Honolulu King (eBook)

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2018 | 1. Auflage
450 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-76007-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Honolulu King -  Anne-Gine Goemans
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Hardy Hardy, Betreiber eines indonesischen Imbiss' in Haarlem, hat mit seinen fast achtzig Jahren schon jede Menge erlebt: als Elfjähriger musste er auf Java mit ansehen, wie Unabhängigkeitskämpfer seine Familie ermordeten. Einen Trost fand er als Erwachsener in der Hawaii-Musik, bei seiner Band »Honolulu Kings« - und bei seiner Frau Christina, einer bildschönen Holländerin, der Liebe seines Lebens. Doch während sie immer tiefer in der Demenz versinkt, tritt seine eigene Vergangenheit zunehmend klarer ans Licht: Blieben die Morde an seiner Familie doch nicht ungesühnt? Hat Hardy sich gar selbst mit Schuld beladen? Er kann dem, was geschehen ist, nicht entfliehen, und muss sich den Dämonen seiner eigenen Geschichte stellen.
Ein großer Roman über das, was war und was bleibt - und über ein außergewöhnliches Leben, bevölkert von Figuren, die dem Leser ans Herz wachsen.


<p>Anne-Gine Goemans, geboren 1971, veröffentlichte 2008 ihren preisgekrönten Debütroman <em>Ziekzoekers</em>. Sie erhielt den Anton-Wachter-Preis für das beste niederländische Debüt und stand auf der Longlist für den renommierten Libris-Literaturpreis. Für ihren zweiten Roman <em>Gleitflug </em>wurde sie 2012 mit dem Dioraphte-Jugendliteraturpreis und dem M-Pionier-Preis für junge Autor*innen ausgezeichnet. Der Roman wurde in mehrere Sprachen übersetzt. <em>Honolulu King</em> wurde bei Erscheinen in den Niederlanden zum Bestseller, die Filmrechte wurden bereits verkauft. Goemans lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in Spaarndam und arbeitet derzeit an ihrem vierten Roman.</p>

Anne-Gine Goemans, geboren 1971, veröffentlichte 2008 ihren preisgekrönten Debütroman Ziekzoekers. Sie erhielt den Anton-Wachter-Preis für das beste niederländische Debüt und stand auf der Longlist für den renommierten Libris-Literaturpreis. Für ihren zweiten Roman Gleitflug wurde sie 2012 mit dem Dioraphte-Jugendliteraturpreis und dem M-Pionier-Preis für junge Autor*innen ausgezeichnet. Der Roman wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Honolulu King wurde bei Erscheinen in den Niederlanden zum Bestseller, die Filmrechte wurden bereits verkauft. Goemans lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in Spaarndam und arbeitet derzeit an ihrem vierten Roman.

1


Wie hieß doch gleich der Mann, der die Gefängniskatze gegessen hat? Das ist die Frage, und es spielt keine Rolle, welcher der drei Freunde sie stellt oder wie sie auf das Thema kommen. Es geht um den Nachnamen, und nichts anderes interessiert an diesem Frühlingsmorgen im Toko Hardy.

»Er heißt Brouwer«, sagt George. »Sure as hell. Er und seine Kameraden haben die Katze gefressen, aus Not. Sie hungerten und waren verzweifelt.« Aufs Sofa gefläzt, schaut er seine beiden Freunde mit dem typischen George-Blick an. Trotz seiner einundachtzig Jahre und der schlechten Augen macht er noch einen genauso selbstsicheren Eindruck wie vor gut einem halben Jahrhundert, als die Honolulu Kings vor vollen Sälen spielten. Fünf junge Männer mit Saiteninstrumenten auf der Bühne, alle fünf indonesisch-niederländischer Herkunft, nur dass George weniger wie ein Indo als wie ein Afrikaner aussah. Wie Nelson Mandela, um genau zu sein.

»Meiner Ansicht nach hieß er anders«, sagt Cok und hustet über einem Behälter mit Hühnerfilet-Stücken. Er sitzt am Tisch und schiebt das Fleisch auf Satéspieße. »Ich sehe ihn noch genau vor mir. Ein dürres Männchen mit unglaublich großen Füßen … Verbeek! Verbeek aus Batavia hat die Gefängniskatze gegessen! Das war seine Rettung. Die Japse hatten den Gefangenen befohlen, ihren Kot abzuliefern, wegen Verdacht auf Grubenwurm. Aber es gab nichts zu kacken, weil sie nichts zu fressen bekamen. Ohne Essen keine Kacke.«

Zufrieden zieht Cok an seiner Nelkenzigarette, dann stülpt er die Lippen vor, so dass Rauch durch die Zwischenräume der Zahnprothese entweicht. »Da hat Verbeek seinen Kot, die Überreste der Gefängniskatze, unter seinen Kameraden verteilt. Denn wer nichts ablieferte, bekam Schläge.«

George schüttelt den Kopf. »Du täuschst dich. Der Mann heißt Brouwer.«

»Verbeek«, bekräftigt Cok.

Cok sieht merkwürdig aus, findet Hardy. Wie er da so sitzt mit seinem viel zu weißen und zu großen neuen Gebiss, ähnelt er mehr einem Hai als einem achtundsiebzigjährigen Mann. Das liegt auch an seiner Haut. Sie ist so straff wie bei einem braunen Hai.

»Hardy? Was meinst du?«, fragt Cok, während etwas Asche aufs Hühnerfilet fällt. »Brouwer oder Verbeek?«

Hardy erhebt sich langsam aus seinem Sessel und zieht sein Hemd mit den dynamischen weißen Kringeln glatt. »Wir tracen ihn«, sagt er auf dem Weg zu den Regalen, die den Imbiss und den Wohnzimmerbereich gegeneinander abgrenzen. Viel mehr als eine Vitrinentheke mit indonesischen Gerichten und Zutaten und ein paar kleine Tische gibt es im Toko nicht. Hardy entnimmt einem der Regale eine Plastikkiste und stellt sie auf den Esstisch. Vier solche Kisten besitzt er, randvoll mit Kassetten. Ordentlich aufgereiht, die Rücken der Hüllen nach oben, so dass man die notierten Nachnamen lesen kann. Jansen. Tikoealoe. Oosterhof. Velthuizen. De Jong. Kakabeke. Disco.

Hardy beugt sich über die Kiste. »Es ist niemand anderes als Wolff«, sagt er. Während er sich durch die Kassettenhüllen arbeitet, liest er laut die Namen vor. George Akkerman und Cok Bakker, Bassist beziehungsweise Gitarrist ihrer im vorigen Jahrhundert eingegangenen Hawaiiband Honolulu Kings, hören schweigend zu.

Wie oft haben sie schon so zusammengesessen, um jemanden zu tracen? »Wir tracen ihn.« Hundert Mal? Hundertfünfzig Mal? Keiner von ihnen könnte es sagen. Es beginnt immer damit, dass einer von ihnen eine Frage zu irgendeinem Ereignis in der niederländisch-indonesischen Gemeinschaft stellt. Etwa: Welcher der Interviewten hat erzählt, dass seine Gruppe beim Hawaiimusik-Wettbewerb 1948 disqualifiziert wurde, weil sie Hulamädchen auftreten ließ, obwohl Tänzerinnen bei Wettbewerben ausdrücklich verboten waren? Sie konnten ja die Jury beeinflussen. War es Eddy Doorenbos von den populären Maui Eilanders? Oder Peter Schilperoort von den Puka Pakas? Über jeden Namen, der fiel, wurde diskutiert. Hardy und seine Freunde waren jedenfalls selbst nicht dabei gewesen. Im Jahr 1948 waren sie noch Kinder und hörten Hawaiimusik nur im Radio.

Hardy bezeichnet seine Kassettensammlung als »wissenschaftliches Material«. Seiner Ansicht nach enthält sie »explosive« Enthüllungen von Tatsachen, die in der Geschichtsschreibung gewöhnlich verdrängt oder ganz bewusst unterdrückt werden. Früher besaß er ein schweres Tonbandgerät, das er zu Auftritten mitschleppte, um die Musik seiner Honolulu Kings und ähnlicher Gruppen aufzunehmen. Als ihre Musik Ende der sechziger Jahre aus der Mode kam, brauchte er es dafür kaum noch. Stattdessen benutzte er das Tonbandgerät – und später einen Kassettenrekorder –, um seine niederländisch-indonesischen Imbissgäste zu interviewen. Die Leute schilderten ihre Erinnerungen an Niederländisch-Ostindien und die Besetzung durch die Japaner. Interviews kann man die Aufnahmen im Grunde kaum nennen. Hardy gab nur schnaubende Laute von sich, wenn ihm etwas nicht gefiel. Die »Japse«, genauer gesagt, positive Äußerungen über die Japse, waren ein äußerst empfindlicher Punkt. Wenn jemand behauptete, es habe auch gute Japaner gegeben, hörte man den sonst so umgänglichen Hardy plötzlich unterdrückt schnauben. Es klang wie die Ankündigung eines Herbststurms: Die letzten Blätter an den Bäumen werden unruhig, Wasseroberflächen kräuseln sich. Doch im Allgemeinen ließ Hardy seine Landsleute ungestört reden und nahm auch das lang anhaltende Schweigen auf, das den größten Schmerz in sich barg.

Hardys Hand arbeitet sich durch die Kiste, auf der Suche nach dem Mann mit der Gefängniskatze. Die meisten Interviewten sind inzwischen tot.

»Wen haben wir denn da«, sagt Hardy triumphierend und hält die Hülle einer BASF-Kassette hoch, auf deren Einleger in kindlicher Schleifenschrift Herr Wolff, Oktober 1997 steht. »Du hast ihn getracet!« George und Cok beglückwünschen ihn und applaudieren. Das gehört zum Ritual. Ehre, wem Ehre gebührt. »Er stand im Verdacht, die Katze gegessen zu haben. Aber jetzt, wo ich darüber nachdenke, bin ich mir fast hundertprozentig sicher, dass er es nicht gewesen ist«, sagt Hardy.

Aus dem mit Vorräten an Sambal, Sirup, Gewürzen und Konserven vollgestopften Regal nimmt er einen großen, schwarzen Ghettoblaster. Ein Weihnachtsgeschenk von seiner Tochter vor vielen Jahren. Die drei Freunde stellen sich feierlich in einer Reihe auf, sie pflegen die Erinnerungen stehend anzuhören. Während ihre Hände auf den Rückenlehnen der Esszimmerstühle ruhen, dringt leicht schleppend die Bassstimme von Herrn Wolff aus den Lautsprechern. Die magnetisierbare Schicht, in der seine Erinnerungen an Niederländisch-Ostindien festgehalten sind, hat sich mit der Zeit abgenutzt. Die hohen Töne sind verloren gegangen.

Während des Krieges konnte ich nicht mehr das Gymnasium besuchen. Ich fing deshalb als Seifenmacher bei meinem Onkel in Batavia an. Wir stellten Badeseife in verschiedenen Farben und grüne Waschseife aus Öl und Soda her. Als es kein Öl mehr gab, konnten wir keine Seife mehr machen und verlegten uns auf Schleifpapier aus Schweinehaut. Das stank entsetzlich. Wir holten im Schlachthof Sehnen und Haut und verkauften das stinkende Schleifpapier an chinesische Händler.

Hardy hat Herrn Wolff wieder deutlich vor Augen. Ein kleiner Mann mit melancholischem Blick, acht bis zehn Jahre älter als er. Herr Wolff wohnte in einer anderen Stadt, er war zufällig vorbeigekommen, und die Aufschrift »Institut für mündliche Geschichte Niederländisch-Indiens« – aus Klebebuchstaben auf der Tür von Toko Hardy unter den Öffnungszeiten angebracht – hatte sein Interesse geweckt. Nach dem Verzehr einer Portion Gado-Gado hatte Herr Wolff sich auf dem Sofa niedergelassen, während Hardy seine übliche Position einnahm, auf dem Esszimmerstuhl gegenüber dem Interviewten; Ghettoblaster und Mikrofon hatte er auf den Couchtisch dazwischen gestellt. Dann hatte er den Mann nach seinen Erinnerungen an die Besatzungszeit gefragt.

Meine Mutter hatte für die ganze Familie Rucksäcke gepackt, für den Fall, dass wir interniert würden. Aber der Krieg dauerte so lange, dass wir die Kleidung wieder auspackten, ...

Erscheint lt. Verlag 10.9.2018
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Original-Titel Honolulu King
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Demenz • Freimaurer • Haarlem • Hawaii • Hawaii Musik • Hawaii-Musik • Indonesien • Java • Vergangenheitsbewältigung
ISBN-10 3-458-76007-5 / 3458760075
ISBN-13 978-3-458-76007-8 / 9783458760078
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