Großes Sommertheater (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
320 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43513-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Großes Sommertheater -  Frank Goldammer
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Das Familienroulette: Einer gibt den Löffel ab! Der alte, kranke und steinreiche Patriarch Joseph lädt die gesamte Familie in seine Villa an der Ostsee ein. Die Sonne brennt - doch die dicke Luft ist nicht nur der Hitze geschuldet. Josephs Söhne sind seit Jahren zerstritten, die Aussicht auf das Erbe lässt sie aber mit Kind und Kegel anreisen. Da trifft der biedere CDU-Mann Erwin aus Berlin auf den halbseidenen Harald aus Dresden. Uwe, das schwarze Schaf der Familie, hat - unfassbar! - eine attraktive Frau dabei. Die Gästeliste birgt also reichlich Zündstoff, die Stimmung kocht, die Ereignisse spitzen sich zu. Bis es, im wahrsten Sinne des Wortes, knallt.

Frank Goldammer, Jahrgang 1975, ist gelernter Handwerksmeister und begann schon früh mit dem Schreiben. Die Bände seiner historischen Kriminalromanreihe über den Dresdner Kommissar Max Heller landen regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Goldammer lebt mittlerweile als freier Autor in seiner Heimatstadt Dresden.

Frank Goldammer, Jahrgang 1975, ist gelernter Handwerksmeister und begann schon früh mit dem Schreiben. Die Bände seiner historischen Kriminalromanreihe über den Dresdner Kommissar Max Heller landen regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Goldammer lebt mittlerweile als freier Autor in seiner Heimatstadt Dresden.

1


Es ist genau so ein Tag, an dem der große schwarze BMW über die unbefestigte Straße durch ein Kiefernwäldchen schleicht. Er schaukelt wie ein Boot durch die von Wohnmobilen ausgefahrenen Wellen des Waldweges. Dieser BMW ist eines der ganz großen Modelle. Eines, nach denen man sich auf der Straße umsieht, weil er so teuer und selten ist und weil man als Normalsterblicher darüber staunt, dass es Menschen gibt, die sich einen solchen Wagen leisten können. Und weil man als dessen Besitzer niemanden vermutet, der sein Geld auf ehrliche Art und Weise verdient.

Staub wirbelt träge auf in der sommerlichen Hitze, Kiefernzapfen geraten unter die Räder und tauchen beinahe unversehrt wieder auf. Die nachmittägliche Sonne, die gelegentlich zwischen den Bäumen zum Vorschein kommt, reflektiert in den verschlossenen, grünlich getönten Scheiben des Wagens. Es riecht herrlich, nach Wald, Wärme und salzigem Wind. Doch abgeschirmt vor der Hitze, sitzen die Insassen in ihrem eigenen künstlichen Klima. Zwischen den Kiefern wächst ein dünner Grasteppich wie Velours, wäre man aufmerksam, hörte man ein paar Singvögel träge piepsen und die Wellen der Ostsee rauschen. Vom nahen Strand ertönt ein Möwenschrei.

Ein Sciurus vulgaris, ein Eichhörnchen, schaut aus etwa sechs Metern Höhe von einem Ast herab, wo es seinen Kobel hat. Es hat von den schwarzen Eichhörnchen gehört, die angeblich in die Reviere eindringen und die roten einheimischen Eichhörnchen vertreiben, doch das Ding da unten scheint keines zu sein. Ohnehin handelt es sich bei den schwarzen Eichhörnchen um Tiere derselben Art. Aber so ist es ja immer. Erst mal Panik machen.

Jetzt hält der Wagen an, schaukelt sacht auf seiner weichen Federung, die eigentlich dazu gebaut wurde, die Wageninsassen über die sanierungsbedürftigen Straßen Berlins schweben zu lassen. Die von ihm aufgewirbelte Staubwolke legt sich als feiner Film über den Lack.

Die Scheibe auf der Fahrerseite wird heruntergelassen, und der Fahrer wirft einen ungläubigen Blick auf das, was sein Navi ihm gerade befohlen hat: Biegen Sie jetzt links ab.

Von der Hauptstraße, die diesen Namen gar nicht verdient, zweigt ein Weg ab, kaum mehr als eine Doppelspur zwischen den Kiefern hindurch, und führt eine leichte Anhöhe hinauf. Zwischen den Bäumen schimmert etwas Weißes.

»Hier soll es sein?«, fragt der Fahrer. Der Mann ist sechzig, sein Haar ist dunkel, fast schwarz, ein wenig zu lang, nach hinten gekämmt und mit viel Gel fixiert. In Wirklichkeit ist sein Haar längst ergraut, und in Wirklichkeit hätte er wahrscheinlich gar nicht mehr so viele Haare auf dem Kopf. Doch mehrfache Haartransplantationen vertuschen die grausame Realität.

Der Fahrer des BMW ist groß und kräftig, jedoch nicht dick, eher massig. Ein Bär von einem Mann, wie es so schön heißt, und beinahe wirkt seine stattliche Erscheinung wie eine Legitimation, diesen Wagen zu fahren. Der Mann trägt einen dunkelroten Schlips auf weißem Hemd. Eine große spiegelnde Sonnenbrille amerikanisiert sein Gesicht, macht ihn zum Kleinstadtsheriff. Es fehlen nur der Cowboyhut und der goldene Sheriffstern.

Nun nimmt der Mann die Sonnenbrille ab, und die Illusion verliert sich sofort. Jetzt sieht er aus wie ein Mann, dessen Job viel Stress mit sich bringt und der es doch gewohnt ist, das Sagen zu haben. Unter seinen Augen haben sich in den letzten Jahren beachtliche Tränensäcke gebildet, und die Falten in seinem Gesicht kommen bestimmt nicht vom Lachen.

»Wirklich? Hier?«

»Weiß ich doch nicht.« Die blondierte Frau neben ihm ist seine Ehefrau, und sie ist skeptisch. So wie die Reifen des BMW an den Großstadtasphalt Berlins gewöhnt sind, so ist sie an das Leben in der Stadt angepasst. An das gute Leben, mit den Cafés, den Modeboutiquen, den Frauenfitnessstudios mit persönlichen Trainern, den Schönheitssalons und den Mittagessen ganz oben im KaDeWe, an das Penthouse mit Blick über die Stadt, mit Aufzug und Portier. Sie profitiert von der Stellung ihres Mannes und schämt sich nicht dafür. Das hat sie sich verdient, das steht ihr zu. Schließlich ist es auch nicht einfach, einen Mann wie ihn auszuhalten, psychisch und physisch.

Neben ihm wirkt die Frau klein und untersetzt, aber sorgfältig geschminkt und mondän frisiert. Morgen, weiß sie, würde ihr Haar nicht mehr so aussehen. Sie überlegt schon die ganze Fahrt über, welches Kostüm sie morgen wohl am Strand tragen wird und ob sie allein eingeladen waren oder ob (Gott bewahre) auch all die anderen kämen. Sie beugt sich ein wenig vor, um etwas sehen zu können, sieht aber auch nur grünen Rasenvelours, Kiefern und die Spur zwischen den Bäumen. Das Eichhörnchen sieht sie nicht. Sie zuckt mit den Schultern. Für die Navigation ist ihr Mann zuständig.

Der Mann kennt dieses Schulterzucken. Von dieser Seite kommt keine Hilfe. Er ist auch sonst Kummer gewohnt, denn er ist ein CDU-Mann und hat es als Senator nicht leicht in Berlin. Ein kleiner, eingeschworener Wählerkreis beschert ihm mit eigentlich beruhigender Regelmäßigkeit seinen Posten. Doch da er weder migriert noch homosexuell noch körperbehindert ist (das sagt er selbst gern am Stammtisch) und auch sonst unter keinerlei Artenschutz steht (das sagt seine Frau), gehört er im Berliner Senat zu einer Minorität und ist Angriffen von allen Seiten ausgesetzt. Ständig will man ihm etwas ankreiden, andauernd soll er seine Finanzen offenlegen, immerzu lauert ihm jemand auf, will Beweise dafür haben, dass er Steuergelder verschwendet, dass er gegen private Spenden Aufträge vergibt, dass er die Sache mit dem Flughafen verschlampt hat. Und zu allem Übel scheint jemand aus der eigenen Fraktion seit einigen Monaten belastende Unterlagen aus seinem Büro zu entwenden, um sie direkt der taz zu übergeben. Es ist nicht wirklich brisantes Material, eher so Denkspiele, Rechenexempel, Was-wäre-wenn-Skizzen, geänderte Bauunterlagen, nicht öffentlich ausgeschriebene Bauverträge, Geschenke. Was kann er überhaupt dafür, dass Bauunternehmer ihm Geschenke machten? Reisen, Hotelaufenthalte, Fahrräder, Kleinwagen. Es wäre ja unhöflich, stets alles abzulehnen.

Er hat nicht die geringste Ahnung, wer von seinen Leuten der Maulwurf sein könnte. Keinem von denen traut er das zu, keiner hätte wirklich Grund, ihm in den Rücken zu fallen. Aber jeder ist käuflich, weiß er, man muss ja nur seine Senatorenkollegen betrachten. Nein, niemandem kann er mehr trauen.

Noch einmal sieht er auf den kleinen Bildschirm mit dem großen roten Pfeil, der nach links deutet. Doch wenn man nicht einmal mehr seinem Navi Glauben schenken darf, wem denn dann? Kurz entschlossen schlägt er das Lenkrad ein, nimmt den Weg, die sanfte Steigung hinauf.

Ein Acheta domesticus, ein Heimchen, beginnt zu singen, indem es seine Schrillader unter dem rechten Flügel über die Schrillkante auf dem linken Flügel bewegt und somit das Stridulationsgeräusch verursacht. Als es bemerkt, dass es zu früh ist, zieht es sich beschämt zurück.

Nach etwa hundert Metern erreicht der BMW ein von Hecken umsäumtes Grundstück. Ein offenes schmiedeeisernes Tor zwischen zwei steinernen Pfosten, auf denen jeweils ein Löwe thront, wirkt einladend. Die Einfahrt ist ein Bett aus strahlend weißem Kies, der so sehr blendet, dass der Fahrer seine Brille wieder aufsetzen muss.

Wären es nicht die Räder des Wagens, könnte man meinen, seine Zähne knirschten im Zorn. Seine Kiefer mahlen, an der Schläfe schwellen die Adern. Er hält sich in dem großen Rondell rechts, fährt eine Viertelrunde und stoppt in sicherem Abstand zu der wirklich, wirklich großen Villa.

Der Fahrer, nennen wir ihn Erwin, schüttelt fassungslos den Kopf, beugt sich weit vor über das Lenkrad und lugt durch die Frontscheibe des BMW, um das Gebäude in seiner vollen Größe in Augenschein zu nehmen. Es gelingt ihm nicht ganz, denn zwei Türmchen mit Wetterfahnen recken sich eifrig in den blauen Himmel.

»Das kann nicht sein Ernst sein. Was der Alte sich nur dabei gedacht hat?«

Gisela, Erwins Frau, sieht aus dem Seitenfenster. Sie kann bis zu den Spitzen der Türmchen hinaufsehen. Ihr gefällt das Haus. Es trifft genau ihren Geschmack. Es hat nur einen entscheidenden Makel: Es ist nicht ihres.

»Ich hab es dir gesagt. Du hättest eher mit ihm reden sollen!«

Ja, das kann sie gut. Vorwürfe machen.

»Was denn reden?«, knurrt Erwin und kann seinen Blick nicht losreißen.

»Du weißt genau, was ich meine. Dass er deine Vormundschaft anerkennt, dass du über sein Vermögen verfügen kannst, ehe er in seiner Senilität alles verprasst!«

»Erstens: Es ist sein Geld«, sagt Erwin und denkt insgeheim etwas anderes, »und zweitens: Er ist nicht senil! Er mag zwar klapprig sein, aber hier«, Erwin tippt sich an die Stirn, »hier tickt noch alles richtig!«

»Du wirst sehen, wenn der mal den Löffel abgibt, ist nichts mehr da!«

»Mama!«, mahnt da eine junge Frau von der Mitte der Rückbank. Es ist Regina, die jüngere Tochter des Ehepaares. Sie ist siebenundzwanzig Jahre alt, auf die Entfernung sehr hübsch, schlank, dunkle Haare, dunkle Augen. Betrachtet man sie näher, wirkt sie abgekämpft, müde und schwitzt trotz der Klimaanlage. Stille Hysterie begleitet sie bei allem, was sie tut, und schon immer glaubt sie, dass immer alles schiefgehen wird. Das ist grundsätzlich gar keine schlechte Einstellung, vermeidet man so größere Enttäuschungen.

Das Schlimme daran ist, dass ihr Vater genau das Gleiche glaubt von seiner jüngeren Tochter und sie schon längst als hoffnungslosen Fall aufgegeben hat.

Regina wünscht...

Erscheint lt. Verlag 28.2.2019
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte erzwungene Versöhnung • Familienroman • Familientreffen • Gesellschaftssatire • Habgier • Ostsee • Rache • Schwarzer Humor
ISBN-10 3-423-43513-5 / 3423435135
ISBN-13 978-3-423-43513-0 / 9783423435130
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