Lottes Träume (eBook)

Roman

(Autor)

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2019 | 1. Auflage
544 Seiten
Blanvalet (Verlag)
978-3-641-23785-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Lottes Träume -  Beate Maly
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Wenn die ersten Schneeflocken fallen, beginnen die Träume zu glänzen. Der zauberhafte Auftakt einer außergewöhnlichen Serie.
Als Lotte 1904 in Wien ankommt, ist für sie noch alles neu und fremd. Bisher hat sie mit ihrem Vater in dem kleinen Ort Mürzzuschlag gewohnt und von der großen Stadt nicht viel mitbekommen. Aber ihre Zeit in den Bergen und auf Skiern ist ihr jetzt hilfreich. In dem kleinen Bergsportladen in der Kaiserstraße bekommt sie deshalb gleich eine Anstellung, denn der Skisport ist erst im Kommen, nur die wenigsten kennen sich mit den neuartigen Brettern aus. Dass das auch etwas für Frauen ist, kann man sich schon gar nicht vorstellen. Aber Lotte lässt sich davon nicht beirren, und als dann noch ein junger Herr bei ihr seine Skier bestellt und Gefallen an ihr findet, befürchtet sie, dass das alles nur ein Traum sein könnte ...

Beate Maly, geboren und aufgewachsen in Wien, arbeitete zunächst als Kindergärtnerin und in der Frühförderung, bevor sie mit dem Schreiben begann. Neben Geschichten für Kinder und pädagogischen Fachbüchern hat sie inzwischen elf historische Romane geschrieben und fünf historische Krimis.

1


Wien, Herbst 1904


Eintönig ratterte die Lokomotive über einen schier endlosen Schienenstrang. Lotte rutschte unbehaglich auf der harten Holzbank von einer Seite zur anderen und stieß dabei gegen den voluminösen Körper ihrer Sitznachbarin. Sie entschuldigte sich leise und erhielt als Antwort ein unverständliches Grunzen.

Die vorbeiziehende Landschaft veränderte sich mit jedem Kilometer, den sich der Zug der Hauptstadt näherte. Schon lange hatten sie die steinernen Viadukte passiert, die zerklüfteten Felswände des Semmering-Passes hinter sich gelassen und fuhren jetzt durch verschneite Felder Richtung Wien.

Lotte war mit ihren zweiundzwanzig Jahren erst einmal in der Haupt- und Residenzstadt der österreichisch-ungarischen Monarchie gewesen. Damals hatte sie ihren Vater begleitet, weil er in Wien zwei Bücher gekauft hatte. Einen Gedichtband von Nestroy und ein Buch von Bernhard Scheinpflug. Letzteres war ein weniger bekanntes Werk über die griechische Mythologie, das Lottes Vater jahrelang im Unterricht eingesetzt hatte. Er war Lehrer in der Volksschule in Mürzzuschlag gewesen. Vorgestern hatte Lotte beide Bücher verkaufen müssen, gemeinsam mit all den anderen Gegenständen, die ihrem Vater gehört hatten. Bei der Erinnerung daran schnürte sich Lottes Kehle zu. Sie blinzelte eine Träne weg und wischte sich mit dem Handrücken über die Nase. Wie lange würde es dauern, bis sie sich an seinen Tod gewöhnte und der Kloß in ihrem Hals wieder verschwand, der ihr das Atmen erschwerte und dafür sorgte, dass sie ständig das Gefühl hatte, auf der Stelle losweinen zu müssen? Im Moment konnte sie noch nicht glauben, dass er wirklich leblos in dem frischen Grab lag und nie wieder mit ihr einen der Berge besteigen würde, die sie beide so geliebt hatten. Zwei ­Wochen hatte der ungleiche Kampf gegen das hohe Fieber der Lungenentzündung gedauert. Walter Seidl hatte ihn verloren, und bereits drei Tage nach seinem Tod hatte Lotte die Wohnung, in der sie zweiundzwanzig Jahre mit ihm gelebt hatte, räumen müssen. Sie hatte sich von den Möbeln, seiner Kleidung und seiner Bergsportausrüstung getrennt. Der Verkauf seiner Habseligkeiten kam ihr wie ein Verrat vor. Aber ohne den Erlös hätte sie die Fahrkarte nach Wien nicht kaufen können. In Mürzzuschlag hatte sie keine Zukunft. Entweder sie heiratete den trinkenden und zu Gewalt neigenden Fleischer Alfred Rössel, dessen Antrag sie schon vor drei Jahren abgelehnt hatte, oder sie fristete ihr Leben als rechtlose Magd auf einem Bauernhof. Beide Möglichkeiten erschienen ihr wenig erstrebenswert.

Der ältere Herr, der ihr gegenübersaß und bis jetzt in einer Ausgabe der Kronenzeitung gelesen hatte, legte das Blatt zur Seite und packte Brote aus. »Wollen Sie ein Stück?«, fragte er freundlich.

Lotte lehnte dankend ab. Obwohl ihr Magen knurrte und sie seit dem Frühstück nichts gegessen hatte, würde sie keinen Bissen hinunterbringen. Sie war zu nervös, außerdem hatte sie seit Tagen keinen Appetit. Je weniger sie aß, umso seltener meldete ihr Körper das Signal, dass sie Hunger hatte.

»Ich nehme ein Stück«, sagte die Frau neben Lotte. Blitzschnell griff sie zu und biss in das Brot. Für einen Moment wirkte der Mann irritiert, dann widmete er sich seinem Proviant. Mit vollem Mund fragte er Lotte: »Besuchen Sie jemanden in Wien?«

»Nein, ich ziehe in die Stadt, um dort zu leben.«

»Wohin denn?«

»Das weiß ich noch nicht.«

Der Mann unterbrach sein Kauen. Fassungslos starrte er sie an.

Auch die Frau wirkte überrascht. »Sie fahren nach Wien und wissen nicht, wo Sie wohnen werden?« Sie klang, als hätte Lotte gerade gesagt, sie wolle einen Lipizzaner stehlen oder plane ein Attentat auf den Kaiser.

»Ich habe die Adresse von einem Geschäft, in dem ich vielleicht als Verkäuferin arbeiten werde.«

»Ach so, ich verstehe. Sie werden dort wohnen.« Etwas entspannter lehnte sich der Herr mit den grauen Schläfen zurück. Die Butterbrote drohten ihm vom Schoß zu rutschen, aber er fing sie geschickt auf.

»Das weiß ich noch nicht«, gab Lotte zu. Alles was sie besaß, war eine Adresse. In Gedanken ging sie das Gespräch mit Maria Schwegel, der Wirtin der Goldenen Gans in Gloggnitz, noch einmal durch.

»Ich hab gehört, dass junge Frauen in Wien als Verkäuferinnen arbeiten können. Eine Geschäftsfrau hat mir das erzählt. Sie kommt jedes Jahr auf den Semmering. Manchmal übernachtet sie nicht oben am Pass, sondern bei uns. Sie selbst verkauft Dinge, die man fürs Reiten braucht. Sicher kann sie dir helfen, wenn du nach Wien gehst.«

»Aber ich verstehe nichts vom Reiten«, hatte Lotte vorsichtig eingewandt. Eine Bemerkung, die die Wirtin nicht hatte gelten lassen.

»Was kann denn daran schwer sein?«, hatte sie gesagt, während sie mit Blockbuchstaben eine Adresse auf einen schmalen Block gekritzelt hatte, auf dem sie für gewöhnlich die Bestellungen ihrer Gäste aufnahm. Dann hatte sie Daumen und Zeigefinger abgeleckt, den Zettel abgerissen und Lotte mit einer Wichtigkeit überreicht, als handelte es sich um ein wertvolles Dokument. Der Zettel steckte nun in Lottes Handtasche.

Der Mann mit den Butterbroten holte sie aus ihren Erinnerungen zurück. »Aber was wollen Sie machen, wenn Sie in dem Geschäft keine Anstellung bekommen? Sie werden doch irgendwen in Wien kennen«, fragte er mit einer Mischung aus Besorgnis und Sensationslust. Er beugte sich neugierig nach vorne. Sein sauber rasiertes Kinn glänzte von der Butter, die Enden seines Schnurrbarts wippten.

»Ich kenne niemanden. Deshalb werde ich mir ein Zimmer suchen.« Lotte versuchte, ihrer Stimme mehr Zuversicht zu verleihen, als sie tatsächlich empfand, und den eindringlichen Blick ihres Gegenübers zu ignorieren. Dabei knetete sie nervös ihre Hände, bis sie schmerzten.

Die Frau neben ihr lachte humorlos auf. Der kleine Hut auf ihrem Kopf rutschte in die Stirn. »Ich hoffe, Sie verfügen über ausreichend Geld. Wien ist teuer, und jede zweite Wohnung ist mit Schlafgängern belegt.«

Lotte hatte davon gehört, dass sich mehrere Menschen in der Stadt ein und dasselbe Bett teilten, das sie jedoch zu unterschiedlichen Zeiten nutzten. Sie hoffte, dass sie selbst eine andere Lösung finden würde, auch wenn ihre finanziellen Mittel bescheiden waren.

»Kindchen, Sie müssen gut auf sich achtgeben. In der Großstadt wimmelt es von Halsabschneidern, die nur darauf warten, eine Person vom Land übers Ohr zu hauen.«

»Und all die Männer, die über hübsche junge Dinger wie Sie herfallen«, raunte die dicke Frau. Sie hatte ihr Brot aufgegessen und schaute begehrlich zu den verbliebenen Schnitten im Schoß des Mannes. Doch der wickelte sie rasch in seine karierte Stoffserviette ein und packte sie weg.

»Wir wollen Ihnen keine Angst einjagen, aber Wien ist gefährlich. Seit Jahren sammelt sich hier der Abschaum der Monarchie. Von überall strömen die Kriminellen in die Stadt, und die Polizei kommt nicht nach, sie alle einzusperren. Gewalttätiges Gesindel vom Balkan und Zigeuner. Bettler aus Böhmen und Diebe aus Ungarn. Sie alle lauern in den dunklen Gassen und überfallen unschuldige junge Frauen.« Zur Bekräftigung seiner Worte griff der Mann nach der Zeitung, die auf dem leeren Sitz neben ihm lag. Zielsicher schlug er eine Seite auf, suchte mit dem Finger nach einem Artikel. »Da, sehen Sie nur, mein Fräulein. Lauter hässliche Geschichten über Diebstähle, Überfälle und Betrügereien. In den Straßen der Stadt lauert das Grauen.«

Trotz der Wärme im Abteil fröstelte Lotte. Sie betrachtete ihre rot gewordenen Hände und verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust. Auch wenn die zwei Mitreisenden behaupteten, ihr keine Furcht einjagen zu wollen, war es ihnen gelungen, sie zu ängstigen. Die dicke Frau schien die Vorstellung von Dieben, Räubern, Betrügern und Mördern zu genießen. Ihre kleinen, dunklen Augen glänzten vor Aufregung.

»Wo befindet sich denn das Geschäft, in das Sie wollen?«, fragte sie.

»In der Kaiserstraße 15.«

»Das ist bei der Mariahilfer Straße«, murmelte der Mann. »Eine gute Adresse.«

Wenigstens etwas, dachte Lotte. »Es gehört Frau Mizzi Kauba. Sie verkauft Reitzubehör.«

»Sie meinen wohl, dass die Frau dort als Verkäuferin arbeitet?«

»Nein«, sagte Lotte. »Sie ist die Besitzerin.«

»Eine Geschäftsfrau?«, platzte der Mann empört hervor. Seine Sorge um Lotte schien mit einem Mal wie weggeblasen.

Bevor Lotte etwas antworten konnte, fuhr er aufgebracht fort: »Es wundert mich nicht, dass es um die Moral in der Stadt schlecht bestellt ist.«

»Wie bitte?«

»Wo soll das denn hinführen, wenn Frauen in der Geschäftswelt Fuß fassen? Eines Tages kommt es noch so weit, dass eine Frau einem Mann vorschreiben kann, was er zu tun hat.« Er schnaufte verächtlich. »Unser Vielvölkerstaat ist dem Untergang geweiht, wenn es den Männern nicht einmal mehr gelingt, das schwache und unterlegene Geschlecht zu kontrollieren.«

Lotte wünschte, sie säße in einem leeren Abteil. Verärgert versuchte sie den Zusammenhang zwischen dem möglichen Untergang der Monarchie und der Rolle der Frauen in der Geschäftswelt herzustellen. Demonstrativ wandte sie ihren Blick aus dem Fenster. Dort zogen immer dichter stehende, graue Häuser vorbei. Aus unzähligen Kaminen stieg dunkler Qualm.

»Noch dazu ein Reitsportgeschäft. In diesem Metier haben Frauen ja nun wirklich nichts verloren.« Der Mann konnte sich nicht beruhigen.

»Unsere verstorbene Kaiserin, Gott hab sie selig, war eine begeisterte Reiterin«, mischte sich die dicke...

Erscheint lt. Verlag 14.10.2019
Reihe/Serie Die Sonnsteins
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Anne Jacobs • Bergsport • eBooks • Frauenromane • Historische Liebesromane • Historische Romane • Liebesromane • Mizzi Langer-Kauba • Österreich • Romane für Frauen • schokoladenvilla • Skifahren • skimode • skirennen • Tuchvilla • Wahre Begebenheit • Wien
ISBN-10 3-641-23785-8 / 3641237858
ISBN-13 978-3-641-23785-1 / 9783641237851
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