Die Reste frieren wir ein (eBook)

Weihnachten mit Renate Bergmann
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
176 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00410-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Reste frieren wir ein -  Renate Bergmann
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«Weiße Weihnachten! Das hatten wir schon SO LANGE nicht mehr. Lassen Se sich von alten Leuten nicht einreden, dass es früher IMMER weiße Weihnachten gab. Das ist Quatsch! Einmal blühten sogar die Kirschbäume. Andererseits: Ich kann mich noch an Winter erinnern, die waren so kalt, dass die Ziegen auf die Bäume geklettert sind und die Zweige abgefressen haben, weil sie nirgends mehr was fanden! Wie dem auch sei: Ich habe schon immer das Beste aus dem gemacht, was das Leben meinte, mir vor die Füße werfen zu müssen!» Renate Bergmann hat schon 82 Feste gefeiert, zu denen es mindestens genauso viele Geschichten gibt. Die schönsten erzählt sie in diesem Buch.

Renate Bergmann, geb. Strelemann, wohnhaft in Berlin. Reichsbahnerin, Haushaltsprofi und vierfach verwitwet: Seit Anfang 2013 erobert sie »das Interweb« mit ihren absolut treffsicheren An- und Einsichten - und mit ihren Büchern die ganze analoge Welt.Torsten Rohde, Jahrgang 1974, hat in Brandenburg/Havel Betriebswirtschaft studiert und als Controller gearbeitet. Sein Twitter-Account @RenateBergmann, der vom Leben einer Online-Omi erzählt, entwickelte sich zum Internet-Phänomen. «Ich bin nicht süß, ich hab bloß Zucker» unter dem Pseudonym Renate Bergmann war seine erste Buch-Veröffentlichung - und ein sensationeller Erfolg -, auf die zahlreiche weitere, nicht minder erfolgreiche Bände und ausverkaufte Tourneen folgten.

Renate Bergmann, geb. Strelemann, wohnhaft in Berlin. Trümmerfrau, Reichsbahnerin, Haushaltsprofi und vierfach verwitwet: Seit Anfang 2013 erobert sie Twitter mit ihren absolut treffsicheren An- und Einsichten – und mit ihren Büchern die ganze analoge Welt. Torsten Rohde, Jahrgang 1974, hat in Brandenburg/Havel Betriebswirtschaft studiert und als Controller gearbeitet. Sein Twitter-Account @RenateBergmann, der vom Leben einer Online-Omi erzählt, entwickelte sich zum Internet-Phänomen. «Ich bin nicht süß, ich hab bloß Zucker» unter dem Pseudonym Renate Bergmann war seine erste Buch-Veröffentlichung – und ein sensationeller Erfolg –, auf die zahlreiche weitere, nicht minder erfolgreiche Bände und ausverkaufte Tourneen folgten.

Es war eine schwere Zeit, aber in allem steckt immer auch was Gutes: Unser Turnlehrer hat im Winter ’46 den Stufenbarren verheizt, weil es nichts zum Feuern gab. In Geräteturnen war ich nie eine Leuchte!


Gut Finkenhof, 1946


1946, da war ich knapp davor, ein Backfisch zu werden, feierten wir ein Weihnachtsfest, an das ich bis heute als eines meiner schönsten zurückdenke.

Wir lebten damals auf dem Gut Finkenhof, das liegt im Märkischen. Wenn ich «wir» sage, meine ich damit Mutter, meinen kleinen Bruder, den Fritz, und Oma und Opa Strelemann. Der Krieg war zwar vorbei, aber die Zeit des Darbens und der Entbehrungen war es noch lange nicht. Zu allem Leid, das der Krieg über uns gebracht hatte, kam auch noch einer der härtesten Winter, an die man sich bis heute erinnert.

Es gab Weihnachtsfeste, an denen mehr geschehen ist und von denen zu berichten sich vielleicht auch lohnen würde. Wie damals, als Ilse von der Leiter gefallen ist, weil sie am ersten Feiertag unbedingt noch Staub vom Kronleuchter wischen wollte und Kurt … also, das gehört auch eigentlich nicht hierher. Nein, viel Schlimmes, Verrücktes oder Komisches ist damals nicht geschehen. Ich möchte Ihnen aus einem anderen Grund von genau diesem Weihnachtsfest erzählen. Ich will Ihnen berichten, wie die Zeit damals war und wie wir uns über das Wenige, das wir hatten, freuten und es in unseren Herzen wuchs und wuchs.

Wir schliefen damals alle in einem Bett, das müssen Se sich mal vorstellen. Das sparte Heizung! Oma, Mutter und wir Kinder kuschelten uns im großen Ehebett im Elternschlafzimmer aneinander und wärmten uns gegenseitig. Opa bettete sein Haupt nachts nicht mit in der Schlafstube, sondern in der Küche auf den schieren Dielen. Gerade den spanischen Bettvorleger hatte er als Matratze.

Moment.

Spartanisch, nicht spanisch.

Es war so bitterkalt, dass wir unseren Odem als weißen Dunst sahen, wenn einer ausatmete. Opa schnarchte ein bisschen. Na, ein bisschen … wir hörten es bis rüber ins Bett! Im Laufe der Nacht wurde sein Grunzen immer trockener, und manchmal hatte ich Angst, dass seine Mandeln einfroren.

 

Opa Strelemann schlief aber nicht aus Rücksicht auf dem Küchenboden, sondern weil er früh rausmusste, um die Kuh zu melken.

Ja, wir waren wer. Wir hatten eine Kuh!

Das kann in der heutigen Zeit ja keiner mehr nachvollziehen, was das bedeutet hat. Wir hatten Milch und konnten selber Käse und Quark machen, und das wiederum konnte Mutter gut verkaufen oder vertauschen. Kurz nach dem Krieg, bis in die 50er Jahre hinein, gab es Lebensmittel nämlich nur rationiert und auf Bezugskarte. Da blühte der Schwarzhandel mit den Bauern auf dem Land, sage ich Ihnen. Auf die Kuh hat Opa aufgepasst wie auf den Schlüssel zum Schuppen, in dem die Destille stand. Der schlief mit einer Forke neben seinem Nachtlager, damit er einem möglichen Einbrecher sofort hätte den Garaus machen können. Die Susi – so hieß sie, die Braungefleckte – bekam nicht nur jeden Morgen warm zu saufen, während wir uns mit eisigem Wasser die Zähne putzen mussten, nein, Opa wärmte sich auch immer die Hände an, bevor er ihr ans Euter fasste. Regelrecht verwöhnt hat er sie! Oma wurde beinahe neidisch. «Die blöde Kuh», hat sie manchmal gesagt. Aber natürlich war sie froh, dass wir die Susi hatten.

Wir liefen zu der Zeit bis in den November hinein mit nackten Füßen rum, weil wir nur ein Paar Strümpfe hatten, und die mussten geschont werden für den Winter. Als der dann kam, kam er krachend kalt und legte das ganze Land unter Schnee und Eis. Der Ostwind pfiff wochenlang so schlimm, dass Oma kaum krauchen konnte mit ihrem Ischias. Uns Kindern waren die Zehen blau gefroren. Wo der kleine Fritz war, konnte man schon immer an der Schnodderspur sehen: Seine Nase tropfte egal fort, bis Oma ein Einsehen hatte und eine Strickjacke von Vater, die sie bis dahin als Erinnerung aufbewahrt hatte, aufräufelte und ihm aus der Wolle ein paar Extrasocken strickte.

 

Nachdem Opa Strelemann in einer Nacht die Spucke auf dem Küchenboden gefror, sprach er schließlich: «So, Frauensleute, genug ist genug. Heute Nacht lege ich mich bei euch in der Schlafstube hin.» Er schlug sein Ruhelager links neben Omas Bettseite auf, wie immer auf dem harten Dielenboden. Gerade, dass er die Bettumrandung als Unterlage hatte und seine grobe Pferdedecke aus der Küche mitbrachte. Er lag da wie ein Brett und schnarchte mit Oma um die Wette. Kurz vor dem Einschlafen guckten Mutter, Fritz und ich uns an, kniffen kurz die Augen zusammen und schnitten eine Grimasse. Laut zu lachen trauten wir uns nicht, am Ende wären die Großeltern noch wach geworden? Dann drückte uns Mutter noch mal kurz an sich und gab uns eines der seltenen Küsschen auf die Stirn. Mutter hatte es nicht leicht – der Mann, also mein Vater, war im Krieg geblieben, sie musste zwei Kinder satt kriegen, und auch wenn es ein Glück und sie dankbar war, dass wir bei Oma und Opa Strelemann unterkommen konnten, war es nicht immer einfach mit den alten Herrschaften. Olle Leute sind manchmal stur und unverbesserlich. (Heute weiß ich das …)

Mutter konnte sich Zärtlichkeiten nicht oft erlauben, es kam selten vor, dass sie sagte: «Renate, komm mal her, Mama pustet», wenn ich gefallen war oder mir das Schienbein an den Brennnesseln verbrannt habe. Meistens hieß es: «Reiß dich zusammen, jammern nützt nichts.» Sie war keine hartherzige Frau, aber die schwere Zeit zwang sie, eisern zu sein.

Oma hat in jener Nacht, als Opa zu uns in die Schlafstube zog, noch heftig mit ihm diskutiert, dass er seine Forke nicht mit reinnehmen darf, aber da stellte er sich bockbeinig. Was meinen Se, was los war, als Oma im Morgengrauen aufs Häuschen musste und über den Stiel gestolpert ist. Wir waren alle wach, und keiner schlief mehr ein, und Oma zeigte jedem den blauen Fleck am Knie, sogar dem Herrn Pfarrer.

Ja, mit Oma und Mutter war das so eine Sache. Zwei Frauen auf einem Hof und in einer Küche – da können Se sich ja denken, dass das öfter rauchte. Aber die Zeiten waren so, und es ging nicht anders.

 

Meine Mutter war eine schlitzohrige und gerissene Frau. Es gibt Leute, die sagen, ich schlage nach ihr. Sie hat die Hühner, Gänse und Enten, die wir den Sommer über auf dem Bauernhof großgezogen haben, teuer an die Städter verschachert. Das war ja alles streng verboten, wissen Se, es gab damals Lebensmittelkarten, und jeder durfte offiziell nur 100 Gramm Fett die Woche beanspruchen. Und das galt schon für Arbeiter! Kindern und alten Leuten stand noch weniger zu. 100 Gramm Fett die Woche, überlegen Se mal! Das ist das, was meine Freundin Gertrud heutzutage als «kleinen Stich Butter» an ihr Gemüse macht. Von Fleisch reden wir erst gar nicht. Mutter jedenfalls hatte auch in diesem Jahr kurz vor den Festtagen mit der Hilfe von Opa Strelemann das Geflügel geschlachtet und ausgenommen. Von jeder Ente oder Gans hatte sie entweder eine Keule, den Hals oder mal einen Flügel auf die Seite gelegt, für uns. Es war ihr ein Leichtes, so einem dusseligen Stadtmenschen weiszumachen, dass das Tier einen Granatsplitter abbekommen hatte und mit nur einem Bein groß geworden war. Jedenfalls hatten wir eine herrliche Geflügelpfanne zum Fest, mit einer Keule für jeden und Hälsen und Bürzeln für den Geschmack. Opa hat auch Biber gewildert, wissen Se, Naturschutz war damals ja noch nicht. Und so abgezogen ohne Fell sehen die Tiere für so einen Städter doch alle gleich aus, da gleicht sozusagen ein Ei dem anderen. Die hatten zum Fest satt zu essen, und wir kamen gut über die Runden. Mutter hat die Waren nicht verkauft, sondern getauscht. So kam sie zu Stoff, aus dem sie ein Kleid für mich und eine Hose für Fritz schneiderte. Für die große Pute hat sie sogar ein Tafelservice von Meißen bekommen! Damals hieß es: «Die Bauern sind gerissen, die haben sogar Teppiche im Kuhstall liegen.» Ganz so war es nicht, aber es war eben die Zeit, wo der Hunger die Preise diktierte. Mutter verlangte trotzdem keinen Perserteppich, ich bitte Sie! Das wäre übertrieben gewesen, und der hätte bei uns auch gar nicht reingepasst, weder in die gute Stube noch in den Stall. Einen richtigen Kuhstall hatten wir auch gar nicht, die Susi war in der Scheune angebunden. Wohl aber handelte Mutter eine Brille für Oma Strelemann raus, eine Pfeife für Opa und eine Fuchsstola für sich selbst. Das war aber ein Fehler, wissen Se, das Ding müffelte wie nasser Hund und ließ so viel Haare aus, dass sie ihn nie getragen hat. Nur manchmal, ganz selten, stand sie in einer stillen Stunde nach der harten Arbeit allein in der Schlafstube vor dem Spiegel und legte den Fuchs um. Dann träumte sie sich weg aus der Enge, weg vom Hunger und der Arbeit, weg in eine Zeit, die man heute die «gute, alte» nennen würde. «Ihr sollt es mal besser haben als ich, meine Engelchen», sprach sie und drückte Fritz und mich an sich. An diese Momente erinnere ich mich gern und gut. So dachten wir an Vater und sprachen ein kleines Gebet für ihn, und Mutter küsste uns ganz zärtlich.

Nach ein paar Jahren war der Fuchs übrigens so mürbe geworden, dass er fast nur noch aus losen Fellflusen bestand. Als ihm auch noch eines der Glasaugen rausfiel, entschied Mutter, dass es nun genug sei mit der Träumerei. Sie hängte ihn über die Tür vom Hühnerstall. So erfüllte das gute Stück noch einen Zweck: Die Hennen kuschten vor Angst, und es kam nie mehr ein anderer Fuchs zum Wildern vorbei. Die Viecher dachten wohl, sie würden hier als Pelz enden.

 

In jenem Advent wurden weder Plätzchen ausgestochen...

Erscheint lt. Verlag 15.10.2019
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Gans • Grünkohl • Kartoffelsalat • Klöße • Rotkohl • Weihnachten • Weihnachtsbraten • Weihnachtsessen
ISBN-10 3-644-00410-2 / 3644004102
ISBN-13 978-3-644-00410-8 / 9783644004108
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