Morgen früh, wenn sie will (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2019
304 Seiten
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
978-3-446-26515-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Morgen früh, wenn sie will - Madeline Stevens
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Wenn dein Kindermädchen nachts durch das Haus schleicht - die Geschichte einer obsessiven Liebe
Ella hat das große Los gezogen. Die mittellose junge Frau wird Kindermädchen bei Lonnie und James - und taucht ein in die Welt der Reichen und Schönen. Doch während Lonnie in dem zuverlässigen, liebevollen Babysitter eine Freundin sieht, beginnt Ella, ihr hinterherzuspionieren. Nachts erforscht sie jeden Winkel des Hauses und spürt Lonnies Geheimnisse auf: die außerehelichen Abenteuer, ihr Tagebuch, das Kästchen mit ihren Milchzähnen. Immer tiefer geraten die beiden in einen fatalen Sog aus Besessenheit, Neid und Leidenschaft.

Madeline Stevens wurde in Boring, Oregon geboren. Sie studierte an der Columbia University und unterrichtet inzwischen selbst Kreatives Schreiben. Acht Jahre lang hat sie als Nanny in New York gearbeitet.

1


Ich habe keinen Vertrag unterschrieben. Die Ehefrau übergab mir die Hausschlüssel mit einer Achtlosigkeit, die mich trotz meiner Verzweiflung ärgerte. Auf dem Rückweg nach Brooklyn behielt ich sie in der Hand, um mich zu versichern, dass ich die Stelle wirklich bekommen hatte, dass wir eine Vereinbarung hatten. Ich betastete die Rillen der Schlüssel so lange, bis meine schweißfeuchte Handfläche nach Metall roch. Am Bund hing ein Lederband mit dem Monogramm L, und ich fragte mich, ob sie mir versehentlich ihren eigenen Schlüsselsatz gegeben hatte.

Als ich mich an jenem Abend in eine Bar setzte und etwas zu trinken bestellte, hielt ich den Schlüsselbund immer noch in der Hand, das Lederband um den Zeigefinger gewickelt. Ich gab dem Barkeeper meine Kreditkarte, sagte: »Lassen Sie die Rechnung offen«, und dachte mir, ich würde einfach gehen, wenn ich ausgetrunken hätte. Die Karte war ausgereizt. Er konnte sie behalten.

Ich hatte schon eine ellenlange Liste von Jobs hinter mir, derselbe Weg, auf dem alle Mädchen aus meinem Bekanntenkreis ins Leben starteten. Wir nahmen Teilzeitjobs als Hostessen oder Verkäuferinnen an. Im Grunde war es immer dieselbe Arbeit: Wir standen herum, lächelten, sahen hübsch aus, sahen dünn aus, sahen stylish aus. Man sagte mir: »Sie Sind das Gesicht dieses Geschäfts«, weil ich das Erste war, was die Kunden sahen, in Wirklichkeit aber hieß es, dass ich nur ein Gesicht war und mehr nicht.

Diese Art Arbeit ließ einem das Hirn verschrumpeln. Lesen war selbst an den ruhigsten Tagen verboten. Sitzen war nicht erlaubt. Ich beneidete Kellnerinnen, die wenigstens herumlaufen konnten. Beim Stillstehen spürte man die schmerzenden Füße. Die Uhr tickte. Immer wieder liefen dieselben Songs. Menschen kamen, beschwerten sich oder auch nicht und gingen wieder. Und als ich schließlich kündigte, stand ich mit leeren Händen da — ohne Ersparnisse, ohne Arbeitslosengeld, ohne Abfindung.

Mein Bild im Spiegel hinter dem Spirituosenregal war hohlwangig mit dunklen Schatten unter den Augen. Auf meinen Wegen durch Crown Heights hatte ich ein beängstigendes Bewusstsein für meinen Körper entwickelt: Er war gebrechlich, milchig und schwach. Ich konnte spüren, wie sich meine Hüftknochen unter der Haut abzeichneten. Es war nicht so, dass ich mich wie ein Kind gefühlt hätte, nein, schlimmer: Ich fühlte mich wie eine Patientin. Meine Sommerkleider wurden zu Krankenhaushemden. Im Vergleich zu mir wirkte jeder in meiner Nähe stark.

Seit Wochen hatte ich mich nur von Bodega-Kaffee und abgepacktem Fertigkuchen ernährt — diese kleinen Dinger mit Zuckerguss, mehr Chemie als Nahrungsmittel, mehr Luft als Teig. Am Nachmittag vor dem Vorstellungsgespräch schnitt ich mir mit meinem Taschenmesser eine reife Avocado auf, irgendwo hatte ich gelesen, dass man sich ausschließlich von Avocados ernähren kann, wenn auch nicht ausgewogen. Das Messer hatte ich von meinem Vater zum zwölften Geburtstag bekommen, und es war in den Wäldern um unser Haus an Zweigen stumpfgewetzt und wieder und wieder neu geschärft worden. Eines Sommerabends baute ich aus Ästen und Schnur eine kleine Falle und legte vorsichtig etwas zu fressen hinein. Nach dem Abendessen hockte ein Kaninchen darin und blinzelte mich mit glänzenden Augen an. Ich packte das Tier im Nacken, brach ihm das Genick und schnitt ihm anschließend die Kehle durch.

Es war ein Test für mich. Meine Mutter hatte beschlossen, Vegetarierin zu werden, und es mir folgendermaßen erklärt: »Ich könnte niemals ein Tier töten, warum sollte es dann okay sein, jemanden dafür zu bezahlen, dass er das an meiner Stelle tut?«

Ich hatte nicht damit gerechnet, dass das Blut so spritzen würde. Völlig verschmiert kam ich nach Hause und musste meinem Vater erklären, was ich getan hatte. Als ich dem winzigen Kaninchengrab den Rücken gekehrt hatte, war noch alles in Ordnung gewesen, doch als ich mein Handeln rechtfertigen musste, hatte ich plötzlich einen Kloß im Hals. Ich wischte mir die Tränen ab, ohne recht zu wissen, ob ich mich für mein Tun schämte oder für meine Gefühle. Dad lachte mich aus und warf mir ein Küchenhandtuch zu.

Als ich jetzt an dieses Kaninchen dachte, überkam mich die sinnlose Reue, das Muskelfleisch nicht abgeschnitten und gegessen zu haben. Aber Bier auf leeren Magen hatte eine wunderbare Wirkung — die Kombination aus dringend benötigten Kalorien und Alkohol betäubte einfach alles. Ich bemühte mich, es nicht hinunterzukippen.

Die Bar war neu. Über den hohen Rückenlehnen der schwarz gepolsterten Sitzbänke schwangen sich schmale Holzpaneele bis an die Decke, wie im Inneren eines Segelschiffs. Der Mann neben mir war Polizist, die dunkelblaue Uniform spannte sich um seinen kräftigen Körper.

»Was für ein Laden.« Er machte eine umfassende Geste in den Raum.

»Ja, nicht?«, sagte ich, froh, dass jemand mit mir sprach. Es war lange her, dass ich mit jemandem ausgegangen war. Es war lange her, dass ich überhaupt ausgegangen war.

»Wohnen Sie hier in der Gegend?«

»Ja, ganz in der Nähe.«

Er nickte und fuhr sich mit der Hand über den rasierten Schädel. »Ich war in den Neunzigern hier auf Streife«, sagte er. »Hier schicken sie die neuen Cops hin. In meiner ersten Woche waren wir auf der Franklin. An der Kreuzung Franklin, St. Marks. Wir bogen um die Ecke, und da hatten ein paar Typen diese Mädchen an einen Laternenpfahl gebunden und warfen Bowlingkugeln nach ihnen. Verdammtes Crack. Die haben auf einen Haufen kreischender Mädchen gekegelt. Auf der Straße ging nichts mehr, aber niemand hat uns gerufen. Wir sind rein zufällig darauf gestoßen.«

»Das ist noch gar nicht lange her«, sagte ich.

»Und jetzt wohnen Sie hier«, erwiderte er. Ich hatte das Gefühl, er hätte beinahe noch »kleines weißes Mädchen« gesagt. So hatte mich an diesem Morgen ein Mann in meiner Straße genannt und dabei feucht mit der Zunge geschnalzt. Ich fühlte mich über eine solche Behandlung erhaben — ich war arm, was wusste er schon? —, aber ich gab mir Mühe, zu verstehen, dass allein mein Gesicht ein bedrohlicher Vorbote für steigende Mieten war. Er wollte mich hier nicht haben, aber ich konnte es mir nicht leisten, irgendwo anders zu wohnen.

Über die Geschichte mit den gefesselten Mädchen auf der Franklin Avenue dachte ich nicht weiter nach. Worüber ich nachdachte, war, wie ich diesen Mann dazu bringen würde, mich zum Essen einzuladen. Ich begutachtete seine Figur — die muskulösen Schultern unter dem Uniformhemd, das scharf geschnittene, glattrasierte Kinn. Ich schätzte ihn auf etwas über vierzig, aber das war schwer zu sagen. Seine dunkle Haut war faltenlos. Ich landete nicht oft bei Männern wie ihm. Meistens ging ich mit mageren weißen Jungs nach Hause, die kaum älter waren als ich und oft genug keine Ahnung hatten, was sie taten.

»Ich heiße Ella«, sagte ich. »Erzählen Sie mir mehr über Crown Heights.« Ich stützte das Kinn in die Hand und sah ihn sehnsüchtig an. »Ich komme von sehr weit her.«

Er bedachte mich mit einem Seitenblick, dem anzumerken war, dass er ebenfalls meinen Körper vermaß. Nach einem Schluck Bier sagte er: »Über die Unruhen wissen Sie bestimmt Bescheid. Jeder weiß das.«

Ich wusste nicht, wovon er sprach, nickte aber.

»Also, dann erzähle ich Ihnen etwas anderes.« Er sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Haben Sie von der Sache mit den LeRois gehört?«

Ein Tropfen Kondenswasser fiel von meinem Glas auf mein Bein und rann bis zu meinem Knöchel hinunter. Ich schüttelte den Kopf.

»Sie haben in einem der Backsteinhäuser hier in der Nähe eine Kirche betrieben, aber es war keine richtige Kirche, eher ein Harem. Der Pastor war dieser Typ, Reverend LeRoi. Er hatte sie gern jung. Die Mädchen zogen sich wie Nonnen an und bettelten in der U-Bahn um Geld. Sie hatten unzählige Kinder von ihm. Keiner konnte begreifen, wie so viele Kinder in das Haus gepasst haben. Es gab Gerüchte, die Frauen müssten sie in den oberen Etagen in Käfigen halten. Wenn eines der Mädchen aussteigen wollte, verschwand es. Jahrelang ging das so. Irgendwann haben sie ihn drangekriegt, und es kam raus, wo er die Leichen entsorgt hatte.«

»Wo?«

»In einem See auf einem Grundstück, das er oben im Norden besaß. Er hat mindestens neunzehn Mädchen umgebracht. Und das Ding ist: Sein Sohn betreibt diese Kirche heute noch. Wahrscheinlich ist da jetzt alles blitzsauber, aber ich würde mich sehr dringend davon fernhalten.«

Ich sah an mir herunter und stellte fest, dass mein Barhocker von einer Seite zur anderen schwankte und mein Bierglas leer war, dabei schien gar nicht...

Erscheint lt. Verlag 19.8.2019
Übersetzer Cornelia Röser
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2019 • Affäre • Alkohol • Baby • Babysitter • Besessen • Beziehung • Cline • Coming of Age • Debüt • Drogen • Ella • Ferienhaus • Frauen • Freundschaft • Geld • Glamour • Großstadt • Hamptons • Hassliebe • jung • Kindermädchen • Langeweile • Liebe • Lonnie • madeline • Mutter • Mysteriös • Nanny • Neid • New York • Party • Reich • Schlaf • Schriftstellerin • Slimani • Sommer • Sonnenbrille • spannend • Stevens • Strand • Sweetbitter • Upper East Side • Verführung • Verschwinden
ISBN-10 3-446-26515-5 / 3446265155
ISBN-13 978-3-446-26515-8 / 9783446265158
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