Ein einfaches Leben (eBook)

Roman | New York Times Bestseller und National Book Award Finalist

(Autor)

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2018 | 2. Auflage
512 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43492-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ein einfaches Leben -  Min Jin Lee
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»Eine überwältigende Geschichte über Widerstandsfähigkeit und Mitgefühl.« Barack Obama Sunja und ihre Söhne leben als koreanische Einwanderer in Japan wie Menschen zweiter Klasse. Während Sunja versucht, sich abzufinden, fordern Noa und Mozasu ihr Schicksal heraus. Der eine schafft es an die besten Universitäten des Landes, den anderen zieht es in die Spielhallen der kriminellen Unterwelt der Yakuza. Ein opulentes Familienepos über Loyalität und die Suche nach der eigenen Identität

Min Jin Lee wurde 1968 in Seoul/Südkorea geboren und immigrierte, als sie acht Jahre alt war, mit ihrer Familie in die USA. Sie hat in Yale studiert und vor der Veröffentlichung ihres ersten Romans als Anwältin gearbeitet. >Ein einfaches Leben< stand auf der Shortlist des National Book Award und auf allen Bestsellerlisten der USA. Min Jin Lee lebt in New York.

Min Jin Lee wurde 1968 in Seoul/Südkorea geboren und immigrierte, als sie acht Jahre alt war, mit ihrer Familie in die USA. Sie hat in Yale studiert und vor der Veröffentlichung ihres ersten Romans als Anwältin gearbeitet. ›Ein einfaches Leben‹ stand auf der Shortlist des National Book Award und auf allen Bestsellerlisten der USA. Min Jin Lee lebt in New York.

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Yeongdo, Busan, Korea

Die Geschichte hat uns im Stich gelassen, aber was macht das schon.

Um die Jahrhundertwende beschlossen ein älterer Fischer und seine Frau, Mieter aufzunehmen, um etwas hinzuzuverdienen. Die beiden waren in dem Fischerdorf Yeongdo auf der gleichnamigen fünf Meilen breiten Halbinsel vor der Hafenstadt Busan geboren und aufgewachsen. In ihrer langen Ehe gebar die Frau drei Söhne, von denen nur Hoonie, der älteste und schwächste, überlebte. Hoonie kam mit einer Gaumenspalte und einem verkrüppelten Fuß zur Welt, doch er hatte breite Schultern, einen kräftigen Körperbau und eine leuchtende Gesichtshaut. Auch als junger Mann blieb ihm das sanfte, nachdenkliche Wesen erhalten, das er als Kind gehabt hatte. Wenn Hoonie seinen entstellten Mund mit der Hand bedeckte, was er gewohnheitsmäßig tat, wenn er Fremde traf, ähnelte er seinem freundlich aussehenden Vater, denn sie beide hatten große, strahlende Augen. Er hatte pechschwarze Augenbrauen und eine dauerhaft gebräunte Haut von der Arbeit im Freien. Wie seine Eltern war auch Hoonie kein geschickter Redner, und manch einer kam irrtümlich zu dem Schluss, dass es ihm, weil er nicht flüssig sprach, an Verstand mangelte, doch das war nicht der Fall.

Im Jahr 1910, als Hoonie siebenundzwanzig Jahre alt war, wurde Korea von Japan annektiert. Der Fischer und seine Frau, sparsame und zählebige Bauern, ließen sich nicht ablenken von inkompetenten Adeligen und korrupten Herrschern, die ihr Land an Diebe verloren hatten. Als die Miete für ihr Haus wieder einmal erhöht wurde, gaben sie ihr Schlafzimmer auf und schliefen in dem Vorraum, der von der Küche abging, um noch mehr Logiergäste aufnehmen zu können.

Das Holzhaus, in dem sie seit über drei Jahrzehnten zur Miete wohnten, war mit einer Fläche von knapp fünfzig Quadratmetern nicht groß. Papierene Schiebetüren teilten das Innere in drei bequeme Zimmer, und der Fischer selbst hatte das undichte Glasdach durch rötliche Tonziegel ersetzt, was seinem Vermieter, der prunkvoll in einer Villa in Busan lebte, zupass kam. Mit der Zeit wurde die Küche in einen Anbau im Gemüsegarten verlegt, damit die großen Kochtöpfe und die faltbaren Esstische, die an der gemauerten Außenwand an Haken hingen, Platz hatten.

Sein Vater bestand darauf, dass Hoonie bei dem Dorflehrer in beiden Sprachen, Koreanisch und Japanisch, genügend lesen und schreiben lernte, damit er das Hauptbuch des Logierbetriebs führen konnte, gut im Kopfrechnen war und auf dem Markt nicht betrogen wurde. Nachdem er das gelernt hatte, nahmen seine Eltern ihn aus der Schule. Als Jugendlicher arbeitete Hoonie beinahe ebenso gut wie ein erwachsener Mann mit zwei gesunden Beinen; er war geschickt mit den Händen und konnte schwere Lasten tragen, aber schnell gehen oder gar laufen konnte er nicht. Hoonie und sein Vater waren im Dorf dafür bekannt, dass sie niemals Wein tranken. Der Fischer und seine Frau zogen ihren einzigen Sohn, den Dorfkrüppel, zu einem klugen und fleißigen Mann heran, denn sie wussten nicht, wer sich seiner annehmen würde, wenn sie einmal tot waren.

Wenn es möglich war, dass zwei Eheleute ein und dasselbe Herz teilten, dann war Hoonie dieses stetig schlagende Organ. Ihre anderen Söhne hatten sie verloren – der Jüngste starb an Masern, und der Mittlere, ein Tunichtgut, wurde in einem unsinnigen Unfall von einem Bullen aufgespießt. Außer, dass Hoonie zur Schule und zum Markt ging, behielt das alte Ehepaar ihn nah bei sich, und als Hoonie ein junger Mann war, musste er zu Hause bleiben und sich um seine Eltern kümmern. Ihrem Sohn etwas abzuschlagen, wäre ihnen unerträglich gewesen, doch sie liebten ihn zu sehr, als dass sie ihn verwöhnten. Die Bauern wussten, dass ein verzärtelter Sohn in einer Familie mehr Schaden anrichten konnte als ein toter, und achteten darauf, ihm nicht zu sehr nachzugeben.

Andere Familien im Land waren nicht mit derart vernünftigen Eltern gesegnet, und wie es in Ländern, die von Angreifern oder von der Natur hart gebeutelt werden, nicht ungewöhnlich ist, war das Leben der Schwachen – der Alten, der Witwen und Waisen – auf der kolonialisierten Halbinsel so verzweifelt wie eh und je. Für jeden Haushalt, wo das Essen für einen mehr reichte, gab es Massen von Menschen, die bereit waren, einen ganzen Tag für eine Schüssel Gerstenbrei zu arbeiten.

Im Frühling 1911, zwei Wochen vor Hoonies achtundzwanzigstem Geburtstag, kam die rotwangige Ehevermittlerin aus der Stadt und suchte Hoonies Mutter auf.

Hoonies Mutter ging mit der Ehevermittlerin in die Küche; sie mussten sich leise unterhalten, weil in den vorderen Zimmern die Logiergäste schliefen. Es war später Vormittag, und die Bewohner, die über Nacht mit den Fischerbooten draußen gewesen waren, hatten ihr warmes Essen gegessen, sich gewaschen und schlafen gelegt. Hoonies Mutter gab der Ehevermittlerin eine Tasse kalten Gerstentee, unterbrach aber ihre Arbeit nicht.

Natürlich ahnte die Mutter, was die Frau wollte, aber sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Hoonie hatte seine Eltern nie um eine Ehefrau gebeten. Es war undenkbar, dass eine anständige Familie ihre Tochter einen Menschen mit körperlichen Gebrechen heiraten lassen würde, denn solche Missbildungen traten in der nächsten Generation unvermeidlich wieder auf. Sie hatte ihren Sohn nie mit einem Mädchen sprechen sehen; die meisten Dorfmädchen mieden ihn, und Hoonie war zu klug, um sich etwas zu wünschen, das er nicht haben konnte – jeder in seiner Situation hätte seine Wünsche den Umständen angepasst.

Das komische kleine Gesicht der Ehevermittlerin war rundlich und rosa. Ihre schwarzen Kieselsteinaugen sprangen aufmerksam umher, und sie achtete darauf, nur freundliche Dinge zu sagen. Sie leckte sich die Lippen, als hätte sie Durst. Hoonies Mutter hatte das Gefühl, dass die Frau sie beobachtete und jede Einzelheit im Haus registrierte und die Küche mit ihren wachen Augen ausmaß.

Die Ehevermittlerin hingegen hätte große Mühe gehabt, Hoonies Mutter einzuschätzen, eine stille Frau, die von morgens bis abends arbeitete und alles erledigte, was für diesen und den nächsten Tag nötig war. Sie ging nur selten zum Markt, weil sie für nutzlose Plauderei keine Zeit hatte, und schickte stattdessen Hoonie zum Einkaufen. Während die Ehevermittlerin sprach, blieb der Mund der Mutter still und unbewegt, ein bisschen wie der solide Kieferntisch, auf dem sie die Radieschen in Würfel schnitt.

Die Ehevermittlerin schnitt das Thema als Erste an. Sicher, da war das Pech mit dem Fuß und der gespaltenen Lippe, aber Hoonie war offensichtlich ein guter Junge – gebildet und stark wie ein Joch Ochsen! Hoonies Mutter sei mit einem so feinen Sohn gesegnet, sagte die Ehevermittlerin. Sie machte ihre eigenen Kinder schlecht: Keiner ihrer Jungen sei belesen oder an Handel interessiert, dennoch seien sie nicht missraten. Ihre Tochter habe zu früh geheiratet und wohne jetzt zu weit entfernt. Alle führten gute Ehen, so die Einschätzung der Ehevermittlerin, aber ihre Söhne seien träge. Ganz anders dagegen Hoonie. Nach dieser Ansprache betrachtete die Ehevermittlerin die Frau mit der olivbraunen Haut, deren Gesicht unbewegt blieb, und versuchte zu erkennen, ob sich Interesse regte.

Hoonies Mutter hielt den Kopf gesenkt und führte das Messer mit Geschick – jeder Radieschenwürfel war glatt und präzise geschnitten. Als sich ein stattlicher Haufen weißer Würfel auf dem Schneidebrett angesammelt hatte, kippte sie ihn mit einer einzigen Bewegung in die Schüssel. Hoonies Mutter hörte den Worten der Ehevermittlerin so genau zu, dass sie insgeheim befürchtete, gleich vor Anspannung zu zittern.

Um die finanzielle Lage des Haushalts einzuschätzen, hatte die Ehevermittlerin das Haus umrundet, bevor sie hereingekommen war. Der äußere Eindruck bestätigte das, was die Nachbarn über die Lage sagten, nämlich, dass sie solide sei. Im Gemüsegarten konnten die weißen Radieschen, die nach dem ersten Frühlingsregen dick und rund geworden waren, aus der braunen Erde gezogen werden. Schellfisch und Tintenfisch hingen ordentlich an einer Wäscheleine zum Trocknen in der milden Frühlingssonne. Neben dem Schuppen war ein gemauerter Stall mit drei schwarzen Schweinen. Die Ehevermittlerin zählte sieben Hühner und einen Hahn im Garten. Im Haus selbst war der Wohlstand der Familie noch offensichtlicher.

In der Küche standen Stapel von Reis- und Suppenschalen auf stabilen Borden, und von den Deckenbalken hingen Zöpfe mit weißem Knoblauch und roten Chilischoten. In der Ecke neben dem Waschbecken stand ein großer geflochtener Korb voller frisch ausgegrabener Kartoffeln. Das behagliche Aroma von Gerste und Hirse, die in dem schwarzen Dampfkochtopf garten, zog durch das kleine Haus.

Nachdem sich die Ehevermittlerin von der soliden Lage des Logierhauses in einem zunehmend in die Armut abgleitenden Land überzeugt hatte, glaubte sie, dass auch Hoonie ein gesundes Mädchen zur Frau haben konnte, und wagte den nächsten Schritt.

Das Mädchen war von der anderen Seite der Insel, jenseits des dichten Walds. Ihr Vater war Pachtbauer, einer von vielen, die im Zuge der kürzlich von den Kolonialherren durchgeführten Landvermessungen seinen Pachtvertrag verloren hatte. Der Witwer, der mit vier Töchtern geschlagen war und keine Söhne hatte, konnte seine Familie nur von dem ernähren, was er im Wald sammelte, von den Fischen, die er nicht verkaufen konnte, oder von den gelegentlichen barmherzigen Gaben seiner ähnlich wie er verarmten Nachbarn. Der Vater, ein anständiger Mann, hatte die Ehevermittlerin gebeten, Ehemänner für seine unverheirateten Töchter zu finden, denn es war besser, dass noch unberührte Frauen heirateten, ganz gleich wen,...

Erscheint lt. Verlag 21.9.2018
Übersetzer Susanne Höbel
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abraham Verghese • Anpassung • Apple TV+ • Ausgrenzung • Buchverfilmung • Diskriminierung • Einwanderer • Entrechtung • Familienepos • Familiengeschichte • Familienroman • Familiensaga • Frauenroman • Free Food for Millionaires • Geschichte Japans • Geschichte Koreas • Gesellschaftsroman • Glücksspielautomaten • Integration • japanische Gesellschaft • Khaled Hosseini • koreanische Diaspora • koreanische Einwanderer • Minderheit • National Book Award • Osaka • pachinko • Pachinko-Hallen • Passing Novel • Rassismus • Roman Familie • Roman Japan • Roman Korea • Serien-Adaption • Soziale Identität • Sozialer Aufstieg • Spielhallen • Vorurteile • Yakuza • Youn Yuh-Jung • Zainichi • Zugehörigkeit
ISBN-10 3-423-43492-9 / 3423434929
ISBN-13 978-3-423-43492-8 / 9783423434928
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