Lanny (eBook)

(Autor)

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2019 | 1. Auflage
224 Seiten
Kein & Aber (Verlag)
978-3-0369-9405-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Lanny -  Max Porter
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Ein kleines abgelegenes Dorf. Es gehört den Menschen, die dort leben, ihren Freuden und Sorgen, ihrem Alltag und ihren Legenden. Doch es gehört auch dem mythischen Altvater Schuppenwurz, der aus seinem Schlaf erwacht ist, dem dörflichen Treiben zusieht und lauscht, immer auf der Suche nach seiner Lieblingsstimme: der Stimme von Lanny. Der neue Roman von Max Porter ist eine bewegende Warnung davor, was wir zu verlieren haben, und eine Hymne an alles, was wir nie ganz verstehen werden.

Max Porter, 1981 geboren, studierte Kunstgeschichte und arbeitete jahrelang als unabhängiger Buchhändler und Lektor. Sein international gefeiertes Debüt Trauer ist das Ding mit Federn (2015) wurde u. a. mit dem International Dylan Thomas Prize und dem Europese Literatuurprijs ausgezeichnet. Mit Lanny (2019) stand Max Porter auf der Longlist des Booker Prize. Shy (2023) erreichte sofort nach Erscheinen Platz 1 der Sunday-Times-Bestsellerliste. Sein Werk wurde in über dreißig Sprachen übersetzt.

LANNYS DAD

Ich sitze in der City am Schreibtisch, und die Vorstellung, dass er eine Bahnstunde entfernt existiert, im Dorf seinen Tag beginnt, mit seinem andersartigen Gehirn herumspaziert, scheint fast unmöglich. Hier bei der Arbeit kann ich kaum glauben, dass wir ein Kind haben und dass das Lanny ist. Wären meine Eltern noch da, sie würden bestimmt sagen, Nein, Robert, du hast ihn geträumt. So sind Kinder nicht. Geh wieder ins Bett. Geh wieder an die Arbeit.

In seinem Zeugnis stand: »Lanny hat so viel Gemeinsinn. Er kann eine unbändige Klasse mit einem einzigen gut platzierten Witz oder einem Lied beruhigen.« Nüchtern betrachtet leuchtet das ein. Es klingt sehr nach Lanny. Aber woher hat er diese Gaben? Habe ich sie auch? Was oder wer soll den derart begabten Lanny an die Hand nehmen? Verdammt, das sind wir. Wer kriegt schon Kinder und wird nicht verrückt?

»Lanny ist sehr sprachbegabt, sein zum Weltbuchtag verfasstes Akrostichon Tarka der Otter wurde dem Schulleiter vorgelegt und mit einem goldenen Ulmensticker für herausragende Leistungen versehen.«

Bitte? Wovon redet ihr da? Ich will auch einen Sticker.

PETE

Das war in der Zeit, da ich vor allem Skelette toter Tiere sammelte und bearbeitete. Meist Vögel. Ich zerlegte sie, überzog sie mit Blattgold, setzte sie falsch wieder zusammen und hängte sie an Drahtgestelle. Kleine Mobiles fehlkonstruierter Vögel. Ich hatte rund ein Dutzend davon. Die Galerie brauchte was zum Ausstellen. Zum Verkaufen.

Ich machte auch Gipsabdrücke verschiedener Rinden. Die kombinierte ich mit Textfragmenten in Kästen. Und es gab Zeichnungen. Ein paar halbwegs anständige Drucke. Serien. Stille Sachen.

Eines Morgens kam sie ins Atelier und brachte mir einen Ast mit zwei perfekten Armen. Sie hatte von mir mal eine Holzskulptur gesehen.

Aus ein paar gelegentlich auf der Straße gewechselten Worten waren Stippvisiten geworden, ein-, zweimal die Woche auf eine Tasse Tee. Mal mit Lanny, mal allein. Sie wohnten erst ein oder zwei Jahre im Dorf.

Sie hatte einen grob gehauenen Mann von mir gesehen, einen Christus ohne Kreuz, und sie hatte in dem heruntergefallenen Ast die Möglichkeit eines zweiten erkannt.

Sehr aufmerksam, sagte ich.

Jederzeit, Pete, sagte sie.

Ich mochte sie. Konnte gut mit ihr reden. Warm, ein scharfes Auge. Ich zeigte ihr oft meine Arbeiten, und sie hatte Interessantes dazu zu sagen. Sie brachte mich zum Lachen, machte aber immer rechtzeitig den Abflug.

Schien zu spüren, wann mir nicht nach Gesellschaft war.

Sie war Schauspielerin, Bühne, dann ein bisschen Fernsehen. Dazu hatte sie gute Geschichten auf Lager. Zu den ganzen Arschlöchern im Betrieb. Nicht gerade meilenweit entfernt von der Kunstszene, wie ich sie kannte.

Die Schauspielerei fehlte ihr nicht, aber sie langweilte sich gelegentlich, wenn Lanny in der Schule war und ihr Mann in der Stadt. Sie schreibe ein Buch, sagte sie. Spannungsliteratur, einen Krimi.

Wahrscheinlich furchtbar brutal, sagte ich.

Ja, brutal und furchtbar, sagte sie, aber eben spannend.

Oft setzte sie sich zu mir, wenn ich arbeitete. Sie hatte der Galerie ohne mein Wissen eines meiner Werke abgekauft. Eines meiner guten Großreliefs. Ich sagte, wenn ich das gewusst hätte, hätte ich ihr einen Freundschaftspreis gemacht, und sie sagte, Eben, Pete.

Ich mochte sie.

Sie hantierte oft mit irgendwelchen herumliegenden Sachen.

Drähten. Einem Bleistift. Zweigen.

Nur zu, sagte ich einmal, mach was draus.

Oh nein, visuell bin ich hoffnungslos, sagte sie.

Und ich weiß noch, dass ich die Bemerkung seltsam und traurig fand.

Visuell hoffnungslos.

Das musste ihr irgendwer eingeredet haben.

Ich dachte an meine Mutter. Als sie noch sehr klein war, hatte ihr mal jemand gesagt, sie könne den Ton nicht halten. Also hat sie ihr Leben lang nicht gesungen oder gepfiffen. Ich kann nicht singen, sagte sie. Erst viel später, als sie tot war, begriff ich, was für ein Schwachsinn das war. Kann nicht singen.

Also sitzt sie an meinem Tisch und stupst an einem Häufchen zerbröselter Flechten herum, während wir über den monströsen Glaskasten sprechen, der auf Sheepridge Hill neu gebaut wird.

Ich beobachte sie.

Erst formt sie einen ordentlichen Haufen. Drückt ihn platt. Teilt ihn. Schiebt zwei Linien zurecht. Stupst sie in Abständen zusammen, bis sie eine kleine Reihe graugrüner Zähne erhält. Formt Ecken und säubert mit dem Fingernagel die Ränder, dann tupft sie mit der angefeuchteten Fingerkuppe ein gleichmäßiges Rund hinein.

Visuell hoffnungslos, sitzt aber da und verschiebt einen kleinen Haufen trockener Flechten zu einem halben Dutzend hübscher Formen, lässt geistesabwesend auf meinem Küchentisch Bilder entstehen.

Sie blickte hoch und sagte, sie weiß ja, dass ich zu tun habe, und weiß, dass ich berühmt bin, aber wenn das jetzt nicht komplett bescheuert ist, ob ich dem jungen Lanny nicht vielleicht ein paar Stunden geben könnte.

Kunstunterricht: So ein Bockmist, dachte ich.

Ich sagte ihr, sosehr ich den Jungen mag und unsere kleinen Unterhaltungen genieße, könnte ich mir nichts Schlimmeres vorstellen als Kunstunterricht.

Ich bin ein elender alter Eigenbrötler und kann kaum einen Bleistift halten, sagte ich.

Und sie lachte und sagte, Verstehe, und dann verdrückte sie sich auf ihre sympathische Art. Lichtempfänglich, könnte man es nennen. Von der Sorte, die dem Wetter ein klein wenig wesensverwandter ist als die meisten, viel eher aus denselben Feinstoffen gemacht als die meisten Menschen heutzutage. Was Lanny erklärt.

Also ging sie an jenem Morgen wieder, und ich saß da und atmete die Luft ihres Besuchs und dachte lange darüber nach, wie Frauen aufwachsen, was es heißt, in dieser Welt weiblich zu sein, und da fehlten mir meine Mutter und meine Schwester und andere Frauen, die ich gekannt habe, und ich belegte den Schädel eines Rotkehlchens vorsichtig mit winzigen Goldblättchen und summte »Old Sprig of Thyme« vor mich hin.

LANNYS MUM

Und da nun der Klang eines Lieds,

warmer kreatürlicher Atem,

und er schmiegt sich an mich, klettert auf meinen Schoß und knuddelt mich.

Ich sagte, Auftritt Lanny – Gesang und Kieferngeruch und andere Düfte.

Ich dachte, Bitte werde nie zu erwachsen zum Knuddeln, mein kleines geothermales Jüngelchen.

LANNYS DAD

Wenn ich um 7:21 fahre, entgeht mir ein Frühstück mit Lanny, dafür bleibt mir Carl Taylor erspart und ich kriege meist einen Sitzplatz. Wenn ich um 7:41 fahre, bekomme ich Lanny noch zu sehen, aber dann lauert mir Carl Taylor schon am Bahnsteig auf, und ich muss mir das Neueste über Susan Taylor und die schlauen Taylor-Töchter anhören und welche Fächer sie für den Sekundarstufenabschluss gewählt haben, und wir stehen dann meist eingekeilt zwischen fremden Achselhöhlen und einem Klappfahrrad, während Taylors Redeschwall sich mit der blechernen Musik aus jemandes Kopfhörer beißt.

Die Dorfstraße runter, mit gerade so viel Karacho in die Kuhle der Kreuzung, dass der Speckbauch schwabbelt, die Ghost Pilot Lane rauf, durch Ashcote durch. Ohne Traktoren schaffe ich es in unter zwanzig Minuten zum Bahnhof. Meine persönliche Bestzeit sind vierzehn. Wenn ich in der Ghost Pilot Lane etwas abbremse, sind vielleicht Rehe auf der Straße, dann halte ich kurz und beobachte sie. Oder ich hupe, um sie zu warnen, und erreiche siebzig, achtzig Meilen die Stunde, Fenster offen, um mich wach zu schocken. Warum sollte ich an dem Wagen nicht meine Freude haben, er war schließlich teuer genug und verbringt den Großteil seines Lebens als Park-and-Ride-Schlitten.

Manchmal, wenn ich schnell war, bleiben mir fünf Minuten auf dem Bahnhofsparkplatz, und dann rede ich mit meinem Gefährt. Danke, sage ich. Stets gern zu Diensten, Sir. Der war gut, Kumpel. Bukephalos, du Prachtstück, Inbegriff der Pferdestärken. Das nenne ich Pendeln. Dem Trott etwas abgewinnen, das sind die kleinen Kniffe des Teilzeit-Landbewohners. Mag seelentötend sein. Mag erbärmlich sein. Was weiß ich schon.

Über meinem Schreibtisch hängt eine Zeichnung von Lanny. Sie zeigt, wie ich im Cape über eine Skyline fliege, und darunter steht: »Wohin saust Dad Tag für Tag? Das weiß keiner.«

LANNYS MUM

Pete kam und klopfte bei uns an.

Bin grad der alten Peggy ohne Kreuzverhör entwischt.

Gratuliere, Pete, aber sie wird dich auf dem Heimweg abfangen. Sie fürchtet, jemand füttert die Rotmilane. Tee?

Er blickte auf seine Stiefel und zupfte sich am Bart.

Danke, nein. Hör mal. Ich habe gestern noch mal nachgedacht, als du weg warst. Ich bin ein alter Griesgram, aber dagegen kann man ja was tun. Vom Unterrichten versteh ich nichts, habe den Unterricht selbst immer gehasst. Aber wenn du meinst, dass Lanny vorbeikommen und in der Küche sitzen soll, Papier kriegen, mit mir zeichnen, mit mir darüber reden, was ich tue, warum nicht. Er ist ein prima Junge, und ich hätte gegen ein bisschen Gesellschaft nichts einzuwenden. Täte mir vielleicht gut. Wie wärs also montags oder mittwochs nach der Schule?

Ach, wie schön von dir, Pete. Dafür dürfen wir dir aber etwas geben.

Kommt überhaupt nicht infrage. Kannst du knicken, meine Liebe. Dein reicher Mann kann einen meiner fummeligen Goldvögel kaufen, wenn sie nächstes Jahr ausgestellt werden.

Nun, das ist sehr großzügig von dir. Lanny wird begeistert sein. Mittwochs wäre super.

Pete knirschte die Auffahrt hinab. Ohne sich umzudrehen,...

Erscheint lt. Verlag 11.3.2019
Übersetzer Uda Strätling, Matthias Göritz
Sprache deutsch
Original-Titel Lanny
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Eltern • Freundschaft • Isabel Bogdan • Künstler • Liebe • London • Trauer ist das Ding mit Federn • Wald
ISBN-10 3-0369-9405-X / 303699405X
ISBN-13 978-3-0369-9405-5 / 9783036994055
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