Ruhet in Friedberg (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
304 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-25228-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ruhet in Friedberg -  Rudolf Ruschel
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Österreich, Ende der 90er. Im Provinznest Friedberg, Heimat ewig gestriger Saufbrüder und anderer dubioser Gestalten, verplempern die unverbesserlichen Schlawiner Andi und Fipsi ihre Jugend. Doch ihr ruhiger Alltag als Aushilfen beim Bestatter endet jäh, als ein Bekannter zu Grabe getragen wird und sein Sarg scheinbar das Doppelte wiegt. Andi schöpft Verdacht: Will einer der Kollegen da etwas - oder jemanden - verschwinden lassen? Die Spur führt schnell zum cholerischen Vorarbeiter Macho - die Wahrheit ist aber weit schlimmer. Und kaum hat sich das ganze Ausmaß des Schlamassels gezeigt, häufen sich die Leichen und die Bestatter bekommen alle Hände voll zu tun...

Nominiert für den Glauser-Preis 2021 in der Kategorie 'Debüt-Kriminalroman'.

RUDOLF RUSCHEL, Jahrgang 1986, geboren und aufgewachsen in Niederösterreich. Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft in Wien, nebenbei Aushilfskraft bei einer Bestattung. Lebt heute als Autor und Texter in Hamburg. 'Ruhet in Friedberg' ist sein Debüt.

Kapitel Zwei


Was die Zeit begehrt


Hiermit möchte ich Ihnen und Ihrem

Der Cursor am Bildschirm hat sicher achtzig Mal geblinkt, bevor der Andi alles wieder gelöscht hat. Zum zehnten Mal.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte Ihnen hiermit mein Manuskript

Wieder Löschtaste. Kopfschütteln. Bildschirm starren.

Sehr geehrte Damen und Herren. Hiermit sende ich Ihrem Verlag ein Manuskript zu meinem Roman.

Cursorblinken. Überlegen. War das richtig: Ihrem Verlag? Der Epilogverlag ist ja nicht der Verlag von irgendeiner Person, sondern ein börsennotierter Gigant. Da kann man doch nicht einfach »Ihrem Verlag« schreiben, hat sich der Andi gedacht und seinen Blick quer durchs Zimmer wandern lassen, in der Hoffnung, dass ihn irgendwo die richtige Formulierung anspringt. Aber stattdessen sind ihm bloß lauter Dinge vom Fipsi entgegengesprungen. Überall sind Zettel und Geschichten von ihm herumgelegen. Mord hier, Mord da – sein ganzes Zimmer war voll davon. Und das hat er gerade überhaupt nicht gebrauchen können. Schon der kleinste Gedanke an ihn und seine Lügen, und sein Puls war auf 180.

Zur Beruhigung hat der Andi einen großen Schluck von seinem Lavendel-Melissen-Bachblütentee genommen, obwohl er eigentlich lieber etwas Gescheites für die Nerven gehabt hätte. Valium, Psychopax oder sonst irgendeinen Grauschleier-Kolorierer. Aber leider: Fehlanzeige. Daheim gab es nur noch Globuli, Schüsslersalze und linksdrehenden Kombucha.

Das gute Zeug ist vor langer Zeit aus dem Haus verbannt worden, weil blöde Geschichte: Die Mutter vom Andi hatte ihr Leben lang Unterleibsprobleme gehabt. Und da ohnehin schon fortgeschrittenes Semester und Familienplanung abgeschlossen, hat sie sich vom Onkel Doktor ausräumen lassen. Danach war alles anders: Hormonspiegel durcheinander, Wallungen, Depressionen – damit muss man erst einmal fertig werden, keine Frage und war dem Andi auch vollkommen klar. Aber manchmal hat er sich schon gefragt, ob die Ärzte damals nicht versehentlich das Hirn mit ausgeräumt haben.

Seit dieser Operation war die Mutter ein völlig anderer Mensch. Alles bio, alles öko, Jesuspatschen an und make the world a better place – tschakka! Normalerweise ist dem Andi ja egal, wenn einer so drauf ist. Soll ein jeder machen, wie er will, aber bitte: doch nicht die eigene Mutter.

Nicht einmal sonntags hat es mehr Schnitzel gegeben, nur noch Couscous und Tofu. Überall Waschnüsse statt Weichspüler, Dinkel statt Weizen, Energiesparlampen statt helle Räume, und seine ganzen Garfield-Comics hat sie auch gespendet, dem SOS-Kinderdorf. Wenn die gewusst hätte, wie viele Bilder von Nackerten zwischen den Garfields waren – da kommt Freude auf im Kinderdorf.

Und da sieht man mal wieder, wie Gutgemeintes auch nach hinten losgehen kann. So wie damals, als die Mutter vom Andi die ganze Stadt mit vertraulichen Dokumenten aus dem Gemeinderat zuplakatiert hat. Lohnlisten, Grundbucheinträge, Umwidmungen – so etwas fliegt daheim halt oft herum, wenn man einen Bürgermeister als Gatten hat. Sollte natürlich nicht so sein, eh klar, aber Arbeit nimmt sich ein jeder mal mit nach Hause. Man denkt ja auch nicht daran, dass die Frau Gemahlin alles in der Stadt verteilt. Und Schuld hat nur ihre ewige Papiersparerei. Da sammelt sie oft alle möglichen Zettel ein, die sie für Mist hält, und dann legt sie die wieder in den Drucker, weil die eine Seite ist ja noch unbedruckt, die ist ja noch gut. Und als sie damals die Handzettel zu ihrem Lach-Yoga-Seminar gedruckt und in jeden Briefkasten der Stadt geschmissen hat, waren auf der Rückseite eben die Lohnlisten.

Da hätte der Bürgermeister sie fast erschlagen, so außer sich war der. Und das Aufgeregte, das hat der Bürgermeister dem Andi vererbt. Der konnte sich auch schnell aufregen. Aber bitte, kein Wunder bei der Situation. Mafia, Leichen, Fipsi – da ist ein bisschen Aufregung natürlich völlig normal.

»Bzzz. Bzzz.«

Zweiter Anruf in Abwesenheit. Vali. Als ob er nicht schon genug am Hals gehabt hätte. Alles, was er wollte, war ein wenig Ruhe und Konzentration. Immerhin war das, was er da getippt und immer wieder gelöscht hat, das wichtigste Anschreiben seines Lebens.

Zwei Jahre lang hat er an dem Manuskript herumgedoktert. Zwei Jahre Blut und Schweiß geschwitzt, jedes Wort dreimal umgedreht, Sätze zerlegt, neu zusammengesetzt, Gedanken gefeilt und geschliffen. Und jetzt, endlich, war es fertig, sein Meisterwerk.

»Was die Zeit begehrt« erzählt die Geschichte eines jungen deutschen Anarchisten, der, vom spanischen Bürgerkrieg fasziniert, 1936 ein kontroverses Bühnenstück schreibt, jedoch kein passendes Theater dafür findet. Die Handlung ist aber gar nicht so wichtig, die Metaebene ist entscheidend. Die Suche nach dem richtigen Theater ist ein skurrilphilosophisches Gleichnis zum spanischen Bürgerkrieg selbst, in der barbarischen Willkür der Theaterintendanten zeichnet sich Niedergang und Aufruhr der damaligen Zivilisation ab, und die Figuren sind sowieso allesamt ein Kunstwerk für sich. Das muss man erst einmal schaffen, bei einem knappen Dutzend Protagonisten und 36 Nebencharakteren. Jede einzelne Figur ist verdichtete Poesie und wird mit einer unheimlichen Wortgewandtheit skizziert. Allein die fünfundzwanzigseitige Beschreibung des dänischen Industriellen, der in Kreuzworträtseln nach dem Sinn seines Lebens sucht, sprüht nur so vor sprachlicher Raffinesse. Das Buch hatte einfach alles: Esprit, Geist, historische Bedeutung und zweitausendachthundert Seiten. Jetzt fehlte nur noch der Verlag.

»Bzzz. Bzzz.«

Schon wieder Vali. Keine Zeit, hat der Andi zurückgetippt, und wollte sich schon wieder dem Anschreiben widmen, aber gleich darauf nochmal: »Bzzz. Bzzz.« Diesmal kein Anruf, sondern eine SMS. Und bei dem pikanten Inhalt hätte sein Handy eigentlich rot werden müssen.

Sehr geehrte Damen und Herren.

Hiermit übermittle ich Ihnen das Manuskript zu meinem Roman. Bitte um Rückmeldung, danke.

Fertig. Der Andi hat Manuskript und Anschreiben ausgedruckt, alles hastig in einen Umschlag gestopft, beschriftet und am Weg zu Vali in einen Briefkasten geschmissen. Manchmal braucht es halt nur die richtige Motivation, dann geht alles viel, viel schneller.

Österreicher nix gut


Die Vali ist vom Pfarrhaus-Putzkammerl raus auf den Gang und hat sich vorsichtig umgesehen: keine Spur vom Geri. Weil sonst auch niemand da war, hat sie den Mopp Mopp sein lassen, ein Foto vom Andi aus ihrer Geldbörse gefischt und es angeschmachtet.

Das hat sie geknipst, da ist er einmal neben ihr eingeschlafen gewesen. Sonst hat er immer sehr ernst gewirkt, kaum gelächelt, aber auf dieser Aufnahme schien er glücklich und zufrieden. Es war ihr liebstes Foto, und es war fast ihr einziges. Sonst gab es da nur noch ein altes Bild von ihr und Fipsi, aus der Zeit, als sie sich öfter gesehen hatten. Andere Fotos besaß sie nicht. Sie kannte einfach zu wenig Leute – kein Wunder, wenn einen die eigene Mutter abschirmt, als wäre man waffenfähiges Plutonium.

Aufstehen, Zähne putzen, frühstücken, mit der Mutter in die Arbeit fahren und am späten Nachmittag wieder abgeholt werden – das war ihr Alltag. Am Abend kein Kino, kein Ausgehen, kein Spaß und Halligalli, nix. Nur Briefe schreiben und telefonieren durfte sie, mit Verwandten und Cousinen aus dem Kosovo. Da war die Mutter genauso ein Sturschädel wie Andis Vater, nur umgekehrt, weil: Leute aus dem Kosovo gut, Leute aus Österreich nix gut, das hat sie immer gesagt. Dass Integration so schwer gelingen kann – eh klar –, aber die Familie Bajrami ist halt schon mit dem falschen Fuß ins Land gekommen.

Anfangs war es nämlich sehr schwer für die Frau Gülsah, so heißt die Mutter von der Vali, die ja eigentlich Valmira heißt, aber das ist dem Andi immer zu lang gewesen. Wie der Vater geheißen hat, weiß ich nicht, ist auch nicht so wichtig, weil gleich nachdem die Familie aus Albanien gekommen ist, ist der volée weiter in die Arme einer rüstigen Salzburger Frühpensionistin gereist und ward nicht mehr gesehen. Böse Zungen behaupten ja: kein Wunder bei der Gattin. Aber das hätte er sich vor dem Heiraten, dem Kind und dem Auswandern überlegen sollen, dass er dann doch lieber Beischlaf bei einer schrumpeligen Salzburger Nocken verrichtet.

Und jetzt, was tust du als alleinerziehende Mutter in Österreich? Ohne Mann, Job und Sprachkenntnisse und obendrein auch noch nicht mal von der Wasser-zu-Wein-Fraktion, sondern Sunnitin mit Kopftuch und allem, was dazugehört? Da machen ja die Leute oft ein Riesentamtam, besonders am Land. Aber Gott sei Dank, Kirche nicht so großes Tamtam, hat der Gülsah eine kleine Dreizimmerwohnung in der Gemeinde Gassein besorgt und sie in der dortigen Pfarre putzen lassen. Und kurz darauf ist die Vali auch als Putzkraft untergekommen, im schönen Örtchen Friedberg.

Aber mehr als putzen und vielleicht noch einkaufen war nicht drin für die Vali, da hat die Mama sehr die Hand draufgehabt. Weil wenn dir schon der Mann an eine Salzburger Runzelprinzessin verloren geht, dann willst du deine Tochter nicht auch noch an so einen Schluchtenscheißer verlieren; nein, die Gülsah hatte andere Pläne für ihre Tochter. Und während sie die Aluminiumrinne der Männertoilette im Jungscharlager geputzt hat oder die Beichtstühle mal wieder gebohnert werden mussten, dann war ihre einzige Aufmunterung der Gedanke an den Tag, an dem ihr Erspartes endlich ausreichen würde, um sich ein kleines Häuschen daheim im Kosovo kaufen zu können. Dort würde Vali einen sunnitischen Gatten bekommen, sunnitische Kinder,...

Erscheint lt. Verlag 10.2.2020
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bestatter • eBooks • Friedhof • Friedrich Glauser Nominierung • Glauser preis • Heimatkrimi • Josef Hader • Krimi • Krimi Humor • Kriminalromane • Krimi Neuerscheinung 2020 • Krimi Österreich • Krimis • Mafia • Österreich • Provinz • Schwarzer Humor • Wolf Haas
ISBN-10 3-641-25228-8 / 3641252288
ISBN-13 978-3-641-25228-1 / 9783641252281
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