Drachenläufer (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
384 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491075-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Drachenläufer -  Khaled Hosseini
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Der Weltbestseller in neuer Ausstattung zum Neu- und Wiederentdecken! Afghanistan 1975: Der zwölfjährige Amir will unbedingt einen Wettbewerb im Drachensteigen gewinnen, um seinem Vater seine Stärke zu beweisen. Dazu braucht er die Hilfe von Hassan. Trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft verbindet die beiden Jungen eine innige Freundschaft. Bis am Tag des Wettkampfs diese von Amir auf schreckliche Weise verraten wird. Die Wege der beiden trennen sich, während das Land gleichzeitig seiner Zerstörung entgegengeht. Viele Jahre später kehrt der erwachsene Amir aus dem Ausland in seine Heimatstadt zurück, um seine Schuld zu tilgen. Doch Kabul hat sich seit damals sehr verändert. Die bewegende Geschichte einer Freundschaft zwischen Liebe und Verrat, Trennung und Wiedergutmachung vor dem Hintergrund der jüngsten Vergangenheit Afghanistans. »Ein kleines literarisches Wunder.« Werner Bloch, Die Tageszeitung »Ein großes Gleichnis über Schuld und Sühne und über die Kunst des Verzeihens.« Stefan Weidner, Frankfurter Allgemeine Zeitung

Khaled Hosseini schrieb die Romane »Drachenläufer«, »Tausend strahlende Sonnen« und »Traumsammler«. Sie erschienen in 70 Ländern und wurden Weltbestseller. Im August 2018 erschien bei S. Fischer die farbig illustrierte Erzählung »Am Abend vor dem Meer«. 1965 in Kabul geboren, ging Khaled Hosseini nach Einmarsch der Sowjets in Afghanistan mit seiner Familie ins Exil in die USA. Er studierte Medizin und arbeitete als Internist. Seit 2006 ist er Sonderbotschafter des UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, und gründete die Khaled Hosseini Foundation, die Menschen in Afghanistan humanitäre Hilfe bietet. Er lebt mit seiner Familie in Kalifornien. Mehr über seine Stiftung erfahren Sie auf www.khaledhosseinifoundation.org und www.khaledhosseini.com.

Khaled Hosseini schrieb die Romane »Drachenläufer«, »Tausend strahlende Sonnen« und »Traumsammler«. Sie erschienen in 70 Ländern und wurden Weltbestseller. Im August 2018 erschien bei S. Fischer die farbig illustrierte Erzählung »Am Abend vor dem Meer«. 1965 in Kabul geboren, ging Khaled Hosseini nach Einmarsch der Sowjets in Afghanistan mit seiner Familie ins Exil in die USA. Er studierte Medizin und arbeitete als Internist. Seit 2006 ist er Sonderbotschafter des UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, und gründete die Khaled Hosseini Foundation, die Menschen in Afghanistan humanitäre Hilfe bietet. Er lebt mit seiner Familie in Kalifornien. Mehr über seine Stiftung erfahren Sie auf www.khaledhosseinifoundation.org und www.khaledhosseini.com.

2


Als Kinder kletterten Hassan und ich auf die Pappeln entlang der Auffahrt zum Haus meines Vaters und ärgerten unsere Nachbarn, indem wir die Sonnenstrahlen mit einer Spiegelscherbe in ihre

Häuser reflektierten. Wir saßen mit baumelnden nackten Füßen auf zwei hohen Ästen einander gegenüber, die Taschen voller getrockneter Maulbeeren und Walnüsse, und wechselten uns mit dem Spiegel ab, während wir die Maulbeeren vertilgten und uns kichernd damit bewarfen. Ich sehe Hassan immer noch vor mir auf diesem Baum. Das durch die Blätter gefilterte Sonnenlicht schimmerte auf seinem beinahe perfekt gerundeten Gesicht, dem Gesicht einer chinesischen Puppe, aus Hartholz geschnitten: flache, breite Nase und schräge, schmale Augen, die an Bambusblätter erinnerten, Augen, die je nach Licht gold, grün oder sogar saphirblau glänzten. Ich sehe immer noch seine winzigen, tief am Kopf sitzenden Ohren und diesen spitzen Stummel von einem Kinn vor mir, der wie nachträglich angeklebt wirkte. Und den Spalt in der Oberlippe, direkt links neben der Einbuchtung, wo das Werkzeug des chinesischen Puppenmachers wohl abgerutscht sein musste – oder vielleicht war er auch einfach müde und nachlässig geworden.

Manchmal, wenn wir dort oben in den Bäumen saßen, überredete ich Hassan, mit seiner Schleuder Walnüsse auf den einäugigen deutschen Schäferhund unseres Nachbarn zu schießen. Hassan wollte das eigentlich nie, aber wenn ich ihn darum bat, ihn wirklich darum bat, konnte er es mir nicht abschlagen. Hassan schlug mir nie etwas ab. Und er war unglaublich treffsicher mit seiner Schleuder. Hassans Vater, Ali, erwischte uns für gewöhnlich dabei und wurde wütend – oder zumindest so wütend, wie jemand, der so sanft war wie Ali, eben werden konnte. Er drohte uns mit dem Finger und winkte uns vom Baum herunter. Dann nahm er uns den Spiegel ab und belehrte uns mit den Worten, die er von seiner Mutter kannte und die besagten, dass auch der Teufel mit Spiegeln blendete, sie dazu benutzte, Muslime vom Beten abzulenken. »Und er lacht dabei«, fügte er immer hinzu und bedachte seinen Sohn mit einem finsteren Blick.

»Ja, Vater«, murmelte Hassan dann und sah auf seine Füße hinunter. Aber er verriet mich nie. Verriet nie, dass der Spiegel ebenso wie das Schießen der Walnüsse auf den Nachbarhund immer meine Idee gewesen war.

Die Pappeln säumten die mit roten Ziegelsteinen gepflasterte Auffahrt, die zu dem schmiedeeisernen Flügeltor führte. Das Tor wiederum öffnete sich auf eine Verlängerung der Auffahrt, die Vaters Anwesen durchquerte. Das Haus befand sich auf der linken Seite des Weges, der Garten am Ende.

Alle waren sich einig, dass mein Vater, mein Baba, das schönste Haus im ganzen Wazir-Akbar-Khan-Viertel, einem neuen und wohlhabenden Stadtteil im Norden Kabuls, gebaut hatte. Manche hielten es sogar für das schönste Haus in ganz Kabul. Ein breiter, von Rosenbüschen flankierter Weg führte zu dem geräumigen Haus mit den Marmorböden und großen Fenstern. Mosaikfliesen mit komplizierten Mustern, von Baba sorgfältig in Isfahan ausgewählt, bedeckten die Böden der vier Badezimmer. Mit Goldfäden durchwirkte Gobelins, die Baba in Kalkutta gekauft hatte, zierten die Wände; ein kristallener Kronleuchter hing von der gewölbten Decke herab.

Oben befanden sich mein Zimmer, Babas Zimmer und sein Arbeitszimmer, auch »Rauchzimmer« genannt, in dem es ständig nach Tabak und Zimt roch. Nachdem Ali das Abendessen serviert hatte, ruhten sich in diesem Zimmer Baba und seine Freunde in schwarzen Ledersesseln aus. Sie stopften ihre Pfeifen – was Baba immer als »füttern« bezeichnete – und unterhielten sich über ihre drei Lieblingsthemen: Politik, Geschäfte und Fußball. Manchmal fragte ich Baba, ob ich bei ihnen sitzen dürfe, aber Baba blieb im Türrahmen stehen und sagte: »Jetzt geh nur. Diese Zeit gehört den Erwachsenen. Warum liest du nicht eins deiner Bücher?« Dann schloss er die Tür, und ich blieb zurück und fragte mich, warum seine Zeit immer nur den Erwachsenen vorbehalten war. Ich setzte mich neben die Tür und zog die Knie an die Brust. Manchmal saß ich eine ganze Stunde so da, manchmal auch zwei, und lauschte ihrem Lachen und ihrem Plaudern.

Im Wohnzimmer unten gab es eine halbrunde Wand mit speziell angefertigten Vitrinen. Darin standen gerahmte Familienfotos: ein altes, unscharfes Foto von meinem Großvater und König Nadir Shah, das 1931 gemacht worden war, zwei Jahre vor dem tödlichen Attentat auf den König; darauf sind sie mit einem toten Hirsch zu sehen, der vor ihren in kniehohen Stiefeln steckenden Füßen liegt, und über die Schulter haben sie Gewehre gehängt. Ein anderes Foto zeigte meine Eltern an ihrem Hochzeitsabend: ein schneidig aussehender Baba in einem schwarzen Anzug und meine Mutter, eine lächelnde junge Prinzessin in Weiß. Und da war Baba mit seinem besten Freund und Geschäftspartner, Rahim Khan. Die beiden stehen draußen vor unserem Haus. Keiner von ihnen lächelt. Ich bin auf diesem Foto noch ein Baby, und ein müder und grimmig dreinblickender Baba hält mich auf dem Arm, aber es ist Rahim Khans kleiner Finger, den ich mit meiner Hand umklammere.

Der halbrunden Wand folgend, gelangte man zum Esszimmer, in dessen Mitte ein Mahagonitisch stand, an dem leicht dreißig Gäste Platz fanden – und angesichts der Vorliebe meines Vaters für aufwändige Partys geschah das fast jede Woche. Am anderen Ende des Esszimmers befand sich ein großer marmorner Kamin.

Eine gläserne Schiebetür öffnete sich auf eine halbkreisförmige Terrasse, von der aus man einen knapp ein Hektar großen Garten und Kirschbaumreihen überblickte. Baba und Ali hatten entlang der östlichen Mauer einen kleinen Gemüsegarten angelegt, Tomaten, Minze, Paprika und eine Reihe Mais, der aber nie richtig gedieh. Hassan und ich hatten sie »Mauer des kränkelnden Maises« getauft.

Am südlichen Ende des Gartens, im Schatten eines Mispelbaumes, befand sich die Dienstbotenunterkunft, eine bescheidene, kleine Lehmhütte, wo Hassan mit seinem Vater lebte. Und dort, in dieser kleinen Hütte, war Hassan im Winter des Jahres 1963, nur ein Jahr nach dem Tod meiner Mutter, die bei meiner Geburt gestorben war, zur Welt gekommen.

 

In den achtzehn Jahren, die ich in dem Haus gelebt habe, habe ich Hassans und Alis Hütte nur rund ein Dutzend Mal betreten. Wenn die Sonne hinter den Hügeln versank und wir unser Spiel für den Tag beendet hatten, trennten sich unsere Wege. Ich ging an den Rosenbüschen vorbei auf Babas Villa zu und Hassan auf die Lehmhütte, in der er geboren war und in der er sein ganzes Leben gewohnt hatte. Ich weiß noch, dass sie spärlich eingerichtet und sauber war und von zwei Petroleumlampen beleuchtet wurde. Es gab zwei Matratzen auf gegenüberliegenden Seiten des Raumes, dazwischen lag ein abgetretener Herati-Teppich mit ausgefransten Rändern, und in einer Ecke standen ein dreibeiniger Stuhl und ein Holztisch, an dem Hassan seine Zeichnungen anfertigte. Die Wände waren nackt bis auf einen einzigen Wandteppich mit eingenähten Perlen, die die Worte Allah-u-akbar formten. Baba hatte ihn auf einer seiner Reisen nach Mashad für Ali gekauft.

In dieser kleinen Hütte schenkte Hassans Mutter, Sanaubar, ihm an einem kalten Wintertag des Jahres 1963 das Leben. Während meine Mutter bei meiner Geburt verblutete, verlor Hassan seine Mutter eine Woche nachdem er auf die Welt gekommen war. Er verlor sie an ein Schicksal, das für die meisten Afghanen viel schlimmer war als der Tod: Sie lief mit einer Truppe reisender Sänger und Tänzer davon.

Hassan sprach nie über seine Mutter, ganz so, als hätte sie niemals existiert. Ich habe mich immer gefragt, ob er wohl von ihr träumte, davon, wie sie aussah, wo sie lebte. Ich fragte mich, ob er sie gern wiedergesehen hätte. Ob er sich nach ihr sehnte, wie ich mich nach der Mutter sehnte, die ich nie gekannt hatte. Eines Tages, als wir vom Haus meines Vaters zum Zainab-Kino liefen, um uns einen neuen iranischen Film anzusehen, nahmen wir die Abkürzung über das Gelände der Militärkaserne nahe der Istiqlal-Mittelschule – Baba hatte uns verboten, diese Abkürzung zu nehmen, aber er war zu der Zeit mit Rahim Khan in Pakistan. Wir kletterten über den Zaun, der die Kaserne umgab, sprangen über einen kleinen Bach und machten uns daran, das offene Feld zu überqueren, auf dem alte, stehen gelassene Panzer verstaubten. Eine Gruppe von Soldaten kauerte im Schatten eines der Panzer, rauchte Zigaretten und spielte Karten. Einer der Soldaten sah uns, stieß dem Mann neben sich den Ellbogen in die Seite und rief zu Hassan hinüber: »He du! Ich kenne dich.«

Wir hatten ihn noch nie gesehen. Er war ein gedrungener Kerl mit rasiertem Kopf und schwarzen Stoppeln im Gesicht. Die Art und Weise, wie er uns angrinste – so anzüglich –, jagte mir Angst ein. »Geh einfach weiter«, raunte ich Hassan zu.

»Du da! Hazara! Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!«, kläffte der Soldat. Er reichte dem Mann neben ihm seine Zigarette und formte mit der Hand einen Kreis aus Daumen und Zeigefinger. Dann steckte er den Mittelfinger der anderen Hand durch den Kreis. Stieß ihn immer wieder hindurch. »Ich hab deine Mutter gekannt, wusstest du das? Und wie ich sie gekannt habe! Hab sie da drüben neben dem Bach von hinten genommen.«

Die Soldaten lachten. Einer von ihnen gab vor Vergnügen einen quiekenden Laut von sich. Ich riet Hassan weiterzugehen, bloß weiterzugehen.

»Was für eine enge, kleine, süße Muschi die hatte!«, sagte der Soldat und schüttelte grinsend die Hände seiner Kameraden. Später, im Dunkeln, als der Film begonnen hatte, hörte ich, wie Hassan neben mir schluchzte. Tränen...

Erscheint lt. Verlag 27.3.2019
Übersetzer Angelika Naujokat, Michael Windgassen
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Afghanistan • Am Abend vor dem Meer • Drachenläufer • Flüchtling • Freundschaft • Kabul • Khaled Hosseini • Schuld • Sea Prayer • Tausend strahlende Sonnen • Traumsammler • UNHCR • Verrat • Wiedergutmachung
ISBN-10 3-10-491075-8 / 3104910758
ISBN-13 978-3-10-491075-8 / 9783104910758
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