Das Dornental (eBook)

Roman

(Autor)

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2019 | 1. Auflage
496 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-21276-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Dornental -  Anna Romer
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Queensland: Nahe des Zeltplatzes in einem Wildpark findet die Journalistin Abby Bardot ein ohnmächtiges junges Mädchen. Abby fällt sofort deren Ähnlichkeit mit mehreren jungen Frauen auf, die vor einigen Jahren im selben Wildpark tot aufgefunden wurden. Die Fälle wurden nie aufgeklärt, der benachbarte Ort Gundara hüllt sich in Schweigen. Dann verschwindet das gerettete Mädchen spurlos, und Abby macht sich gemeinsam mit dem Krimiautor Tom auf die Suche nach ihr. Doch als beide in Toms Haus ein verborgenes Zimmer entdecken, wird Abby mit den Dämonen ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert ...

Anna Romer wuchs in New South Wales in einer Familie von Büchernarren und Geschichtenerzählern auf, weshalb sie sich schon früh für Literatur zu interessieren begann. Sie arbeitet als Grafikerin und hat lange Reisen ins australische Outback, nach Asien, Neuseeland, Europa und Amerika unternommen, wo sie viel Stoff sammelte, den sie in ihren Bildern und Texten verarbeitet. Bereits ihr erster Roman »Das Rosenholzzimmer« lebte von ihrer Faszination für vergessene Tagebücher und Briefe, dunkle Familiengeheimnisse und alte Häuser und ihrer Liebe zur einzigartig schönen australischen Landschaft. Die Autorin lebt in einem abgelegenen Landsitz im nördlichen New South Wales, wo sie an ihrem nächsten Roman schreibt.

Kapitel 1

Jeden Tag nahm ich mir eine andere Strecke vor. Ich brach vor dem Morgengrauen auf und joggte zuerst die vertraute Straße entlang. Wenn ich dann den Wald des Schutzgebietes am Stadtrand erreichte, stieg die Sonne gerade über den Horizont. Langsam wurde der Himmel heller, doch hier im Schatten der Bäume, die die Straße säumten, war es noch dunkel.

Ich verlor mich im Rhythmus. Nur mein leises Keuchen und das dumpfe Geräusch der Joggingschuhe auf dem Seitenstreifen waren zu hören. Zu dieser frühen Stunde herrschte kein Verkehr. Nicht einmal die Flötenvögel waren wach.

Als ich die Straße verließ und in den Feldweg einbog, der in den Wald führte, streiften klebrige Gräser meine Beine, und die Luft war feucht. Um die Bäume herum wuchs dichtes Unterholz, die Schatten wurden dunkler. Nach zehn Minuten hielt ich an, trank einen Schluck Wasser aus meiner Feldflasche und sah mich um.

Hier am Rand des Schutzgebietes scharten sich die Sprösslinge der Eukalyptusbäume zusammen, als suchten sie Schutz in der Menge. Ihre schlanken Stämme waren geschwärzt nach einem Waldbrand, der letztes Jahr hier gewütet hatte.

Tief im Innern des Waldes, wo ich heute hinwollte, erhoben sich die Stämme der gewaltigen Bäume aus dem Granitboden und standen wie Riesen entlang der Schlucht. Das Blackwater-Gorge-Schutzgebiet umfasste 20 000 Hektar zumeist unberührter Wildnis und wurde durch einen Fluss in zwei Hälften geteilt. Wegen der tiefen Schluchten und der hoch aufragenden Granitblöcke wagten sich nur die mutigsten Buschwanderer hierher.

Doch ohnehin verirrte sich nur selten jemand in diese Gegend.

Ich steckte meine Feldflasche in die Jackentasche zurück und lief weiter den Pfad entlang. Ich freute mich darauf, mein Ziel zu erreichen. Ein paar Kilometer weiter im Innern des Schutzgebietes würde ich den Hügel hinauflaufen, in eine Region, in der ich noch nie gewesen war. Sie war mit Teebäumen und Schwarzdornakazien derart zugewachsen, dass ich mir einen Weg hindurch erkämpfen musste. Jeans und Baumwolljacke waren normalerweise beim Joggen ziemlich unpraktisch, doch wenn ich durch die dichten Dornenbüsche lief, würde ich froh darüber sein.

Jetzt hatte ich fast schon den verlassenen Campingplatz erreicht.

Dieser Teil des Weges hatte sich mir ins Gedächtnis gebrannt. Ich erinnerte mich an jeden Baum oder Felsen. An die ausgewaschenen Hänge an einer Strecke des Pfades. Sie waren mir so vertraut wie mein eigenes Gesicht.

Doch als ich dann wirklich an dem alten Campingplatz ankam, hatte ich plötzlich das Gefühl, dass noch jemand hier war.

An dem von Unkraut überwucherten Grillplatz mit seinen windgeschützten Mäuerchen aus versengten Backsteinen und den in die Erde eingelassenen Feuerstellen blieb ich zögernd stehen.

Ganz ruhig, Abby, tief durchatmen.

Verstohlen tastete ich nach dem Pfefferspray in meiner Hosentasche. Ich nahm die Kappe ab, ohne die Umgebung aus den Augen zu lassen. Nichts rührte sich. Zumindest konnte ich durch mein plötzlich eingeschränktes Sehvermögen nichts erkennen. Mit trockenem Mund drehte ich mich langsam einmal um die eigene Achse. Als alles still blieb, atmete ich erleichtert auf und entspannte mich. Paranoia, alles nur Einbildung.

Dann sah ich die leuchtende Farbe.

Blut, dachte ich zuerst. Ein dicker Klumpen im Schatten eines hohen roten Eukalyptusbaumes. Ich biss die Zähne zusammen. Hatte hier jemand ein Känguru erlegt und gehäutet?

Zu rot. Und viel zu glänzend.

Ich steckte die Dose mit dem Pfefferspray wieder ein und lief hastig darauf zu.

Auf dem Boden lag ein Mädchen. Zusammengerollt wie ein Fötus, das Gesicht nach vorn gekippt. Aus einer Wunde an der Schläfe sickerte Blut. Es war in ihr langes braunes Haar geronnen und mit schmutzigem Laub und Erde verklebt. Sie trug eine zerfetzte, mit Pailletten bestickte rote Jacke, die hier im düsteren grünen Schatten des Busches völlig fehl am Platz wirkte.

Ich kniete vor ihr nieder, fasste sie an der Schulter und schüttelte sie sanft.

»Hey, wach auf.« Als sie sich nicht rührte, stieß ich sie am Arm an. »Du kannst hier nicht liegen bleiben. Du musst zum Arzt.«

Ihre Kleidung war schmutzig, und sie war barfuß. Ein dünnes Rinnsal von Blut sickerte aus einer Schnittwunde am Kiefer und verlor sich unter dem glänzenden roten Kragen. Es sah aus, als hätte sie die ganze Nacht hier gelegen. Sie roch weder nach Alkohol noch nach Pot, nur säuerlich nach Blut und Schweiß.

»Komm schon, Kleines, wach auf.« Ich stieß sie erneut an. »Kannst du mich hören?«

Noch immer keine Reaktion. Ich drehte vorsichtig ihren Kopf zur Seite, überprüfte ihren Atem und vergewisserte mich, dass Mund und Nase frei waren. Dann schob ich ihr Lid hoch und leuchtete mit der Taschenlampenfunktion meines iPhones ins Auge. Die Pupille zog sich normal zusammen, doch das Mädchen rührte sich nicht. Ich packte ihr Handgelenk und fühlte den Puls, er war gleichmäßig, aber die Haut war kalt und feucht, Hände und Knöchel waren aufgescheuert, einige Fingernägel mit Blut verkrustet.

Ich stand auf.

Wieder sah ich mich um, und da ich das Gefühl hatte, von wachsamen Augen beobachtet zu werden, rannte ich auf die Mitte des Campingplatzes zu und sprang auf den steinernen alten Picknicktisch. Der wackelte unter meinem Gewicht, als ich das iPhone nach oben hielt, doch es gab kein Signal, nicht einmal die SOS-Funktion funktionierte.

Ich lief zurück zu der Kleinen und kauerte mich neben sie.

Ich wollte sie nicht allein lassen. Aber einen Menschen, der am Kopf verletzt war, durfte man nicht bewegen. Vielleicht hatte sie eine Gehirnerschütterung oder etwas Ernsteres. Solange ich die Schwere ihrer Verletzung nicht kannte, konnte jede Bewegung irreparablen Schaden anrichten. Einen Gehirnschlag auslösen. Sie zum Krüppel machen. Sie umbringen. Bis zur Hauptstraße waren es einige Kilometer über einen holprigen Waldweg. Sie zu tragen oder huckepack zu nehmen kam also nicht infrage. Ich würde sie zurücklassen müssen, während ich Hilfe holte.

Hastig zog ich die Jeansjacke aus und stopfte sie um sie herum fest. Dann fiel mir noch etwas ein, ich nahm die Feldflasche aus der Tasche und stellte sie neben sie auf die Erde.

»Ich beeile mich, Schätzchen, Ehrenwort. Halt durch, bis ich zurück bin, okay?«

Ich sprang auf und taumelte rückwärts, ohne den Blick von ihr nehmen zu können. Dann riss ich mich los, halb keuchend, halb schluchzend, und rannte zur Hauptstraße.

Fünfundzwanzig Minuten vergingen, bis der Krankenwagen kam. Sonst fuhr kein einziger Wagen vorbei, sodass ich schon halb verrückt vor Angst war, als ich endlich den weißen Rettungswagen in der Ferne erkannte. Trotz der frischen Brise lief mir der Schweiß über die Rippen. Mein Atem ging stoßweise, während mir die Gedanken durch den Kopf schossen. Konnte es das sein, wovor ich mich am meisten fürchtete? Trieb sich nach zwanzig Jahren Abwesenheit erneut eine mörderische Bestie im Schutzgebiet herum? Oder erfand meine wilde Fantasie ihre eigenen Ungeheuer?

Mit rotierender Kennleuchte hielt der Rettungswagen neben mir an. Ich sprang hinein und lotste den Fahrer über den Feldweg bis zum Campingplatz. Während wir die mit Schlaglöchern übersäte Piste entlangholperten, erzählte ich den Sanitätern alles, woran ich mich erinnern konnte. Wie alt das Mädchen ungefähr war, was sie anhatte, beschrieb ihre Verletzungen.

»Sie hatte sich ganz zusammengerollt. Als wollte sie sich warm halten. Ihr armer Kopf. Und das Blut …«

Ich plapperte atemlos, ohne Punkt und Komma, zappelte unruhig, während mein Blick an dem Pfad vor uns klebte.

»Kennen Sie sie?«, fragte der Fahrer. »Ist sie aus der Gegend?«

Ich schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.«

Der Assistent pfiff durch die Zähne. »Und Sie gehen hier allein joggen?«

»Fast jeden Morgen.«

»Sind Sie aus Gundara?«, fragte der Fahrer und warf mir einen Blick zu. »Ich bin mir sicher, dass ich Sie irgendwoher kenne.«

Erst jetzt riss ich mich zusammen, richtete mich auf und musterte den Fahrer. Er war ein kräftiger Kerl, knapp über zwanzig, mit kantigem Gesicht und Bürstenhaarschnitt. Er kam mir bekannt vor, doch dieses Gefühl hatte ich bei fast jedem, der mir jetzt in den Straßen von Gundara über den Weg lief.

»Ich war eine Weile weg.«

Wir holperten über ein Schlagloch, der Fahrer fluchte, und der andere Sanitäter sah mich an.

»Hey, ich weiß, wer Sie sind. Duncans Schwester. Duncan Radley? Gail, stimmt’s? Abigail?«

»Inzwischen Abigail Bardot.« Ich zeigte ihm meinen Ehering. Obwohl ich seit Jahren geschieden war, trug ich ihn, um unerbetenes Interesse zu verhindern, und seit der Rückkehr nach Gundara, um lästigen Fragen nach dem Grund meiner Namensänderung aus dem Weg zu gehen. Ich wollte ihn schon fragen, woher er meinen Bruder kannte. Doch Duncan arbeitete halbtags als Pfleger im Krankenhaus, wahrscheinlich waren sie sich dort begegnet. In diesem Augenblick kam der Campingplatz in Sicht.

»Da!« Ich zeigte auf den großen Eukalyptusbaum. »Da drüben liegt sie.«

Als der Krankenwagen seine Fahrt verlangsamte, schob ich die Tür auf, sprang hinaus und lief über das unebene Gelände auf den Baum zu, wo ich das Mädchen zurückgelassen hatte. Ich drehte mich um die eigene Achse und suchte den Boden ab, meine Feldflasche war umgekippt. Ich drang etwas tiefer in den Wald ein, kehrte dann zum Campingplatz zurück und lief zu dem Grillplatz mit dem Backsteinmäuerchen. Ich durchsuchte jeden Winkel des verbrannten Inneren ab. Danach lief ich eine Runde um den Platz herum, suchte unter dem Gebüsch und hinter den...

Erscheint lt. Verlag 18.6.2019
Übersetzer Roberto Hollanda, Pociao
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Under the Midnight Sky
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Australien • Charlotte Link • eBooks • Familiengeheimnis • Familiensaga • Frauenroman • Frauenromane • Kate Morton • Liebesromane • Lucinda Riley • Queensland • Romane für Frauen • Schatten der Vergangenheit • Spannungsroman • tödliche Gefahr
ISBN-10 3-641-21276-6 / 3641212766
ISBN-13 978-3-641-21276-6 / 9783641212766
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