Die Hütte des Schäfers (eBook)

Roman

(Autor)

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2019 | 1. Auflage
304 Seiten
Luchterhand Literaturverlag
978-3-641-22324-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Hütte des Schäfers -  Tim Winton
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Ein aufwühlender, so brutaler wie zärtlicher Roman über einen jungen Mann auf der Suche nach seinem Leben. Jaxie Clackton hat Angst, nach Hause zu gehen, seit seine Mutter gestorben ist. Sein Vater bedeutet für ihn nur Ärger und Gewalt, und am liebsten wäre es ihm, wenn er auch tot wäre - dummerweise hat dem Jungen noch keiner gesagt, dass man mit seinen Wünschen vorsichtig sein soll. Mit 15 Jahren ist Jaxie nun allein auf der Welt, in einem öden Kaff in Westaustralien, und wahrscheinlich glaubt ihm keiner, dass er seinen Vater nicht selbst umgebracht hat. Also läuft er davon, weg von den Menschen, immer Richtung Norden, direkt hinein in die heiße, wasserlose Salzwüste, eine tödliche Gefahr für jeden, der sich dort nicht auskennt. Eine Tour, die nur Träumer und Gejagte wagen. Mitten im Nirgendwo, am Ende seiner Kräfte stößt Jaxie auf einen einsamen alten Mann in einer verlassenen Schäferhütte, und obwohl sein Leben von ihm abhängt, weiß er nicht, ob er ihm trauen kann ...



Tim Winton wurde 1960 in der Nähe von Perth, Westaustralien, geboren. Er hat zahlreiche Romane, Sach- und Kinderbücher sowie ein Theaterstück veröffentlicht und ist einer der erfolgreichsten Schriftsteller Australiens. Zweimal kam er auf die Shortlist des Man Booker Prize, und viermal erhielt er den Miles Franklin Award, den wichtigsten Literaturpreis Australiens. Seine Werke sind in zwölf Sprachen übersetzt, fast alles wurde für Bühne, Radio oder Film adaptiert. Tim Winton lebt mit seiner Familie in Westaustralien.

An dem Tag, an dem mein altes Leben endete, saß ich unter der Tribüne im Stadion, pflegte mein zugeschwollenes Auge und hasste den alten Drecksack, bis die Sonne unterging. Mum wurde immer sauer, wenn ich ihn hinter seinem Rücken so nannte. Captain Drecksack. Der Captain. Oder einfach nur Cap. Meinte, das wäre keine Art, über seinen Vater zu sprechen, aber mir war es egal. Dieser Eimer Hundekotze war uns beiden gegenüber ein Arschloch, und ich wünschte ihm den Tod. Und in dem Augenblick betete ich darum.

Meine Hände stanken nach Fleisch. Ich ballte sie zu Fäusten, hart und flach wie abgesägte Rinderwaden. Ich starrte sie an, bis kein Licht mehr da war, um sie zu sehen, aber das machte nichts, weil ich in meinem pochenden Schädel ein Hackbeil in der einen und ein Ausbeinmesser in der anderen sehen konnte, sie spüren konnte, als wären sie wirklich da. So saß ich unter der Tribüne und hielt diese eingebildeten Sachen umklammert, bis meine Arme sich verkrampften und ich hinaus musste in die Nacht, bevor ich noch einmal umkippte.

Im Freien war es kühler. Konnte nichts sehen außer den Lichtern der Stadt. In der Dunkelheit irgendwo am anderen Ende kickten ein paar Jungs einen Ball, nur Stimmen und harte Stöße, die mir Bammel machten. Ich wusste nicht, was ich tun, wohin ich gehen sollte. Hatte kein Geld. Ein bisschen Eis wäre gut. Gefrorenes Wasser, meine ich. Für das Auge, das schon halb zu war. Verdammte Scheiße, es war wie etwas, das mir seitlich aus dem Kopf herauswuchs.

Der Himmel war leer, ich hatte mehr Sterne gesehen, als er auf mich einprügelte, und ich versuchte, die Uhrzeit zu schätzen.

Davor, im Laden, kam ich in der Knochenkiste wieder zu mir. Mit dem Gesicht nach unten und belämmert, wachte ich in diesem schleimigen Haufen aus Schienbeinen und Knöcheln und Hühnergerippen auf, und im ersten Augenblick wusste ich nicht, wo ich war und wie ich hierhergekommen war. Aber ich kapierte es dann ziemlich schnell. Wo ich war? Natürlich in der Arbeit. Und wie ich ausgeknockt in der Kiste gelandet bin? Wie immer natürlich. Er gönnte einem nicht die Butter aufs Brot, der alte Captain, aber wenn’s darum ging, ein paar Schläge auszuteilen, wenn man nicht hinschaute, na, da war er wie der verdammte Weihnachtsmann.

Vorn im Laden hörte ich das Radio laufen. Und dieser zitronige Reinigungsgestank hing in der Luft. Es musste also nach Ladenschluss sein. Und jetzt muss er ganz allein die Schalen auswischen und den Boden abspritzen, der blöde Wichser. Keift den ganzen Nachmittag, was für ein fauler Schmarotzer ich bin, und sorgt dann dafür, dass er von mir keine Hilfe bekommen kann, wenn am meisten zu tun ist. Kein Wunder, dass er im Geschäft so riesigen Erfolg hat.

Ich schaute durch meine Knie hinaus und versuchte, auf die Füße zu kommen, aber Mann, das war eine ziemliche Aktion. Muss ein toller Anblick gewesen sein. Jaxie Clackton, der knallharte Draufgänger, dem die Jungs im ganzen Bezirk aus dem Weg gehen. Und jetzt müht er sich ab, aus diesem schmierigen Knochenhaufen rauszukrabbeln wie eine vergiftete Fliege. Was für eine Lachnummer. Doch am Ende schaffte ich es. Hielt mich an der Schlachtbank fest. Stieß mich von der schmuddeligen Wand ab. Stand dann einen Augenblick nur da, weil sich in meinem Kopf alles drehte. Wahrscheinlich japsend und glotzend wie ein Goldfisch. Und die ganze Zeit, gleich auf der anderen Seite der Trennwand, hinter der Tür und den versifften Fliegenfängern, schlabbert der Mopp und wird der Kübel über den Boden getreten, und der Cap keucht und schnaubt und brummelt vor sich hin, wie nutzlos ich bin und dass er mir schon Moral einprügeln wird. In Gedanken war ich da schon längst weg. Die Straße hoch und auf und davon. Aber es war, als würde ich alles mit halber Geschwindigkeit machen, in Zeitlupe abhauen. Und jeden Augenblick wird er jetzt durch die Tür kommen und mich am Ohr packen und mir noch ein paar mitgeben. Also habe ich mir gesagt, reiß dich zusammen und leg einen Zahn zu, nimm die Schürze ab und steig aus den blöden Metzgerstiefeln. Nicht ganz so einfach, nichts davon, nicht mit benebeltem Kopf und Wurstfingern. Aber ich schaffte es und schnappte mir meine Vans-Treter und mein Skateboard an der Hintertür und machte mich still und leise davon.

Draußen war die Luft warm und der Tag fast schon vorüber. Ich stierte durch die Schatten die Straße hinunter, und schon wenn ich die Augen nur ganz wenig zusammenkniff, tat es weh wie die Seuche. Als ich mein Gesicht berührte, fühlte es sich an wie ein Kürbis voller Rasierklingen. Und ich sollte erleichtert sein, dass ich davongekommen und draußen war, aber ich wusste nicht, wo ich hinsollte. Eigentlich wollte ich nur eine Tüte gefrorener Erbsen und ein Bett. Aber heimzugehen war zu gefährlich, bevor der Drecksack komplett abgefüllt war. Was einige Zeit dauern konnte. In der Arbeit war er den ganzen Tag besoffen, das war sein Normalzustand. Aber die volle Dröhnung, das erforderte ein paar Stunden harte Entspannung. Nach einem Schiss und vielleicht einer Dusche. Die Augenklappe abnehmen und in Unterhose einfach nur dasitzen. Die leere Augenhöhle zusammengezogen wie ein Katzenarsch. Sich eine Zweiliterflasche Cola aus dem Kühlschrank holen, die Hälfte ins Spülbecken kippen und sie mit Bundaberg Rum auffüllen.

Bringt also nichts, nach Hause zu gehen, bevor er seine Medizin genommen hat. Dann torkelt er durch die Gegend. Ist mal hier, mal dort. Im Schuppen. Oder auf der Terrasse, wo er zu den Weiden und den Eisenbahngleisen hinüberschaut. Meistens landet er in diesem großen Fernsehschaukelstuhl, völlig weggetreten, das Licht an, die Vorhänge offen. Und schnarcht so laut, dass die Fensterscheiben klappern. Was es einfach macht, sich auszurechnen, wann man in Aktion treten kann. Auf der dunklen Straße stehen bleiben. Durchs Fenster die Lage peilen. Beobachten, ob er wirklich hinüber ist. Dann durch die Hintertür rein. Einen Abstecher in die Küche riskieren. Und schnell ins Schlafzimmer. Die Tür zusperren. Den Schreibtisch davorschieben. Und ihn seinen Rausch ausschlafen lassen. Morgen ist ein neuer Tag. Was eigentlich nur derselbe elende Tag immer und immer wieder ist. Bis es so weit ist, kann ich nirgendwohin außer ins Football-Stadion. Deshalb war ich da oben und versteckte mich wie ein Mädchen. Die Raststätte war unsicher, der Pub versprach nur Probleme, deshalb musste ich mich unter der Tribüne verkriechen. So war’s. Und das habe ich getan. Ich atmete einmal tief durch und kroch wieder unter die Balken, wo alles voller Pappschachteln und Parisern und Jim-Beam-Cola-Dosen war.

Ich wartete bis nach Einbruch der Dunkelheit und dann noch ein paar Stunden. Ich traute mich nicht, mein Handy einzuschalten, um auf die Uhr zu schauen oder nachzusehen, ob ich Nachrichten hatte, das Licht verrät einen sofort, und diesen Fehler macht man nicht zweimal. Mir blieb nichts anderes übrig, als auf dem Arsch zu hocken und abzuwarten.

Ich stellte mir vor, wie er mit sich selber Glas um Glas kippte, als wäre er in einem Wettbewerb, wer in der Stadt sich am schnellsten ins Koma säuft. Sid Clackton, Bundy-Rum-Weltmeister. Captain Drecksack, Meistermetzger, Spezialist für totgefahrene Tiere, besoffener als jeder andere Mensch. Monktons Bester, was für ein mächtiger Held! Ich stellte mir vor, wie der schmierige Wichser sich eine Pfanne Würstchen brät und den Fernseher anschreit. Schau dir diesen Volltrottel an, halt dein Maul, wer ist diese hässliche Schlampe, das ist doch Blödsinn. Und so weiter und so fort. Man muss gar nicht dabei sein, um es zu hören. Und ich dachte mir, wenn das nur alles Gift sein könnte. Der Rum, das Bier, das Fleisch, die verdammte Luft, die er schnauft. Wenn er nur verrecken und mich in Frieden lassen könnte. Wenn’s einen Gott gibt, warum kann er nicht einmal was Richtiges tun und dieses Arschloch umbringen? Weil man doch nichts anderes will, als sich sicher zu fühlen. Frieden, mehr will ich gar nicht.

Na ja, das habe ich mir wenigstens eingeredet. Aber dieser Gedanke wurde alt. Ziemlich bald wollte ich selber ein paar Würstchen. Ich war hungrig wie ein Hai. Und eigentlich wollte ich zur Sperrstunde auch nicht mehr hier draußen sein, wenn die halbe Bar aufs Spielfeld ausschwärmte, um weiterzutrinken. Auf keinen Fall wollte ich es mit Fusel saufenden Schwarzen oder den Lehrlingen von John Deere zu tun bekommen. Ich hatte keine Kraft mehr zu kämpfen, also dachte ich mir, genug ist genug.

Ich kletterte unter der alten Holztribüne hervor und horchte, ob auf dem Oval irgendjemand war. Aber alles blieb still. Also klemmte ich mir das Skateboard unter den Arm und schlich mich bis zu den Bäumen am Spielfeldrand und wartete dort, bis die Straßenbeleuchtung anging und man Asphalt sah. Dann rollte ich auf Nebenstraßen nach Hause.

In unserer Straße war alles ziemlich ruhig. Ein paar Fenster, in denen Fernseher blitzten, aber draußen war niemand zu sehen, keine Paxtons, die auf der Veranda rauchten, keine Mrs Mahood, die mit dem Gartenschlauch dastand, wie sie es den ganzen Tag tut.

Unser Haus war dunkel, aber aus den offenen Türen des Schuppens drang Licht, und ich hörte das Radio. Einen Augenblick stand ich auf der Einfahrt, wo das Licht mich noch nicht erreichte, und versuchte, mich zu wappnen, weil ich dachte, lieber gehe ich jetzt rein, als dass er kommt und mich vor dem Kühlschrank findet. Bereit zu sein ist immer das Beste.

Ich ging zum Schuppen und blieb dann stehen. Eigentlich weiß ich gar nicht, warum. Ich schaute nur hinein. Sah zuerst nur seinen Pick-up. Dieses Regal an der Rückwand mit Campingausrüstung. Die große Kugellampe, die vom Dachbalken hing, mit ein paar Motten, die um sie herumflatterten. Ich dachte mir, vielleicht ist er da drin...

Erscheint lt. Verlag 8.7.2019
Übersetzer Klaus Berr
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Shepherd's Hut
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abenteuerroman • Angst • Ausreißer • Australien • eBooks • Einsamkeit • Expriester • Grausamkeit • Huckleberry Finn • Männlichkeit • Roman • Romane • Salzwüste • Überlebenskampf • Vertrauen • Weihnachtsgeschenke für Männer • Zärtlichkeit
ISBN-10 3-641-22324-5 / 3641223245
ISBN-13 978-3-641-22324-3 / 9783641223243
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