Debütroman PanoptikumNeu Kultstatus genießt, wird in wenigen Wochen dreißig. Mit Blick auf den Berliner Volkspark Hasenheide wartet sie auf eine explosive Idee für ihr neues Buch. Ihr fünf Jahre älterer Freund, der gefragte Webdesigner Jerome Daimler, bewohnt in Maintal den Bungalow seiner Eltern und versucht sein Leben zunehmend als spirituelle Einkehr zu begreifen. Die Fernbeziehung der beiden wirkt makellos. Sie bleiben über Text und Bild eng miteinander verbunden und besuchen sich für lange Wochenenden in ihren jeweiligen Realitäten. Jogging durchs Naturschutzgebiet und Meditation im südhessischen Maintal, driftende Dauerkommunikation und sexpositives Ausgehen in Berlin - Jerome und Tanja sind füreinander da, jedoch nicht aneinander verloren. Eltern, Freund*innen und depressive Geschwister spiegeln ihnen ein Leid, gegen das Tanja und Jerome weitgehend immun bleiben. Doch der Wunsch, ihre Zuneigung zu konservieren, ohne dass diese bieder oder schmerzhaft existenziell wird, stellt das Paar vor eine große Herausforderung. Allegro Pastell ist die Geschichte einer fast normalen Liebe und ihren Transformationen. Ein Roman in drei Phasen, beginnend im Rekordfrühling 2018.

Leif Randt, geboren 1983 in Frankfurt a.M., arbeitet als freischaffender Schriftsteller in Maintal und Berlin. Ebenfalls von ihm erschienen sind die Romane »Leuchtspielhaus« (2009) und »Planet Magnon« (2015). Sein neuestes Buch »Allegro Pastell« (2020) wurde zum Bestseller und war u.a. für den Deutschen Buchpreis nominiert. Ausgezeichnet wurde seine Arbeit zuletzt mit dem Mörike-Preis der Stadt Fellbach (2021) sowie mit Aufenthaltsstipendien in Japan (2016) und Irland (2019). Seit 2017 co-kuratiert er das Programm auf tegelmedia.net.

Leif Randt, geboren 1983 in Frankfurt a.M., arbeitet als freischaffender Schriftsteller in Maintal und Berlin. Ebenfalls von ihm erschienen sind die Romane »Leuchtspielhaus« (2009) und »Planet Magnon« (2015). Sein neuestes Buch »Allegro Pastell« (2020) wurde zum Bestseller und war u.a. für den Deutschen Buchpreis nominiert. Ausgezeichnet wurde seine Arbeit zuletzt mit dem Mörike-Preis der Stadt Fellbach (2021) sowie mit Aufenthaltsstipendien in Japan (2016) und Irland (2019). Seit 2017 co-kuratiert er das Programm auf tegelmedia.net.

2


Die Woche nach Ostern war sonnig und warm. Tanja kehrte am Dienstagabend in ihre Zweizimmerwohnung zurück, von deren Balkon aus sie auf den Volkspark Hasenheide blicken konnte. Hätte sie die gleichen depressiven Tendenzen gehabt wie ihre Schwester Sarah, hätte Tanja die Stimmung auf den Straßen womöglich als bedrückend empfunden. Die ersten warmen Tage eines Jahres trugen in großen Städten ein soziales Stresspotenzial in sich, in Berlin ging es darum, möglichst publikumswirksam eine gute Zeit zu haben. Tanja glaubte, dass es einer Vielzahl von Zugezogenen auch nach Jahren noch schwerfiel, zu akzeptieren, dass sie trotz wärmenden Sonnenlichts lieber im Schatten arbeiten wollten, anstatt neuerlich vor einem Spätkauf zu sitzen und Sekt zu trinken. Auch Tanja hatte einige Zeit gebraucht, um zu erkennen, dass es ihr auf Dauer nicht reichte, draußen abzuhängen und gemocht zu werden. Entscheidend für sie war, dass sie etwas herstellte, das einem möglichst strengen Publikum gefallen könnte. Dass dabei Texte entstanden, war eigentlich nicht zwingend, es hätte auch Kleidung oder Videokunst sein können, dachte Tanja manchmal. In Wahrheit hatte sie aber immer nur geschrieben, es fiel ihr leicht, und es ging ihr besser, wenn sie es regelmäßig tat.

Im Nachhinein fand Tanja es positiv, dass sie sich mit Jerome am späten Karfreitag über Call Me by Your Name gestritten hatte. Der Streit zeigte, dass sie beide weiterhin eigene Gedanken und Perspektiven entwickelten und dass ihre Urteile nicht voneinander abhingen. Im Metropolis Kino am Eschenheimer Tor hatten sie auf einem Partnersitz ohne Zwischenlehne gesessen, teilweise Arm in Arm, und Call Me by Your Name dennoch sehr verschieden empfunden. Während Jerome sich hinreißen ließ von der offensichtlichen Schönheit der gezeigten Welt, so wie es den meisten Menschen ergangen war, die Tanja von dem Film über eine homoerotische Sommerliebe zwischen einem Teenager und einem Promotionsstudenten im Italien der Achtzigerjahre berichtet hatten, fühlte sich Tanja abgestoßen. Sie fand Call Me by Your Name schrecklich eitel. Die Spannung zwischen den beiden Hauptfiguren hatte sie zwar nicht völlig kalt gelassen, aber sie störte, dass der Film implizit erzählte, dass Glück, Toleranz und Menschlichkeit nur auf der Grundlage von Wohlstand und elitärer Bildung möglich waren. Als Jerome auf dem Heimweg im Tesla vermutete, dass ihr das alles vielleicht einfach zu schmerzhaft nah an ihrem eigenen Erleben war, als hübsche Tochter High-End-akademischer Eltern, und dass sie doch zumindest die perfekte Stilistik des Films anerkennen müsse, wurde Tanja laut. Jerome solle gefälligst akzeptieren, dass der Funke des Films nicht auf sie übergesprungen war. Und als Jerome dann noch etwas erwidern wollte, sagte Tanja: »Halt jetzt die Fresse, Jerome.« Für den Rest der Heimfahrt schwiegen sie.

Dass Tanja ausfällig wurde, kam vor. Ihre Mutter und ihre Schwester wussten das am besten. Doch abgesehen von ihrem Exfreund Max hätten wohl die allerwenigsten Menschen, die nicht mit Tanja verwandt waren, ihr eine cholerische Seite zugetraut. Tanja Arnheim wurde wahlweise für entrückt, lethargisch oder arrogant gehalten, aber nie für aggressiv.

Da es für Jeromes Selbstbild wichtig war, sich nicht nachtragend zu verhalten, war es rasch zu einer Versöhnung gekommen. Während Jerome die Tür zum Bungalow aufschloss und Tanja das Schweigen brach – »Jerome, es tut mir leid« –, hielt er für einen Moment inne, schaute ihr in die Augen und ließ sich im Anschluss intensiv umarmen.

 

Am 5. April roch es fast schon nach Sommer. Tanja setzte sich nach achteinhalb Stunden Schlaf mit einem zuckerfreien Red Bull in die Hasenheide, unweit des noch immer unfertigen hinduistischen Tempels, um den seit Monaten ein Gerüst stand. Nur die Tempelspitze war bislang vielfarbig angemalt. Tanja gefiel die Vorstellung, dass es in ihrer Nachbarschaft eines Tages repräsentative Bauten für sämtliche Religionen geben könnte. Alles, was sie über Hinduismus wusste, hatte sie in der neunten Klasse ihres Kieler Gymnasiums gelernt: dass man von Wiedergeburt zu Wiedergeburt zwischen verschiedenen Kasten und Lebensformen auf- und absteigen konnte und dass es viele Götter gab, die als Mischwesen zwischen Tier und Mensch dargestellt wurden. Das war im Grunde genommen sympathisch. Vielleicht würde Hinduismus eines Tages eine Option werden, nicht unbedingt für Tanja, die ja nicht mal Yoga mochte, aber womöglich für irgendwen, den sie kannte.

In einer Textnachricht hatte Amelie erwähnt, dass sie verkatert sei und auf der Sonnenallee bei City Chicken essen gehen wolle, aber Tanja hatte gerade erst zuhause gefrühstückt. Dass sie Amelie einfach zum Essen begleitete, kam nicht infrage, da es für Amelie, die größer als 1 Meter 80 und dabei nicht völlig hager war, ausgeschlossen zu sein schien, im Beisein einer anderen Person zu essen, wenn diese nicht auch etwas aß. Tanja und Amelie hatten gelernt, auch die eher anstrengenden Eigenschaften der jeweils anderen zu mögen, Reibung war jederzeit möglich, aber es eskalierte nie. Häufig verwendete Amelie das Wort austherapiert, wenn sie von sich sprach, da ihr innerhalb von acht Jahren von drei verschiedenen Therapeuten Fortschritte bescheinigt worden waren. Tanja wusste, dass Amelie weiterhin unter einem gewissen Leidensdruck stand, aber immerhin schien sie nunmehr zu wissen, welche Ursachen dieser Druck hatte, und das war dann vielleicht schon viel. Alle zwei bis drei Wochenenden trafen sich Tanja und Amelie sonntags gegen 13 Uhr, tranken Negroni und gingen danach in eine Diskothek, die tagsüber geöffnet hatte. Da sie beim Ausgehen viel redeten und stark aufeinander fixiert waren, näherten sich ihnen die anderen Partygäste kaum, eine Art Schutzraum entstand, und in diesem hatten Tanja und Amelie oft eine verdammt gute Zeit.

Auf dem Weg zu City Chicken kam Amelie in der Hasenheide vorbei. Sie trug ein dunkles Kleid, es stand ihr, es wirkte zeitlos und entspannt. Generell blieb sie eher unbeeindruckt von Moden, nur ihre Turnschuhe wirkten meistens brandneu. Amelie war abends zuvor in der Bar Heiners und später noch im frisch renovierten Bäreneck gewesen. Das klang in Tanjas Ohren nach schrecklichen Kopfschmerzen und unnötig existenziellen Gesprächen. Es war eigentlich nicht typisch für Amelie, dass sie mitten in der Woche in Bars versumpfte, Tanja fragte nach dem Anlass, und Amelie sagte: »Naja, Janis halt.« Tanja hatte Janis, der eine auffällige Unterarmtätowierung trug, im Beisein von Amelie im Januar auf einer Party des Labels Trade kennengelernt. Noch unerträglicher als an Männern fand Tanja Tätowierungen an Frauen, es sei denn, es war gleich der ganze Körper bemalt. Tanja konnte es gutheißen, wenn sich jemand dafür entschied, eine krass tätowierte Person zu werden, so wie Justin Bieber, aber nicht, wenn jemand bloß tätowiert sein wollte. In Stilfragen wäre Tanja gerne toleranter gewesen, aber sie kam gegen ihr Empfinden einfach nicht an.

Amelie erzählte, dass sie in der Woche vor Ostern zweimal mit Janis geschlafen habe, sie könne sich von einem Crush nicht völlig freisprechen. Gestern Nacht habe ihr Janis jedoch im Bäreneck gestanden, dass er schon seit längerem auf Tanja stehe. Amelie zitierte Janis mit leicht nach unten verstellter Stimme: »Hatte gedacht, dass ich es für mich behalte, aber es beschäftigt mich jetzt doch … sonst kommt es vielleicht irgendwann zum Supergau.« Amelie betonte, dass er wirklich das Wort Supergau benutzt habe, um 4 Uhr 30 im Bäreneck. Sie sei sauer und geschockt gewesen, kurz auch sprachlos. »Dann habe ich ihm gesagt, dass du Tattoos nicht leiden kannst und fest vergeben bist. Ich glaube, er hat bald ziemlich bereut, dass er es überhaupt erzählt hat. Er hat sich entschuldigt, aber ich war erstmal raus.« Als sie das sagte, schossen ihr Tränen in die Augen. Tanja saß neben ihr auf der Wiese, die leere Dose zuckerfreies Red Bull in der Hand, und suchte nach einer Aussage, die weder unsinnig noch verletzend war. Tanja wusste, dass Janis sich bei nahezu jedem Clubbesuch eine Frau mit nachhause nehmen konnte, er war drahtig und groß genug, er hatte eine angenehme Stimme, gerade Zähne, und soweit Tanja wusste, schrieb er an einer Doktorarbeit über ein feministisches Thema. Zudem traute sie ihm zu, unter seiner Understatement-Mode eine krass tätowierte Person zu sein. Vermutlich war er auch Fan von PanoptikumNeu. Eigentlich wollte Tanja das Thema wechseln, doch dann sagte sie: »Gib ihm mal ein paar Tage Zeit. Es ist letztlich leicht für dich. Er muss sich verhalten. Er hat das Problem. Versuch zu entspannen.« Amelie nickte und sah dabei sehr traurig aus. »Ich geh jetzt mal essen«, sagte sie. »Mach das«, sagte Tanja. Sie standen auf und umarmten sich. Tanja wollte zunächst noch fragen, ob sie am Wochenende wie geplant auf die Cocktail-d’Amore-Party gehen wollten, aber es schien nicht der richtige Zeitpunkt für diese Frage zu sein. Als sie schon einige Schritte gegangen war, drehte sich Amelie noch einmal um: »Ich melde mich wegen Cocktail d’Amore.« Und Tanja sagte: »Cool.«

 

Tanja und Jerome hatten keine Policies der Informationsvergabe vereinbart. Sie erzählten sich, wonach ihnen war, zumeist in langen iMessages, und in selteneren Fällen e-mailten sie. Die persönliche, lose vor sich hin erzählende E-Mail, die man abschickte, ohne sie ein zweites Mal gelesen zu haben, mochte Tanja...

Erscheint lt. Verlag 5.3.2020
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte allegro pastell • Badminton • Berlin • Deutscher Buchpreis 2020 • Individualismus • Lebensentwürfe • Liebe • Longlist dbp 2020 • Millenials • Moderne Liebesbeziehung • Paarbeziehung • Planet Magnon • Preis der Leipziger Buchmesse 2020 • Schimmernder Dunst über Coby County
ISBN-10 3-462-32034-3 / 3462320343
ISBN-13 978-3-462-32034-3 / 9783462320343
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