London Fields (eBook)

(Autor)

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2019 | 1. Auflage
704 Seiten
Kein & Aber (Verlag)
978-3-0369-9415-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

London Fields -  Martin Amis
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Nicola Six kann in die Zukunft sehen und weiß daher, dass sie bald ermordet wird. Sie kennt den Zeitpunkt, sie kennt den Ort, sie kennt das Motiv, sie kennt die Umstände. Nur wer ihr Mörder ist, weiß sie nicht. Ein lustiger, genial-vielschichtiger Roman und ein Höhepunkt in dem beeindruckenden Werk von Martin Amis.

Martin Amis, geboren 1949 in Oxford, war einer der bedeutendsten englischen Gegenwartsautoren. Er ist der Verfasser von vierzehn Romanen, zwei Kurzgeschichtensammlungen und sechs Sachbüchern. Für sein Romandebüt Das Rachel-Tagebuch (1973) erhielt er den Somerset Maugham Award. Zu seinen bekanntesten Werken zählen weiterhin Gierig (1984), London Fields (1989), Interessengebiet (2015) und sein Essayband Im Vulkan (2018). Bei Kein & Aber erschien zuletzt sein autobiografischer Monumentalroman Inside Story (2022). Martin Amis starb 2023 in Lake Worth, Florida. 

Kapitel 1: Der Mörder


Keith Talent war ein Schlimmer. Keith Talent war ein ziemlich Schlimmer. Man könnte sogar sagen, dass er ein ganz Schlimmer war. Aber nicht der Schlimmste, nicht der Allerschlimmste überhaupt. Es gab durchaus Schlimmere. Wo? Dort im heißen Licht von CostCheck beispielsweise, mit Autoschlüsseln, beigem Trikothemd und einem Sechserpack Peculiar Brews, Handgemenge an der Tür, fiese Drohung und Ellbogen im schwarzen Genick der jammernden Frau, dann das Auto mit dem Rost und der wartenden Blondine, und auf zum nächsten Ding, egal was, egal was nötig ist. Der Mund dieser Schlimmsten – ihre Augen. Ein kleines, todernstes Universum in diesen Augen. Nein. So schlimm war Keith nicht. Manches sprach auch für ihn. Er hasste niemanden aus vorgefassten Gründen. Immerhin neigte er zum Multikulturellen – wenn auch gedankenlos, hilflos. Intime Begegnungen mit fehlfarbigen Frauen hatten ihn etwas gnädig gestimmt. Alles, was für ihn sprach, hatte einen Namen. Die ganzen Fetnabs und Fatimas, die er gekannt hatte, die Nketchis und Iqbalas, die Michikos und Boguslawas, die Ramsarwatees und Rajashwaris – in der Hinsicht war Keith ein Mann von Welt. Sie waren die Löcher in seinem rabenschwarzen Panzer: Gott segne sie alle.

Obwohl Keith fast alles an sich gefiel, hasste er seine versöhnlichen Züge. In seinen Augen stellten sie seinen einzigen größeren Mangel dar – seinen einzigen tragischen Makel. Als es so weit war, im Büro neben der Laderampe der Fabrik an der M 4 bei Bristol, das grobe Gesicht ins kratzige Nylon gezwängt, als die stolze Frau vor ihm den zitternden Kopf schüttelte und Chick Purchase und Dean Pleat beide Hau zu schrien, Hau zu (noch immer hatte er sie vor Augen, diese verzerrten Münder hinter dem Garn), da hatte Keith es eindeutig verpasst, sein volles Potenzial auszuschöpfen. Er hatte sich als unfähig erwiesen, die Asiatin auf die Knie zu knüppeln und weiterzuknüppeln, bis der Mann in der Uniform den Safe aufmachte. Warum hatte er versagt? Warum, Keith, warum? In Wahrheit war ihm alles andere als wohl gewesen: Die halbe Nacht in einer Seitenstraße in einem nach dem Fußschweiß rülpsender Verbrecher stinkenden Auto; kein Frühstück, kein Stuhlgang; und zu allem Übel dann noch grünes Gras, frische Bäume und wogende Hügel, wohin er auch blickte. Zudem hatte Chick Purchase da schon den zweiten Wachmann zum Krüppel gemacht, und Dean Pleat war bald darauf über den Schalter zurückgegrätscht und selbstgerecht mit dem Gewehrkolben auf die Frau losgegangen. Keith’ Gewissensbisse hatten also nichts geändert – bis auf seine Berufsaussichten in Sachen bewaffneter Raubüberfall. (Es ist hart ganz oben, wie auch ganz unten; hinfort war Keith’ Name besudelt.) Hätte er es gekonnt, er hätte es getan, mit Freuden. Aber er hatte einfach nicht … er hatte einfach nicht das Talent dazu.

Danach kehrte Keith dem bewaffneten Raubüberfall ein für alle Mal den Rücken. Er verlegte sich aufs Racketeering. Racketeering in London hieß, grob gesagt, um Drogen kämpfen; in dem Teil West-Londons, in dem Keith zu Hause war, hieß Racketeering, mit Schwarzen um Drogen kämpfen – und Schwarze kämpfen besser als Weiße, weil sie es, neben anderen Gründen, alle tun (da gibt es keine Zivilisten). Racketeering funktioniert durch Eskalation und Eskalationssteuerung: Erfolg haben diejenigen, die den Exponenzialsprung schaffen, diejenigen, die mit ihrer Gewalttätigkeit regelmäßig überraschen können. Keith brauchte etliche deftige Prügel und die ersten Anzeichen dafür, dass er Geschmack am Krankenhausessen fand, bevor er einsah, dass er fürs Racketeering nicht geschaffen war. Während einer seiner Genesungszeiten, die er größtenteils in den Straßenlokalen der Golborne Road zubrachte, beschäftigte Keith vor allem ein Rätsel. Das Rätsel war Folgendes: Wie kommt es, dass man so oft Schwarze mit weißen Mädels sieht (durchweg Blondinen, durchweg, vermutlich zur maximalen Kontraststeigerung), aber nie Weiße mit schwarzen Mädels? Verprügelten die Schwarzen die Weißen, die mit einem schwarzen Mädel gingen? Nein, oder nicht oft; doch man musste diskret sein, und seiner Erfahrung nach wurden nur selten längere Beziehungen eingegangen. Aber wie lief es dann? Ein Gedanke durchzuckte ihn wie ein Blitz. Die Schwarzen verprügelten die schwarzen Mädels, die mit Weißen gingen! Das wars. Auch viel einfacher. Er grübelte über die Weisheit, die darin lag, und zog eine Lehre daraus, die er tief im Innern schon lange begriffen hatte. Wenn du gewalttätig werden willst, dann halte dich an Frauen. Halt dich an die Schwachen. Keith gab das Racketeering auf. Er schlug ein neues Kapitel auf. Nachdem er dem Gewaltverbrechen abgeschworen hatte, prosperierte er und stieg stetig bis in die höchsten Höhen seiner neuen Profession: gewaltloses Verbrechen.

Keith arbeitete als Betrüger. Da steht er an der Straßenecke mit drei, vier Kollegen, drei, vier Betrüger-Kumpels; sie lachen und husten (sie husten immer) und schlagen mit den Armen, um sich aufzuwärmen; sie sehen aus wie üble Vögel … An guten Tagen stand er früh auf und riss lange Stunden ab, ging hinaus in die Welt, in die Gesellschaft, um sie zu betrügen. Keith betrog mit seinem Mietwagenservice an Flughäfen und Bahnhöfen; er betrog mit seinen falschen Düften und Parfüms an Straßenständen in Oxford Street und Bishopsgate (seine wichtigsten Kollektionen waren Scandal und Outrage); er betrog mit nichtpornografischer Pornografie im Hinterzimmer von kurzfristig gemieteten Läden, und er betrog überall auf der Straße mit dem umgedrehten Pappkarton oder Milchkasten und den drei krummen Karten: Finde die Dame! Dabei und gelegentlich auch anderswo war die Grenze zwischen Gewaltverbrechen und dessen gewaltlosem kleinem Bruder oft schwer auszumachen. Keith verdiente dreimal so viel wie die Premierministerin und hatte nie Geld, weil er im Mecca, dem Wettbüro in der Portobello Road, täglich schwere Verluste erlitt. Nie gewann er. Manchmal grübelte er darüber nach, nämlich jeden zweiten Donnerstag zur Mittagszeit, im Schaffellmantel, den Kopf über die Rennseite gebeugt, während er für sein Arbeitslosengeld anstand, und fuhr daraufhin trotzdem prompt wieder zum Wettbüro in die Portobello Road. So hätte Keith’ Leben über die Jahre dahingehen können. Das Zeug zum Mörder hatte er nicht, nicht von sich aus. Er brauchte seine Mordgeweihte. Die Ausländer, die karierten, hundszahnigen Amerikaner, die lüsternen, linsengesichtigen Japaner, die da steif über dem Pappkarton oder dem Milchkasten standen – nie fanden sie die Dame. Aber Keith. Keith fand sie.

Natürlich hatte er schon eine, die kleine Kath, die ihm unlängst ein Kind geschenkt hatte. Im Großen und Ganzen hatte Keith die Schwangerschaft begrüßt: Sie war, wie er gern witzelte, eine recht praktische neue Art, seine Frau ins Krankenhaus zu bringen. Er hatte entschieden, dass das Baby, wenn es kam, Keith heißen sollte – Keith Jr. Erstaunlicherweise hatte Kath andere Vorstellungen. Doch Keith blieb unbeugsam, er geriet nur einmal ins Wanken, als er kurz erwog, das Baby Clive zu nennen, nach seinem Hund, einem großen, älteren und unberechenbaren Schäferhund. Aber dann änderte er noch einmal seine Meinung; es sollte nun doch Keith heißen … In Blau gewickelt kam das Baby nach Hause, samt der Mutter. Keith half ihnen persönlich vom Krankenwagen ins Haus. Als Kath sich daranmachte, den Tisch zu decken, saß Keith vor dem gestohlenen Kaminfeuer und blickte den Neuankömmling stirnrunzelnd an. Etwas stimmte nicht mit dem Baby, etwas ganz Wesentliches. Das Dumme an dem Baby war, dass es ein Mädchen war. Keith blickte tief in sich hinein und sammelte sich. »Keithette«, hörte Kath ihn murmeln, während sie sich auf dem kalten Linoleum niederkniete. »Keithene. Keitha. Keithinia.«

»Nein, Keith«, sagte sie.

»Keithnab«, sagte Keith mit der Miene eines Mannes, dem langsam etwas dämmert. »Nkeithi.«

»Nein, Keith.«

»… Warum ist es so scheißgelb?«

Ein paar Tage später hatte Keith es aufgegeben, seine Frau zu beschimpfen, und klatschte sie auch nicht mehr sehr überzeugend an die Wand, wenn sie das Baby zaghaft mit »Kim« anredete. Schließlich hieß auch einer von Keith’ Helden, einer von Keith’ Göttern »Kim«. Und in jener Woche betrog Keith heftig, betrog jeden, wie es schien, und vor allem seine Frau. So blieb es also bei Kim Talent – Kim Talent, Klein-Kim.

Der Mann hatte Ehrgeiz. Sein Traum war es, ganz nach oben zu kommen; er kleckerte nicht. Er hatte weder die Absicht noch den Wunsch, den Rest seines Lebens Betrüger zu bleiben. Sogar er fand die Arbeit zermürbend. Und bloßes Betrügen würde ihm nie bringen, was er wollte, all die Waren und Dienstleistungen, nicht, solange ihm die Serie entscheidender Gewinne im Wettbüro weiter durch die Lappen ging. Er spürte, dass Keith Talent für ein bisschen was Besonderes gemacht war. Fairerweise muss gesagt werden, dass er einen Mord nicht im Sinn hatte, noch nicht, außer vielleicht in einer gespenstischen potentia, die allem Denken und Tun vorausgeht. … Charakter ist Bestimmung. Von diversen Friedensrichtern, Freundinnen und Bewährungshelfern hatte Keith oft genug zu hören bekommen, er habe einen »schlechten Charakter«, und das hatte er auch stets offen und gern zugegeben. Aber hieß das denn, dass ihm eine armselige Bestimmung blühte? … Wachte er einmal früh auf, etwa wenn Kath sich schwerfällig aus dem Bett wälzte, um die kleine Kim zu stillen, oder war er eingekeilt in einen...

Erscheint lt. Verlag 15.4.2019
Übersetzer Eike Schönfeld
Sprache deutsch
Original-Titel London Fields
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Darts • Femme fatale • London • Mord • Sex • Spannung • vorhersehung • Zukunft
ISBN-10 3-0369-9415-7 / 3036994157
ISBN-13 978-3-0369-9415-4 / 9783036994154
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