Der Sommer der Inselblumen (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
608 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-24326-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Sommer der Inselblumen -  Mina Gold
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Manchmal liegt das große Glück auf einer kleinen Insel
Als Anna vor den Trümmern ihres Liebeslebens steht, will sie nur eins: weg aus Hamburg. Kurzerhand zieht sie mit ihrem geliebten Zwergdackel Prince Harry auf die Nordseeinsel Texel. Dort möchte sie den Traum von einem eigenen Blumenladen verwirklichen, in dem sie ihre Kunden mit bunten Sträußen und duftendem Kaffee verwöhnen kann. Doch der Neubeginn fällt Anna schwerer als gedacht, denn die sturen Insulaner boykottieren ihren Laden. Und als wäre das nicht schon genug, wird sie mit einem dunklen Geheimnis aus ihrer Kindheit konfrontiert, vor dem sie immer geflohen ist und das sie nun nicht mehr loslässt. Aber zum Glück bekommt Anna Hilfe von dem charmanten Biobauern Luuk, der ihr Herz höher schlagen lässt. Und dann lernt sie ihre bezaubernde alte Nachbarin Roos kennen - und gemeinsam haben sie eine Idee, wie sie den Laden retten können ...

Mina Gold, geboren 1987, besitzt einen Abschluss in Europäischer Literatur und arbeitet als freiberufliche Korrekturleserin und Lektorin. Um ihre Liebe zu schönen Dingen auszuleben, betreibt sie außerdem ein Schmucklabel. Gemeinsam mit ihrem Hund Rosali und ihrer Büchersammlung lebt sie in Berlin Neukölln. »Der Sommer der Inselblumen« ist ihr erster Roman bei Penguin.

2


Selbst für holländische Verhältnisse war der Brujinshof klein. Eigentlich bestand er nur aus einem Haus, einem Schuppen und zwei geduckten Ställen, die langsam damit drohten, in den Wiesen zu versinken. Die Wände waren weiß getüncht, das Dach reetgedeckt, und im Garten bogen sich knorrige Apfelbäume in alle Richtungen, als wären sie mitten im Tanz erstarrte Kobolde. Der Hof war vor über 150 Jahren erbaut worden, und man sah ihm sein Alter an.

Als Anna die Tür aufschloss und das Haus betrat, schlug ihr sofort der vertraute Geruch entgegen. Kalk, altes Holz, Stein und Schafwolle. Er war verstörend stark, sie musste sich gegen die Empfindungen wehren, die auf sie einströmten und von denen sie nicht gewusst hatte, dass sie kommen würden. Mit einem Mal hatte sie das sichere Gefühl, es nicht zu schaffen. Es war, als habe ihr jemand in den Magen geboxt. Der Geruch schien sie mit allem auf einmal zu konfrontieren, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Die ganze Tragweite ihrer Entscheidung hierherzukommen, traf sie mit voller Wucht. Es war, als würden Welten aufeinanderprallen, die nicht zusammengehörten. Ihr Nacken prickelte. Was mache ich hier nur?, dachte sie. Frau Fischer, Sie sind doch verrückt.

Ein starker Drang überkam sie, umzukehren, die Tür zu schließen, sich wieder ins Auto zu setzen und, so schnell sie konnte, nach Hamburg zurückzufahren. Aber die letzte Fähre war ohnehin schon weg, und Harry war durch ihre Beine hindurch ins Haus gewischt, sie hörte seine kleinen Tapser auf dem Boden in Richtung Küche verschwinden. Nach ein paar Sekunden zwang sie sich, über die dunklen Wände zu tasten. Sie bereute es, Sems Angebot, sie zu begleiten, abgelehnt zu haben. Auch wenn sie ihn seltsam fand, wäre seine Anwesenheit besser, als mit dem stummen Haus alleine zu sein.

Als ihre Finger den Schalter fanden und das Licht der stoffbezogenen Flurlampe plötzlich über die Wände huschte, vertrieb es die Bilder in ihrem Kopf. Vorerst zumindest. Sie wusste, dass sie nur darauf warteten, erneut hervorzukriechen. Sie schloss die Tür hinter sich und schob den Riegel vor. Wie lange war sie nicht mehr hier gewesen? Drei Jahre? Vielleicht mehr. Nach dem Auszug ihrer Großmutter hatte Anna das Haus gemieden, wenn sie auf der Insel war. Leer und verlassen war es ihr immer falsch vorgekommen, und sie hatte nicht gewusst, wie sie mit einem Haus ohne Leben umgehen sollte.

Ein Mädchen saß auf der Treppe. Es hatte lange, dunkle Haare wie Anna und las in einem Buch. Es trug ein Sommerkleid, seine schmutzigen Füße bohrten sich in den Teppich. Anna hörte das Rascheln, als es mit zarten Händen die Seiten umblätterte. Als sie näher trat, war es verschwunden. War das ich oder Anouk, fragte sie sich und blickte auf die leere Stufe. Oder wir beide?

Sie ging den schmalen, dunklen Flur entlang und blieb an der ersten geöffneten Tür stehen. Die Wohnstube. So hatte ihre Großmutter den Raum immer genannt, um ihm einen feineren Glanz zu verleihen. Aber der Name konnte nicht über das einfache Mobiliar und den alten Holzboden hinwegtäuschen. Hier hatten sie und Anouk als Kinder kaum Zeit verbracht. Meistens waren sie in der großen Wohnküche gewesen oder im Garten und in den Schafställen. Dieses Zimmer hatte immer ihrem Großvater gehört. Abends hatte er hier die Nachrichten geguckt, die blechern aus dem schwarzen Uralt-Fernseher mit der Riesenantenne schallten, und dabei Karamellbonbons gelutscht. Ihre Großmutter hatte sich immer aufgeregt, dass er sich wie ein Waldtroll benahm, wenn er laut schmatzte und mit den Fingern in den Zähnen wühlte, um das klebrige Karamell zu entfernen. Aber trotzdem hatte sie selbstverständlich einmal im Monat einen ganzen Nachmittag lang Bonbons auf dem Küchentisch gerollt. Sie wurden in weißes Butterbrotpapier gewickelt und hatten einen festen Platz in einer großen Blechdose auf dem obersten Brett in der Speisekammer. Oft hatten Anna und Anouk heimlich einen Stuhl dort hineingeschoben, während sie kichernd versuchten, keine Geräusche zu machen, damit ihre Großmutter sie nicht erwischte und zur Strafe lachend mit dem Besen hinter ihnen herlief.

Anna sah ihren Großvater, wie er in dem Sessel saß, die Füße auf dem kleinen Hocker, die Zeitung auf den Knien, und fast konnte sie das Karamell riechen. Manchmal hatte er auch kleine Stücke seines eigenen Ziegenkäses gegessen, auf den er so stolz war und der bei allen anderen Menschen Brechreiz auslöste. Ihr Vater hatte immer gesagt, dass er den Käse nur machte, um Besucher vom Haus fernzuhalten. Anna fragte sich, wann ihr Großvater die Ziegen aufgegeben hatte. Sie konnte sich nicht erinnern, irgendwann hatte es einfach keinen Käse mehr gegeben.

Ihr Spiegelbild in der Scheibe stand allein im Türrahmen. Wie bei den meisten Häusern in Holland nahm das Fenster die halbe Wand ein. Anna hatte als Kind nie verstanden, warum die Fenster in Deutschland so klein waren und man sich in seinen dunklen Häusern und Wohnungen verschanzte, als wolle man die Welt draußen ausschließen. Hier war es, als wären die Wiesen und Bäume draußen ein Teil des Hauses. Annas Großmutter war immer stolz darauf gewesen, keine Gardinen und keinen Sichtschutz zu haben. »Wir haben nichts zu verbergen«, hatte sie gerne verkündet, und es war eine Warnung in ihrer Stimme gewesen, die jeden, der es wagen würde, das anzuzweifeln, sofort eines Besseren belehrt hätte. Anna erinnerte sich, wie sie abends oft zu ihrem Großvater auf die Couch gekrochen war und die Dunkelheit vor dem großen Fenster sie geängstigt hatte. Auch jetzt blickte ihr eine schwarze Wand entgegen. Sie hob eine Hand zum Gruß, und ihr Spiegelbild tat es ihr gleich. Dann knipste sie das Licht aus. Das war nicht ihr Raum.

Auch in der Küche war der vertraute Geruch so stark, dass sie es einen Moment lang kaum aushalten konnte. Auf den ersten Blick schien hier alles wie früher. Der große alte Holztisch in der Mitte des Raumes, das fleckige rote Sofa, das an der Wand zur Hintertreppe lehnte. Aber die Blumen fehlten, die in einem alten Bierkrug vor dem Fenster über der Spüle gestanden hatten, und die Gewürze in den Regalen. Die großen Einmachgläser mit Gurken in der Ecke fehlten, die Apfelkiste neben der Kammertür und die kleinen Schälchen mit Milch für die Katzen. Sie stand einen Moment einfach nur da und nahm die Atmosphäre des Raumes in sich auf. Dann ging sie zum Auto und holte die Einkäufe. Sie durfte nicht zu lange in der Vergangenheit verweilen, sonst würde sie es nicht schaffen. Ächzend wuchtete sie die Tüte mit den Lebensmitteln auf den Esstisch, dann lief sie hinaus und holte Harrys Kiste, sein Körbchen und ihr grünes Radio. Ein bisschen Musik würde die Erinnerungen schon vertreiben, dachte sie.

Als sie ein drittes Mal zurücklief, um ihre Tasche zu holen, und an der dunklen Tür des Wohnzimmers vorbeieilte, blieb sie erschrocken stehen. Etwas hatte sich bewegt hinter der großen Scheibe, ein Schatten, den sie aus den Augenwinkeln wahrgenommen hatte. Sie trat einen Schritt zurück und lugte vorsichtig um die Ecke. Ihr eigenes Gesicht sah ihr entgegen, ihr Kopf im Türrahmen hob sich schwarz gegen den hellen Hintergrund des Flures ab. Aber sie konnte ohnehin nicht nach draußen sehen, die Spiegelung war zu stark. »Jetzt geht es schon los. Frau Fischer, Sie sehen Gespenster«, flüsterte sie.

Als sie erneut nach draußen trat, blieb sie einen Moment auf der Türschwelle stehen und blickte in die Inselnacht hinaus. Man konnte das Meer riechen, das Salz in der Luft. Der Kies knirschte laut unter ihren Schuhen, als sie zum Auto ging. Sie wuchtete ihre Tasche über die Schulter, warf einen prüfenden Blick in den Kofferraum, entschied, dass sie den Rest morgen holen könnte, und knallte den Deckel zu.

Wie aus dem Nichts stand Sem vor ihr.

Anna schrie auf und ließ ihre Tasche fallen.

»Oh, entschuldige!« Er sprang vor und hob die Tasche auf. »Ich wollte dich nicht erschrecken!« Schuldbewusst half er ihr, die Tasche wieder umzuhängen, dann überlegte er es sich anders und nahm sie selber über die Schulter. »Ich helfe dir.«

»Danke, nicht nötig!« Anna riss die Tasche wieder an sich, etwas schroffer als nötig, und er sah sie zerknirscht an. Ihr Herz klopfte immer noch, und sie kämpfte einen Anflug von Ärger hinunter. Warum zum Teufel musste er sich so anschleichen, dachte sie. Und warum habe ich seine Schritte nicht auf dem Kies gehört?

»Was gibt’s? Hab ich was bei euch vergessen?«, fragte sie, immer noch etwas außer Atem.

»Nein, meine Mutter meinte nur, ich soll fragen, ob du nicht doch Hilfe beim Ausladen brauchst und ob alles in Ordnung ist.«

Anna, die an diesem Abend bereits fünfmal versichert hatte, dass sie alleine klarkam und sich melden würde, wenn sie Hilfe brauchte, merkte, dass ihr Ärger wuchs. Sie war generell empfindlich, wenn es darum ging, dass man ihr Dinge nicht zutraute. Eine Nachwirkung der letzten Jahre, in denen sie so sehr auf Hilfe angewiesen gewesen war und jede Sekunde davon gehasst hatte.

»Danke, das ist wirklich nett. Aber ich komme klar. Und ich habe ja eure Nummer, falls irgendetwas sein sollte!«

»Bist du sicher? Jetzt bin ich schon mal hier, ich kann dir helfen, das Auto auszuräumen!«

»Ich habe alles schon drinnen, den Rest mache ich morgen!«

Er sah sie kurz unsicher an, dann lächelte er. »Okay, gut. Es war schön, dich wiederzusehen, Anna. Vielleicht können wir ja bald mal was gemeinsam unternehmen.«

»Sicher … gern.«

Als sie so zögerlich reagierte, wackelte das Lächeln auf seinem Gesicht etwas, aber er sagte: »Ich … arbeite momentan nicht. Ich kann dir also gerne beim Renovieren helfen. Oder auch auf dem Hof. Du musst doch...

Erscheint lt. Verlag 10.2.2020
Reihe/Serie Die Inselblumen-Serie
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Blumenladen • Café • eBooks • Frauenroman • Frauenromane • Hund • Insel • Janne Mommsen • Jenny Colgan • Jette Hansen • kleine geschenke für frauen • Liebe • Liebesgeschichte • Liebesromane • Meer • Niederlande • Nordsee • Prinz Harry • Romane für Frauen • Rosamunde Pilcher • Sylvia Lott • Texel
ISBN-10 3-641-24326-2 / 3641243262
ISBN-13 978-3-641-24326-5 / 9783641243265
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