Am Horizont das Meer (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
304 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-23465-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Am Horizont das Meer -  Anika Beer
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Seit sie denken kann, träumt Sofia vom Meer. Von einer wilden Küste mit tosender Brandung. Woher diese Bilder kommen, weiß sie nicht, und ihre Großmutter Emilie weicht ihren Fragen nach der Vergangenheit immer wieder aus. Erst nach Emilies Tod findet Sofia eine Kiste mit Briefen aus einem Fischerdorf an der Costa Brava. Offenbar hat Sofia dort als kleines Mädchen einen Sommer verbracht. Fest entschlossen, das Meer aus ihren Träumen zu finden, macht sie sich auf den Weg nach Spanien - und auf die Suche nach der eigenen Vergangenheit ...
Ein Roman wie der Ozean: mal sanft, mal sturmgepeitscht und dabei voller Kraft und Tiefe.

Anika Beer ist ein Herbstkind des Jahres 1983 und wuchs in der Bergstadt Oerlinghausen am Teutoburger Wald auf. Die Welt der Geschichten begleitet sie seit frühester Kindheit: Sie lernte mit 3 Jahren lesen, im Alter von 8 bekam sie eine Schreibmaschine und fing an, erste Geschichten zu schreiben. Anika Beer begeistert sich für Kampfkunst und fremde Kulturen und lebte nach dem Abitur einige Zeit in Spanien, bevor sie in Bielefeld eine Stelle an der Universität annahm. Inzwischen hat sie mehrere Bücher für Jugendliche und Erwachsene veröffentlicht und lebt mit ihrer Familie in Bielefeld.

1.

Rauschend umspült die Brandung meine Knöchel. Sie plätschert und glitzert an meinen Zehen, die mit jeder Welle tiefer in den nassen Sand sinken. Kitzelnd entfliehen die Kiesel dem Druck meiner nackten Sohlen. Das Wasser leuchtet unter den Strahlen der Nachmittagssonne himmelblau und türkis. Ein vertrautes Meer. Ein vertrauter, wilder Horizont, ein überwältigendes Gefühl von Heimkehr, und doch …

Wo ein Flüstern in jeder schäumenden Welle sein sollte, eine Melodie im Säuseln des Windes, der über die gekräuselte Oberfläche streift, höre ich nichts.

Salz auf meiner Haut. Gischt und Möwenschreie. So nah. So unerreichbar.

Und das Meer schweigt mich an.

»Entschuldigen Sie bitte. Ich suche den Weg zum Strand.«

Die Worte drangen so unerwartet durch die Stille, dass Sofia sich im ersten Moment nicht einmal darüber wunderte.

Wasser. Wellenrauschen. Wind.

Ein Strand?

Erst nach und nach dämmerte ihr, dass ihre Gedanken sehr weit fort gewandert sein mussten und dass es wohl keinen logischen Zusammenhang zwischen der Frage, dem Rauschen in ihren Ohren und der nüchternen Kühle des Bibliotheksschalters unter ihren aufgestützten Ellbogen gab.

»Ist alles in Ordnung bei Ihnen?« Das junge Mädchen auf der anderen Seite des Tresens krauste besorgt die sonnenverbrannte Nase. Erstsemester, vermutlich. Höchstens drittes. Sie hatte Sommersprossen. Dicht an dicht wie Sandkiesel auf der hellen Haut.

»Oh, nein, schon gut. Ich war nur in Gedanken.« Auch Sofia zwang rasch ein Lächeln in ihre Mundwinkel; weiter kam es nicht, sondern blieb dort stecken wie mit Nadeln angeheftet. »Was war die Frage, bitte?«

»Ich suche ein Buch. Es soll an diesem Standort sein.« Das Sommersprossenmädchen legte einen Zettel auf den Tresen der Ausleihe. FB 21 TT400 C191(2) stand darauf. China Study: Die wissenschaftliche Begründung für eine vegane Ernährungsweise, Campbell 2011.

Standort – nicht Strand. Ach so.

Sofia schüttelte den Kopf und zugleich die letzten Überbleibsel von Salzwind und Meeresrauschen von ihrer Haut. Das Stecknadellächeln verursachte ihr einen Krampf in der linken Wange. »Tut mir leid, da sind Sie hier falsch. Hier finden Sie nur Bücher über Literaturwissenschaft und Linguistik. Die Ernährungs- und Haushaltswissenschaften sind auf der anderen Seite des Gebäudes, Bereich E-1, einmal quer durch die Halle.« Sie warf einen Blick auf die Uhr hinter ihr an der Wand und erschrak. Acht Minuten nach fünf.

Völlig die Zeit verträumt.

Um Viertel nach fünf wollte sie Oliver abholen. Daraus wurde nun wohl nichts. Der Feierabend fing gut an. Sie wandte sich wieder an die Studentin, bemüht, sich die plötzliche Eile nicht anmerken zu lassen. »Die Kollegen sind wahrscheinlich schon alle weg, aber versuchen Sie mal Ihr Glück.«

Die junge Frau errötete bis unter die Haarwurzeln. »Oh. Danke. Es ist auch nicht so wichtig, ich wollte es nur aus Interesse ausleihen. Also …« Ihre Augen huschten kurz zu Sofias Namensschild. »… Frau Bensiek, danke noch mal. Einen schönen Sommerabend wünsche ich.« Ihre Absätze klapperten etwas zu laut auf dem Linoleum, als sie an den Regalen entlang aus der Bibliothek floh.

Sofia sah ihr nach und seufzte leise. Wie lange war es her, dass sie rein aus Interesse ein Buch mitgenommen hatte? Seit ihrem Magisterabschluss jedenfalls nicht mehr, und der lag immerhin schon sechs Jahre und einen opulent gefeierten dreißigsten Geburtstag zurück. Sogar den einunddreißigsten, genau genommen – nicht ganz so opulent. Sie sah noch einmal zur Uhr und wusste nicht, ob sie der jungen Fremden wünschen sollte, dass sie in E-1 noch jemanden antraf. In ihren Ohren pochte die Stille, die die helle Stimme und die verklingenden Schritte zurückgelassen hatten. Fast glaubte Sofia, das Rauschen ihres eigenen Blutes zu hören, das an und ab schwoll wie Wogen, die an einen Strand brandeten.

Nun lass doch mal das Meer.

Der Lesesaal lag jetzt verlassen da. Bei der Hitze hielt es niemanden länger als nötig hier drin. Nur ein paar Staubflocken flüchteten über den glatten Boden, als Sofia ihren Platz hinter dem Schalter verließ und eilig die Handtasche aus dem Spind zog. Vor dem Spiegel auf der Innenseite der Tür zupfte sie noch rasch die kurzen, schon sommergoldenen Locken in Form und zog den Lidstrich nach, tauschte die bequemen Arbeitssneaker gegen die eleganteren Sandalen. Ein letztes Mal drehte sie sich prüfend hin und her, schnippte einen Fussel vom schwarzen Bleistiftrock und strich den Kragen der geblümten Sommerbluse glatt. Okay. Seriös genug für eine Hausbesichtigung. Ein Blick aufs Handy zeigte drei unbeantwortete Anrufe einer unbekannten Festnetznummer. Sofia wischte sie unbesehen zur Seite.

Später.

Der Schlüssel knirschte im Schloss, als sie die schwere Stahltür der Bibliothek hinter sich zusperrte.

Draußen auf dem Parkplatz stand die Hitze wie eine Wand. Kein Lüftchen regte sich. Die Nachmittagssonne ließ den Asphalt flirren und alle Bewegungen wie in Zeitlupe ablaufen.

Sofia warf ihre Handtasche auf den Rücksitz und drehte die Klimaanlage hoch. Zwanzig nach fünf. Um sechs waren sie mit der Dame des Bauträgerunternehmens in der Südstadt verabredet. Unmöglich zu schaffen, nicht im Feierabendverkehr und mit dem Umweg über die Fachhochschule. Fast unmöglich.

Sofia klemmte das Handy in die Freisprecheinrichtung und wählte die Nummer der Maklerin.

Dann trat sie aufs Gaspedal.

Schon als sie auf die Zufahrtsstraße zur Fachhochschule für Bauwesen und Architektur einbog, konnte Sofia die Ungeduld in Olivers Gesicht und seiner Haltung erkennen. Auf Außenstehende wirkte er vermutlich ganz entspannt – ein sportlicher Mittdreißiger in Shirt und gut sitzender Jeans, der an der Bushaltestelle vor den Parkhäusern wartete. Die Ledertasche, die Sofia ihm zur Promotion und dem Antritt seiner Dozentenstelle geschenkt hatte, trug er lässig über einer Schulter. Hin und wieder grüßte er vorübereilende Studenten mit einem Lächeln. Doch Sofia sah den nervösen Mittelfinger, der unablässig gegen die Seitennaht seiner Hose klopfte, und sie kannte diese Art, den Blick in den Himmel zu richten, um nicht auf die Straße zu starren, auf der sie irgendwann herangefahren kommen musste.

Sie klemmte sich hinter den Bus, der gerade die Haltestelle anfuhr, und blieb mit eingeschaltetem Blinker neben Oliver stehen.

»Hey, Liebling.«

»Na endlich.« Sein Begrüßungskuss fiel flüchtig aus.

»Tut mir leid. Ich musste noch einer Ersti-Studentin helfen.« Sofia warf einen Blick über die Schulter und scherte aus, ehe der Bus losfuhr. Hinter ihr hupte jemand.

Oliver seufzte und starrte auf den Verkehr, der im Schneckentempo vor ihnen dahinkroch. »Zu solchen Terminen ist man einfach pünktlich. Du weißt, wie ich über Unzuverlässigkeit denke.«

Sofia verdrehte die Augen. »Es sind zehn Minuten, Oliver. Zehn. Außerdem habe ich schon mit Frau Lund gesprochen.«

Oliver hob die Brauen. »Das ist ja wohl auch das Mindeste. Und?«

Nun musste Sofia fast lachen. »Sie war ziemlich erleichtert. Sie ist nämlich selbst spät dran.« Sie tätschelte liebevoll Olivers Oberschenkel. »Und jetzt entspann dich mal. So was passiert eben. Das ist normal und menschlich. Und draußen auf der Bundesstraße fließt es besser. War zumindest eben noch so.«

Darauf sagte Oliver nichts, aber er entspannte sich tatsächlich ein wenig, obwohl er immer noch mit gerunzelter Stirn nach draußen sah. »Welche neue Zeit habt ihr ausgemacht?«

Sofia zuckte die Schultern und lächelte. »Gar keine. Wir sind da, wenn wir da sind. War ihr Vorschlag.«

»Nicht dein Ernst.« Oliver stöhnte resigniert. Dann lehnte er sich zurück gegen die Kopfstütze und schloss die Augen. »Na gut. Dann macht ihr das halt auf eure fancy-pancy Verpflichtungslose-Vorstadtweiber-Tour. Ich bin raus.« Trotz seines resignierten Tonfalls zuckte jetzt tatsächlich ein Lächeln um seine Mundwinkel.

Diesmal musste Sofia wirklich lachen. »Böser Mann.« Sie gab ihm einen Klaps aufs Knie, froh, dass er seinen Ärger zum größten Teil überwunden zu haben schien. »Am besten begrüßt du die Dame gleich ganz genau so. Ich bin sehr gespannt, wie sie das findet.«

Frau Lunds schwarzer BMW X5 parkte gerade vor der Einfahrt des Hauses ein, als Sofia am Straßenrand auf der anderen Seite den Motor abstellte. Der Sonnenhof 17 war eine noch recht nackt wirkende Doppelhaushälfte mit nur halb gedecktem Dach, gelegen am Rand einer Neubausiedlung im grünen Gürtel der Stadt, mit frisch gepflanzten Bäumen und Hecken hier und da. Vieles hier schien roh, unfertig, etliche Grundstücke waren noch leer oder gerade in der Bebauung begriffen.

Oliver liebte es, das sah Sofia sofort. Ein leeres Grundstück war für ihn eine Projektionsfläche unendlicher Ideen, und wenn etwas seine Augen zum Leuchten bringen konnte, dann ein leidenschaftliches Gespräch darüber, wie Häuser wuchsen und atmeten. Als sie ausstiegen und der Maklerin entgegengingen, griff Sofia nach seiner Hand. Oliver drückte sanft ihre Finger, und sie spürte, wie seine Begeisterung auf ihrer Haut kribbelte. Ja doch, dachte sie und sah sich noch einmal um, sie könnte sich hier vermutlich wohlfühlen, nach einer Weile. Bis zur Arbeit wäre es auch nicht zu weit.

»Hallo, Frau Bensiek. Doktor Brenker.« Frau Lund...

Erscheint lt. Verlag 19.4.2021
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Costa Brava • eBooks • Frauenromane • Geheimnis • Katalonien • Kindheit • kleine geschenke für frauen • Küste • Liebesromane • Meer • Neuerscheinungen Bücher 2020 • Romane für Frauen • Sommerroman • Spanien • Urlaubslektüre • Vergangenheit
ISBN-10 3-641-23465-4 / 3641234654
ISBN-13 978-3-641-23465-2 / 9783641234652
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