Die Eisbaronin (eBook)

Durch Sturm und Feuer
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2020 | 1. Auflage
512 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-24163-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Eisbaronin -  Nicole C. Vosseler
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Glück und Erfolg sind so vergänglich wie Eis ...
Hamburg 1835. Mit dem Export von Eis sind Katya und die anderen Eisbarone zu Vermögen gelangt. Das Geschäft floriert, doch in Katyas Ehe kriselt es, und ihr Kinderwunsch ist unerfüllt geblieben. Im Hamburger Gängeviertel trifft sie eines Tages auf die kleine Betje, die sie sofort in ihren Bann zieht - nicht nur wegen ihres brandroten Haars. Das Mädchen ist erstaunlich geschäftstüchtig und stellt sich beim Betteln und Feilschen deutlich geschickter an als die anderen Kinder. Katya beschließt, Betje bei sich aufzunehmen und ihr vielleicht sogar eines Tages das Geschäft zu überlassen. Doch Habgier und Eifersucht drohen alles zu zerstören ...

Eine Hamburger Handelsdynastie in stürmischen Zeiten - die fesselnde Fortsetzung der »Eisbaronin«

Nicole C. Vosseler, am Rand des Schwarzwalds geboren und aufgewachsen, finanzierte sich ihr Studium der Literaturwissenschaften und der Psychologie mit einer Reihe von Nebenjobs. Bereits früh für ihre Kurzprosa, für Essays und Lyrik ausgezeichnet, wandte sie sich später dem Schreiben von Romanen zu. Ihre Bücher wurden bisher in neun Sprachen übersetzt. Nicole C. Vosseler lebt in Konstanz, in einem Stadtteil, der ganz offiziell »Paradies« heißt. Wenn sie nicht in ihrem Schreibstudio am Seerhein an einem ihrer Romane arbeitet, reist sie mit der Kamera um die Welt, wo sie trotz ihrer Höhenangst auch mal einen Vulkan besteigt und auch sonst das Abenteuer sucht.

1

»Krüppeltrine!«

Schadenfroh stieg der Singsang aus dem Gras auf, der Spottruf einer Lachmöwe.

Betje musste sich nicht umdrehen. Es war immer Clas, der Sohn des Müllers, der den Anfang machte. Und wie immer eiferten Eike und Gunne ihrem Leithammel sofort nach.

»Flögellamme Henn!«

»Kruvelkrumm wie ’ne Wurst!«

Das Päckchen Salz an sich gepresst, stapfte Betje auf bloßen Füßen entschlossen voran; in der Schürzentasche klimperten neben dem Strang Zwirn die Viertelstüver des Wechselgelds.

Sie hatte darum gebettelt, später zum Krämer gehen zu müssen. Nicht über Mittag, wenn die anderen Kinder des Kirchspiels in den Marschwiesen herumlungerten, bis die Glocke sie wieder ins Schulhaus rief. Die Tante war hart geblieben, auch wenn sie das Salz sicher erst für das Abendbrot brauchte und früher auch nicht dazukommen würde, abgerissene Knöpfe anzunähen. Gleich sollte Betje gehen, und ja nicht trödeln.

För nix anners to bruken, hatte die verkniffene Miene der Tante gesagt.

In die Jungenstimmen mischten sich angeekelte Rufe.

»Mall wie de Nacht!«

»Ik mutt kotzen!«

Helles Kichern sprudelte auf, und Betje warf nun doch einen Blick hinter sich.

Zwei Mädchen hatten sich zu den Jungen gesellt, die Gesichter frisch wie Sahne, die Zöpfe glänzend wie Sommerbutter. Mit dem Hof und fünf eigenen Kindern hatte die Tante keine Zeit, Betjes störrisches Haar zu flechten; unterhalb der Ohren abgehackt, umloderte es ihren Kopf wie ein Osterfeuer.

Kruse Haar, kruse Sinn, dar sitt de Düvel midden in.

Wäre sie mehr wie Swantje oder Inken, würden die Leute sicher eher über ihren lahmen Arm und die verwachsene Schulter hinwegsehen. Dann wollte vielleicht auch ein Mädchen ihre Freundin sein, mit ihr in den Wiesen zusammenglucken und lachen und Ketten aus Gänseblümchen flechten, und Clas und die anderen Jungen wären nicht immer so gemein zu ihr.

»Feuerkröt!«

»Kacksprenkel!«

Betjes sommersprossige Wangen glühten.

»Dösbaddels!«, schrie sie über die Wiese. »Aaskerls!«

Obwohl es sinnlos war, sie zog doch immer den Kürzeren. Dem Recht der Starken und Gesunden hatte sie nichts entgegenzusetzen.

»Grote Mund, grote Kunt!«, bellte Clas zurück.

Betje wusste nicht genau, was das bedeutete. Es musste etwas Schmutziges sein, das schloss sie aus dem hämischen Aufheulen von Eike und Gunne, dem Quieken der beiden Mädchen.

Vor Scham lief sie bis unter die Haarwurzeln rot an.

Clas warf etwas nach ihr, einen Stein oder eine alte Kartoffel, und verfehlte sie knapp. Eike zielte besser und traf sie hart an der Schulter. Das Päckchen Salz unter den rechten Arm geklemmt, griff Betje sich die nutzlose Linke und presste sie an sich. Ihr Kniff, damit der Arm nicht herumschlenkerte und ihr den Schwung nahm. Dann spurtete sie los.

»Bangbüx!«

»Düvelsbrut!«

Hinter ihr rauschte das Gras, trommelten schnelle Schritte über den Boden. Die Hatz war eröffnet.

Verbissen trieb Betje sich weiter an, um jedes Fitzelchen ihres Vorsprungs auszunutzen. Mit etwas Glück würde sie dieses Mal Fausthieben und Tritten entkommen.

Das nächste Geschoss krachte gegen ihren Rücken und prügelte ihr den Atem aus dem Leib. Ihr Arm, dieser verwünschte Arm, rutschte aus der Umklammerung, schlackerte hin und her. Der Boden unter ihr kippte, und Betje stürzte der Länge nach hin. Der Aufprall war ein harter Schlag, der ihr durch das Rückgrat jagte, bis in den Schädel hinein.

Benommen blieb sie liegen, in Matsch und Kuhfladen, während höhnisches Gelächter auf sie herabregnete.

Zwischen den Grashalmen schimmerte es kupfern, die Viertelstüver aus ihrer Schürzentasche. Unerreichbar für Betje; ein grober Jungenstiefel trat ihre ausgestreckte Hand in den feuchten Grund.

Riesenhaft zeichnete sich Clas gegen die Frühlingssonne ab und beäugte sie wie lästiges Ungeziefer.

»Du stinkst«, sagte er fast freundlich, als wäre es ein guter Ratschlag.

»Wanschick«, spuckte Gunne aus; feucht spritzte es in Betjes Gesicht.

Missgeburt.

Auf einen Wink von Clas hin klaubte Eike die Münzen auf. Wie Saatkrähen aus einem Acker stoben die drei davon, und ihr Johlen schlug über dem Blöken der Schafe zusammen.

Betje saß noch immer in der Wiese, neben sich das aufgeplatzte Päckchen Salz. Sie hatte versucht, die verstreuten Körnchen zusammenzufegen und auszusieben, aber auch dafür brauchte man zwei gesunde Hände.

Ihre Beine schienen lahm wie ihr Arm. Sie wusste nicht, was sie zu Hause der Tante sagen sollte, nachdem sie vorgestern schon den Milchkrug zerbrochen hatte und sowieso kaum Geld da war.

Matte Geerds hatte zum Ende des Winters sein Gehöft verkauft. Tamme Janssen und Fokke Dirks würden es ihm wohl gleichtun, dabei saßen sie auf gutem Boden, mit fettem Vieh. Dass die Zeiten allmählich besser wurden, lange nach dem Krieg, kam zu spät für die lüttje Lü, die kleinen Leute des Landstrichs.

Arm wie Geestbauern seien sie geworden, murrte der Onkel oft über dünn gebutterten Scheiben Schwarzbrot zu immer schwächerem Tee. Der einstige Stolz, ein Bauer des fruchtbaren Marschlands zu sein und nicht der kargen Geest, war längst verschlissen. Vielleicht würde auch er aufgeben müssen.

Glück im Unglück hatte, wer mit Frau und Kindern auf einem der größeren Höfe als Gesinde unterkam. Der Onkel und die Tante redeten in diesem Frühling häufiger darüber, die Stimmen rau und Sorgenfalten auf der Stirn.

Betje betrachtete ihre erdverschmierten Hände, zupackend die eine, schmächtig und kraftlos die andere.

Welcher Bauer würde sie denn auf seinem Hof brauchen können? Zu mehr als auf die Lüttjen aufzupassen, Gänse zu hüten oder Maikäfer von den Feldern zu sammeln taugte sie nicht. Mit Nadel und Faden war sie hoffnungslos ungeschickt, und um Teig zu kneten, Wäsche zu waschen, Rüben zu schneiden brauchte sie doppelt so lang wie andere. Sogar Sontje konnte es besser, die Kleinste auf dem Gehöft, mit ihren fünf Jahren gerade einmal halb so alt wie Betje.

Wer sich sein Brot nicht selbst verdiente oder jemanden hatte, der für ihn sorgte, dem blieb nur das Armenhaus. War man einmal dort, kam man nie wieder heraus, sein Leben lang auf Almosen angewiesen.

Betjes Magen ballte sich schmerzhaft zusammen, doch ihre Augen blieben trocken. Das Weinen hatte die Tante ihr früh ausgetrieben, der Dorfkrüppel musste nicht auch noch eine Ziepeltrine sein.

Der Umriss eines Mannes schälte sich aus den Marschwiesen und näherte sich mit langen Storchenschritten. Niemand aus der Gegend, im Kirchspiel kannte jeder den anderen von klein auf. Mit der Kiepe auf dem Rücken sicher ein fliegender Händler, wie sie ab und zu durch das Dorf kamen.

Hausieren war verboten, hatte der Onkel gesagt. Niemand scherte sich darum, die Frauen eilten trotzdem mit gerafften Röcken herbei, wenn ein solcher Höker sich den Höfen näherte. Auch die Tante, weil es Leinen und Drell sonst nur in der Stadt gab und Knöpfe und Messer billiger waren als bei Krämer Hennekes.

Unbeirrt hielt der Fremde auf sie zu, und obwohl Betje wusste, dass das Feuerleuchten auf ihrem Kopf sie weithin sichtbar machte, duckte sie sich tiefer ins Gras.

Er war kein Bursche mehr, aber auch noch nicht alt. Der Blick warm und freundlich, erinnerte das Gesicht mit den groben Poren an das Innere eines Brotlaibs.

Grüßend tippte er an die Kappe.

»Weißt du, wo es nach Swindorp geht?«

Auch seine Mundart war eine andere. Betje hatte Mühe, ihn zu verstehen. Sie schüttelte den Kopf, an den Rändern des Kirchspiels endete ihre Welt.

Der Höker lachte. »Macht nichts. Ein Dorf ist so gut wie das andere.«

Er setzte die sichtlich schwere Kiepe ab und ließ sich in der Wiese nieder, nur ein kleines Stück von Betje entfernt, wie selbstverständlich. Die Kappe warf er von sich und wischte sich mit seinem Halstuch über das gerötete Gesicht und den Nacken. Der Wind, der das Gras durchkämmte, war frisch, die Sonne aber schon kräftig.

»Wie sind die Dörfler hier? Die Bauern?«

Betje kannte nur deren scheele Blicke. Das Getuschel und das abfällige Zungenschnalzen hinter ihrem Rücken. Die befremdliche und manchmal feindselige Stille dazwischen, so dick, dass man sie beinahe schneiden konnte.

Unschlüssig hob sie ihre gesunde Schulter.

Der Fremde nickte, als wüsste er genau, was Betje meinte. Mit gespreizten Fingern fuhr er durch seine sperlingsbraunen Haare, wie um seine Gedanken zu ordnen, und hielt dann das Gesicht in den Wind. Als hätte er alle Zeit der Welt, fast andächtig. Es schien ihn nicht zu stören, dass Betje einen verkrüppelten Arm hatte und noch dazu nach Kuhmist stank.

»Ist sicher nicht leicht hier«, sagte er nach einer Weile leise, »wenn man anders ist.«

Weich wie Lammfell war seine Stimme. Nicht bedauernd, sondern als ob er verstand, wirklich verstand, wie es Betje erging. Von einer solch unerwarteten Tröstlichkeit, dass ihre Augen heiß wurden.

Lächelnd hielt er ihr seine Rechte hin. »Ich bin Joost.«

Niemand hatte Betje je die Hand gegeben, nicht einmal der Pastor sonntags nach der Kirche. Als ob eine Seuche von ihr ausging oder ein böser Zauber.

Verstohlen strich sie über ihren Rock, bevor sie ihre Finger zaghaft in die Männerhand legte.

»Betje.«

»Freut mich, Betje.« Sein Händedruck war behutsam. »Ist kurz für Elisabeth, nicht...

Erscheint lt. Verlag 16.11.2020
Reihe/Serie Die Eisbaronin-Saga
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 19. Jahrhundert • Beziehung • eBooks • Eis • Eisbaronin • Familiensaga • Frauenromane • Generationenroman • Hamburg • Handel • Historische Romane • kleine geschenke für frauen • Liebe • Liebesromane • Nordsee • Ostfriesland • Romane für Frauen
ISBN-10 3-641-24163-4 / 3641241634
ISBN-13 978-3-641-24163-6 / 9783641241636
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