Die Meerestochter (eBook)

Roman
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2019 | 1. Auflage
528 Seiten
Blanvalet (Verlag)
978-3-641-24622-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Meerestochter -  Tracy Buchanan
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Wo das wilde Meer auf die Küste trifft, liegt das Geheimnis ihrer Familie verborgen ...
Ein Ausflug an die englische Küste wurde für Becky zum traumatischen Erlebnis. An diesem Tag trifft ihre Mutter den Mann, in den sie sich verlieben und für den sie ihre Familie verlassen würde. Drei Jahrzehnte später hat Becky kaum Kontakt zu ihrer Mutter Selma, als sie einen Anruf bekommt. Selma hat nur noch wenige Wochen zu leben. Und sie muss Becky etwas mitteilen, das seit vielen Jahren schwer auf Selma lastet. Denn sie hatte noch eine Tochter, nur wenige Jahre jünger als Becky selbst. Bevor Becky mehr erfahren kann, stirbt ihre Mutter. Becky geht auf die Suche nach der verlorenen Schwester - eine Suche, die sie rund um die Welt und in Selmas rätselhaftes Leben führt. Doch es gibt Menschen, die das, was damals passierte, für immer in Vergessenheit geraten lassen wollen ...

Tracy Buchanan lebt als Schriftstellerin in England. Wenn sie nicht gerade schreibt, liebt sie es, durch Wälder zu streifen, einsame Strände zu erkunden und mit ihrem Mann, ihrer Tochter und ihrem Hund Brontë auf Städtetrips zu gehen.

1
Selma


Kent, Großbritannien
18. Juli 1991


Alles begann, als der Junge fast ertrank.

Queensbay erlebte einen dieser Sommerabende, an denen sich Fremde im Vorübergehen anlächeln und jeder nur ehrfürchtig staunt, dass es im grauen alten England so warm sein kann. Alles trug Flipflops und Sandalen, das Schlappen der Sohlen auf der Strandpromenade aus Holz und das Bellen kleiner Hunde war eine vertraute Geräuschkulisse. Das Café an der Strandpromenade war brechend voll, vor allem im Außenbereich. Die Kinder waren begeistert, dass sie an einem Schultag so lange aufbleiben durften, und die Eltern versuchten, ihre aufgedrehten und sonnenverbrannten Kinder zu ermahnen, während sie Wein tranken und mit Freunden lachten. Ältere Paare schlenderten am Sandstrand durchs flache Wasser, die Schuhe in der Hand, während ihre Hunde in die nah gelegenen Höhlen und wieder hinaus rannten. Die Sonne, die in glühendem Orange unterging, tauchte die Köpfe der Menschen in feuerrotes Licht.

Ich beobachtete alles durch meine Sonnenbrille. Der Gin, den ich getrunken hatte, benebelte meinen Verstand schon leicht, wie ich es mochte. Die geschwungene Bucht sah an diesem Abend ganz besonders schön aus, umrahmt vom Café auf der einen und gewaltigen Kreidefelsen auf der anderen Seite. Wenn man um die Felsen herumging, kam man zu einer abgelegenen Bucht mit ein paar Höhlen, über denen ein verlassenes Hotel thronte. Es war mein Traum gewesen, dieses Hotel einmal zu kaufen. Ich seufzte. Im Moment schien das alles andere als wahrscheinlich.

Meine Tochter Becky jagte ihre Freundin um die vollen Tische des Cafés, und ich behielt sie im Auge, bereit, im Fall von zerbrechendem Glas, einem Weinen oder einem Krachen aufzuspringen. Mein Mann Mike, der neben mir saß, hatte eine Hand auf mein nacktes Knie gelegt und lächelte, als sein Freund Greg von einem schwierigen Klienten erzählte. Warum hatten die Leute nur immer das Bedürfnis, an Abenden wie diesem über etwas so Banales wie die Arbeit zu sprechen?

Ich gähnte und streckte mich und bemerkte, wie Gregs Blicke über meine Brüste glitten, die den Stoff meines geblümten Wickelkleids dehnten.

So vorhersehbar. Und auch so falsch, wenn man bedachte, dass seine Frau Julie direkt neben mir saß und verzweifelt versuchte, ihr Neugeborenes zu stillen, dessen schrumpeliges, kleines rotes Gesicht sich an ihre nackte Brustwarze drückte. Sie fächelte ihre heißen, sommersprossigen Wangen mit der Speisekarte.

Ich sah Greg mit zusammengekniffenen Augen an, und er schaute weg. Meine Mum hätte ihn als »Ärger« bezeichnet. Ich erinnerte mich noch genau, wie sie das einmal gesagt hatte, auf das Sofa gelümmelt, einen Drink in der Hand und mit einer Freundin lästernd. »Er bedeutete Ärger, Schatz.« Das R hatte sie mit ihrer tiefen, rauen Stimme in die Länge gezogen. Als ich sie eines Abends beim Essen fragte, was sie damit gemeint habe, hatte sie mir einen ihrer vernichtenden Blicke zugeworfen. »Was interessiert dich das schon?«

Eine Woche später bekam ich meine Antwort, als ich den Mann kennenlernte, der mein Stiefvater werden sollte. Er war der schlimmste von allen. Die anderen – drei insgesamt, seit sie meinem Vater gesagt hatte, dass er sich aus dem Staub machen sollte, als ich acht war – hatten auch ihre Fehler. Glücklicherweise war ich bereits weg, als der dritte auftauchte.

Nein, Greg war nicht wie mein erster schrecklicher Stiefvater. Na ja, vielleicht sah er ihm mit seinem glatt zurückgekämmten schwarzen Haar und seinem spitzbübischen, attraktiven Gesicht ähnlich. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass Greg die Hand gegen Frau und Kind erhob, wie mein Stiefvater das getan hatte. Ich sollte nicht zu hart mit ihm sein. Das Flirten, die heimlichen Blicke … das war nur ein kleiner Kitzel für ihn, um die Eintönigkeit des Lebens in dieser gottverlassenen Stadt etwas erträglicher zu machen.

Die Leute kamen nach Queensbay, weil sie sich hier ein ruhigeres Leben erhofften, an diesem wunderschönen Stück Strand an der Küste von Kent, das früher einmal ein verstecktes Kleinod gewesen war und das vor allem Ehepaare im Ruhestand und Familien anzog, die versuchten, dem Hamsterrad zu entkommen. Das Problem war, dass es hier zu ruhig geworden war, weil das Land eine Rezession erlebte. Bretter waren vor die Fenster der Geschäfte genagelt, die ich einmal geliebt hatte; »Zu verkaufen«-Schilder hingen zu lange draußen an früher so begehrten Häusern. Durch die Schicht von Möwenkot konnte man die Buchstaben kaum noch lesen. Der geliebte Traum war restlos verblasst.

Mir und Mike ging es nicht anders. Kurz nach unserer Hochzeit vor zehn Jahren waren wir zur Hochzeit eines alten Freundes in Margate gefahren und dabei durch die Stadt gekommen. Ich war so hingerissen gewesen von der blauen Bucht, dass wir spontan ein Zimmer gebucht hatten und nach der Hochzeit noch geblieben waren. Als ich das verlassene Hotel mit dem schäbigen »Zu verkaufen«-Schild über den nahen Felsen thronend entdeckt hatte, war ich vor Ehrfurcht erstarrt. Sicher, die weißen Wetterschenkel, die die äußeren Wände zierten, waren schwarz vor Moos, die Panoramafenster schmierig vor Schmutz. Aber es war immer noch wunderschön.

»An so einem Ort würde ich gerne leben«, hatte ich an diesem spontan verlängerten Wochenende zu Mike gesagt.

Aber er hatte nur gelacht. »Du machst wohl Witze. Sieh dir doch an, in was für einem Zustand es ist!«

Das war das Problem mit Mike: Er verfügte nicht über meine Fantasie. Das hätte ich von dem Moment an wissen müssen, als er sich in der Uni-Bar, in der wir uns begegneten, geweigert hatte, ein Trinkspiel zu spielen.

Egal, zurück zu dem Abend. Jenem Abend.

»Oh, mach schon, Finn«, stöhnte Julie neben mir und sah auf ihr Baby hinunter.

Ich schob meine große Sonnenbrille bis zur Nasenspitze herunter und spähte darüber hinweg auf das Neugeborene. »Trinkt er wieder nicht?«, fragte ich.

»Er kapiert’s langsam, glaube ich«, antwortete Julie. Die dunklen Ringe unter ihren Augen waren nicht zu übersehen, ihr rotes Haar war plattgedrückt und kraus.

»Gut so, halt weiter durch.«

»Hast du durchgehalten?«

Ich stieß einen dramatischen Seufzer aus. »Leider haben die alten Dinger hier nicht genug Milch produziert«, sagte ich und zeigte auf meine Brüste. Greg und ich schauten uns an. »Ich hatte keine andere Wahl als die Flasche«, fügte ich hinzu.

Mike warf mir einen Blick zu. Okay, das war gelogen. In Wirklichkeit hatte ich massenhaft Milch gehabt – so viel, dass sie nachts herausgetropft war und mein seidenes Unterhemd durchnässt hatte. Aber ich hatte das Stillen gehasst, vor allem den Geruch meiner eigenen Milch. Doch das konnte ich ja schlecht sagen, oder? Man hätte die Stirn über mich gerunzelt, gerade in Queensbay mit seiner Vorliebe für Yoga und gesunde Lebensweise.

Ich gähnte erneut und warf einen Blick auf meine alte goldene Uhr. Es war schon nach acht.

»Entschuldige, ich langweile dich«, sagte Julie missbilligend.

Sanft berührte ich ihren Arm. Ja, die Frau langweilte mich. Aber das war nicht ihre Schuld.

»Überhaupt nicht!«, sagte ich. »Ich bin nur müde von der Hitze. Du machst das großartig, wirklich, meine Liebe.«

»Meinst du, ihr bekommt noch eins?«, fragte Julie.

Mike schaute mich an. Er wollte unbedingt noch ein Kind. Aber ich konnte mir nichts Schlimmeres vorstellen und schauderte bei der Erinnerung an diese schwierigen, verwirrenden, von Krankheit geprägten ersten Monate in Beckys Leben. An die Gefühle. Die Tränen. Ich betete Becky an, mein perfektes Kind. Alles würde zurück auf Anfang gestellt, wenn ich noch ein Kind bekäme. Außerdem war da das kleine Problem, dass Mike und ich einander kaum noch berührten. Das hätte mich vielleicht beunruhigen sollen, doch in Wirklichkeit wollte ich niemanden berühren oder berührt werden. Die seltenen Male, die wir uns liebten, schreckte ich zurück und fühlte nichts, tat lediglich so, als ob, und wandte das Gesicht ab. Ich war früher sehr leidenschaftlich gewesen, hatte es geliebt, zu umarmen und umarmt zu werden. Aber so war es nicht mehr.

Ich seufzte und drehte mich wieder zu Julie. »Wir können keine Kinder mehr bekommen, hat man uns gesagt«, flüsterte ich, sodass Mike es nicht hören konnte. Die Lüge ließ mich erbeben. »Wir sprechen nicht gerne darüber, vor allem Mike nicht«, fügte ich hinzu und schnitt eine Grimasse. Erneut berührte ich ihren Arm. »Du bist eine der wenigen, denen ich das erzähle.«

»Das tut mir sehr leid«, flüsterte Julie zurück. Ich konnte ihr an den Augen ablesen, wie sich die Anteilnahme mit dem Stolz mischte, eine der Wenigen zu sein, die Bescheid wussten.

»Aber lass uns nicht darüber reden«, sagte ich und fächelte mir mit der Hand Luft zu. »Erzähl mir von dir.«

Während Julie sich in den Problemen ihrer wunden Brustwarzen erging, schob ich die Sonnenbrille wieder hoch, um zu verbergen, dass ich gar nicht zuhörte, sondern in Gedanken bei der Handlung meines neuesten Romans war.

Ein strenger Winter. Ein verschwundenes Mädchen. Ein wilder Mann. Eine Welt weit weg von hier.

Ach ja, das wäre schön.

»Selma!« Eine Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ärgerlich blickte ich auf, als eine rotgesichtige Frau in einem hellrosa Oberteil sich zwischen den Tischen hindurchdrängte. Sie gestikulierte wild, während ihr mürrischer Sohn ihr folgte.

Es war meine Kollegin Monica, die Büroleiterin, die jeden als beste Freundin ansah und alle, die zuhörten, mit intimen...

Erscheint lt. Verlag 18.11.2019
Übersetzer Hanne Hammer
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Lost Sister
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Beverly Jensen • Die Mitternachtsschwestern • dunkles Geheimnis • eBooks • Englische Küste • Familiengeheimnis • Familiensaga • Frauen • Frauen ab 60 • Frauenliteratur • Frauen Literatur • Frauenromane • geschenk ehefrau • Geschenk Frau • Geschenk Freundin • Geschenk Mutter • Geschenk Ostern • kleine geschenke für frauen • Klippen • Liebesromane • liebesromane deutsh • liebesromane, frauenromane, romantik • Lucinda Riley • Muttertag • Ostern Erwachsene • Ratzeputz • Romane für Frauen • Schwestern • Spanien • Starke Frauen • Verbotene Liebe
ISBN-10 3-641-24622-9 / 3641246229
ISBN-13 978-3-641-24622-8 / 9783641246228
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