Die Zeit der Erbin (eBook)

Roman
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2019 | 1. Auflage
864 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-25246-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Zeit der Erbin -  Penny Vincenzi
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England 1935: Cassia Tallow führt ein ruhiges Leben an der Seite ihres Ehemannes Edward, eines Landarztes, als ihre glamouröse Patentante Leonora ihr ein Vermögen hinterlässt. Der unverhoffte Glücksfall bringt Cassia nach London, geradewegs in die High Society - eine verführerische Welt voll dekadenter Feiern und früherer Liebhaber. Die finanzielle Unabhängigkeit gibt ihr Selbstvertrauen, und sie nimmt gegen den Willen ihres Mannes ihre Karriere als Ärztin wieder auf. Doch bald kommen Cassia Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Erbes - und alles, was sie sich erkämpft hat, steht auf dem Spiel ...

Penny Vincenzi (1939 - 2018) zählt zu Großbritanniens erfolgreichsten und beliebtesten Autorinnen. 1989 erschien ihr erster von insgesamt 20 Romanen, die sich weltweit über 4 Millionen Mal verkauften. Sie gilt als »Königin des modernen Blockbusters« (Glamour).

KAPITEL 1


Juni 1935


Cassia Tallow schrubbte gerade die Altarstufen, als sie erfuhr, dass sie eine halbe Million Pfund geerbt hatte. Später dachte sie oft, die Angelegenheit hätte so sehr aus einem Märchenbuch stammen können, dass sie ein Omen sein musste. Wäre sie einer ihrer üblichen Alltagsbeschäftigungen nachgegangen – die Kinder baden, den Garten pflegen, am Kopf der Tafel sitzen, den Terminkalender der Frauenvereinigung sichten oder eines der Hunderte von Telefonaten entgegennehmen, die jede Woche eintrafen, um ihren Mann an irgendein Krankenbett zu rufen –, hätte die Geschichte wohl nicht so einen Eindruck hinterlassen. Doch der Widerspruch zwischen diesen beiden Ereignissen, sie auf den Knien Steinstufen scheuernd, ach herrje, und zu hören, dass sie mit einem Mal unglaublich reich geworden war, war wirklich äußerst spannend und eines wahren Dramas würdig.

Natürlich war es nicht ganz so dramatisch verlaufen, wie sie es später in Erinnerung hatte. Edward war einfach mit Mr Brewster, dem Anwalt ihrer Taufpatin, in der Kirche erschienen, der ziemlich aufgelöst war, weil er sie mit seiner wichtigen Nachricht nicht zu Hause angetroffen hatte. Sie war tatsächlich mit ihm verabredet gewesen, hatte es allerdings vergessen. Und nun hatte Edward, wie immer verärgert über ihre Schusseligkeit, Mr Brewster zu ihr begleitet.

»Mr Brewster sagte, es sei von äußerster Wichtigkeit, dass er persönlich mit dir spricht und dir auch das Testament zeigt. Er ist den ganzen Weg aus London hergekommen. Ich finde deine Gedankenlosigkeit ziemlich bedauerlich«, tadelte Edward.

Cassia entschuldigte sich und setzte sich mit beiden Männern auf die Kirchenveranda. Mr Brewster war ein ungewöhnlich langweiliges Sinnbild von einem Anwalt, bekleidet mit einem dunkelgrauen Anzug, einer dunkelgrauen Krawatte und einer schwarzen Melone und mit einer recht mitgenommenen Aktentasche bewaffnet. Obwohl seine Stimme ebenso langweilig, monoton und leicht nasal klang, lauschte Cassia aufmerksam, als er ihr die bedeutendste Passage des Testaments vorlas und sie ihr ausführlich erklärte. Nachdem er fertig war, sie die bahnbrechenden Worte gehört hatte, erwiderte sie, sie habe alles verstanden. Ob sie sofort etwas unternehmen müsse, was er verneinte. Also fragte sie, ob es ihn störe, wenn sie die Treppe zu Ende putzte. Mr Brewster, der sich offenbar schon lange nicht mehr vom Verhalten seiner Mitmenschen, ganz gleich wie exzentrisch, aus der Ruhe bringen ließ, entgegnete, selbstverständlich nicht. Doch Edward folgte ihr den Mittelgang entlang und baute sich neben ihr auf, als sie erneut den Lappen auswrang.

»Du hast schon verstanden, was er dir gerade mitgeteilt hat, oder?«, sagte Edward. Cassia kauerte auf den Fersen und betrachtete ihn. »Ich meine den Betrag. Hast du richtig zugehört?«

»Ja. Ja natürlich. Danke.«

»Gut. Ich war nämlich nicht sicher. Deine Reaktion erscheint mir ein wenig … seltsam.«

»Tut mir leid, Edward. Was hast du denn von mir erwartet?« Sie lächelte ihn an. »Dass ich laut zu singen anfange oder vielleicht ein inniges Dankesgebet spreche?«

»Nein, natürlich nicht. Aber du wirkst so ruhig. Ich, nun, ich muss zugeben, dass ich mich nicht sehr ruhig fühle.«

»Entschuldige«, antwortete Cassia, obwohl sie nicht sicher war, wofür sie sich entschuldigte.

»Außerdem solltest du meiner Ansicht nach mit nach Hause kommen.«

»Warum die Eile? Ich sollte das hier erst noch fertig machen. Wirklich. Könntest du mit Mr Brewster nach Hause gehen und Peggy bitten, ihm einen Tee zu kochen? Ich bin gleich da.«

Edward starrte sie an, förderte sein Taschentuch zutage und putzte sich die Nase. Das tat er immer, wenn er nicht wusste, wie er sich verhalten sollte. »Cassia«, setzte er an, »ich frage mich wirklich, ob du dir dessen bewusst bist …«

»Edward, ich bin mir dessen bewusst. Vielen Dank. Ich habe eine halbe Million Pfund geerbt. Von meiner Patin. Aber das Geld läuft nicht weg, und Mrs Venables wird außer sich sein, wenn ich das hier nicht fertig mache. Morgen findet eine Hochzeit statt. Da Mr Brewster ohnehin schon einen weiten Weg hinter sich hat, hat er sicher nichts dagegen, noch etwa zehn Minuten zu warten.«

»Ja.« Edward musterte sie, als sei er nicht ganz sicher, wen er vor sich hatte, was im Moment sogar zutraf. »Ja, in Ordnung.« Er drehte sich um und kehrte rasch auf die Veranda zurück. Sie hörte ihn mit Mr Brewster sprechen. Dann verklangen ihre Schritte langsam auf dem Weg.

Cassia wrang den Lappen aus und wischte sorgfältig die Stufen ab, um bloß keine Schlieren zu hinterlassen. Anschließend brachte sie das schmutzige Wasser in die Sakristei und goss es ins Waschbecken.

Es war ein wunderschöner Tag, ein passend schöner Tag, dachte sie, als sie nach Hause schlenderte. Ihr nächster Gedanke lautete, wie albern es war zu erwarten, dass das Wetter mit dieser ungewöhnlichen Nachricht übereinstimmte. Hätte unjahreszeitgemäß Schmuddelwetter mit Regen und Wind geherrscht – oder vielleicht doch jahreszeitgemäß, denn sie hatten Juni und waren in England –, hätte das möglicherweise auch gepasst, denn dann hätte sie vorschlagen können, an einen sonnigen und warmen Ort zu verreisen. Zum Beispiel nach Südfrankreich. Das wäre sogar noch besser gewesen.

Cassia fragte sich, warum sie sich nicht merkwürdiger fühlte. Ob sie unter Schock stand – das stellte doch die eigenartigsten Dinge mit Menschen an, oder? Als sie in der Notaufnahme gearbeitet hatte, hatte sie Menschen mit abgetrennten Fingern oder Zehen gesehen, die ruhig auf den Arzt warteten oder mit ihrem Sitznachbarn über das Wetter plauderten. Andererseits hatte sie nicht den Eindruck, unter Schock zu stehen. Sie glaubte auch nicht, dass es sich bei der Nachricht um die Unwahrheit oder einen Irrtum handelte.

Mit was ließ sich ihr Zustand wohl vergleichen? Als sie erfuhr, dass sie mit überdurchschnittlich guten Noten ihr Abschlussexamen bestanden hatte? Nein, denn das hatte sie ihrem Fleiß und ihrer Klugheit zu verdanken. Als Edward sie gebeten hatte, ihn zu heiraten? Oder besser, als er ihrem Vater verkündet hatte, sie werde ihn heiraten? Nein, denn diese Situation hatte sich um einiges komplizierter dargestellt. Bei Berties Geburt? Oder sogar bei Williams? Nein, das war das pure, rauschhafte Glück gewesen, ganz anders als diese ruhige, gelassene Schicksalsergebenheit.

Vielleicht, als man ihr gesagt hatte, Delia sei ein Mädchen. Ein nettes, stilles kleines Mädchen, hatte sie gedacht, das sie durch die Glasscheibe anlächelte. Ein Unterschied zu den ungezogenen, lauten, geliebten kleinen Jungen. Ein Gefühl der schlichten, unkomplizierten Freude (natürlich ohne zu ahnen, dass Delia die Ungebärdigste von allen werden würde). Das kam der Sache schon ein wenig näher. Aber war es nicht falsch, die Geburt einer langersehnten Tochter in einem Atemzug mit einer großen Geldsumme zu nennen?

Cassia gab es auf. Es überstieg ihren Erfahrungsschatz – wie sollte es auch anders sein? Eigentlich empfand sie gar nichts, überhaupt nichts. Noch nicht.

Von St. Mary’s zu ihrem Haus war es ein hübscher Spaziergang. Es hieß Monks Ridge House, weil es auf einer Anhöhe über dem Dorf Monks Heath stand. Von hier oben hatte man einen Blick auf das kleine Tal, den gewundenen Fluss, die eng gedrängten Häuser rings um einen Dorfanger, wie aus dem Bilderbuch, und die Kirche dahinter. Gedrungen, aus Backstein und im frühen viktorianischen Stil erbaut, war es ein klassisches ländliches Haus in West Sussex mit einem sehr dunklen Schieferdach und einem ungewöhnlich hübschen Oberlicht über der Tür. Ganz gleich wie müde Cassia auch war, wie erschöpft von ihrer Unfähigkeit, die perfekte Arztgattin zu spielen, oder wie ärgerlich und besorgt wegen ihrer unartigen Kinder – wenn sie um die letzte Straßenecke bot und Monks Ridge sah, wurde ihr sofort wohler ums Herz. Es war, als würde man von einem Freund erwartet, der weder kritisierte noch forderte, sondern sich einfach über ihren Anblick freute. Da ansonsten alle nur Forderungen an sie stellten, empfand sie das Haus als ganz besonders beruhigend.

Cassia hatte sich auf Anhieb in das Haus verliebt. Edward hatte noch andere besichtigen wollen, doch sie hatte gewusst, dass das hier ihr Haus war. Wer hier einzieht, schien es zu sagen, wird nie in Schwierigkeiten geraten. Und das stimmte auch. Es war warm im Winter, kühl im Sommer, die Rohre froren nie ein, die Kaminfeuer brannten wunderbar, die Zimmer waren weder zu groß noch zu klein, und der Garten war freundlich und pflegeleicht.

Seitlich gab es einen großen Anbau, im letzten Regierungsjahr der alten Königin hinzugefügt und nicht sehr schön, der sich hervorragend als Praxis für Edward eignete. Außerdem hinten einen kleinen Wintergarten mit schwarz-weiß gefliestem Boden und Bogenfenstern, wo es Cassia gelungen war, eine Rankpflanze zu züchten. Wenn sie in Sommernächten nicht schlafen konnte (normalerweise, weil sie versuchte, ein schreiendes Baby zu beruhigen), saß sie dort in ihrem Schaukelstuhl und betrachtete die Sterne.

Cassia hatte die Sterne schon immer geliebt. Es war eine ihrer frühesten Erinnerungen: wie sie nachts an der Hand ihres Vaters im Garten stand, während er ihr das Sternenbild zeigte, nach dem sie benannt war. Obwohl sie es nie geschafft hatte, die Umrisse einer Dame zu sehen, die mit ausgestreckten Armen auf einem Stuhl saß, hatte sie, um ihm eine Freude zu machen, doch so getan, als ob. Außerdem gefiel ihr die Geschichte von Cassiopeia, die in den Himmel geschickt worden war, weil sie mit der Schönheit ihrer Tochter Andromeda geprahlt hatte.

Cassia hing...

Erscheint lt. Verlag 16.12.2019
Übersetzer Karin Dufner
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Windfall
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Ärztin • eBooks • Erbe • Erbin • Familiensaga • Frauenromane • glamourös • Historische Liebesromane • Historische Romane • Intrigen • Leidenschaft • Liebe • Liebesromane • Liebschaften • London • Lytton-Saga • Neuerscheinungen Bücher 2020 • Romane für Frauen • Starke Frau • Upperclass
ISBN-10 3-641-25246-6 / 3641252466
ISBN-13 978-3-641-25246-5 / 9783641252465
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