Die Sparsholt-Affäre (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
544 Seiten
Blessing (Verlag)
978-3-641-22693-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Sparsholt-Affäre -  Alan Hollinghurst
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Im Oktober 1940 kommt der junge David Sparsholt nach Oxford. Der gut aussehende Athlet und Ruderer ist sich anfangs nicht der einnehmenden Wirkung bewusst, die er auf andere hat - besonders auf den einsamen und romantisch veranlagten Evert Dax, Sohn eines gefeierten Romanciers, der selbst literarische Ambitionen verfolgt. Während der Blitzkrieg London erschüttert, wird Oxford zu einem seltsamen Rückzugsort, an dem die Verdunkelung geheime Liebesbeziehungen verbirgt. Hier nimmt die Sparsholt-Affäre ihren Anfang, von der auch siebzig Jahre später noch ganz Großbritannien sprechen wird.

Alan Hollinghurst wurde 1954 in Stroud geboren. Er studierte in Oxford und arbeitete anschließend als Literaturkritiker für das Times Literary Supplement. Hollinghurst hat zahlreiche Preise erhalten, darunter den Sommerset Maugham Award und 2004 den Booker Prize für seinen Roman Die Schönheitslinie. Alan Hollinghurst lebt in London.

1

Der Abend, an dem wir den Namen Sparsholt zum ersten Mal hörten, scheint mir der beste Einstieg in diese Erinnerungen. Wir waren in meinen Räumen und sprachen über den Club. Peter Coyle, der Maler, war da, Charlie Farmonger und Evert Dax. Eine Art Abstimmung hatte stattgefunden, aus der ich als Schriftführer hervorgegangen war. Ich war ein Jahr älter, und da ich vom Militärdienst befreit war, tat ich nichts anderes als lesen. »Oh, Freddie liest zwei Bücher am Tag«, sagte Evert, was vielleicht sogar zutraf; ich widersprach, bei den Büchern auf Italienisch oder Russisch sei mein Lesetempo langsamer. Das war meine Rolle, und ich spielte sie mit der Überheblichkeit eines Schauspielschülers. Der Zweck des Clubs bestand allein darin, berühmte Schriftsteller dazu zu bewegen, vor uns zu sprechen und uns etwas aus ihren jüngsten Werken vorzutragen. Wir boten ihnen eine ordentliche Mahlzeit, damals ein riskantes Versprechen, und nach dem Essen ein Publikum eifriger junger Leser in einem vertäfelten Raum – dessen konnten wir sicher sein. Als die Bombardierungen anfingen, wollten viele Menschen wissen, was die Schriftsteller dazu meinten.

Charlie schlug jetzt Orwell vor; und zwei, drei Namen von Autoren, die wir vergangenes Jahr nicht hatten gewinnen können, machten erneut die Runde. Ob Stephen Spender wohl kommen würde, oder Rebecca West? Nancy Kent hatten wir bereits gebucht, zu uns über Spanien zu sprechen. Evert, auf seine unpraktische Art, erwähnte Auden, der sich in New York aufhielt und wohl kaum zurückkehren würde, solange der Krieg andauerte. (»Auf Nimmerwiedersehen«, wie Charlie bemerkte.) Es war Peter, der schließlich sagte – obwohl er wusste, wie sehr Evert hoffte, er würde es nicht tun: »Wir könnten Dax bitten, Victor einzuladen.« Alle Welt kannte Everts Vater unter dem Namen A.V. Dax, doch wir nahmen diese indirekte Nähe für uns in Anspruch.

Evert war bereits zum Fenster entwischt und schaute auf den Kolleghof hinaus. Es herrschte immer eine leichte Spannung zwischen ihm und Peter, der seine Freunde gern provozierte, gar in Verlegenheit brachte. »Ach, ich weiß nicht«, sagte Evert über die Schulter. »Im Moment ist alles etwas schwierig.«

»Das gilt hier für jeden«, sagte Charlie.

Evert stimmte höflich zu, obwohl seine Eltern in London geblieben waren, wo ein paar Nächte zuvor eine Bombe die Kirche am Ende ihrer Straße zum Einsturz gebracht hatte. »Ich fürchte nur, dass niemand kommen wird«, sagte er etwas ungehalten.

»Oh, keine Sorge, es wird schon jemand kommen«, sagte Charlie mit einem seltsamen Lächeln.

Evert sah sich um, appellierte an mich – »Oder was hältst du davon, dem Neuen, meine ich?«

Das Geschenk des Hermes, das mit der Schriftseite nach unten auf der Armlehne meines Sessels lag, hatte ich etwa zur Hälfte durch, und wenn ich auch nicht unbedingt feststeckte, wechselte ich doch bereits immer wieder zu etwas anderem. Es brachte meinen alltäglichen Rhythmus durcheinander, geradezu so, als müsste ich ein Buch in einer fremden Sprache bewältigen. Trotz des minderwertigen dünnen Papiers der damaligen Zeit war es ein dicker Band. »Wie du weißt, bin ich ein großer Bewunderer deines Vaters«, sagte ich.

Kurz darauf Peter, etwas herzlicher: »Ja, ich auch.« Er war ein echter Fan von A.V. Dax’ langen, symbolhaften Romanen, schätzte ihre starke Bildsprache, ihre eigentümliche Atmosphäre und Färbung und ihre komplexe Psychologie. »Ich komme nur langsam voran«, gestand er, »aber natürlich ist das neue Buch großartig.«

Charlie lachte hohl. »Sind gute Witze drin?«

»Eine völlig abwegige Frage«, sagte ich, »was die Romane von Dax betrifft.«

»Hast du ihn nicht gelesen?«, wollte Peter wissen und trat ans Fenster, um zu sehen, warum Evert hinausschaute.

Der arme Evert war nie über die ersten Seiten der Romane seines Vaters hinausgekommen. »Ich kann einfach nicht«, sagte er, »ich weiß nicht, warum …«, und wandte sich, als er Peter neben sich bemerkte, mit einem eigentümlichen Ausdruck im Gesicht wieder dem Raum zu.

Nach einem Moment sagte Peter: »Du liebe Güte! Hast du das gesehen, Dax?«

»Oh. Was?«, antwortete Evert, und ich vermochte die neue Verunsicherung von der vorherigen erst allmählich zu unterscheiden.

»Ist dir der Mann schon mal aufgefallen, Freddie?«

»Wer?« Ich eilte zu ihm. »Ach, du meinst wahrscheinlich den Exhibitionisten«, sagte ich.

»Nein. Jetzt ist er weg«, sagte Peter, der noch immer aus dem Fenster starrte. Ich stand Schulter an Schulter neben ihm und sah ebenfalls hinaus. In dem kurzen Moment zwischen Sonnenuntergang und Verdunklung konnte man in die Zimmer der anderen schauen. Einladend leuchteten jetzt hier und da Fenster auf, in denen sich tagsüber der Himmel gespiegelt hatte, und zeigten menschliche Gestalten bei der Arbeit oder wie sie hinter dem hellen Raster der Rahmen umhergingen. In der unmittelbar gegenüberliegenden Fensterreihe sah man den alten Sangster, einen blinden französischen Don, beim Tutorium mit einem jungen Mann, der so gleichgültig zuhörte, dass man meinen konnte, er schliefe gleich ein. Ein Stockwerk darüber, unter dem dunklen Horizont des Gesimses und dem breiten Giebeldreieck, brannte Licht in einem einzelnen Fenster, eine Schreibtischlampe warf einen strahlenden Bogen an Wand und Decke.

»Den habe ich kürzlich entdeckt«, sagte ich. »Er muss einer von den Neuen sein.« Peter wartete mit gespielter Geduld, und Evert, immer noch stirnrunzelnd, kam zurück und sah ebenfalls hinaus. Mittlerweile hatte ein Schatten angefangen, in rhythmischen Abständen an der fernen Zimmerdecke aufzuragen und wieder zu schrumpfen.

»Oh, ja, das ist er«, sagte Evert, als der Verursacher des Schattens in Sicht kam, eine Gestalt in einem glänzenden Trikot, die Hanteln hob und senkte. Der junge Mann tat dies konzentriert, scheinbar mühelos – doch natürlich war das schwer zu sagen auf die Entfernung, in der er sich zeigte, in einem Rechteck aus Licht, so kräftig und entrückt, als wäre er selbst aus Licht geformt. Peter legte eine Hand auf meinen Arm.

»Mein Lieber«, sagte er, »ich glaube, ich habe mein neues Modell gefunden.« Worauf Evert nach Luft schnappte und ihn sekundenlang wütend ansah.

»Dann halt dich ran«, sagte ich, denn heutzutage verschwanden neue Männer so schnell und unbemerkt, wie sie gekommen waren.

»Selbst du würdest diesen herrlichen Kopf bewundern, Freddie«, sagte Peter. »Wie ein römischer Gladiator. Und erst diese breiten Schultern! Siehst du, wie sich die blauen Adern auf seinen Oberarmen abzeichnen?«

»Nicht ohne mein Teleskop«, sagte ich.

Ich ging mit dem Kessel zum Wasserhahn auf dem Flur, als Jill Darrow gerade die Treppe hochkam. Sie hatte sich verspätet zu dem Treffen und hätte sich vielleicht auch gern an der Abstimmung beteiligt. Ich freute mich, dass sie da war, doch die Stimmung, die etwas Anrüchiges bekommen hatte, änderte sich, als sie den Raum betrat. Jill fehlte die Erfahrung von zehn Jahren Internat, die Sittenlosigkeit inbegriffen; ich möchte bezweifeln, dass sie jemals einen nackten Mann gesehen hatte. »Ah, Darrow«, sagte Charlie, erhob sich halb, sackte aber gleich wieder in seinen Stuhl, mit einer Ungezwungenheit, die schmeichelhaft sein mochte, oder auch nicht. »Wir wollen, dass Dax seinen Vater fragt«, sagte er, als sie den Mantel ablegte und in die Runde schaute. Ich machte mich ans Teekochen.

»Oh, verstehe«, sagte Jill. In Everts Anwesenheit hatten wir Hemmungen, uns freimütig über A.V. Dax zu äußern.

Evert, am Fenster, schien ihr Kommen gar nicht bemerkt zu haben. Er und Peter starrten noch immer hinauf zu dem Zimmer gegenüber. Ihre Rücken waren vielsagend; Peter, kleiner, dichtes, widerspenstiges Haar, in einem geflickten Tweedjackett, dem stets der chemisch anmutende Geruch seines Ateliers entströmte; Evert, gepflegt und zögerlich, ein streng erzogener Junge in einem ungewöhnlich guten Anzug, der das Vergnügen betrachtete wie etwas am anderen Ufer eines Flusses. »Was gibt es denn da eigentlich zu sehen?«, fragte Jill.

»Das ist nichts für dich«, wandte sich ihr Peter grinsend zu. Worauf sie umgehend selbst ans Fenster trat, dicht gefolgt von mir. Der Gladiator war immer noch zu sehen, nun allerdings mit dem Rücken zu uns, und er vollführte etwas mit einem Seil. Fast erleichtert stellte ich fest, dass die Scouts anfingen, ihre Runden zu machen. In einem Fenster nach dem anderen erschien nun eine kleine Gestalt in einem schwarzen Umhang, langte nach oben, um die Läden zu schließen, und entfernte alle Anzeichen von Leben. Sein Weg führte den Scout auch in Sangsters Räume, wo er, halb verdeckt von der länglichen Sichtblende, die er bis ins Schlafzimmer trug, nach ein paar Minuten wieder daraus hervortauchte, sich an den beiden Bewohnern vorbeischob, auf die Fensterbank kniete und für ein paar Sekunden neugierig nach draußen schaute, bevor er die hohen Läden schloss. Zur Abendessenszeit lag das große Gebäude aus Stein lichterlos wie eine Ruine da.

»Ah, Phil«, begrüßte Charlie meinen Scout, der hinter uns hereingekommen war, um auch bei mir zu verdunkeln.

Ich sagte streng: »Wissen Sie, wer dieser Knabe da drüben ist, Phil?«

Phil hatte in der Schlacht von Loos gekämpft und nach diesem früheren Krieg fünfzehn Jahre bei der Polizei von Oxford gedient. Er war leutselig und dem College treu ergeben, schien jedoch gelegentlich zu bereuen, dass er gegen Ende seines Lebens in einer Schürze herumlief, Staub wischte und Geschirr spülte für junge Männer, die zu disziplinieren er machtlos war. »Was sagten Sie, Sir?« Er lehnte die Blende an die Wand und kam eilfertig herbei, als hätte ich einen...

Erscheint lt. Verlag 11.3.2019
Übersetzer Thomas Stegers
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Sparsholt Affair
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Anspruchsvolle Literatur • Blitzkrieg • eBooks • England • Familiengeheimnis • Familiensaga • Generationenroman • Gesellschaftliche Veränderung • Henry James • Homosexualität • Ian McEwan • Julian Barnes • Kazuo Ishiguro • Künstlerroman • Kunst und Literatur • Liebe und Sexualtät • London • Man Booker Prize • Männerfreundschaft • Moderner Klassiker • Oxford • Queer • Roman • Romane • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-641-22693-7 / 3641226937
ISBN-13 978-3-641-22693-0 / 9783641226930
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